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Journa­lis­ten­über­prü­fungen bei inter­na­ti­o­nalen Gipfel­treffen

Grundrechte-Report 2010, Seite 93

Seit einigen Jahren ist geradezu ein Boom an Gipfeltreffen der Staatsoberhäupter zu beobachten. Begleitet werden diese Gipfel von einer kritischen Berichterstattung. Die kritischen Journalisten kommen oft aus einem Schnittstellenbereich von Aktivisten und Medienakteuren. Die Sicherheitsbehörden reagieren zunehmend mit dem Ausschluss der Journalisten von staatlichen Veranstaltungen.  Journalisten, die Zugang zu den Gipfeltreffen haben möchten, müssen sich im Rahmen eines Akkreditierungsverfahrens einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen. Für diese ist das Bundeskriminalamt (BKA) zuständig. Es nimmt zur jeweiligen Person einen Datenabgleich beim polizeilichen Datensystem INPOL vor. Sind dort Daten vorhanden, erfolgt eine Informationseinholung beim Amt für Verfassungsschutz und der örtlichen Polizeibehörde. Anhand aller Daten nimmt das BKA eine Bewertung nach einem Katalog vor, der EU-weit und auch zwischen den G8-Ländern abgestimmt ist. Nach diesem Grundsatzpapier für Personenüberprüfungen soll immer dann ein ablehnende Empfehlung erfolgen, wenn die überprüfte Person wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung verurteilt ist und die Verurteilung nicht länger als drei Jahre zurückliegt. Erheblich bedeutsam sind insbesondere Verbrechen, die sich gegen das Leben und die Gesundheit richten oder Vergehen, die nach Art und Schwere geeignet sind, den Rechtsfrieden besonders zu stören, soweit sie sich gegen das Leben, die Gesundheit oder die Freiheit einer Person richten. In Einzelfällen soll eine ablehnende Empfehlung auch bei wiederholter Verurteilung wegen leichter Straftaten erfolgen. Zudem können sonstige Erkenntnisse, also insbesondere (auch eingestellte) Ermittlungsverfahren zu einem Negativvotum führen, wenn dies nach Prüfung des Einzelfalls angezeigt erscheint. Gleiches gilt, wenn über eine Person Staatsschutzerkenntnisse vorliegen, die darauf schließen lassen, dass sie künftig solche Straftaten begehen wird. Die Erstellung der Gefahrenprognose ist dabei auf die mögliche Gefährdung von Teilnehmern einer Veranstaltung gezielt zuzuspitzen.

Verwei­ge­rung der Akkre­di­tie­rung

Zum G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 verweigerte das Bundespresseamt zunächst etwa 20 Journalisten eine Akkreditierung. Das Verwaltungsgericht (VG) Berlin kritisierte seinerzeit in mehreren einstweiligen Verfügungsverfahren die Praxis der Sicherheitsüberprüfung und verpflichtete das Bundespresseamt zur Erteilung der Akkreditierung. Die Akkreditierung war „auf Empfehlung des BKA“ nicht erteilt worden. In einer Entscheidung des VG Berlin (Az. VG 27 A 146.07 v. 6.6.07, www.juris.de) beruhte das Votum des BKA auf einem so genannten Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), das Aktivitäten des Journalisten in der linken Szene dokumentierte. Das VG Berlin entschied, dass ein Berufsjournalist aufgrund seiner Berufsausübungsfreiheit aus Artikel 12 GG grundsätzlich einen Anspruch auf Zugang zu staatlichen Veranstaltungen habe. Nur im Falle von hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass der Journalist mit seinem Verhalten die Veranstaltung stören wolle oder Leib oder Leben der Teilnehmer gefährden würde, hätte ihm der Zugang verweigert werden dürfen. Ein Behördenzeugnis biete schon deshalb keine ausreichende Tatsachengrundlage, da die Erkenntnisse nicht verifizierbar seien. Zudem könne allein aus Aktivitäten in der linken Szene nicht darauf geschlossen werden, dass ein Journalist sich an Gewalttätigkeiten beteiligen oder andere hierzu auffordern würde. Das VG Köln urteilte in einem anderen Fall (Az. 20 K 1505/08 v. 15.1.09, www.justiz.nrw.de), dass das BfV ein negatives Votum an das BKA nur dann hätte erteilen dürfen, wenn Erkenntnisse vorgelegen hätten, aus denen sich tatsächliche Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, dass der betroffene Journalist eine gewaltbereite Bestrebung nachdrücklich unterstütze und sich daraus für die Durchführung der Veranstaltung ein entsprechendes Gefahrenpotential ergeben hätte. Die Teilnahme an Aktivitäten in linken Gruppierungen und die Publikationen in linken Medien, ohne dass eine Förderung von Gewalttätigkeiten erkennbar sei, genüge nicht. Diese gerichtlichen Vorgaben hat das BKA bis heute in sein Grundsatzpapier für Personenüberprüfungen nicht eingearbeitet.

Anlässlich des Jubiläumsgipfels der NATO am 3. und 4. April 2009 in Straßburg führte die NATO ein Akkreditierungsverfahren für Journalisten durch. Online wurden insbesondere persönliche Daten zur Identifizierung sowie die Daten des Presseausweises abgefragt. Eine Einverständniserklärung zur Datenverarbeitung wurde nicht abgefragt. Die erhobenen Daten leitete die NATO in Brüssel an die jeweils zuständige nationale Sicherheitsbehörde: Für deutsche Journalisten das BKA. Auf der vom BKA nach dem bekannten Katalog ermittelten Grundlage erfolgte eine Gefahrenbewertung, die in einer Empfehlung an die NATO mündete.

Nach Medienberichten wurde mindestens drei Journalisten aus Deutschland aufgrund eines Negativvotums des BKA eine Akkreditierung verweigert. Zur Begründung ihrer Entscheidung teilte die NATO lapidar mit: Die Entscheidung wurde der NATO durch die Deutsche Bundespolizei, das BKA, mitgeteilt. Die NATO sah sich also an das Votum des BKA gebunden. Eine gerichtliche Überprüfung der Ablehnung war nicht möglich. Eine solche Entscheidung der NATO unterliegt keiner Gerichtsbarkeit. Daher blieb in diesem Fall lediglich die gerichtliche Überprüfung des BKA-Votums.

Keine Rechts­grund­lage für Daten­wei­ter­gabe

Das VG Wiesbaden äußerte in zwei einstweiligen Verfügungsverfahren (Az. 6 L 353/09.WI u. 354/09.WI v. 31.3.09) auf Erteilung eines Positivvotums durchgreifende Bedenken gegen die Praxis des BKA. Es gebe keine Rechtsgrundlage für eine Datenweitergabe an die NATO. Zudem hätte eine Datenübermittlung unterbleiben müssen, weil die NATO „offensichtlich“ über keinen angemessenen Datenschutzstandard verfüge. Darüber hinaus genügte auch dem VG Wiesbaden die nach dem BKA-Katalog ermittelte Tatsachengrundlage nicht. Eine alleinige Verwertung der in polizeiliche Informationssysteme eingestellten Daten reiche nicht aus. Denn es sei von der Regel auszugehen, dass polizeiliche Datensysteme und Akten unvollständige Informationen enthielten. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hob die Entscheidungen des VG Wiesbaden auf (8 B 1041/09 v. 2.4.09), da der VGH kein Bedürfnis sah, den Journalisten einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren. Es sei nicht anzunehmen, dass die NATO bei Widerruf des Negativvotums durch das BKA ihre Entscheidung abändere. Offenbar rechnete der VGH nicht mit der Berücksichtigung nationaler Rechtsprechung durch die NATO.

Deutschland hat der NATO als zwischenstaatlicher Organisation Hoheitsrechte übertragen. Mit der wachsenden Bedeutung der NATO als einer Art „Sicherheitsdienstleister“ wird es zu vermehrten Eingriffen in die Grundrechte Einzelner kommen. Ein rechtsstaatlicher Mindeststandard, wie z. B. gerichtlicher Rechtsschutz für Betroffene, ist nicht gegeben. Wie die NATO mit der Pressefreiheit aber umzuspringen gedenkt, war ihrem Umgang mit den abgelehnten Journalisten zu entnehmen: Sie könnten sich über den Gipfel auf der NATO-Webseite ausreichend informieren.

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