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Kampf gegen Rechts gegen das Grundgesetz - Undemo­kra­ti­sche „Sicher­heits­a­r­chi­tektur“ verletzt Freheits­rechte

Grundrechte-Report 2013, Seite 44

Man könnte annehmen, die rechte Szene bekäme endlich, was sie verdient: Eine speziell auf die Bedürfnisse ihrer Verfolgung zugeschnittene Rechtsextremismus-Datei und eine Zentralstelle aller Sicherheitsbehörden im Kampf gegen rechtsextremistische Gewalttaten. Nachdem im Herbst 2011 die entsetzliche Blutspur des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) bekannt wurde und seitdem eine Kaskade von Fehlleistungen der Geheimdienste und der Polizei bei seiner Nicht-Verfolgung an die Öffentlichkeit kamen, musste der amtierende Bundesinnenminister einmal mehr schnell handeln. Und tatsächlich: Schon am 16. Dezember 2011 nahm das Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus (GAR) seine Arbeit auf, welches unter der freundlichen Gastgeberschaft des Bundeskriminalamts auch alle relevanten Staatsschutzdienststellen der Polizeien der Länder und die Verfassungsschutzämter an einen runden Tisch zum Austausch von Informationen und personenbezogenen Daten versammelte. Am 19. September 2012 wurde schließlich auch die so genannte Rechtsextremismus-Datei (kurz: RED [!]) in den so genannten Wirkbetrieb genommen. Die Datei soll das gegenseitige Weiterleiten von Daten über Rechtsextremisten erleichtern und besteht zu diesem Zweck aus einem Datenpool, auf den sowohl die angeschlossenen Geheimdienste als auch die Polizeibehörden Zugriff haben.

Gegen Rechts ist jedes Mittel recht?

Der Kampf gegen rechte Gewalt ist praktischer Schutz von Grund- und Menschenrechten. Ein Fortschritt also? Der Autor dieser Zeilen wünscht Neonazis und rechten Gewalttätern jedenfalls das ganze Unglück an den Hals, welches ihnen der real existierende Rechtsstaat in der Bundesrepublik Deutschland zuteil werden lassen kann – einschließlich all der Fehler, Ungerechtigkeiten und Härten, die seine Vollzugsbehörden verursachen werden. Trotzdem sollte die Rechtsextremismusdatei nicht als Durchbruch für den praktischen Grund- und Menschenrechtsschutz durch Verfolgung von rechten Gewalttätern gefeiert werden. Die Leserinnen und Leser des Grundrechte-Reports erinnern sich: Schon 2007 musste mit der Anti-Terror-Datei (ATD) eine gemeinsame Datenbank von Polizeien und Geheimdienstbehörden in Deutschland gerügt werden (siehe Roggan in Grundrechte-Report 2007, S. 157 ff.). Im Zentrum der Kritik stand schon damals, dass es sich bei dieser Datei um eine gemeinsame Datenbasis von Polizeibehörden und Geheimdiensten handelt, welche mit der Verfassungstradition des so genannten Trennungsgebots bricht. Dieses Trennungsgebot hatte und hat im Kern den Inhalt, dass ein Geheimdienst keine vollzugspolizeilichen Befugnisse und Aufgaben haben darf. Wo aber eine gemeinsame Datei von Verdächtigen, Beschuldigten und anderen mutmaßlich relevanten Personen, Sachen, Orten und Ereignissen besteht, beginnen die faktischen und juristischen Mauern zwischen Polizei und Geheimdienst einzustürzen. Über das Trennungsgebot ist seitdem viel diskutiert worden. Die Befürworter einer gemeinsamen Infrastruktur von Sicherheitsbehörden konnten für sich ins Feld führen, dass es kein ausdrückliches Trennungsgebot im Grundgesetz gibt, wohingegen die Befürworter einer strikten Trennung Jahrzehnte unangefochtener gemeinsamer Rechtsüberzeugung und einige Hinweise in Verfassungstexten des Bundes und einiger Bundesländer auf ihrer Seite wissen. Erneut stritten sich daher die Gelehrten über die Vereinbarkeit gemeinsamer Dateien mit der Verfassung, aber es hatte den Anschein, dass die Zahl der Verteidiger des Trennungsgebots mit der Gewöhnung an die Anti-Terror-Datei abgenommen hat. So mochte das Publikum am 6. November 2012 in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsmäßigkeit der ATD den Eindruck gewinnen, dass seine Gegner inzwischen in der Überzahl sind und gerade an dieser sensiblen Stelle einer Verfassungsinterpretation die Zukunft gehören sollte, welche keine besonderen Sicherungsvorkehrungen vor der Macht der geheimen Dienste mehr erkennen will.

Wenn es schon gegen Rechts nicht helfen kann…

Werden wir uns daran gewöhnen müssen, dass eine technische und organisatorische Trennung von Polizei und Geheimdiensten der Vergangenheit angehört? Sie hätte es jedenfalls nicht verdient: Gerade die alte Bundesrepublik, welche das Trennungsgebot jahrzehntelang als Verfassungstradition verstanden hat, hatte schon existenziellere Sicherheitsgefährdungen zu überstehen als heute. Vor allem aber lagen die wesentlichen Mängel der Kooperation von Polizeien und Geheimdiensten bei der Verfolgung der Mitglieder des NSU nicht etwa in einer übertriebenen Trennung. Vielmehr bestanden und bestehen intransparente und gravierend auseinander fallende Geheimhaltungspraktiken der beteiligten Behörden, welchen häufig der Schutz ihrer eigenen Zuträger wichtiger war als die seinerzeit schon gesetzlich zulässige Kooperation. Und wo auf Seiten der Polizei rechtsterroristische Straftaten gar nicht erst als solche erkannt werden – wie die Morde, Banküberfälle und Bombenattentate des NSU – wird auch eine gemeinsame Datenbasis keine blinden Augen sehend machen.

… dann vielleicht gegen den „Extre­mismus“?

So lässt auch aufhorchen, wie es mit dem GAR weitergegangen ist: Schon am 15. November 2012 eröffnete der Bundesinnenminister das „Gemeinsame Extremismus- und Terrorismus Abwehrzentrum“ (GETZ), welches als Ausdehnung des GAR auf alle Formen von „Extremismus“ (mit Ausnahme des islamistischen Terrorismus) und der Spionage und des Waffenhandels gedacht ist. Da ist er wieder, der Traum konservativer Sicherheitspolitik, in dem die weißen Ritter der Sicherheitsbürokratie unter der Flagge der Bekämpfung jedweden „Extremismus“ die gute Mitte der Gesellschaft vor ihren Feinden an ihren politischen Rändern retten. Das Problem rechten Terrors in Deutschland wird so vom Gradmesser gesellschaftlicher Fehlentwicklungen und behördlicher Blindheit speziell auf dem rechten Auge wieder herabgestuft zur Fußnote im Programm der Bekämpfung jedes „Extremismus“. Wenn nicht die parlamentarischen Untersuchungen und die strafrechtliche Aufarbeitung des NSU noch weiteres konkretes Behördenversagen zu Tage fördern, wird der kurze Sommer des Kampf gegen Rechts vor allem eine liberale Rechtstradition beseitigt und der inhaltsleeren Formel vom „Extremismus“ eine erneute Bestätigung in der Gesetzgebung verschafft haben.

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