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Abschieben leicht(er) gemacht - Geänderter Rechtsweg in Abschie­bungs­haft­sa­chen

Grundrechte-Report 2011, Seiten 130 – 133

Wieder einmal muss die Abschiebungshaft ins Gerede kommen, diesmal aus rechtlichen Gründen. Denn still und leise hat der Gesetzgeber im Jahr 2009 die Rechtsbeschwerde in Abschiebungshaftsachen geändert, was nun zu erheblichen Erschwernissen in der Praxis geführt hat:

Seit dem 1. September 2009 gibt es das FamFG, das Gesetz über die Verfahren in Familiensachen und Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, eine neue Prozessordnung (hauptsächlich) für die Familiengerichte. Aber eben nicht nur, denn auch das Vorgängergesetz, das Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG), nach dem Verfahren in Abschiebungshaftsachen abgewickelt wurden, ist im FamFG aufgegangen. Damit ist nun auch die Rechtsbeschwerde in Abschiebungshaftsachen, die früher Aufgabe der Oberlandesgerichte (OLG) war, dem Bundesgerichtshof (BGH) zuordnet.

Rechts­be­schwerde nun beim Bundes­ge­richtshof

Was bedeutet das? Es führt vordergründig zunächst nur dazu, dass nach dem Amtsgericht, das die Abschiebungshaft anordnet, und dem Landgericht, das dann über die Beschwerde entscheidet, die (weitere) Rechtsbeschwerde, mit der falsche Rechtsanwendung – Beispiel: Verfahrensfehler – gerügt werden kann, beim BGH und nicht mehr beim OLG erhoben werden muss. Unabhängig davon, dass der BGH als oberstes Bundesgericht möglicherweise (noch) richtiger und klüger entscheidet als ein OLG, ist der Weg zum BGH in der Praxis doch mit einer erheblichen Zugangserschwernis gepflastert. Denn in Zivilsachen – und eine Abschiebungshaftsache ist eine Zivilsache, weil ihr Verfahren im FamFG geregelt ist – dürfen nur »Rechtsanwälte beim BGH« tätig werden, die dort besonders zugelassen sind. Davon gibt es, mit Sitz in Karlsruhe, etwa 40.

Das bedeutet wiederum in der Praxis, dass der Abschiebehäftling seinen »Ausländer-Anwalt«, der ihn, oft mit speziellen Kenntnissen, vor dem Amts- und Landgericht vertreten hat, wechseln muss. Der BGH-Anwalt muss sich komplett in den Fall neu einarbeiten. Er kennt den Mandanten, schon allein wegen der geographischen Entfernungen, im Regelfall nicht persönlich. Er muss und will auch (besonders) bezahlt werden (das will der Ausländer-Anwalt auch, aber da gibt es wegen der
persönlichen Beziehung dann häufig ein gewachsenes Vertrauen und vielleicht auch gewachsene Kontakte zu Freunden oder Angehörigen mit der Möglichkeit, die Vergütung über eine Ratenzahlungsvereinbarung abzuwickeln). Es gibt natürlich auch den Weg, für die Rechtsbeschwerdeinstanz Prozesskostenhilfe zu beantragen, die im Rahmen des FamFG Verfahrenskostenhilfe heißt. Das kann, ohne spezielle Vergütung, der bisherige Anwalt tun, aber auch der Ausländer selbst noch ohne BGH-Anwalt. Die Klärung der Verfahrenskostenhilfe verzögert das Verfahren zusätzlich, ganz abgesehen davon, dass sie auch nur gewährt wird, wenn für den Ausländer eine gewisse Erfolgsaussicht im Verfahren besteht.

Bundes­ge­richtshof entscheidet meist erst nach Abschiebung

Und hier liegt nun die absolute Crux der neuen Regelung: Der zeitliche Aufwand führt dazu, dass der Ausländer dann, wenn der BGH endlich entscheidet, bereits abgeschoben ist. Das ist dramatisch, weil der BGH in den Fällen, die er bisher entschieden hat, ganz überwiegend (zu 70 Prozent) zu Gunsten der Abgeschobenen geurteilt hat. Deutlich formuliert: 70 von 100 Ausländern saßen zu Unrecht in Abschiebungshaft – und dabei sind nur diejenigen berücksichtigt, deren Verfahren bis zum BGH gelangte!

Das heißt, dass die untere Instanz in der Mehrzahl der Fälle Abschiebungshaft leichtfertig anordnet und die Landgerichte dies im Regelfall absegnen. Bemängelt wird vom BGH beispielsweise das Fehlen einer ausreichenden Begründung für den Abschiebungshaftantrag der Ausländerbehörde, eine unzureichende oder gar fehlende persönliche Anhörung des Betroffenen oder eine nur floskelhafte Darlegung der Prognose, dass eine Abschiebung auch tatsächlich innerhalb von drei Monaten möglich ist (§ 62 Absatz 2 Satz 4 AufenthG). Ähnliche Defizite in ähnlichem Ausmaß sollen auch schon früher in den Rechtsbeschwerdeverfahren vor den Oberlandesgerichten
festgestellt worden sein. Die Ausländerbehörden und die Amts- und
Landgerichte muss man deshalb wohl auch als hartnäckige
Wiederholungstäter bezeichnen.

Jedenfalls ist die Möglichkeit einer Rechtsbeschwerde ganz offenkundig mehr als notwendig, wobei verwundert, dass der Hintergrund der neuen Regelung sein soll, dass die Länder, angeblich aus Kostengründen, diese Beschwerde einfach abschaffen wollten. Der Bund ist dann offenbar in die Bresche gesprungen und hat diese Verfahren mit dem Bundesgerichtshof übernommen.

Anzahl der Rechts­be­schwerden geht zurück

Weil der Weg nun schwerer geworden ist, gibt es ganz offenkundig auch viel weniger Verfahren. Den BGH haben im ersten Jahr seiner neuen Zuständigkeit etwa 100 Fälle erreicht. Frühere Fallzahlen sind nicht bekannt, doch wenn man die aktuelle Zahl umrechnet, dann dürften zuvor bei den 24 OLG, die in Deutschland bestehen, jährlich nur jeweils etwa vier bis fünf Fälle eingegangen sein – davon ist wohl nicht auszugehen. Aus der Anwaltschaft verlautet es dazu, dass früher praktisch alle aussichtsreichen oder zweifelhaften Fälle in die Rechtsbeschwerde gingen – jetzt seien es nur noch fünf Prozent.

Dankbar muss man sich zeigen, dass die Rechtsbeschwerde an sich gerettet wurde. In ihrer jetzigen Form verstößt sie allerdings aufgrund all ihrer Erschwernisse gegen das grundgesetzliche Gebot des effektiven Rechtsschutzes. Wenn man daher nun mit der Rechtsbeschwerde zum BGH wird leben müssen, lautet die unabdingbare Mindestforderung, dass jedenfalls den mit dem jeweiligen Fall vertrauten Ausländer-Anwälten auch die Befugnis zustehen muss, selbst den Fall zum BGH zu bringen. Das Argument für die Einschaltung eines BGH-Anwaltes lautet, dass dieser die Revisionen in Zivilsachen, die sein und des BGH tägliches Brot sind, mit besonderer Sachkunde fachgerecht unterbreiten kann. Das trifft aber in Abschiebungshaftsachen viel eher auf die Ausländer-Anwälte zu, die zumeist erhebliche Erfahrungen und Kenntnisse mitbringen.

Um dies zu erreichen, wäre lediglich an die einschlägige Regelung in § 78 Absatz 1 S. 3 ZPO – vor dem BGH müssen die Parteien sich durch einen beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen – ein Satz 4 anzufügen: »Dies gilt nicht für Rechtsbeschwerdeverfahren nach dem 7. Buch des FamFG.« In Strafsachen, in denen Fragen von Haft schon allein von der Quantität her eine weitaus größere Rolle spielen, kann jeder in Deutschland zugelassene Anwalt vor dem BGH auftreten – warum soll das in den von der Materie her sehr verwandten
Abschiebungshaftsachen nicht möglich sein?

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