Publikationen / Grundrechte-Report / Grundrechte-Report 2010

Freizü­gig­keit nicht für Linke - Aus- und Einrei­se­ver­bote bei inter­na­ti­o­nalen Protesten

Grundrechte-Report 2010, Seite 113

Die internationalen Gipfeltreffen der letzten Jahre haben es an den Tag gebracht: Die Staats- und Regierungsspitzen betonen ihren Willen zu gemeinsamem Handeln und schütteln sich gegebenenfalls medienwirksam mitten auf der Grenzlinie die Hand – gleichzeitig werden die Grenzen der Nationalstaaten aber selbst innerhalb der EU für diejenigen, die gegen die Gipfelpolitik protestieren wollen, zu unüberwindlichen Hürden gemacht und wird die Freizügigkeit außer Kraft gesetzt. So wurde die deutsche Grenze in den letzten Jahren mehrfach zum Endpunkt für Menschen aus den Niederlanden, Polen oder Spanien, die in Deutschland demonstrieren wollten, und für Deutsche, die dasselbe in Frankreich, Italien oder Dänemark zu tun planten.

Ein- und Ausreise verweigert

Herr P. aus Amsterdam wollte im Juni 2007 nach Rostock zu den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm fahren. Sein Fahrzeug wurde an der niederländisch-deutschen Grenze von der deutschen Polizei herausgewunken, durchsucht und seine Personalien abgefragt. Nach drei Stunden (die er im Gewahrsam verbrachte) wurde ihm mitgeteilt, man habe von der niederländischen Polizei erfahren, dass er als gefährlich einzustufen sei. Es gebe „Feststellungen“ aus dem Jahr 2002 zu Widerstand und Hausfriedensbruch, und: Er sei „als dem linken Spektrum nahestehend bekannt“. Dass Herr P. niemals strafrechtlich verurteilt worden war und dass der Sachverhalt, der den „Feststellungen“ zugrunde lag, nach deutschem Recht gar nicht strafbar gewesen wäre, überprüften die Beamten nicht, auch nicht durch Nachfrage bei Herrn P. Herr P. musste sein Fahrzeug wenden und zurück fahren. Dass später vor Gericht festgestellt wurde, dass es für die Einreiseverweigerung keinen Grund gab, kann ihn kaum dafür entschädigen, dass er damals nicht demonstrieren konnte.

Frau D. aus Deutschland wollte im April 2009 nach Frankreich zu den Protesten gegen den NATO-Gipfel in Straßburg fahren. An der Grenze wurde sie gestoppt, ihre Personalien abgefragt; ihr Fahrzeug wurde von der Bundespolizei durchsucht. Es ging schneller als bei Herrn P., aber das Ergebnis war das gleiche. Frau D. durfte die Grenze nicht passieren. Gründe waren zum einen erneut eine „Feststellung“, nämlich dass sie wegen Landfriedensbruchs polizeilich in Erscheinung getreten sei, zum anderen eine Atemschutzmaske in ihrem Fahrzeug. Beides hielt das zuständige Verwaltungsgericht für nicht ausreichend für ein Verbot, entgegen der nächsthöheren Instanz zwei Tage später – aber da hatte Frau D. schon von ihrer zwischenzeitlichen Reisefreiheit Gebrauch gemacht und befand sich in Frankreich.

Zum Glück war sie einfach über einen anderen Grenzübergang gefahren – denn hätte sie den positiven Beschluss des Verwaltungsgerichts als „laissez-passer“ dem deutschen Grenzposten vorgelegt, wäre es ihr vielleicht wie einer Mitstreiterin  ergangen. Jene hatte, nachdem sie an der Grenze den gerichtlichen Beschluss präsentiert hatte, „ausreisen“ dürfen, ihr wurde jedoch dann von den französischen Grenzbeamten die Einreise verweigert. Der deutsche Kollege hatte sie auf dem kurzen Dienstweg über Frau K. „ins Bild gesetzt“.

Sicherheit und Ordnung und deutsches Ansehen

Dieser Vorfall zeigt, dass an der Grenze die Rechtsform tatsächlich nicht zählt, wenn missliebige Personen aufgehalten werden sollen. Die Rechtsgrundlagen für Aus- und Einreiseverbote in Pass- und Freizügigkeitsgesetz sind dabei nur hilfreiche Vehikel. Für die Praxis liegen die „erheblichen Belange der Bundesrepublik“ oder „Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“, die als Voraussetzung für ein Ein- oder Ausreiseverbot normiert sind, in der polizeilichen Einstufung der Betroffenen als politische Aktivistinnen und Aktivisten. In der rechtlichen Konstruktion wird angenommen, dass die Betroffenen sich im jeweiligen Ausland an Ausschreitungen beteiligen wollen, was durch die Abschottung der Grenze verhindert werden müsse. Fraglich ist dabei schon, welche Form von Protest „die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ gefährdet – mit der Folge eines Einreiseverbots. Ausreiseverbote setzen darüber hinaus voraus, dass „erhebliche Belange der Bundesrepublik“ beschädigt werden könnten. Es werden deshalb etwaige Straftaten deutscher Protestierender im Ausland als Beeinträchtigung des erheblichen nationalen Belangs des „deutschen Ansehens“ eingestuft – ungeachtet dessen, dass für die internationalen Aktivistinnen und Aktivisten und ihren Protest die nationale Herkunft ohne jeden Belang ist.

Problematisch ist vor allem, wie die Annahme der Beteiligung an Ausschreitungen zustande kommt. Wie aus anderen Bereichen des Polizeirechts bekannt, werden derartige Prognosen auf Indizien (Atemschutzmaske bei Frau D.) gestützt, vor allem aber auf polizeiliche Daten zu den Betroffenen. Dass im Fall der Frau D. keine Verurteilung „festgestellt“ war, sondern nur eine polizeiliche Erfassung, zeigt, dass gesammelte Daten keine sichere Prognose ermöglichen. Über die Grenzen hinweg sind diese Datei-Einträge noch weniger nachvollziehbar als schon in der innerstaatlichen Praxis. Bei der Sammeldatei „Gewalttäter linksmotiviert“, die in diesen Zusammenhängen in Deutschland die wichtigste Rolle spielt, ergibt sich das schon aus der Errichtungsanordnung, wonach „personenbezogene Daten von Beschuldigten oder Verdächtigten gespeichert werden, bei denen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie politisch motivierte Straftaten begangen haben, soweit dies erforderlich ist, weil wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Betroffenen oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass Strafverfahren gegen sie zu führen sind“ (165. Sitzung der Innenministerkonferenz, Beschlussprotokoll vom 28. November 2000, S. 39). Es handelt sich also um eine reine Verdachtsspeicherung, bei der zudem nicht sichergestellt ist, dass vermerkt wird, wenn sich der Verdacht nicht bestätigt oder sogar widerlegt wird. Obwohl im Fall des Herrn P. die „Feststellungen“ zu Straftaten keine strafbaren Handlungen betrafen, reichte der deutschen Polizei die Tatsache der Speicherung an sich.

Freizü­gig­keit unzulässig beein­träch­tigt

In beiden geschilderten Fällen gab es daher keinen Grund zur Annahme, dass sich die Betroffenen im Ausland an Ausschreitungen beteiligen würden. Selbst wenn aber Dateieinträge tatsächlich abgeurteilte schwerwiegende Taten beinhalten, darf nach EU-Recht nicht ohne weiteres die Ein- oder Ausreise verhindert werden. Nach Artikel 27 Absatz 2 der Freizügigkeitsrichtlinie (2004/38/EG) darf eine Beschränkung der Freizügigkeit ausschließlich darauf gestützt werden, dass vom persönlichen Verhalten des Betroffenen eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft ausgeht, wobei strafrechtliche Verurteilungen allein ausdrücklich nicht ausreichen. Damit fällt das „deutsche Ansehen“ als Grund für ein Grenzübertrittsverbot auf jeden Fall weg, und auch eine auf ungeklärte Dateieinträge oder Normen wie das deutsche Schutzwaffenverbot gestützte Prognose ist unzureichend. Dass die Freizügigkeit auch für politisch Aktive gilt, muss an den Grenzen immer wieder erkämpft werden, erst recht, wenn – wie von der Bundesregierung gewünscht (Stellungnahme zum Stockholm-Programm vom 2. Oktober 2009, S. 9) und von der schwedischen Ratspräsidentschaft vorgeschlagen (Stockholmprogramm 17024/09 vom 2. Dezember 2009, S. 40) – eine neue Kategorie in den europäischen Verbunddateien eingeführt wird: zu Demonstrationen oder politischen hochrangigen Veranstaltungen wie Weltwirtschaftsgipfel „reisende Gewalttäter“.

nach oben