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Manipu­lierte Demokratie: Undemo­kra­ti­sche Wahlgesetze

Grundrechte-Report 2011, Seiten 144 – 145

Entscheidend für das Funktionieren einer parlamentarischen Demokratie sind die Wahlen, durch die das Wahlvolk seinen Willen kundtut. Das gerechte Funktionieren dieser Wahlen wurde in der Bundesrepublik in den letzten Jahren an verschiedenen Stellen zum Problem. Am 30. August 2010 hat das Verfassungsgericht des Landes Schleswig-Holstein das Wahlgesetz des Landes beanstandet, weil es dazu geführt hatte, dass eine Minderheit der Wählenden über die Mehrheit im Parlament bestimmt hat. Die CDU hatte bei der Landtagswahl elf Überhangmandate errungen, aber nur acht waren für die anderen Parteien ausgeglichen worden, was zu dem ungerechten »Sieg« der Koalition aus CDU und FDP geführt hatte. Jetzt muss das
Wahlgesetz bis 31. Mai 2011 geändert und dann bis 30. September 2012 der Landtag neu gewählt werden.

Überhangmandate hatten schon bei der Bundestagswahl 2005 zu Beanstandungen geführt. Im Wahlkreis 160 in Dresden war eine Kandidatin ausgefallen. Deshalb wurde dort die Wahl verschoben. Nach Kenntnis des Ergebnisses im Bundesgebiet ergab sich die merkwürdige Situation für die Wahl in Dresden, dass bei vielen CDU-Stimmen ein Überhangmandat der CDU weggefallen wäre. Also warb die CDU darum, nicht CDU sondern FDP zu wählen. Nach der Wahl gab es verschiedene Wahlbeanstandungen. Das Bundesverfassungsgericht hat
dann am 3. Juli 2008 entschieden, dass bis 30. Juni 2011 das
Bundeswahlgesetz geändert werden muss, damit solche Effekte unmöglich werden. Bei der Bundestagswahl 2009 errangen die
Unionsparteien noch mehr Überhangmandate. Diese im Prinzip
beanstandeten Mandate und die aus Schleswig-Holstein haben nach dem überraschenden Rücktritt von Bundespräsident Köhler die Wahl des neuen Bundespräsidenten am 23. Mai 2010 entscheidend beeinflusst.

Wahlen mit Mängeln

Wenn Wahlen an Mängeln leiden, droht die demokratische und
parlamentarische Kultur Schaden zu nehmen. Formal sind die
Wahlergebnisse nicht beanstandet worden, sondern es wurden nur Besserungen für die Zukunft von den zuständigen Verfassungsgerichten
verlangt. Damit wurden unnötige Turbulenzen vermieden. Aber nun kommt es darauf an, dass die Wahlen keinen Anlass mehr zu Beanstandungen bieten. Und sicher ist es hilfreich, wenn bei Wahlen auch generell überlegt wird, wie dem Willen der Wählerschaft mehr Raum gegeben werden kann. Das Land Bremen hat gerade ein neues Wahlgesetz beschlossen, das im Jahr 2011 den Einfluss der Parteien dadurch zurückdrängen soll, dass jeder Wählende fünf Stimmen hat, die beliebig verteilt werden können. Schließlich sollen die Parteien nach Artikel 21 Absatz 1 GG nur an der politischen Willensbildung mitwirken,
und Artikel 38 Absatz 1 GG bezieht die Wahl der Bundestagsabgeordneten ausdrücklich auf die einzelnen Personen, nicht auf Parteien oder andere Gruppierungen. Nach Artikel 28 Absatz 1 GG muss die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes entsprechen. Faire und gerechte Wahlen gehören ohne Zweifel dazu.

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