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Drohnen töten deutsche Staats­an­ge­hö­rige in Pakistan - Tötungen durch Drohnen als völker­rechts­wid­rige „Selbst­ver­tei­di­gung“

Grundrechte-Report 2013, Seite 68

Seit dem Amtsantritt von Barack Obama setzen die USA verstärkt auf das gezielte Töten mittels modernster Waffentechnologie, wodurch zugleich viele zivile Opfer zu beklagen sind. Zwischen den Jahren 2004 und 2012 wurden 2562  bis 3325 Personen durch Drohnen getötet, darunter 474 bis 881 Zivilpersonen, wovon 176 Kinder waren. Eine neuere Studie US-amerikanischer Universitäten belegt, dass sowohl in der geheimdienstlichen Zielauswahl als auch in der militärischen Zielerfassung und -implementation gravierende Fehler auftreten, die zum Tod Unschuldiger führen.

Die US-Administration behauptet, sie befinde sich seit dem 11.9.2001 in einem bewaffneten Konflikt mit dem Al-Qaida-Netzwerk. Damit wird letztlich jeder terroristische Akt, der irgendetwas mit al-Qaida zu tun hat, als Teil einer fortwährenden Gewaltkampagne betrachtet, die spätestens seit dem 11.9.2001 das Ausmaß eines bewaffneten Angriffs erreicht hat. Die US-Administration sieht sich auf diese Weise – unter Bruch des Völkerrechts – gerechtfertigt, permanent ein Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der UN-Charta auszuüben und dieses als „Präventivnotwehr“ immer mehr vorzuverlagern. Das findet vor allem darin seinen Ausdruck, dass gezielte Tötungen in solchen Ländern durchgeführt werden, in denen die Terrorbekämpfung auf eigenem Territorium und mit eigenen staatlichen Kräften nicht oder kaum  stattfindet, wie in Pakistan.

Tötungen von Deutschen

Bei einem US-Drohnenangriff im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet wurden am 4.10.2010 der deutsche Staatsbürger B. E. aus Wuppertal, ein  Iraner aus Hamburg und drei Pakistaner getötet. Kurz berichtet wurde in der Öffentlichkeit auch über einen zweiten Fall, bei dem im April 2012 der Deutsche S. H. aus Aachen ebenfalls von einer Drohne gezielt getötet wurde, als er sich mit mutmaßlichen Taliban in Pakistan aufhielt.

Auf parlamentarische Anfragen erklärte die Bundesregierung u. a., dass ihr „über Anzahl und Identität der bei dem angeblichen Raketenangriff am 4.10.2010 angeblich getöteten Personen“ bislang keine offiziell bestätigten Informationen vorlägen. Doch nach einem Bericht des stern soll das Bundeskriminalamt (BKA) bereits am Tag nach dem Angriff aufgrund abgehörter Telefonate gewusst haben, wer die beiden Toten aus Deutschland waren und dass außer ihnen noch drei Einheimische umgekommen sind. Das BKA habe zudem aufgrund eines abgehörten Telefonats aus Pakistan vom 7.9. 2010 über Informationen verfügt, wonach B. E. als Selbstmordattentäter ein Attentat mit „80 bis 90 Toten“ begehen sollte. Das BKA habe darin Indizien für einen „tatsächlichen Tatplan“ gesehen. Wie der stern weiter berichtete, habe die Bundesregierung ihr Wissen gegenüber dem Parlament vertuscht, was die Bundesregierung bestreitet. 

Deutsches Ermitt­lungs­ver­fahren nach dem Völker­straf­ge­setz­buch

Inzwischen hat der deutsche Generalbundesanwalt (GBA) ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen der Tötung von B. E. eingeleitet. Gegenstand des Ermittlungsverfahrens ist der Vorwurf von Kriegsverbrechen nach dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch (VStGB).

De Ermittlungskompetenz des GBA ist aufgrund des deutschen Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) i.V. mit dem Gerichtsverfassungsgesetz begründet, weil sich der GBA auf den Standpunkt gestellt hat, dass der Drohneneinsatz in Pakistan im Rahmen eines bewaffneten Konflikts erfolgt, obwohl dies sehr umstritten ist. Würde davon ausgegangen, dass der gezielte Einsatz der Drohnen nicht im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt gestanden hat, wäre aufgrund des sogenannten passiven Personalitätsprinzips die strafrechtliche Verantwortlichkeit nach dem deutschen Strafgesetzbuch von der Staatsanwaltschaft am ehemaligen Wohnort des Getöteten zu prüfen.

Nach dem VStGB  kommt die Prüfung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit einem internationalen oder nicht internationalen Konflikt bei Tötung einer nach dem humanitären Völkerrecht zu schützenden Person in Betracht. Das trifft auch zu bei Vollstreckung der Todesstrafe gegen eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützenden Person, ohne dass diese Person in einem unparteiischen ordentlichen Gerichtsverfahren, das die völkerrechtlich erforderlichen Rechtsgarantien bietet, abgeurteilt worden ist. Gerade bei zielgerichteten Tötungen ist die zuletzt genannte tatbestandliche Alternative von Bedeutung, da es den Anschein hat, dass die von der Obama-Administration veranlassten zielgerichteten Tötungen die Vollstreckung der Todesstrafe in einem Gerichtsverfahren ersetzen sollen. Das war auch bei der gezielten Tötung von Osama bin Laden der Fall, die als nicht zulässige außergerichtliche Hinrichtung zu beurteilen ist.

Wenn der GBA wirklich damit ernst machen sollte, die Ermittlungen entlang der militärischen Befehlskette nach oben zu führen und sich dabei um eine möglichst vollständige Aufklärung bemühen zu wollen, dann hieße das konsequenterweise, auch vor jenen Befehlsgebern und deren Ausführenden nicht Halt zu machen, die sich auf die Staatenimmunität berufen. Denn diese schützt nicht uneingeschränkt vor Strafverfolgung, jedenfalls dann nicht, wenn es sich bei der gezielten Tötung der Deutschen durch den Drohneneinsatz um ein Kriegsverbrechen handeln sollte, das den Befehlsgebern und deren Ausführenden zugerechnet werden kann. In der Völkerrechtswissenschaft ist gesichert, dass die Staatenimmunität bei Kriegsverbrechen eine völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Ausnahme erfährt und von Strafverfolgung nicht freistellt. Die Verantwortlichkeit militärischer Befehlshaber und anderer Vorgesetzter ist im VStGB klar geregelt.

Verant­wort­lich­keit Obamas und der CIA

Was den amtierenden Präsidenten der USA Barack Obama betrifft, der als der oberste Befehlsgeber für die gezielten Tötungen angesehen werden muss, so kann dieser sich auf die völkerrechtliche Immunität für Staatsoberhäupter berufen. Diese gilt jedoch nur so lange, wie das Staatsoberhaupt im Amt ist und erlischt mit Ende des Amtes. Sofern sich Obama danach auf die Staatenimmunität für sein früheres staatliches Handeln berufen würde, verfängt dieses Argument wegen des Verdachts der Begehung von Kriegsverbrechen nicht.

Gesonderte Fragen ergeben sich auch gegenüber der CIA, die jedenfalls in Pakistan in paramilitärischer Rolle für die Drohneneinsätze zuständig ist, und zwar sowohl für die Zielauswahl wie auch für die Ausführung der gezielten Tötungen.

Im Gegensatz zu den militärischen Streitkräften dürfte es fraglich sein, ob die CIA  einen sogenannten Kombattantenstatus („Kämpfer“) in einem bewaffneten Konflikt erlangen kann, der nach dem humanitären Völkerrecht u. U. gezielte Tötungen erlaubt, obwohl selbst das zu bezweifeln ist. Denn es gibt keine legalen kriegerischen Tötungslizenzen, das heißt keinen Rechtssatz, durch den das Töten im Krieg ausdrücklich für rechtmäßig erklärt würde. Es dürfte davon auszugehen sein, dass sich zumindest jeder einzelne beteiligte CIA-Mitarbeiter im Bereich der strafbaren Tötung befindet. In den USA werden diese Taten nicht verfolgt, schon allein deswegen nicht, weil – wovon in den USA selbst ausgegangen wird – Obama Herr über jene Listen ist, die die Namen derjenigen enthalten, die mittels gezielten Drohneneinsatzes getötet werden sollen.

Dazu kommt, dass Obama mittlerweile verbal und faktisch jenen CIA-Mitarbeitern, die menschenrechtswidrige Verhörpraktiken im sogenannten Anti-Terrorkampf, wie die berüchtigte Wasserfolter, zu verantworten haben, entgegen seines Wahlversprechens aus dem Jahre 2008 Straffreiheit gewährt hat, weil sie sich auf Ausführungsbestimmungen des Justizministeriums bzw. Weisungen von Vorgesetzten berufen können. Solche faktischen Straffreistellungen werden auch verhindern, die gezielten Tötungen durch Drohnen in den USA zu ahnden.

Deutsche Verant­wort­lich­keiten

Zu befassen hätte sich der GBA auch mit der zu klärenden Frage, ob von Seiten deutscher Sicherheitsbehörden Informationen, die geeignet waren, zur Lokalisierung von B. E. in Pakistan beizutragen, an internationale Partner weitergegeben wurden und sich damit die Frage stellt, ob auf diese Weise von staatlicher deutscher Seite die gezielte Tötung von B. E. unterstützt, wenn nicht gar ermöglicht worden ist. Wenn die Bundesregierung ausführt, dass nach ihrer Kenntnis keine derartigen Informationen von den Sicherheitsbehörden des Bundes an internationale Partner übermittelt worden seien, entbindet das den GBA nicht davon, dies zu überprüfen. Allein schon deswegen nicht, weil diese Aussage der Bundesregierung die Einschränkung enthält, nach ihrem Kenntnisstand geantwortet zu haben.

Konfrontiert sieht sich die Bundesregierung dabei auch mit einer Anzeige  des Richters am Oberlandesgericht Karlsruhe Thomas Schulte-Kellinghaus. Dieser hatte nach der bekanntgewordenen Tötung von B. E. Strafanzeige gegen den Präsidenten des BKA, Jörg Ziercke, gestellt. Vom Verdacht der Beihilfe zum Mord an B. E. betroffen seien unter Umständen auch die Verantwortlichen der Verfassungsschutzämter und des BND.

Grundgesetz und Völker­straf­ge­setz­buch

Für den GBA ergibt sich eine besondere Verpflichtung zur Aufklärung aus dem Grundgesetz. So wie die Menschenwürde unantastbar ist, sie zu achten und zu schützen Verpflichtung aller staatlichen Gewalt ist, und in das Lebensrecht eines jeden nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden darf, gilt es für die Bundesbehörden in ihrer jeweiligen Kompetenz – hinsichtlich des GBA bei seiner Aufgabe der Verfolgung der entsprechenden Straftaten – diese Grundrechte zu schützen. Dass das deutsche Völkerstrafgesetzbuch im Jahre 2012 sein zehnjähriges Bestehen feiert, hat dabei mehr als nur Symbolkraft.

Literatur

Ambos, Kai, „Drohnen und Terror“, in:  SZ v. 17.10.2012, S. 2

Ambos, Kai/Alkatout, Josef, Der Gerechtigkeit einen Dienst erweisen? – Zur völkerrechtlichen Zulässigkeit der Tötung Osama bin Ladens, in: JZ 2011, S. 758 ff.

Eick, Volker, “Kill Decision”, in: Informationsbrief 107/2012 des RAV, S. 28 ff.
Kaleck, Wolfgang, Mit zweierlei Maß. Der Westen und das Völkerstrafrecht, Berlin 2012

Kaleck, Wolfgang/Schüller, Andreas/Steiger, Dominick, Tarnen und Täuschen. Die deutschen Strafverfolgungsbehörden und der Fall des Luftangriffs auf Kundus, in: KJ 2010, Heft 3, S. 270 ff.

Kreicker, Helmut, Immunität und IStGH, in: Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik, ZIS 2009, S. 270 ff.

RAV /Holtfort-Stiftung (Hrsg.), Strafanzeige ./. Rumsfeld u.a., Berlin 2005

Rudolf, Peter/Schaller, Christian, „Targeted Killing“. Zur völkerrechtlichen, ethischen und strategischen Problematik gezielten Tötens in der Terrorismus- und Aufstandsbekämpfung. SWP-Studie 2012

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