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Wahlkampf auf dem Rücken von Minder­heiten - Sonder(asyl)verfahren für Roma und populis­ti­sche Gesetz­ge­bung

Grundrechte-Report 2013, Seite 156

Am 12. Oktober 2012 ging Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich mit einer Pressemitteilung und einem Interview in der Bildzeitung an die Öffentlichkeit und erklärte die vermehrten Asylanträge von serbischen und mazedonischen Staatsangehörigen pauschal als missbräuchlich. „Der zunehmende Asylmissbrauch ist nicht akzeptabel. Der massive Zustrom serbischer und mazedonischer Staatsangehöriger muss unverzüglich gestoppt werden“, so Friedrich in seiner Presseklärung. Nur einen Tag nach der Einweihung des Denkmals für die ermordeten Sinti und Roma setzt Bundesinnenminister Friedrich Ende Oktober seine populistische Kampagne gegen Roma aus den Balkanstaaten fort. Friedrich fordert schärfere Regeln für Asylbewerber aus Serbien und Mazedonien und abgesenkte Barleistungen.  Die Asylanträge sollen im Schnellverfahren abgelehnt werden.  Den generellen Missbrauchsverdacht will der Minister dadurch unterstreichen, indem Serbien und Mazedonien zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt. Zudem übt er Druck auf die Kommission aus, die Visafreiheit für Serbien und Mazedonien wieder einzuschränken. Sekundiert wird diese pauschale Diskreditierung der Asylsuchenden von zahlreichen Landesinnenministern, die Asylschnellverfahren, Leistungskürzungen und ähnliches fordern  und sich in Gedenk- und Feierstunden gegen „Fremdenfeindlichkeit“ aussprechen und diese allen den „Rechtsextremisten“ vorwerfen.

Asylver­fahren im Schnell­durch­gang

Der Forderung des Bundesinnenministers, die Asylverfahren von Antragstellern aus Serbien und Mazedonien im Schnellverfahren durchzuführen, kam das ihm unterstellte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im vorauseilenden Gehorsam nach. Es startete die „Aktion Westbalkan“. Hierzu wurden die Verfahren von serbischen und mazedonischen Staatsangehörigen an erster Stelle „priorisiert“, d.h. vorgezogen. Die Amtsspitze ordnete „das absolute Direktverfahren“ für die Länder Serbien und Mazedonien an: „Anhörung möglichst am Tag der Antragstellung, spätestens am nächsten/übernächsten Tag. Zudem zeitnahe Entscheidung und Zustellung, d.h. möglichst binnen einer Woche.“ (BAMF, Entscheiderbrief  9/2012). Verbunden wurde diese Verfahrensbeschleunigung mit der Vorannahme, dass bei Antragstellern aus Serbien und Mazedonien von einer „grundsätzlich aussichtslosen Asylantragstellung auszugehen“ sei.

Während hier also generalstabsmäßig die systematische Ablehnung von Anträgen einer ganzen Gruppe organisiert wurde, wurden die Asylverfahren gegenüber allen anderen schlicht nicht betrieben. Hier hat die Spitze des BAMF einen Entscheidungsstopp verhängt. Das heißt, dass die Betroffenen monatelang warten, ohne dass sie auch nur zur Anhörung geladen werden. Dabei sieht § 24 Absatz 4 AsylVfG grundsätzlich eine Frist für die Entscheidung über einen Asylantrag von sechs Monaten vor. Wenn diese überschritten wird, so ist der Asylantragsteller zu informieren, bis wann voraussichtlich entschieden wird. Stattdessen wurde diese Frist für alle Anträge außer der von Antragstellern aus Serbien und Mazedonien ignoriert.

Begründet wurde diese selektive Aufgabenwahrnehmung mit akuten personellen Engpässen.

Allerdings lagen die tatsächlichen Verfahrensdauern bis zur Entscheidung des BAMF schon im letzten Jahr bei vielen Herkunftsländern bei zehn oder mehr Monaten.

Die höheren Antragszahlen im Jahr 2012 sind jedoch Teil eines seit zwei Jahren anhaltenden leichten Anstiegs. Über Jahre wurde Personal im Asylbereich des BAMF zugunsten des Integrationsbereichs abgebaut. Wie auch bei den Aufnahmeplätzen hat man sich in den Ressourcen am historischen Tiefstand der Antragszahlen im Jahr 2007 von unter 20.000 Anträgen orientiert.

Unter dem Strich bewegen sich die Flüchtlingszahlen noch immer  auf einem relativ niedrigen Niveau – kein Vergleich zu den 1990er Jahren. Zu den Hauptherkunftsländern der letzten Jahre gehörten Afghanistan, Irak,  Syrien, Iran und Serbien. Niemand geht davon aus, dass die Konflikte in Afghanistan, Irak und Iran kurzfristig zu lösen sein werden. Es war absehbar, dass es in Syrien zu einer Fluchtbewegung größeren Ausmaßes kommen würde. Die Engpässe beim BAMF sind nicht Produkt aktuell ansteigender Antragszahlen – sondern Ergebnis einer lang anhaltenden mangelhaften Personalentwicklung im Amt.
Die Fehlplanungen dürfen nicht auf dem Rücken der Asylsuchenden ausgetragen werden. Roma aus Serbien und Mazedonien haben das Recht auf ein reguläres Asylverfahren, innerhalb dessen ihre Fluchtgründe zu prüfen sind. Es kann nicht sein, dass Angehörige der am stärksten diskriminierten Minderheit Europas, die aufgrund ihrer Diskriminierung in ihren Herkunftsländern nach Deutschland fliehen, hier wiederum diskriminierenden Sonderverfahren unterworfen werden.

Serbien und Mazedonien als sichere Herkunfts­länder

Bundesinnenminister Friedrich will Serbien und Mazedonien als sichere Herkunftsländer einstufen. Voraussetzung für eine solche Einstufung wäre, dass der Gesetzgeber per Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, darüber entscheidet (Artikel 16a Absatz 3 GG).

Das Grundgesetz setzt voraus, dass es sich um Staaten handelt, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet.

Ein Großteil der Asylsuchenden aus Serbien und Mazedonien sind Roma, die in ihren Herkunftsländern massiv diskriminiert werden. Ende August stellte die EU-Kommission in ihrem dritten Bericht zur Visaliberalisierung erneut fest, dass die Roma in allen Balkanstaaten einer umfassenden Diskriminierung ausgesetzt sind, die sie an der Ausübung grundlegender Rechte wie beispielsweise dem Zugang zu Bildung und Ausbildung, Gesundheitsversorgung und Arbeitsmarkt hindert.

Es leben circa 60 Prozent der geschätzt 450 000 Roma in Serbien in unsicheren und unhygienischen Lebensverhältnissen; 30 Prozent haben keinen Zugang zu Trinkwasser; 70 Prozent keinen Zugang zur Kanalisation. Serbische Studien belegen, dass Romakinder in Sonderschulen mit einem Anteil von mehr als 30 Prozent deutlich überrepräsentiert sind. Umfragen zufolge gelten sie als die meist diskriminierte Bevölkerungsgruppe in Serbien, eine Diskriminierung, die sich insbesondere im Zugang zum Arbeitsmarkt deutlich zeigt. Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) stellte in ihrem letzten Länderbericht zu Serbien fest, dass die Mehrheit aller Roma von Gelegenheitsjobs wie beispielsweise dem Sammeln von Altmetall lebt und dass kaum Roma in staatlichen Betrieben beschäftigt sind.

Auch in Mazedonien sind Roma umfassender Diskriminierung ausgesetzt. ECRI stellte in einem 2010 veröffentlichten Bericht fest, dass 70 Prozent aller Roma in Mazedonien arbeitslos sind, womit ihre Arbeitslosigkeit deutlich über dem Landesdurchschnitt liegt. ECRI stellte zudem heraus, dass Roma mit Vorurteilen im Gesundheitssystem konfrontiert sind, was ihren Zugang zu medizinischen Dienstleistungen beeinträchtigt.

Diskri­mi­nie­rung als Verfolgung

Roma sind einer umfassenden Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung ausgesetzt. Dies ist – anders als von Bundesinnenministerium behauptet – nicht irrelevant für die asylrechtliche Prüfung. Denn das europäische Asylrecht sieht vor, dass nicht nur schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen eine Verfolgung darstellen können. Auch können verschiedene nicht so schwerwiegende Eingriffe dann eine Verfolgung sein, wenn sie zwar nicht jeweils für sich, aber in ihrer Gesamtwirkung das Gewicht und die Schwere einer Menschenrechtsverletzung aufweisen. UNHCR formuliert, dass eine Verfolgung vorliegen kann, wenn ein Asylantragsteller einer ganzen Reihe von Maßnahmen ausgesetzt gewesen ist, die jede für sich genommen nicht den Tatbestand der Verfolgung erfüllten, etwa verschiedene Formen der Diskriminierung, zu denen  jedoch noch weitere widrige Faktoren hinzukämen, etwa eine allgemeine Atmosphäre der Unsicherheit im Herkunftsland. Die Situation der Roma in Serbien und Mazedonien kann deshalb nicht pauschal als flüchtlingsrechtlich unbedenklich bewertet werden. Sie bedarf vielmehr einer genauen Prüfung im Einzelfall. Wegen dieser komplizierten und in vielen Fällen bedenklichen Situation ist die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat in keiner Weise zu rechtfertigen.

Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien dürfen nicht vom Recht auf Asyl ausgeschlossen werden. Sie haben ein Recht auf eine Prüfung ihres Anspruchs auf Asyl, innerhalb derer die rassistische Diskriminierung in ihren Heimatländern in angemessener Weise zu berücksichtigen ist.

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