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Blüten der europä­i­schen Sicher­heits­po­litik - Tennis­schläger verboten - aber geheim

Grundrechte-Report 2010, Seite 198

Man glaubte sich im rechtsstaatlichen Tollhaus, als man im März 2009 Presseberichte lesen konnte darüber, wie sich Kommission, Rat und Parlament in Europa vorstellen, die Sicherheit des Luftverkehrs gegen Terrorangriffe zu garantieren. Grundprinzipien des Rechtsstaats werden mit Füßen getreten.

Herr Gottfried Heinrich ist begeisterter Tennisspieler und wollte mit seinen Tennisschlägern im Handgepäck auf dem Flughafen Wien einchecken. Dies wurde ihm verwehrt. Auf die Frage nach einer Begründung erhielt er zur Antwort, dies ergebe ich aus dem europäischen Recht. Der angerufene Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich stellte fest, dass zur Sicherheit des Luftverkehrs verschiedene Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft Kontrollen der Passagiere an den Flughäfen vorschreiben und das Verbot der Mitnahme gefährlicher Gegenstände an Bord aussprechen; die verbotenen Gegenstände sind in einer Anlage zur Verordnung aufgeführt – diese Anlage ist aber nach dem Verordnungswortlaut geheim und wird nicht veröffentlicht!

Wie kann in einem Rechtsstaat einem Bürger ein bestimmtes Verhalten (Mitnahme bestimmter Gegenstände) verboten werden, wenn die verbotenen Gegenstände geheim gehalten und nicht veröffentlicht werden? Ist es mit den „elementarsten rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar“, dass vom Bürger die Einhaltung von geheimen Verhaltensnormen gefordert wird, fragte der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich, der diese Frage dem Europäischen Gerichtshof vorlegte. „Das kann doch nicht wahr sein“, wird jeder rechtschaffene Bürger impulsiv antworten.

Zu dieser eigentlich selbstverständlich verneinend zu beantwortenden Frage nahmen vor der Großen Kammer des Gerichtshofs immerhin 11 Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft Stellung (plus Parlament und Rat und Kommission). Dem Verfasser ist kein anderes Verfahren bekannt, zu dem so viele Mitgliedstaaten es für erforderlich gehalten haben, ihre Auffassung kundzutun. Die Regierungen von Deutschland, Frankreich und Großbritannien verstiegen sich typischerweise sogar zu der Argumentation, das Vorlageverfahren sei unzulässig – dann brauchte man sich ja mit der Rechtsstaatsargumentation nicht auseinanderzusetzen.

Die Europäische Gemein­schaft ist ein Rechtsstaat

Nach Artikel 23 Grundgesetz wirkt die Bundesrepublik Deutschland zur Verwirklichung eines vereinten Europas „bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen … verpflichtet ist.“ Und in seinem Urteil vom 3. September 2008 zu den Terrorlisten der Vereinten Nationen und der Europäischen Union hat ebenfalls die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs bereits betont, dass „die Gemeinschaft eine Rechtsgemeinschaft ist, in der weder ihre Mitgliedstaaten noch ihre Organe der Kontrolle daraufhin, ob ihre Handlungen mit der Verfassungsurkunde der Gemeinschaft, dem Vertrag, im Einklang stehen, entzogen sind. Nach ständiger Rechtsprechung sind die Grundrechte integraler Bestandteil der allgemeinen Rechtsgrundsätze, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat. ….. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich auch, dass die Achtung der Menschenrechte eine Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Gemeinschaft ist und dass Maßnahmen, die mit der Achtung dieser Rechte unvereinbar sind, in der Gemeinschaft nicht als rechtens anerkannt werden können“ (vgl. Till Müller-Heidelberg, Der Kampf gegen den Terror und europäische Grundrechte in Grundrechte-Report 2009, S. 191 ff.).

Deshalb ist das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 10. März 2009 auch eindeutig: In Ziffer 43 des Urteils heißt es: „Ein von einem Gemeinschaftsorgan erlassener Rechtsakt darf natürlichen und juristischen Personen in einem Mitgliedsstaat nicht entgegengehalten werden, bevor diese die Möglichkeit hatten, von dem Rechtsakt durch eine ordnungsgemäße Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union Kenntnis zu nehmen.“ Geheime Ge- und Verbote kann es in einem Rechtsstaat nicht geben. Sie sind nichtig. Geheime Ge- und Verbote machen es dem Bürger mangels Kenntnisnahme unmöglich, sich danach zu richten und gesetzmäßig zu verhalten. Welche kranken Bürokraten- und Politikergehirne sind es eigentlich, die sich so etwas ausdenken?!

Der Europäische Gerichtshof als rechts­s­taat­li­ches Bollwerk

Wenn  immer wieder geradezu aberwitzige Sicherheitsvorstellungen, die gegen Grundrechte und Rechtsstaat verstoßen, erst vor dem Europäischen Gerichtshof nach jahrelangem Rechtsstreit ihr Waterloo erleben, fragt man sich: Soll man eigentlich froh sein, dass der Europäische Gerichtshof unseren Rechtsstaat schützt, oder muss man nicht vielmehr entsetzt darüber sein, dass dies überhaupt nötig ist, dass Rat, Kommission und – leider – auch das Europäische Parlament so wenig interessiert an Rechtsstaat und Freiheits- und Bürgerrechten sind?

Literatur

EuGH Rechtssache C-345/06 vom 10. März 2009

Till Müller-Heidelberg, Der Kampf gegen den Terror und europäische Grundrechte, in: Grundrechte-Report 2009, S. 191 ff.

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