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Illegale Haft erfordert spürbare Konse­quenzen

Grundrechte-Report 2010, Seite 120

Das Kraut gegen vorsätzlich rechtswidriges Verhalten der Polizei braucht noch viel Dünger. Immer wieder verfährt die Polizei rechtswidrig gegenüber Demonstrierenden. Meist zeitigt dieses illegale Verhalten keine Konsequenzen. Manchmal wird im Nachhinein gerichtlich festgestellt, dass eine Maßnahme rechtswidrig war. In ganz seltenen Fällen werden minimale Schmerzensgelder gezahlt, die die Polizei sozusagen aus der Portokasse begleichen kann (vgl. Till Müller-Heidelberg in Grundrechte-Report 2007, S. 124 ff.).

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat nun im November 2009 zwei Demonstrationsbeobachtern das Recht auf Schmerzensgeld zugesprochen (1 BvR 2853/08). Im Jahr 2001 waren Helga Dieter und Ulrich Billerbeck als Demonstrationsbeobachter des Komitee für Grundrechte und Demokratie im Wendland unterwegs. Außerhalb der Demonstrationsverbotszone wurden sie aus ihrem Auto heraus festgenommen und mehrere Stunden unter unzumutbaren Bedingungen in Gewahrsam gehalten. Im März 2007 stellte das Amtsgericht Uelzen die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung fest. Die bereits im Juli 2004 erhobene Amtshaftungsklage führte weder beim Landgericht Lüneburg noch beim Oberlandesgericht Celle zum Erfolg. Die Gerichte argumentierten, die „maßgebliche Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion“ sei „bereits durch die Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahme“ erfüllt.

Illegaler Freiheitsentzug gebietet angemessenen Ausgleich

Das BVerfG belehrt die Gerichte nun, dass nicht nur der „Schutzauftrag des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes einen Anspruch auf Ausgleich des immateriellen Schadens gebietet“. Wenn, wie hier, zusätzlich das Grundrecht auf Freiheit der Person betroffen ist, gilt dies erst recht. Gerade der illegale Freiheitsentzug gebietet einen angemessenen Ausgleich, um dem Verkümmern des Rechtsschutzes entgegenzuwirken. Des weiteren bemängelt das höchste Gericht, dass auch die Bedingungen des Gewahrsams allzu oberflächlich als unvermeidbar bei Großeinsätzen gerechtfertigt wurden. Es hätte geprüft werden müssen, ob die dadurch entstandenen Rechtseinbußen bei sorgfältiger Planung hätten vermieden werden können.

Aber nicht nur die Grundrechte aus Artikel 2 in Verbindung mit Artikel 1 GG haben die unteren Gerichte nicht ausreichend gewürdigt. Zu beanstanden sei, dass das OLG die abschreckende Wirkung einer solchen Maßnahme auf die Ausübung von Grundrechten nicht erkannt hätte. Nicht nur derjenige, der eine derartige Behandlung erfahre, sondern auch alle potentiellen Demonstrationsteilnehmer könnten vom künftigen Gebrauch ihres Grundrechts auf Versammlungsfreiheit (Artikel 8 GG) abgeschreckt werden. Die Demonstrationsbeobachtung sei zudem durch dieses Grundrecht in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 GG geschützt.

Die beiden Demonstrationsbeobachter hatten auf verhältnismäßig geringe Entschädigungen geklagt. Sie wollten für die je unterschiedlichen Grundrechtsverletzungen im Gewahrsam 500,- und 2000,- Euro Schmerzensgeld. Über die Höhe dieses Betrags wird das Landgericht Lüneburg nun zu entscheiden haben. Bei einem unverfänglichen, aber heimlich aufgenommenen Foto des Fürstenehepaares von Monaco hat der Bundesgerichtshof immerhin eine Entschädigung von 150.000 DM (dem Kleinkind) und 125.000 DM (der Mutter) zugesprochen. Erst wenn solche Beträge nicht mehr aus der Portokasse zu zahlen sind, wird die Polizei vielleicht ihre illegalen Vorgehensweisen etwas seltener einsetzen. Dafür bedarf es allerdings noch häufig des langen Klage-Atems.

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