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Blockaden gegen Nazidemos dürfen geübt werden - Münsteraner Gericht stärkt Recht auf friedlichen Widerstand

Grundrechte-Report 2013, Seite 113

Am 18. September 2012 hat das Oberverwaltungsgericht Münster das polizeiliche Verbot eines öffentlichen Blockadetrainings für unzulässig erklärt (Az 5 A 170/11). Unter dem Motto „Stolberg 2011 – den Naziaufmarsch gemeinsam blockieren!“ hatte ein gesellschaftliches Bündnis bestehend aus Vertretern von Parteien, Gewerkschaften, Verbänden, Kirchen, Wissenschaft und anderen Gruppen dazu aufgerufen, einen großen Naziaufmarsch im Rheinländischen Stolberg bei Aachen zu verhindern. Zu dem Aufmarsch wurden hunderte Neonazis erwartet, die aus ganz Deutschland und den benachbarten EU-Staaten anreisen wollten. Ein öffentliches Blockadetraining zwei Monate vorher sollte zeigen, wie friedlicher Widerstand durch Sitzblockaden möglich ist. Es sollte erklärt werden, dass es bei Blockaden Spielregeln gibt und es nicht darum ginge zu provozieren oder gegen die Polizei tätig zu werden.

Im Jahr 2010 war es bereits gelungen, durch Massenblockaden Europas größten Naziaufmarsch in Dresden zu verhindern. Damals hatte die Polizei dem Aufzug der Rechtsextremen nicht gestattet, sich in Bewegung zu setzen. Die Durchführung der Demonstration hätte aufgrund gegnerischer Blockaden zu unvertretbaren Gefahren geführt, so dass die zu treffende Abwägungsentscheidung zulasten der Rechtsextremen ausgefallen sei, hieß es von Seiten der Polizei. An dieses Blockadeereignis von 2010 sollte in Stolberg angeknüpft werden. Doch das, was einerseits als zivilcouragierter Erfolg angesehen wurde, wurde auch anders gesehen: Ein Dresdener Gericht stellte im Nachhinein fest, dass die Polizei es rechtswidrig unterlassen habe, durch Einsatz polizeilicher Mittel den Naziaufmarsch zu gewährleisten. Mit anderen Worten: Die Polizei hätte räumen müssen. Zudem folgten seitens der Dresdener Staatsanwaltschaft zahlreiche repressive Maßnahmen gegen Teilnehmer der Blockaden, auch gegen Bundes- und Landtagsabgeordnete. Vor diesem Hintergrund untersagte die Aachener Polizei bereits das angekündigte „Training“ einer Blockade in Stolberg.

Öffentliche Sicherheit und grobe Störung

Ein Gesetz, welches Sitzblockaden ausdrücklich verbietet, gibt es nicht. Zur Begründung machte die Polizei im Wesentlichen geltend, dass es die öffentliche Sicherheit gefährde, wenn im Wege eines Blockadetrainings der Aufruf erfolgen soll, eine rechtmäßige Versammlung zu verhindern. Da die „grobe Störung“ einer Versammlung in § 21 Versammlungsgesetz unter Strafe steht, sei das Blockadetraining somit als Aufruf zu einer Straftat zu werten, den wiederum § 111 Strafgesetzbuch unter Strafe stellt. Diese Argumentation ist in diesem Zusammenhang problematisch, weil das weite „Ausdehnen“ von Worten wie „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ oder „grobe Störung“ zu Verstößen gegen die Grundrechte der Versammlungs- und Meinungsfreiheit führen kann. Darüber hinaus fällt auf, dass hier mit dem juristischen Hebel des § 111 Strafgesetzbuch (Auffordern zu einer Straftat) ein Gesetz zur Anwendung gebracht wurde, das nach seinem Wortlaut für die vorliegende Konstellation unzutreffend ist. In der Tat steht die so genannte „grobe Störung“ einer Versammlung in § 21 Versammlungsgesetz unter Strafe. Doch bezieht sich diese Vorschrift auf eine Störung, die unmittelbar während einer Versammlung stattfindet. Den Versuch einer Störung hat der Gesetzgeber bewusst nicht mit Strafe bedroht. Bei dem bloßen Blockadetraining kann also gar keine „grobe Störung“ vorliegen, da überhaupt noch keine Gegendemonstration stattfindet. Ungeachtet dessen bestätigte das Verwaltungsgericht Aachen am 1. Juni 2011 das polizeiliche Verbot, nachdem Klage hiergegen eingereicht wurde. Es folgte im Wesentlichen der Argumentation der Polizei Aachen.

Wie gefährlich ist ein Blocka­de­trai­ning?

Die Polizei und das Verwaltungsgericht haben die Bedeutung der Grundrechte hierbei verkannt. Das Blockadetraining war für sich genommen eine Versammlung und somit von Artikel 8 GG geschützt. Darin heißt es, dass alle Deutschen das Recht haben, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis, friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Hinzu tritt, dass auf dem Blockadetraining symbolisch die Meinung kundgetan wurde, dass der angekündigte Naziaufmarsch verhindert werden sollte. Damit stand die Veranstaltung auch unter dem Schutz der Meinungsfreiheit aus Artikel 5 GG. Die Durchführung eines Blockadetrainings insoweit als Aufruf zu einer Straftat anzusehen, steht den grundgesetzlich geschützten und hierbei einschlägigen Rechten aus Artikel 5 und 8 GG entgegen. Begrüßenswert ist somit die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 18. September 2012, die das erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen aufhob und das polizeiliche Verbot des Blockadetrainings für rechtswidrig erklärte. Bezug nehmend auf die polizeiliche Argumentation entgegnete das Gericht, dass das Blockadetraining – zum Zeitpunkt dessen Anmeldung – nicht mit der für versammlungsrechtliche Beschränkungen erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit als verbotener Aufruf zu einer Straftat nach § 111 Strafgesetzbuch zu werten gewesen sei. Die einschlägigen Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit geböten eine möglichst enge Auslegung von § 111 Strafgesetzbuch. Die „grobe Störung“ einer Versammlung liege erst dann vor, wenn eine unüberwindliche Blockade von nicht unerheblicher Dauer nicht ohne weiteres umgangen werden kann. Sobald also ein Ausweichen möglich ist, oder eine Blockade nur von begrenzter Dauer stattfindet, sei dies noch keine grobe Störung, sondern im gewissen Umfang im Interesse einer offenen kommunikativen Auseinandersetzung hinzunehmen. Trotz des erklärten Zieles der „Verhinderung“ einer Nazidemonstration sei dies zugunsten des Blockadebündnisses zu berücksichtigen gewesen. Die bloß mobilisierende Wirkung des voraussichtlich friedlichen Blockadetrainings von etwa 100 Teilnehmern ohne Redebeiträge bereits als strafbaren Aufruf zur „Verhinderungsblockade“ zu werten, kam für das Gericht daher nicht in Betracht.

Blockaden gehören zum Versamm­lungs­recht

Es bedurfte in diesem Fall eines langen juristischen Weges, bis die Grundrechte der aktiven Bürgerinnen und Bürger in Stolberg ausreichend Beachtung fanden. Die Bedeutung von Sitzblockaden für den offenen Meinungsdiskurs wurde von der Polizei Aachen und dem Verwaltungsgericht Aachen außer Acht gelassen. Sitzblockaden sind Ausdruck von Demokratie und Meinungsfreiheit. Deshalb müssen sie, wie vom Bundesverfassungsgericht 2011 erneut bestätigt wurde, als ein von der Versammlungsfreiheit umfasstes Mittel toleriert werden, anstatt von vornherein kriminalisiert zu werden. Denn meistens kommt es bei Sitzblockaden nicht zu strafbaren „groben Störungen“, da Versammlungen nicht verhindert, sondern nur behindert werden.

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