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Die Demokra­tie­er­klä­rung - keine staatliche Förderung für „Links­ex­treme“?

Grundrechte-Report 2012, Seite 151

Seit sich das zuständige Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) entschieden hat, den Aufgabenbereich der älteren Bundesprogramme gegen Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus auf die Bereiche „islamischer Extremismus“ sowie „Linksextremismus“ auszuweiten, ist ein generalisierter Extremismusverdacht seit Beginn des Jahres 2011 Bestandteil der staatlichen Förderung.

Bereits im November 2010 sah sich das Alternative Kultur- und Bildungszentrum Pirna veranlasst, die Annahme des Demokratiepreises des Landes Sachsen zu verweigern (vgl. Spoo, Grundrechte-Report 2011, S. 172 ff.). Denn an den Preis war die Bedingung geknüpft, eine vorgefertigte Erklärung zu unterzeichnen, die ein ausdrückliches Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung enthält. Eine zivilgesellschaftliche Initiative, die für ein herausragendes Engagement gegen Rassismus und Rechtsextremismus Beachtung gefunden hat, wurde damit unter den Verdacht gestellt, demokratische Grundsätze abzulehnen. Diese Verdächtigung war für die Betroffenen nicht hinnehmbar.

Das Vorgehen richtet sich faktisch gegen antirassistische bzw. antifaschistische Initiativen; diesen werden antidemokratische Tendenzen unterstellt. In der Folge wird allen zivilgesellschaftlichen Gruppierungen, die eine Förderung durch die Bundesprogramme „Demokratie stärken“ und „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ beantragen, die Unterzeichnung des folgendes Textes abverlangt:

„Bestätigung
Hiermit bestätigen wir, dass wir uns zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen und eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit gewährleisten.
Als Träger der geförderten Maßnahmen haben wir zudem im Rahmen unserer Möglichkeiten und auf eigene Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass die als Partner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls den Zielen des Grundgesetzes verpflichten. Uns ist bewusst, dass keinesfalls der Anschein erweckt werden darf, dass eine Unterstützung extremistischer Strukturen durch die Gewährung materieller oder immaterieller Leistungen Vorschub geleistet wird.“

Es gilt also, dem BMFSFJ nicht nur die eigene Verfassungstreue zu bestätigen, sondern auch die all derjenigen, mit denen man kooperiert. Und im Zweifelsfall empfiehlt das Ministerium, Auskünfte beim Verfassungsschutz einzuholen.

Gefährdung der Demokratie

Aus bürgerrechtlicher Sicht sind diese Vorgaben vor allem aus drei Gründen nicht hinnehmbar und als gravierende Einschränkung der Meinungsfreiheit zu bewerten: Gruppierungen oder Einzelpersonen anlassfrei aufzufordern, gegenüber einem Ministerium die eigene Verfassungskonformität zu bestätigen, stellt ein obrigkeitsstaatliches Verfahren dar, das die Zivilgesellschaft nicht als Grundlage, sondern als Gefährdung der Demokratie in den Blick nimmt. Zweitens schränkt ein staatliches Misstrauen gegenüber zivilgesellschaftlichen Initiativen, dessen Grundlage ein Extremismusbegriff ist, für den der Verfassungsschutz Definitionsmacht beansprucht, das Spektrum politisch legitimer Positionen in problematischer Weise ein. Drittens wird erwartet, dass die Erklärung nicht nur in eigener Sache abgegeben wird. Damit wird zivilgesellschaftlichen Initiativen ein Kontrollauftrag zugewiesen; sie sollen quasi als ein Hilfsorgan des Verfassungsschutzes aktiv werden, indem sie Partnerorganisationen und Referenten als potenzielle Verfassungsfeinde in den Blick nehmen.

Diese Erwartung – wie die Erklärung insgesamt – führen zu erheblicher Verunsicherung. Die Grenzziehungen, die mit dem Verweis auf Extremismus bzw. „extremistische Strukturen“ gemeint sind, bleiben unklar; diejenigen, die aus Sicht des Ministeriums verfassungsrechtlich unzuverlässige Referenten einladen, müssen mit einem Entzug von Fördermitteln und gegebenenfalls mit Rückforderungen rechnen.

Gegen den Zwang, die zitierte Erklärung zu unterschreiben, um staatliche Förderung in Anspruch zu nehmen, sind verfassungsrechtliche Bedenken geltend zu machen. In einem Gutachten kommt der Staats- und Verwaltungsrechtler Prof. Dr. Ulrich Battis zu der Einschätzung, dass es zwar zulässig sei, Antragstellern ein solches Verfassungsbekenntnis in eigener Sache abzuverlangen. Die Verpflichtungen, eine solche Einschätzung über Kooperationspartner zu treffen, stelle jedoch „einen Verstoß gegen Artikel 4 Absatz 1 GG in Verbindung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Bestimmtheitsgebot dar“ und sei „daher mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.“

Regierende Unein­sich­tig­keit

Von juristischen Argumenten hat sich die Bundesregierung jedoch bislang ebenso wenig beeindrucken lassen wie von den vielfältigen Protesten Betroffener. So wurde ein „Aufruf gegen Generalverdacht und Bekenntniszwang“ verfasst, den mittlerweile 1394 Initiativen und Einzelpersonen unterzeichnet haben. Bei einem Aktionstag im Februar 2011 wurden ca. 1500 Einwendungen per Post, E-Mail und Facebook an das Bundesministerium adressiert. Gegen die Einschüchterung antirassistischer Initiativen durch die Erklärung haben auch der Zentralrat der Juden sowie der Zentralrat der Muslime Stellung bezogen.

Auch auf parlamentarischer Ebene gibt es Protest. Unter anderem hat das Land Berlin am 11. Mai 2011 einen (erfolglosen) Antrag im Bundesrat eingebracht, der die Streichung des zweiten und dritten Satzes der Erklärung fordert. Das Brandenburgische Innenministerium hat wie folgt Stellung bezogen: „Die Extremismusklausel ist das Ergebnis einer politischen Haltung, die engagierten Bürgern und Vereinen mit obrigkeitsstaatlichen Vorbehalten und bürokratischem Formalismus begegnet.“

In besonderer Weise zugespitzt ist die Situation in Sachsen: Dort wird Initiativen abverlangt, ihre Presseerklärungen durch das Ministerium genehmigen zu lassen und Referent/innen eine Unterzeichnung der Extremismuserklärung abzuverlangen. Beim Verwaltungsgericht Dresden ist inzwischen eine Klage gegen die Extremismuserklärung eingereicht worden.

Skandalös sind auch Vorgänge im Umfeld der Erklärung. So ist bekannt geworden, dass das BMFSFJ zumindest eine Organisation, von der es annahm, dass ein leitender Mitarbeiter den oben genannten kritischen „Aufruf gegen Bekenntniszwang“ unterschrieben hatte, diesbezüglich angefragt und darauf hingewiesen hat, dass die Förderungswürdigkeit der Organisation in Frage stehen könnte, sollte es sich um die Unterschrift eines ihrer Mitarbeiter handeln.

Bislang unbestätigt ist die Mitteilung, dass auch größere Stiftungen, die in der Arbeit gegen Rechtsextremismus aktiv sind, aufgefordert wurden, sich bei der Vergabe eigener Fördergelder die Erklärung zu eigen zu machen. Diese sollen das Ansinnen erfolgreich abgewehrt haben. Zahlreiche kleinere Projekte haben sich dem Bekenntniszwang dagegen inzwischen – gegen ihre Überzeugung – unterworfen, um sich den Zugang zu dringend benötigten Fördermitteln nicht zu versperren.

Was erklärt die hartnäckige Weigerung der Bundesregierung, von dieser Erklärung Abstand zu nehmen? Warum beschränkt sich das BMFSFJ nicht darauf, durch angemessene Verfahren, etwa durch wissenschaftliche Evaluationen, in begründeten Einzelfällen zu überprüfen, ob es sich um förderungswürdige, d. h. demokratischen und menschenrechtlichen Prinzipien verpflichtete Projekte handelt? Diesbezüglich liegt die Vermutung nahe, dass politische Abgrenzungsbedürfnisse gegen linke Positionen bislang stärker sind als die Einsicht, dass Demokratie auch gefährdet wird, wenn sie durch die Einschränkung von Grundrechten verteidigt werden soll.

Literatur

Ulrich Battis, Zur Zulässigkeit der ‚Extremismusklausel‘ im Bundesprogramm ‚Toleranz fördern – Kompetenz stärken‘, Berlin 2010.

www.aktionstaggegenbekenntniszwang/blogsport.de

http://extremismusstreik.blogsport.de

www.toleranz-foerdern-kompetenz-staerken.de/fileadmin/Content/Downloads/PDF/Demokratieerklaerung_01.pdf

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