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Geschlossen und vergessen? - Problematik geschlos­sener Heime für Kinder und Jugendliche

Grundrechte-Report 2014, Seite 49

„Menschen statt Mauern“. Mit diesem Schlagwort schaffte z.B. Hamburg in den Achtzigerjahren seine geschlossenen Kinderheime ab. Ganz konsequent war dieses Konzept nie: Denn die reiche Pfeffersäckestadt tat mit einzelnen Jugendlichen das, was sie gerne mit „Problemfällen“ tut. Sie schob sie ab vor die Tore der Stadt nach Schleswig-Holstein oder tief in den Süden der Republik – in geschlossene Einrichtungen.

In der Schill-Ära ab 2001 erlebte die geschlossene Unterbringung eine erneute Blüte, eine neue Einrichtung wurde mit vielen politischen Vorschusslorbeeren geschaffen. Die „Feuerbergstraße“ blieb wenig genutzt, war hoch umstritten und im Jahre 2008 wurde die geschlossene Einrichtung schließlich geschlossen.

Seither wurden Kinder und Jugendliche aus Hamburg und anderen Regionen Deutschlands in Häusern der brandenburgischen Einrichtung „Haasenburg“ geschlossen untergebracht.

Nicht nur die „taz“ berichtete über den Vorwurf ehemaliger „Insassen“, sie seien geschlagen, von mehreren Erziehern „disziplinarisch“ auf den Boden gedrückt worden. Man habe sie im Bett festgebunden und durch „Gebote“, nicht am Fenster zu stehen, nicht auf dem Bett zu sitzen, sowie Kontrolle und permanente Beobachtung – sogar beim Duschen – gedemütigt.

Es wird hier eine Haltung deutlich, die auf absoluten Gehorsam und Unterordnung ausgerichtet ist und die nicht die Entwicklung der jungen Menschen zur eigenverantwortlichen, gemeinschaftsfähigen, also mündigen Personen intendiert. Eine in diesem Sinne „pädagogische Absicht“ wird nicht deutlich.

Ausflüchte der Heimleiter

Die Betreiber weisen die Vorwürfe zurück. Sie sprechen von „Begrenzungen“, Fixierungen seien seit 2010 nicht mehr vorgenommen worden. Auf der Homepage behaupten die Verantwortlichen, Fixierungen würden „im Auftrag der Personensorgeberechtigten“ ausschließlich „zur Wahrung des Kindeswohls“ und nicht als „pädagogisches Mittel“ eingesetzt.

Derzeit prüfen die Staatsanwaltschaft Cottbus und eine ministerielle Untersuchungskommission die Vorwürfe. Es hat sogar ungeklärte Todesfälle gegeben, die derzeit im Einzelnen untersucht werden.

Zu den Vorwürfen schreibt der Evangelische Erziehungsverband in einer Presseerklärung vom 3. Juli 2013: „…Die beschriebenen Interventionen der Fixierungen etc. durch das Personal und die allgemeinen Regeln der Einrichtung sind nicht vereinbar mit einer wertschätzenden, an der demokratischen und freiheitlichen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland orientierten Pädagogik. Hierzu zählen die Achtung der Kinderrechte, die Beteiligung der jungen Menschen, die Wahrung ihrer Beschwerdemöglichkeiten sowie der Kinderschutz…“

Die Heime der Haasenburg GmbH werden nun durch die Aufsichtsbehörden geschlossen. Hamburgs SPD-Senat möchte nun wieder ein „eigenes“ geschlossenes Heim einrichten. Nicht nur deshalb hat sich die Problematik mit der Schließung der Brandenburger Einrichtung noch lange nicht erledigt.

Theorie: Hilfe statt Strafe

Nach § 1631b BGB kann das Familiengericht auf Antrag des/der Personensorgeberechtigten eine geschlossene Unterbringung genehmigen, „wenn sie zum Wohl des Kindes, insbesondere zur Abwendung einer erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung, erforderlich ist und der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch andere öffentliche Hilfen, begegnet werden kann“ Es geht also – jedenfalls in der Theorie – um Hilfe, nicht um Strafe! Diese Form der Unterbringung ist ein merkwürdiges Konstrukt: Die Personensorgeberechtigten sind „eigentlich“ die Entscheidungsträger, sie stellen den Antrag beim Familiengericht und entscheiden, ob die Unterbringung denn auch so umgesetzt bzw. später ggf. abgebrochen wird. Faktisch spielen sie aber keine Rolle: Eltern sind ratlos, haben Angst, Konflikte mit dem Jugendamt zu bekommen, fürchten die Einstellung jeglicher Hilfe durch das Amt und Sorgerechtsentzug durch das Familiengericht. Ist ein Amtsvormund bestellt, hält dieser sich regelhaft an Vorgaben „seines“ Jugendamts. Das Jugendamt tut was es gern tut, führt Regie und erklärt bei Problemen gern, keine Entscheidung getroffen zu haben. Die Familiengerichte verweisen wieder auf Personensorgeberechtigte und Jugendamt. Dies führt zu einer Spirale der Verantwortungsverweigerung.

Pädagogisch ist diese Praxis heftig umstritten. Der Kriminologe Christian Pfeiffer wird mit dem Satz zitiert „Sie [die geschlossenen Unterbringungen, d.A.] bergen ein hohes Risiko und sind wenig erfolgreich“. Viele Pädagogen betonen, dass es zur geschlossenen Unterbringung vorrangige Alternativen gibt.

Rechtlich gibt es mit § 1631 b BGB eine Grundlage, deren fehlende Präzision verfassungsrechtlich mindestens bedenklich ist. Für die Voraussetzungen einer Unterbringung wird im Wesentlichen nur auf den „wabernden“ Kindeswohlbegriff Bezug genommen. Eine präzise Grundlage für eine einschneidende Form der Freiheitsentziehung sieht anders aus.

Wie immer man den pädagogischen Streit entscheidet: Auch die Befürworter einer geschlossenen Unterbringung müssen erkennen: Geschlossenheit ist kein Konzept, allenfalls ein Mittel, um soziale Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen.

Untergebrachte Kinder und Jugendliche sind Träger von elementaren Grund- und Menschenrechten. Dies scheint mancher zu vergessen. Vorwürfe werden abgetan, weil die betroffenen Minderjährigen in Stammtischrunden und Leserbriefen als „keine Engel“, „aggressiv“ und „extrem schwierig“ bezeichnet werden. Aber wer setzt deren Rechte durch?

Kontrollinstanzen werden ihrer Verantwortung offensichtlich nicht gerecht. Jugendämter, Amtsvormünder, die Heimaufsicht und Familiengerichte müssen sich fragen lassen, wo sie ihre Augen und Ohren hatten.

Die Grünen in Berlin und Hamburg haben zu Recht die Frage aufgeworfen, ob es Vollzugsregelungen für die geschlossene Unterbringung von Kindern und Jugendlichen geben muss. Unfassbar, dass der Vollzug der Jugendstrafe gesetzlichen Regeln und Begrenzungen unterliegt, die geschlossene „Jugendhilfe“ aber nicht.

Auch Jugendhilfe und Psychologie müssen sich aber einer inhaltlichen Diskussion stellen. Unabhängig davon, was in der Haasenburg geschah, ist nach meiner Erfahrung und Einschätzung festzustellen, dass ein Trend zu archaischen autoritären und konfrontativen „Lösungen“ besteht. Eine doktrinäre „Verhaltenstherapie“, die darauf abzielt, Jugendliche und ihren Willen zu brechen, ist schlichte Kindesmisshandlung.

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