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Ende gut, alles gut? - Der „Denkzettel“-Preis ist Ausdruck der Meinungs­frei­heit

Grundrechte-Report 2014, Seite 71

Das Amtsgericht Potsdam hatte zwei Mitglieder des Flüchtlingsrates Brandenburg wegen übler Nachrede (§ 186 Strafgesetzbuch) verurteilt, da diese dem Rechtsamt der Stadt Brandenburg an der Havel einen „Denkzettel für strukturellen und systeminternen Rassismus“ verliehen hatten. In der Begründung für diesen Negativpreis wurde auch die zuständige Sachbearbeiterin stellvertretend erwähnt. Die Berufung gegen das Urteil nahm das Landgericht wegen offensichtlicher Unbegründetheit gar nicht erst an.

Das Verhalten der Ausländerbehörde und des Rechtsamtes der Stadt Brandenburg gegenüber einem gehörlosen sierra-leonischen Staatsbürger hatte den Anlass für die Verleihung des „Denkzettels“ 2010 gegeben. Die beiden Behörden hatten dem Flüchtling unterstellt, er habe jahrelang seine Gehörlosigkeit vorgespielt, obwohl diese fachärztlich bescheinigt worden war. Ebenso wurde an seiner „wahren“ Herkunft gezweifelt. Jedoch war die Botschaftsvorführung, die anhand der Sprache und des Dialekts die Herkunft ermitteln soll, in diesem Fall nicht erfolgversprechend. Eine Aufenthaltserlaubnis ist schließlich wegen unzureichender Mitwirkung an der Beschaffung der Ausweispapiere verweigert worden. (Grundrechte Report 2013, S. 87 ff.).

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seinem Beschluss vom 24. Juli 2013 in der strafrechtlichen Verurteilung einen Verstoß gegen die grundgesetzlich verbürgte Meinungsfreiheit (Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 GG) gesehen. Voraussetzung für eine Verurteilung nach § 186 StGB ist das Behaupten einer Tatsache, die geeignet ist, eine andere Person verächtlich zu machen oder herabzuwürdigen. Das Amtsgericht sei jedoch bei seiner Entscheidung in untragbarer Weise vom Vorliegen einer Tatsachenbehauptung ausgegangen. Vielmehr hätte die Beurteilung der Äußerung im Kontext der Preisbegründung erfolgen müssen, weswegen im Ergebnis von einer grundrechtlich geschützten Meinungsäußerung auszugehen ist. Auch sei das Landgericht bei seiner Abwägung zwischen Ehrschutz und Meinungsäußerung zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangt, es handele sich um eine Schmähkritik. Bei der Schmähkritik steht die Diffamierung einer Person im Mittelpunkt und nicht, wie vorliegend, die kritische Auseinandersetzung mit einem Sachverhalt.

Jedenfalls haben die Gerichte die Reichweite der Meinungsfreiheit insoweit völlig verkannt, als es gerade zum Kerngehalt der Meinungsfreiheit gehört, ohne Furcht vor strafrechtlichen Sanktionen staatliche Maßnahmen kritisieren zu können. Die Vorinstanzen würden Staatskritik nur noch auf ein Mindestmaß beschränken und eine „polemische Zuspitzung” nicht mehr zulassen.

Es ist aus rechtsstaatlicher Sicht äußerst beunruhigend, dass das BVerfG gezwungen war, in seinem Beschluss juristisch-dogmatisches Basiswissen zu der Meinungsfreiheit darzustellen. Die Entscheidungen der Vorinstanzen demonstrieren exemplarisch den strukturellen Rassismus, auf den die Initiative des Flüchtlingsrates gerade aufmerksam machen wollte. Spätestens nach dem Aufdecken der sogenannten NSU-Morde sollte jedoch das Vorhandensein eines strukturellen und systematischen Rassismus auch in das Blickfeld des Staates gerückt sein. Dass diese Erkenntnis leider noch weit entfernt ist, zeigt das wiederholte Kriminalisieren von linken Initiativen und nicht zuletzt auch die Feststellung des BVerfGs selbst, dass der Rassismusvorwurf eine „polemische Zuspitzung“ darstelle.

Damit ist dem BVerfG zwar ein gutes Ende in diesem konkreten Fall zu verdanken, aber es ist noch längst nicht alles gut.

Literatur

BVerfG Beschluss vom 24.7.2013, 1 BvR 444/13.

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