Ein bitterer Sieg - EGMR: Menschenrechte von El Masri wurden verletzt
Grundrechte-Report 2013, Seite 22
Nach fast acht Jahren vergeblicher juristischer Bemühungen in fünf Staaten konnten der deutsche Staatsbürger Khaled El Masri und seine US-amerikanischen Anwälte am 13. Dezember 2012 einen historischen Sieg vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg verbuchen. Die Große Kammer verurteilte die Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien wegen ihrer Beteiligung an der Folter, willkürlichen Festnahme und unmenschlicher Behandlung bei El Masris Festnahme in Skopje, der mazedonischen Hauptstadt, am 31. Dezember 2003. Von dort wurde er danach von CIA-Agenten nach Afghanistan entführt und ohne Angabe von Gründen am 29. Mai 2004 nach Albanien verbracht und freigelassen. Es war das erste Urteil des Straßburger Gerichtes über die Praktiken des US-Geheimdienstes im Rahmen des Extraordinary Rendition-Programmes. Weitere Fälle sind gegen Polen und Litauen anhängig, da die USA Geheimgefängnisse in beiden Staaten unterhielten, in denen Terrorismusverdächtige festgehalten und teilweise gefoltert wurden.
Das Urteil erfuhr nicht nur in Deutschland und Europa, sondern in den USA große Aufmerksamkeit. Dort hatte El Masri mehrfach vergeblich versucht, die Hauptverantwortlichen für seine Odyssee, die US-Regierung und die CIA zur Verantwortung ziehen zu lassen. Doch obwohl die Fakten in seinem Fall weltweit bekannt ist und weitgehend gesichert sind, wiesen US-Gerichte seine Klagen mit der absurden Begründung ab, seine Entführung und Misshandlung stelle ein Staatsgeheimnis dar (state secrets privilige). In Spanien fanden immerhin umfangreiche Ermittlungen statt, da die CIA-Entführungsflüge in diesem und anderen Fällen vom Flughafen Mallorca aus durchgeführt wurden. Die Ergebnisse dieser Ermittlungen gingen in die Arbeit der Staatsanwaltschaft München ein, die zuständig ist, weil El Masri Deutscher ist (sogenanntes passives Personalitätsprinzip). Das Amtsgericht München erließ zwar Haftbefehle gegen 13 an der Entführung mutmaßlich beteiligte CIA-Agenten. Doch die Bundesregierung verzichtete darauf, gegenüber den USA auf die Auslieferung der Tatverdächtigen zu drängen. Mazedonien und Albanien blockten von Anfang an jegliche Bemühungen von Anwälten und Menschenrechtsorganisationen ab, die Straftaten aufzuklären und gerichtlich zu ahnden.
Imposantes Sündenregister
Nun hat es also das schwächste Glied in dieser Kette in Straßburg erwischt: Mazedonien. Hinsichtlich des Sachverhaltes folgte der EGMR der Darstellung des Klägers, der die Ereignisse ausführlich und widerspruchsfrei geschildert hatte. Mazedonien hatte bis zuletzt entgegen der soliden Dokumentation deutscher und europäischer Stellen die Fakten bestritten. Der EGMR stellt mehrere Verstöße gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) fest und zwar wegen unmenschlicher und erniedrigender Behandlung durch eine 23-tägige Isolationshaft im Hotel in Skopje und wegen Folter durch Prügel und Vergewaltigung am Flughafen in Skopje. Durch die Überstellung von El Masri an die USA sei er zudem der Gefahr weiterer Verstöße gegen Art. 3 ausgesetzt gewesen. Auch die mangelhafte Untersuchung der Vorfälle durch Mazedonien verletzt Art. 3. Dazu kommen noch Verstöße gegen Art. 5 wegen des fehlenden gerichtlichen Haftbefehls, gegen das Recht auf Privat- und Familienleben nach Art. 8 und gegen das Recht auf wirksame Beschwerde nach Art. 13 EMRK. Ein imposantes Sündenregister also. Kein Wunder, dass vor allem die US-Juristen positiv auf das Urteil regiert hatten, die seit über 11 Jahren vergeblich versuchten, vor US-Gerichten auf die Einhaltung scheinbar selbstverständlicher Bürger- und Menschenrechte zu klagen.
So spricht Scott Horton vom Harper’s Magazine von einem wegweisenden Ereignis, weil erstmals ein hochrangiges Gericht mit juristischer Bindungskraft die routinemäßig von der CIA verwandten Praktiken rechtlich als Folter einordne. Horton fordert, dass sich US-Präsident Obama auf der Grundlage der Gerichtsentscheidung entschuldigt, eine Entschädigung sowie medizinische Behandlung für El Masri anbietet und erklärt, dass die CIA diese und ähnliche Maßnahmen nicht mehr anwende. Doch es ist kaum zu erwarten, dass die US-Regierung diesem Begehren nachkommt oder sich gar entschließt, die beteiligten Agenten und deren Vorgesetzte strafzuverfolgen. So wird es also in den nächsten Jahren bei dem Zustand weitestgehender Straflosigkeit der Menschenrechtsverletzungen der USA bleiben, es sei denn die Tatverdächtigen reisen in den Einzugsbereich des Europäischen Haftbefehls oder in solche Ländern, von denen aus eine Auslieferung nach Deutschland oder anderswo möglich wäre.
Mehr Schutz gegen Folter
Doch das Urteil entfaltet nicht nur innerhalb der USA Sprengkraft. Die klaren juristischen Ausführungen zu Artikel 3 EMRK, insbesondere zu Folter, werden in vielen anhängigen Verfahren zu den Geheimgefängnissen in Polen und Litauen sowie zu den Praktiken der britischen Streitkräfte bei der Gefangenenbehandlung in Irak eine große Rolle spielen. Schon am 25. September 2012 hatte der Straßburger Gerichtshof im Fall EL Haski gegen Belgien den europäischen Strafverfolgungsbehörden Grenzen im Umgang mit lnformationen gesetzt, die mutmaßlich durch Folter erlangt wurden. Der aus Marokko stammende El Haski war von einem Brüsseler Gericht wegen terroristischer Straftaten auf der Grundlage von Beweisen verurteilt worden, die die marokkanische Polizei den Belgiern übermittelt hatte. Die belgische und die britische Regierung hatten in Straßburg vertreten, dass El Haski den vollen Nachweise hätte erbringen müssen, dass die Beweise unter Einsatz von Folter gewonnen wurden. Der EGMR wandte demgegenüber einen deutlich niedrigen Beweisstandard an. In Marokkos Gefängnissen würden Terrorismusverdächtige regelmäßig gefoltert, daher bestünde eine reelle Gefahr, dass dies auch im Falle der Aussagen der Fall war, die zur Verurteilung El Haskis führten. Innerhalb weniger Wochen fällten die Straßburger Richter somit zwei Urteile die den rechtlichen Schutz vor Folter deutlich verbessern.
Khaled El Masri wird sich über das Urteil vom 13. Dezember 2012 und die dort ausgesprochene Entschädigung von 60.000 Euro für den immateriellen Schaden dennoch wenig freuen. Für ihn kommen das Geld als auch die Genugtuung zu spät, er erlebte die Urteilsverkündung in der Justizvollzugsanstalt in Kempten. Die unbarmherzige bayrische Justiz hatte den Mann, obschon offenkundig durch die Folter und die erlittene Behandlung traumatisiert, wegen Körperverletzung und anderer Delikte zu insgesamt über drei Jahren Haft verurteilt. El Masri hat den bis dahin bestehenden guten Kontakt zu den ihn unterstützenden Menschenrechtorganisationen in der Haft abgebrochen und auch von den noch laufenden Gerichtsverfahren nichts erwartet. So wertvoll also der Urteilsspruch aus Straßburg für die juristischen Debatten um Folter und für die Folterprävention in der Zukunft sein mag, als Gerechtigkeit für Khaled El Masri wird man ihn dennoch nicht ansehen können.
Literatur
European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), Folter und die Verwertung von Informationen bei der Terrorismusbekämpfung. Die Fälle Kurnaz, Zammar und El Masri vor dem BND-Untersuchungsausschuss. Berlin 2011
Dominik Steiger, Die CIA, die Menschenrechte und der Fall Khaled El Masri. Potsdam 2007