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Der deutsche „Auslän­der­vor­be­halt“ zur Kinder­rechts­kon­ven­tion

Grundrechte-Report 2010, Seite 105

Begründet in der Sorge, dass die Vorbehaltspraxis zu universellen Menschenrechtsverträgen ausufert, wurden die Staaten bereits 1993 in der Wiener Erklärung der Weltkonferenz über Menschenrechte aufgefordert, solche Vorbehalte zurückzunehmen, die mit Ziel und Zweck der UN-Kinderrechtskonvention (KRK) unvereinbar sind. Damit nimmt die Wiener Erklärung Bezug auf Artikel 51 Absatz 2 KRK, nach dem Vorbehalte, die mit Ziel und Zweck der KRK unvereinbar sind, unzulässig sind. Etwa ein Drittel der Vertragsstaaten haben zur KRK Vorbehalte angebracht, wobei einige bereits wieder zurückgenommen worden sind. Bei manchen ist fraglich, ob sie mit Artikel 51 Absatz 2 KRK vereinbar sind. Auch Deutschland hat einen Vorbehalt angebracht, bei dem sich diese Frage stellt:

„Nichts in dem Übereinkommen kann dahin ausgelegt werden, dass die widerrechtliche Einreise eines Ausländers in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland oder dessen widerrechtlicher Aufenthalt dort erlaubt ist; auch kann keine Bestimmung dahin ausgelegt werden, dass sie das Recht der Bundesrepublik Deutschland beschränkt, Gesetze und Verordnungen über die Einreise von Ausländern und die Bedingungen ihres Aufenthaltes zu erlassen oder Unterschiede zwischen Inländern und Ausländern zu machen.“

Die Frage, ob ein Vorbehalt mit Ziel und Zweck eines Vertrages kompatibel ist, ist vertragsspezifisch zu untersuchen. Demzufolge ist der Inhalt des Vorbehalts dem Ziel und Zweck des Vertrages gegenüberzustellen, um möglicherweise einen Widerspruch zur Ratio des Vertrages festzustellen.

Der deutsche „Ausländervorbehalt“ zielt darauf ab, sich von jeglichen aus der Konvention resultierenden Verpflichtungen gegenüber ausländischen Kindern frei zu zeichnen. Dies ergibt sich insbesondere aus der zweiten Hälfte des Vorbehalts, nach der die KRK ohne jegliche Bedeutung sei, sofern Deutschland Gesetze und Verordnungen über die „Bedingungen“ des Aufenthaltes von Ausländern erlasse. Zudem könne keine Bestimmung so ausgelegt gelegt werden, dass sie das Recht der Bundesrepublik einschränke, „Unterschiede zwischen Inländern und Ausländern“ zu machen.

Damit wird auf das Diskriminierungsverbot der KRK (Artikel 2 Absatz 1) Bezug genommen. Ohne irgendwelche Einschränkungen zu treffen, seien Ungleichbehandlungen erlaubt, sofern sie an der Staatsangehörigkeit anknüpfen. Das Diskriminierungsverbot der KRK gilt aber für alle Kinder im Sinne des Artikel 1 KRK, also für alle Minderjährigen. Im Unterschied etwa zur Erklärung Belgiens, die sich ebenso auf Artikel 2 KRK bezieht, setzt die Erklärung der Ungleichbehandlung von inländischen und ausländischen Kindern keine Grenzen. Das Erfordernis der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen wird in der Erklärung Deutschlands ignoriert.

Der Vorbehalt ist demnach so zu interpretieren, dass er die Geltung des Diskriminierungsverbots für ausländische Kinder negiert. Die Universalität der Rechte und das Diskriminierungsverbot als Strukturprinzip des Vertragswerkes werden somit untergraben. Auch der in der Konvention umfassend verankerte Maßstab des Kindeswohls soll für ausländische Kinder grundsätzlich keine Bedeutung haben. Letztendlich beabsichtigt der Vorbehalt, eine bestimmte Personengruppe vom Geltungsumfang der KRK auszugrenzen. Ein solcher Vorbehalt, der eine umfassende Diskriminierung ermöglicht, ist mit einem Menschenrechtsabkommen universellen Anspruchs nicht zu vereinbaren. Er verstößt gegen Artikel 51 Absatz 2 KRK.

Kritik von UN-Aus­schuss

Der Vorbehalt wurde trotz vielfältiger Kritik – auch vom UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes – bis heute nicht zurückgenommen, zahlreiche politische Initiativen für eine Rücknahme des Vorbehalts blieben erfolglos. Das Grundsatzproblem der Rechtsfolgen unzulässiger Vorbehalte zur KRK besteht darin, dass der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes als Kontrollorgan der KRK nicht die Kompetenz hat, verbindlich über die Unzulässigkeit und deren Rechtsfolgen zu entscheiden. Der Ausschuss hat sich daher auch auf Kritik am Vorbehalt beschränkt. Vereinzelt haben deutsche Verwaltungsgerichte den Vorbehalt als völkerrechtlich unzulässig verworfen und für nichtig erklärt. Im Grundsatz hat er weiterhin Bestand.

Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit regelmäßig auf die Position einiger Bundesländer verwiesen, die sich bisher für die Aufrechterhaltung des Vorbehalts ausgesprochen haben. Eine Erklärung für die Haltung der Bundesländer könnte sein, dass die menschenrechtliche Dimension und Problematik des Vorbehalts noch nicht ausreichend erfasst worden ist: Der deutsche „Ausländervorbehalt“ frustriert fundamentale menschenrechtliche Anliegen und läuft dem Bekenntnis Deutschlands zu universell gültigen Menschenrechten diametral entgegen. Zugleich fügt Deutschland dem internationalen Menschenrechtsschutzsystem mit dem Vorbehalt Schaden zu.

Auf der Bundesebene scheint sich das gesellschaftliche Engagement zahlreicher Nichtregierungsorganistation mittlerweile auszuzahlen. So hat etwa die „National Coalition zur Umsetzung der Kinderrechtskonvention in Deutschland“, in der sich mehr als hundert Nichtregierungsorganisationen vereinen, immer wieder die Rücknahme des „Ausländervorbehalts“ gefordert. Im Bundestag ist mittlerweile von einer großen Mehrheit auszugehen, die sich für eine Rücknahme des Vorbehalts auspricht. Schließlich hat auch die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag von Oktober 2009 klare Zeichen gesetzt. Darin hat sie sich für eine Stärkung der Kinderrechte ausgesprochen. Dazu will sie nicht nur aktiv an der Ausgestaltung eines Individualbeschwerdeverfahrens zur KRK mitwirken. Sie will ebenso die „Vorbehaltserklärung“ zur KRK zurücknehmen.

Diese Ankündigungen im Koalitionvertrag der Bundesregierung sind ausdrücklich zu begrüßen. Die Bundesländer sollten sich daher der Position der Bundesregierung, der großen Mehrheit im Bundestag wie auch etlicher Nichtregierungsorganisationen anschließen.

Konvention ohne Wirkung zugunsten von Kindern

Eine weitere von Deutschland zur KRK Erklärung wurde abgegeben, um die Bedeutung der KRK im innerstaatlichen Rechtsraum zu relativieren. Danach habe das Übereinkommen lediglich Staatenverpflichtungen begründet und finde innerstaatlich keine unmittelbare Anwendung findet. Auch diese Erklärung wurde bereits vielfach kritisiert und sollte von Deutschland zurückgenommen werden. Wenngleich dieser Erklärung nach zutreffender und wohl auch überwiegender Auffassung in der Wissenschaft rechtlich keine Bedeutung beizumessen ist, hat auch diese Erklärung ihr Ziel bisher nicht verfehlt: In der deutschen Rechtspraxis spielt die KRK beinahe keine Rolle. Im Ergebnis entsteht damit eine grotesk anmutende Situation. Den Kindern sollen nach Artikel 42 KRK ihre Rechte bekannt gemacht werden, im Falle eines konkreten Rechtsstreites sollen sie sich hierauf jedoch nicht berufen können. In der Würdigung der deutschen Rechtsprechung handelt es sich bei dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes, soweit ausländische Kinder und Jugendliche betroffen sind, um ein Übereinkommen ohne Rechte des Kindes.

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