Der Rechtsweg ist ein wenig sicherer geworden
Grundrechte-Report 2010, Seite 157
Ein weiteres Beispiel dafür, dass das Bundesverfassungsgericht immer wieder Vorinstanzen und Organe der Verwaltung mit der Feststellung von Selbstverständlichem beschämen muss, ist aus Wolfsburg zu vermelden. Ein Polizeibeamter und eine Journalistin sind auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft Braunschweig über Jahre hinweg bespitzelt worden. Die eigentlichen Vorgänge liegen sieben Jahre zurück.
Im ersten Fall ging es um den Tod einer Frau, die sich einen Tag nach einem Verhör durch die Wolfsburger Polizei das Leben genommen hatte. Die Polizei verschwieg die Sache, doch die Wolfsburger Allgemeine Zeitung (WAZ) erfuhr davon und berichtete darüber.
Im anderen Fall, in dem wiederum die örtliche Polizei ermittelte, ging es um einen Raubüberfall. Dazu erschienen in derselben Zeitung im August 2003 zwei Artikel, in denen die Journalistin verschiedene Ungereimtheiten im Ermittlungsverfahren sowie in den Ermittlungsergebnissen aufdeckte. Nun wurde die Staatsanwaltschaft Braunschweig aktiv. Sie vermutete Verletzung von Dienstgeheimnissen gegen Entgelt durch einen mit der Sache befassten Polizeibeamten, leitete im September 2003 ein Ermittlungsverfahren gegen ihn ein und veranlasste, dass das Amtsgericht Braunschweig im Oktober anordnete, die dienstlichen sowie die privaten Telephonanschlüsse des Beschuldigten zu überwachen. Im März 2004 wurde auch die Journalistin als Beschuldigte in gleicher Weise überwacht – wegen des Verdachts der Anstiftung zum Verrat von Dienstgeheimnissen. Da die Ermittlungen keinen Tatnachweis erbracht hatten, ordnete das Amtsgericht im Februar 2004 nach Antrag der Staatsanwaltschaft an, neben der Durchsuchung ihrer Privatwohnungen eine fingierte, mit Farbstoffen präparierte Akte als „Köderfalle“, videoüberwacht, im Polizeigebäude auszulegen. Das geschah dann mit Hilfe der örtlichen Polizeiführung, die auf diese Weise dazu beitragen wollte, ihren Berufskollegen als vermeintlichen Informanten der Zeitung zu überführen. Doch auch diese Maßnahmen erbrachten nicht die von der Staatsanwaltschaft erhofften Ergebnisse.
Ein Jahr später (April 2005) wurden die Beschuldigten von den Bespitzelungen gegen sie in Kenntnis gesetzt, im Juli 2005 wurden die Ermittlungsverfahren gegen sie eingestellt.
In der Folgezeit versuchten die ehemals Beschuldigten, die Rechtswidrigkeit der gegen sie durchgeführten Maßnahmen feststellen zu lassen, zunächst auf „nichtförmlichen Wegen“. Dazu wandten sie sich an das niedersächsische Innen- und Justizministerium. Tatsächlich wurden dann am 1. März 2006, eineinhalb Stunden lang im Innenausschuss mit der damaligen Justizministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) und dem damaligen stellvertretenden Landespolizeipräsidenten und heutigen Polizeipräsidenten von Hannover, Uwe Binias, die polizeilichen Abhörmaßnahmen erörtert. Dabei billigten beide die Aktionen und bekräftigten, Polizei und Staatsanwaltschaft hätten die Pflicht gehabt, so zu ermitteln. Bald nach diesen Ausführungen von an höchster Stelle Verantwortlichen legten die Betroffenen im April 2006 Beschwerde gegen die vermuteten grundgesetzwidrigen Beschlüsse des Amtsgerichts Braunschweig ein. Genau 16 Monate später erging ein Beschluss des Landgerichts Braunschweig. Darin stellte es zwar fest, dass es sich bei den beanstandeten Maßnahmen um schwerwiegende Grundrechtseingriffe handele, doch da die Beschwerdeführer erst ein Jahr nach der Unterrichtung über die Erhebung der Telekommunikationsverbindungsdaten und neun Monate nach Einstellung des Verfahrens Beschwerde eingelegt hatten, sei das verspätet, das Rechtsschutzbedürfnis also verwirkt, und die Beschwerden somit unzulässig.
Effektiver Rechtsschutz vorenthalten
Dagegen erhoben die Betroffenen im September 2007 Gegenvorstellung beim Landgericht und zugleich Verfassungsbeschwerde. Darin wurde die Verletzung der GG-Artikel 10 Absatz 1, Artikel 13 Absatz 1 Artikel 5 Absatz 1 und nun auch des Arts 19. Absatz 4 geltend gemacht. Am 4. März 2008 hob das Bundesverfassungsgericht den Beschluss des Landgerichts Braunschweig auf, weil die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus GG Artikel 19 Absatz 4 dadurch verletzt worden seien, dass ihnen ein effektiver und lückenloser Rechtsschutz vorenthalten worden war. Die angefochtene Entscheidung ist nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts „… Bedeutung und Tragweite des Rechtsschutzanspruchs der Beschwerdeführer nach Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 GG nicht in dem von der Verfassung gebotenen Umfang gerecht geworden.“ Die Angelegenheit wurde an das Landgericht zurückverwiesen.
Am 25.02.2009 erging sodann der Beschluss des Landgerichts Braunschweig. In diesem wurden die durchgeführten Maßnahmen für rechtswidrig erklärt. Die angenommenen Straftaten – die ja ohnehin nie stattgefunden hatten – seien nämlich alles andere als von erheblicher Bedeutung, und die bloße Vermutung dass es solche gegeben hätte, reiche nicht für die veranlassten Überwachungsmaßnahmen aus. Die Rechtmäßigkeit der „Köderfalle“ wurde zudem verneint, weil dadurch die Beschuldigten erst zu einer Straftat provoziert werden sollten.
Weil solche Bespitzelungsaktionen auch dann noch einschüchternd wirken, wenn sie längst abgestellt sind, ist es den Betroffenen hoch anzurechnen, dass sie sich konsequent um Aufklärung und Rehabilitation bemüht haben. Beunruhigend ist es dagegen wie leicht sich Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichte und eine Landesjustizministerin über Grundrechte, die sie zu schützen haben, hinwegsetzen.
Doch dann gibt es auch immer wieder Zeichen der Hoffnung, wenn – wie hier – schließlich das Bundesverfassungsgericht die Rechtsweggarantie stärkt und so den Rechtsweg für die Betroffenen ein wenig sicherer macht und damit die Grundrechte insgesamt stärkt – zur Ermutigung aller, die für unser Grundgesetz kämpfen.
Literatur
Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 4.März 2008 – 2 BvR 2111/07 und – 2 BvR 2112/07
Beschluss des LG Braunschweig vom 25. Februar 2009 Geschäfts–Nr. 8 Qs 100/08
Tageszeitung durfte nicht bespitzelt werden, in: Göttinger Tageblatt vom 21.März 2009 S. 26
Hartwig Hohnsbein, „Staatsschutz in Niedersachsen“ in: Ossietzky 07/2009, S. 279 f.