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Die Polizei – dein Freund und Spitzel

Grundrechte-Report 2011, Seiten 34 – 37

Im baden-württembergischen Innenministerium wurde beschlossen, linke politische Gruppen ins Visier zu nehmen. Das Landeskriminalamt (LKA) stellte dafür den – zeitweilig mit langen Haaren getarnten – Polizisten Simon Bromma ab und instruierte ihn mit Organigrammen der Gruppen. Letztes und eigentliches Ziel sollte die antifaschistische Initiative Heidelberg (AIHD) sein, wie der Ermittler nach seiner zufälligen Enttarnung angab.

Im April 2010 immatrikulierte er sich mit einem falschen Personalausweis unter dem Namen Simon Brenner, unter Vorlage eines ebenso falschen Abiturzeugnisses, an der Universität Heidelberg. Sehr schnell hat er dann bei der »Kritischen Initiative«, einer politischen Gruppe linker Studenten, »mitgearbeitet«. Vor dem AKW Biblis demonstrierte er mit, am 1. Mai in Berlin gegen Nazis und später auch gegen Stuttgart 21. Dabei und dazu ging er persönliche Beziehungen und Freundschaften ein und bekam an der Universität auch weiter Kontakt zum Sozialistischen Demokratischen Studierendenverband (SDS).

Polizist Bromma legte Personenakten an und berichtete regelmäßig dem LKA, aber auch »Michael und Volker« von der Heidelberger Polizei, die unschwer als die beiden maßgeblichen Kriminalhauptkommissare aus der Abteilung Staatsschutz zu identifizieren sind. Von einem Zeltlager gegen Abschiebung rief er allein 47-mal die Handynummer an, über die er mit seinem Amt in Kontakt stand.

Gesetzliche Regelungen für verdeckte Ermittler

Die Polizei darf immer nur auf gesetzlicher Grundlage tätig werden. Im Falle von verdeckten Ermittlungen halten zum einen die Strafprozessordnung (StPO), zum anderen das Polizeigesetz
Baden-Württemberg eine solche bereit.

Nach den §§ 110a–110e StPO darf der verdeckte Ermittler auf Anordnung der Staatsanwaltschaft zur Aufklärung von Straftaten eingesetzt werden, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine erhebliche Straftat begangen worden ist. »Erheblich« bedeutet eine Einschränkung auf Straftaten beispielsweise aus dem Bereich Drogen, der organisierten Kriminalität oder der Staatschutzdelikte. Eine weitere Einschränkung besteht darin, dass der Einsatz vom Gesetzgeber nur erlaubt wird, wenn andere Mittel der Aufklärung nicht greifen. Das Bundesverfassungsgericht hält den Einsatz verdeckter Ermittler für verfassungsrechtlich zulässig, wenn und soweit dieser zur Bekämpfung besonders gefährlicher und schwer aufzuklärender Kriminalität notwendig ist.

Ziel ist grundsätzlich die Aufklärung bereits begangener Straftaten, also Strafverfolgung; vorbeugend zur Beobachtung und zur allgemeinen Informationsgewinnung ist ein solcher Einsatz unzulässig. Lediglich bei der Aufklärung von Verbrechen darf ein Einsatz auch angeordnet werden, wenn die Gefahr der Wiederholung besteht, mithin in gewisser Weise doch vorbeugend. Aber auch insoweit ist Anknüpfungspunkt eine bereits begangene Straftat, zudem müssen »bestimmte Tatsachen« die
Gefahr der Wiederholung belegen.

Nach dem Polizeigesetz wird die Polizei tätig zur Abwehr von Gefahren und vorbeugend zur Bekämpfung von Straftaten, letzteres allerdings nur, wenn eine Person tatsächlich Anhaltspunkte dafür liefert, dass sie Straftaten begehen wird. Der Einsatz eines verdeckten Ermittlers ist zusätzlich an engere Voraussetzungen geknüpft. Er darf nur angeordnet werden, wenn eine Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Landes oder für Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person oder für
bedeutende fremde Sach- und Vermögenswerte gegeben ist. Als
Straftaten kommen nur erhebliche Straftaten in Betracht, ähnlich
geregelt wie in der Strafprozessordnung.

Schließlich müssen bei grenzüberschreitenden Aktionen die ausländischen Polizeibehörden um vorherige Genehmigung gefragt
und laufend unterrichtet werden. Das ist hier zusätzlich anzumerken, weil das »no border camp«, das bereits erwähnte Zeltlager gegen Abschiebung, in Brüssel stattfand.

Staats­si­cher­heit, Staats­si­cher­heit über alles

Die Behörden haben nach Bekanntwerden etwa vier Wochen lang zu dem Vorfall geschwiegen. Dann hat das baden-württembergische
Innenministerium im Landtag eine parlamentarische Anfrage beantwortet und sich dafür entschieden, dass man nach Polizeigesetz tätig geworden sei. Man habe »konkrete Zielpersonen der antifaschistischen/anarchistischen Szene und einzelne Kontaktpersonen dieser Zielpersonen« im Auge gehabt. Sollte das stimmen, müssten die Studenten in Heidelberg etwa einen schwerwiegenden Anschlag geplant
haben; statt vier Wochen Schweigen hätte man dann jedoch zügige Festnahmeaktivitäten der Polizei erwarten dürfen. Sehr viel plausibler ist da schon der Schluss aus den Angaben des Ermittlers selbst: Der Einsatz war letztlich pauschal gegen die Antifa in Heidelberg gerichtet, mit dem Ziel, zu beobachten und zu berichten.

Das Innenministerium hat im Parlament im Grunde nur den Gesetzeswortlaut wiederholt und nebulöse ›Fakten‹ angedeutet, ohne zur Aufklärung beizutragen. Schon früher hatte es, damals mit Hilfe des Verfassungsschutzes, seine beobachtenden Aktivitäten gegen die AIHD gerichtet. Über viele Jahre wurden Personendaten gesammelt, die dann in einem Fall zum Berufsverbot für einen Lehrer führten. Die obersten Verwaltungsrichter des Landes nannten das in einer Entscheidung, die das Berufsverbot aufhob, teils schwer nachvollziehbar, teils sogar
demokratiefeindlich (vgl. zuletzt Rolf Gössner, Grundrechte-Report 2010, S. 133 ff.).

In einem zweiten Anlauf ist nun die Polizei offenbar in ähnlicher Manier tätig geworden. Verdeckte Ermittlungen sozusagen auf Vorrat, ohne tatsächliche konkrete Gefahren oder bevorstehende erhebliche Straftaten, stellen aber eine schwere Verletzung des aus den Erfahrungen der Nazi-Zeit abgeleiteten Gebots der strikten Trennung von Polizei und Geheimdienst dar. Die Polizei hat sich hier gegen Recht und Gesetz geheimdienstliche Aufgaben angemaßt. Offenbar reichen ihr bzw. dem vorgesetzten Innenministerium großflächige Videoüberwachungen, Vorratsdatenspeicherungen, große Lauschangriffe nicht mehr, darum werden verdeckt »persönliche« Beziehungen hergestellt, ohne Rücksicht auf die psychischen Folgen bei
den Betroffenen, die sich getäuscht und benutzt fühlen müssen, ohne Rücksicht aber auch auf die Folgen für die Demokratie: Wer wird sich dann noch in politischen Gruppierungen engagieren wollen, wenn man damit rechnen muss, dass einer aus der Gruppe zur örtlichen Polizei, Abteilung Staatsschutz, sozusagen eine Handy-Standleitung betreibt? Oder ist das gar nicht Rücksichtslosigkeit, sondern das eigentliche Ziel solcher Aktionen?

Die DDR ist tot, die Stasi gibt es nicht mehr, aber der Staatssicherheitswahn lebt offenbar weiter.

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