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Video­über­wa­chung auf dem Prüfstand

Grundrechte-Report 2012, Seite 40

Der Dauerkonflikt um die polizeiliche Videoüberwachung öffentlicher Räume wurde über die Jahre durch die Schaffung von Rechtsgrundlagen abgemildert. Einigen neueren Gerichtsurteilen zum Dank bleibt die Legalisierung der Videoüberwachung aber ein grundrechtlich strittiges Unterfangen. Das rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 14. Juli 2011 (Az. 10 A 5452/10; die Berufung wurde zurückgezogen) beleuchtet dabei nicht nur die fragwürdige Durchführungspraxis, sondern auch die oft wackeligen Rechtsgrundlagen der Bundesländer. Seine Inhalte sind nicht überraschend. Es sollte gleichwohl zum Anlass genommen werden, Notwendigkeit und Zulässigkeit polizeilicher Innenstadtüberwachungen erneut und grundlegend zu hinterfragen.

Video­über­wa­chung in Hannover insgesamt rechts­widrig

Das Verwaltungsgericht Hannover hatte über die Zulässigkeit der zumindest in Teilen bereits seit den 50er Jahren bestehende Innenstadtüberwachung Hannovers zu befinden. Sie ist damit die älteste polizeiliche Bildüberwachung und flächenmäßig eine der umfangreichsten in Deutschland, nicht zuletzt aufgrund der für bundesdeutsche Verhältnisse großen Zahl von zum Teil in ungewöhnlich großer Höhe angebrachten, hochauflösenden Kameras.

Eigentlich hatte die beklagte Polizeidirektion Hannover es dem Gericht leicht gemacht, sie umgehend zur Unterlassung der gesamten Innenstadtüberwachung zu verurteilen. Denn sie hatte entgegen der vom Wortlaut des Niedersächsischen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (Nds. SOG) geforderten „Offenheit“ der Durchführung das nicht getan, was ansonsten mittlerweile nahezu überall Standard ist, nämlich Hinweisschilder in den von den Kameras erfassten Bereichen aufzuhängen. Das Gericht schloss daraus zutreffend, dass die Videoüberwachung insgesamt rechtswidrig sei, und betonte damit den aus Grundrechtssicht fundamentalen Unterschied zwischen offenen und verdeckt durchgeführten staatlichen Eingriffsmaßnahmen. Die angesichts der zum Teil kuriosen Kamerastandorte (z. B. auf dem Dach des Uni-Hochhauses mit bloßem Auge kaum erkennbar) zweifelhaften Rechtfertigungen, wonach die Kameras offen sichtbar aufgehängt seien und auf den Webseiten der Polizeidirektion eine Liste der Standorte abgerufen werden könne, ließ das Gericht nicht gelten. Für die Richter bestand aufgrund der eindeutigen Rechtswidrigkeit kein Anlass, das strukturelle Problem mangelnder Transparenz bei Videoüberwachungen zu thematisieren. Selbst wenn Schilder auf entsprechend erfasste Räume hinweisen, bleibt für die Betroffenen unklar, ob und in welchem Umfang sie konkret Objekt näherer Untersuchung werden, so z. B. durch ein Heranzoomen, durch ein Abspeichern einer Sequenz im Rahmen des Verdachts einer Straftat oder auch durch eine anderweitige Weiterverarbeitung ihrer Bilddaten.

Es fehlt die Begrenzung auf sogenannte »Krimi­na­li­täts­schwer­punkte«

Vor allem aber, und darin liegt das Verdienst des Richterspruches, ließ man es sich trotz der insoweit eindeutigen Bestätigung der Klage wegen Nichtumsetzung gesetzlicher Vorgaben nicht nehmen, ergänzend auch eine deutliche Kritik an der niedersächsischen Rechtsgrundlage zu formulieren. Das Gericht äußerte deutliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage des Niedersächsischen SOG, „wonach öffentlich zugängliche Orte mittels Bildübertragung offen beobachtet werden können, wenn dies zur Erfüllung von Aufgaben der (…) Gefahrenabwehr und Gefahrenvorsorge erforderlich ist“. Das Gericht konstatierte zutreffend, die Vorschrift erlaube „jedenfalls nach ihrem Wortlaut die flächendeckende Beobachtung öffentlich zugänglicher Orte in Niedersachsen“. Tatsächlich zeigte sich der niedersächsische Gesetzgeber schon häufiger besonders renitent gegenüber Vorgaben u. a. des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Martin Kutscha, Grundrechte-Report 2006, S. 112 ff. zur präventiven Telekommunikationsüberwachung). Die niedersächsische Videoüberwachungsregelung zählt im Bundesvergleich zu den letzten, der jegliche gebotene Bestimmtheit wie etwa die in den meisten Ländern gewählte, allerdings ebenfalls problematische Begrenzung auf sogenannte „Kriminalitätsschwerpunkte“ fehlt. Der Hinweis des Gerichts auf die vermutliche Verfassungswidrigkeit und damit überfällige Reform des Polizeirechts sollte im Landesparlament nicht ungehört verhallen.

Auch hier gilt: Das strukturelle Problem entsprechender Einschränkungsversuche liegt in den Kriterien einer überzeugenden Abgrenzung eines Ortes als besonders tatanfällig gegenüber anderen Orten, so dass bislang alle vorgenommenen Begründungen angreifbar erscheinen.

Schließlich greift die Gerichtsentscheidung die Frage auf, ob die bloße Beobachtung (ohne Aufzeichnung) durch eine Videokamera einen Grundrechtseingriff darstellt. Es schließt sich klar denjenigen an, die in der Summe der Auswertungsmöglichkeiten moderner Videoüberwachung einen eigenständigen Eingriff bejahen und betont auch die Ambivalenz aus (möglicherweise) erzeugtem Sicherheitsgefühl einerseits und freiheitsbeschränkender Einschüchterung durch Überwachung andererseits.

Das Urteil steht mittlerweile in einer kleinen Serie von erfreulich differenzierten Richtersprüchen zur Videoüberwachung (Hanseatisches OVG, Urteil vom 22.6.2010, Az. 4 Bf 276/07; grundlegend VGH Mannheim, Urteil vom 21.7.2003, Az. 1 S 377/02; BVerfG, Urteil vom 23.2.2007, Az. 1 BvR 2368/06). Als gesichert gelten kann heute, dass polizeiliche Videoüberwachungen nur selten ihren gesetzlichen Anforderungen genügen. Hinsichtlich der Rechtsgrundlagen bestehen oft Zweifel an deren Verfassungsmäßigkeit. Die Rechtsprechung reicht für eine grundlegende Korrektur jedoch nicht aus. Es kann daher keine bürgerrechtliche Entwarnung in Sachen Videoüberwachung gegeben werden, wie der Fall der über Jahrzehnte rechtswidrig betriebenen Videoüberwachung in Hannover deutlich zeigt. Der Grundsatz „Wo kein Kläger, da kein Richter“ zeigt sich beispielsweise weiterhin als ein Manko des Datenschutzes, bei dem es auch den Aufsichtsbehörden, insbesondere den Datenschutzbeauftragten an wirksamen Sanktionen fehlt. Zudem schreitet die Videoüberwachung öffentlicher Räume weiter voran, wenn auch zumeist gerade nicht im Bereich polizeilicher, sondern bei der privaten Videoüberwachung. Offenbar wird auch in der Privatwirtschaft die fehlende nachweisbare „objektive“ Geeignetheit etwa zur Straftatverhinderung in Kauf genommen, solange man nur das „subjektive Sicherheitsgefühl“ zu steigern vermag und im Nachhinein Hinweise auf Diebstahlstaten erlangt. Die speziell damit verbundenen Risiken wie etwa das Bedrängen der Kundschaft durch Kameraüberwachung selbst in Cafés oder auch die unkontrollierte Auswertung zu unterschiedlichsten Zwecken sind längst nicht genügend gesetzlich eingehegt.

Noch grundlegender stellen sich bei der Betrachtung der gesetzlichen Regelungen von Videoüberwachungen Zweifel ein. Längst werden ihre Besonderheiten nicht ausreichend gewürdigt, die mindestens zu weiteren Beschränkungen ihrer Zulässigkeit führen müssten. Die regelmäßig mehrfache Betroffenheit unterschiedlicher Grundrechte, die Dauerhaftigkeit der Erfassung gerade durch private Videoüberwachungen oder auch die fehlende Überwachungsgesamtrechnung, das heißt die wertende Zusammenschau aller in einem Bereich vorhandenen Kameras zur Bewertung der Zulässigkeit einzelner Vorhaben zwingen dazu, die Videoüberwachung als eine zentrale Datenschutzproblematik nicht aus dem Blick zu verlieren.

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