Publikationen / Grundrechte-Report / Grundrechte-Report 2010

Sichert die Grund­rechte: Schafft unabhängige Polizei­be­auf­tragte in Bund und Ländern

Grundrechte-Report 2010, Seite 189

Am Rande der Demonstration „Freiheit statt Angst“ im September 2009 in Berlin ereignete sich ein Vorfall, der besondere Aufmerksamkeit verdient. Glücklicherweise konnte er auf Video dokumentiert und im Internet veröffentlicht werden. Hier wird ein jüngerer, unvermummter Mann mit Fahrrad von einem Polizeibeamten festgehalten, mit der Faust ins Gesicht geschlagen und schließlich von mehreren Beamten zu Boden gezerrt und getreten. Auf Grund des Videos laufen in diesem Fall Strafverfahren gegen die Beamten. Polizeiliche Übergriffe – auch unabhängig von Demonstrationen – sind, im Gegensatz zu deren Dokumentation, keine Ausnahme. So können diesem Einzelfall mühelos weitere, auch weit spektakulärere Beispiele (z.B.: „Tod im Polizeigewahrsam“) hinzugefügt werden. Doch das Ritual politischer Auseinandersetzungen, das solchen Exzessen in der Regel folgt, erschöpft sich zumeist in Stimmungsmache und Meinungskampf. Die polizeilichen Strategien und Einsatzkonzepte bleiben durchweg unverändert.

Um die Aufklärung derartiger Vorfälle nicht davon abhängig zu machen, ob zufällig jemand im richtigen Moment eine Kamera zur Hand hat, bestehen Forderungen nach einer unabhängigen Stelle, die allein damit beauftragt ist, das Verhalten von Polizisten auf Video zu dokumentieren. Eine weitere wichtige Forderung ist die nach Namenschildern bzw. Identifikationsnummern für Polizisten. Ergänzend wird seit einiger Zeit die Diskussion um einen unabhängigen Polizeibeauftragten in Bund und Ländern geführt. Dieser soll eine Anlaufstelle sowohl für Bürger als auch für Polizeibeamte selbst sein.

Der insti­tu­ti­o­nelle Schein – die gängige Kontroll­ma­trix

Doch wer politisch Verantwortliche danach fragt, bekommt i.a.R. zur Antwort, die vorhandenen Instrumente reichten aus. Verwiesen wird auf polizeiinterne Dienstaufsichts-, Beschwerde- und Ermittlungsstellen, ferner auf die Justiz und schließlich auf die Parlamente und ihre Innen- und potenziellen Untersuchungsausschüsse. Auch die deutschen Polizeibehörden in Bund und Ländern haben den institutionellen Schein ausreichender Kontrolle offenbar verinnerlicht. Sie vermögen nicht zu erkennen, dass erweiterte Kontrollinstrumente auch den organisationseigenen Interessen der Polizei dienen.

Dagegen fordern einflussreiche Menschenrechtsorganisationen, eine unabhängige Kontrollinstanz zu schaffen. So Amnesty International, die wegen der bestehenden Kontrolllücke notgedrungen selbst eine ehrenamtliche, hoch engagiert arbeitende „Fachgruppe Polizeirecherche“ gebildet hat, die Polizeiunrecht in Deutschland unter dem Aspekt verletzter Menschenrechte aufzuklären sucht. So die Humanistische Union, die derzeit einen Gesetzestext zur Schaffung eines Polizeibeauftragten auf Bundesebene berät, der als Muster für entsprechende Gesetzentwürfe auch auf Länderebene konzipiert ist.

Auch der europäische Menschenrechtskommissar Thomas Hammarberg empfiehlt, „unabhängige Polizeiüberwachungs- und Beschwerdemechanismen außerhalb der polizeilichen und ministeriellen Strukturen“ zu schaffen. Gleichwohl wurden derartige Vorschläge von der Bundesregierung bisher zurückgewiesen.

Der springende Punkt

Doch was macht externe Polizeibeauftragte in Bund und Ländern erforderlich? Der springende Punkt liegt hier in einer Zwangslage, die Kameraderie, Korpsgeist und damit eine „Mauer des Schweigens“ begünstigt. Eine Mauer, hinter der sich verschwiegenes Polizeiunrecht und damit zugleich jene Kontrolllücke verbirgt, die wohl am schwersten wiegt, weil sie folgendes strukturelles Defizit benennt.

Jeder Polizeibeamte steht unter Strafverfolgungszwang (§ 163 StPO). Er muss strafbares Verhalten auch seines Kollegen anzeigen. Damit setzt er sich nicht nur in Widerspruch zu dem persönlichen Interesse dieses Kollegen, sondern auch zur vermeintlichen Interessenlage der Polizeiorganisation. Aus polizeilicher Sicht scheint es sich zu verbieten, das ‚eigene Nest zu beschmutzen’, einen Kollegen zu verraten und das ungeschriebene Schweigegebot zu brechen. Verstößt ein Beamter gegen diese „cop culture“, ist er massiven Pressionen seitens seiner Kollegen ausgesetzt, die von Mobbing über persönliche Isolierung und soziale Ausgrenzung bis hin zu kollektiven Retourkutschen gehen können. Auch können „whistle-blower“ gruppendynamisch für ‚vogelfrei’ erklärt werden“ (Martin Herrnkind).

Beugt sich ein Polizeibeamter dem Druck, den ihm die Schweigemaxime auferlegt, macht er sich selbst wegen Strafvereitlung im Amt strafbar (§§ 258, 258 a StGB). Er und sein Kollege haben nun eine „gemeinsame Leiche im Keller“. Beide stehen in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis auf Dauer. Die Schweigemauer wächst, verdichtet und vervielfältigt sich durch weitere Zwischenabhängigkeiten, die sich auf ganze Personenzusammenhänge (z.B. auf einen Einsatzzug) ausdehnen können.

Diesem Problem zu begegnen ist von entscheidender Bedeutung insbesondere für den betroffenen Bürger. Denn seine Strafanzeige führt nur im Ausnahmefall zur Aufklärung des Sachverhalts. Die Strafanzeige wird i.d.R. an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet, die wiederum die Kriminalpolizei beauftragt. Bei einer klaren Beweislage etwa durch Videoaufnahmen kann es durchaus zur Vernehmung, zur Anklage und ggf. zur Verurteilung beteiligter Polizisten kommen. Ist die Lage jedoch, wie meistens, unklar, reichen die konventionellen Wege nicht aus. Es bedarf vielmehr einer unabhängigen Kontollinstanz mit eigenständiger Aufklärungskompetenz: eben eines Polizeibeauftragten.

Vergleichbare Anlaufstellen wie die des geforderten Polizeibeauftragten gibt es im Ausland längst. So z.B. das „Klachtenbüro“ in Amsterdam, die „Police-Complaints-Commission“ in Kanada, die „Police-Complaints-Authority“ (PCA) in Australien oder die „Independent Police Complaints Comission“ (IPCC) in Großbritannien. Interessant ist hier insbesondere der Fall des Ian Tomlinson, der bei den G20-Protesten zu Tode kam. Hier wurde selbst dem IPCC vorgeworfen, nicht schnell genug ausreichende Ermittlungen eingeleitet zu haben. Dieser Fall zeigt, wie bedeutsam Namensschilder bzw. Identifikationsnummern und Videoaufnahmen sind  –  über einen Polizeibeauftragten hinaus.

In Deutschland gab es einen gewissen Probelauf. Unter rot-grüner Verantwortung wurde in Hamburg eine ehrenamtlich besetzte unabhängige Polizeikommission gebildet, von einer neu gewählten konservativen Regierung jedoch nach wenigen Jahren wieder abgeschafft.

Im Gesetz über die Hamburger Polizeikommission vom 16. Juni 1998 wird deren Aufgabenstellung dahin beschrieben, „etwaige interne Fehlentwicklungen und daraus folgende Gefährdungen der Einhaltung rechtsstaatlichen Verhaltens der Polizeibeamten zu erkennen und darüber zu berichten“. Ziel war die Überwindung der durch § 163 StPO begünstigten ‚Mauer des Schweigens’, die unvoreingenommene Prüfung gemeldeter Vorfälle, der Schutz aussagewilliger Polizeibeamter gegen Mobbing und nicht zuletzt fallübergreifende Strukturanalysen als Frühwarnsystem für Fehlentwicklungen.

Diese Aufgaben stellen sich auch für einen hauptamtlichen Polizeibeauftragten. Zur effektiven Arbeit bedarf er besonderer Rechte, wie z.B. zur Akteneinsicht, auf Auskunft, zur Vernehmung, auf Zutritt zu Dienst- und Aktionsräumen der Polizei. Darüber hinaus muss selbstverständlich auch für die erforderlichen Ressourcen gesorgt werden.

Eine demokra­ti­sche Alternative

Die Polizei kann in einer Demokratie umso überzeugender auftreten, je demokratischer ihr Selbstverständnis und ihre Organisationskultur sind. Dazu ist erforderlich, dass unklare Vorfälle für Betroffene und Außenstehende nachvollziehbar gemacht und Wege gefunden werden, geschehenes Unrecht aufzuklären.

Ein unabhängiger Polizeibeauftragter ist umso wichtiger, je tiefer ein freiheitsfeindliches Sicherheitsdenken die Innenpolitik beherrscht und je schärfer die Machtbefugnisse der Polizei ausgestaltet werden. Dehnen sich polizeiliche Ermächtigungsgrundlagen aus und schneiden sie immer tiefer in die Bürgerrechte ein, steigt die Gefahr rechtswidriger Übergriffe.

Ohne eine effektive externe demokratische Kontrollinstanz, wie ein unabhängiger funktionsgerecht ausgestatteter hauptamtlicher Polizeibeauftragter, weist die zum Demokratieschutz notwendige Kontrolle der Polizei eine nicht verantwortbare wesentliche Lücke auf. 

nach oben