Polizeiliche Konstruktionen der Gefährdung öffentlicher Sicherheit
Grundrechte-Report 2014, Seite 83
Nach den umfassenden – mindestens zum Teil rechtswidrigen – Demonstrationsverboten im Mai 2012 in der Stadt Frankfurt (vgl. Elke Steven, in: Grundrechte-Report 2013, S. 105 ff.), meldete Blockupy, das Bündnis gegen die europaweite Verarmungspolitik, für den 30. Mai und 1. Juni 2013 erneut Versammlungen an. Immerhin war es diesmal möglich, ein Camp zur Übernachtung für die Teilnehmer einzurichten. Eine für den 30. Mai angemeldete Demonstration am und im Flughafen zum Thema „Deportation Airport“ wurde per Auflage im Flughafengebäude verboten. Obwohl nur mit 200 Demonstrierenden gerechnet wurde, argumentierte die Stadt Frankfurt, anderenfalls würde die „Funktionsfähigkeit des Flughafens“ beeinträchtigt. Das sogenannte Fraport-Urteil (vgl. Rainer Deppe, in: Grundrechte-Report 2012, S. 88 ff), in dem das Bundesverfassungsgericht geurteilt hatte, auch im Flughafen, der in den Händen der Fraport AG ist, müssten die Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit gewährleistet werden, wurde von der Ordnungsbehörde einfach ignoriert. Da Rechtsmittel gegen die Auflage eingelegt wurden, entschieden Verwaltungsgericht Frankfurt bis Hessischer Verwaltungsgerichtshof übereinstimmend, dass eine Demonstration von bis zu 200 Demonstrierenden auch im Terminal möglich sein müsse. Auch die Großdemonstration am 1. Juni wurde mit Auflagen eingeschränkt. Gegen eine den gewählten Weg beschränkende Auflage konnte erfolgreich vorgegangen werden. Die Gerichte sahen die von der Stadt angeführte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit nicht konkret belegt und bestätigten den vom Bündnis gewählten Weg entlang der Europäischen Zentralbank (EZB). Wieder einmal war die Gefahrenprognose der Stadt gespickt mit Befürchtungen und Vermutungen, nicht jedoch auf Tatsachen gegründet.
Die Lust am Kesseln
Am Freitag, 30. Mai 2013, begannen früh morgens die Versammlungen. Da die EZB weiträumig durch die Polizei abgesperrt wurde, sammelten sich die Demonstrierenden vor diesen mit Wasserwerfern und Absperrgittern verstärkten Polizeiketten. Danach versammelten sich immer wieder Gruppen in der Innenstadt und thematisierten an den Gebäuden von Deutscher Bank, Immobilienfirmen und Einzelhandelsgeschäften die Auswirkungen von Landgrabbing, kapitalistischer Verwertungslogik und globaler Ausbeutung. Die Demonstration am Flughafen wurde zwar polizeilich lange vom Terminal ausgesperrt, aber letztlich konnten zumindest 200 Demonstrierende auch im Terminal ihr Anliegen vorbringen.´
Die zahlenmäßige Begrenzung einer Versammlung ist grundrechtswidrig. Allerdings wurde diese Begrenzung von den Gerichten bestätigt, da zunächst nur eine solche Anzahl von Demonstrierenden angemeldet worden war. An anderen Tagen demonstrieren immer wieder tausende Bürger im Flughafengebäude – z.B. gegen den Flughafenausbau.
Zwar griff die Polizei den ganzen Tag über schon bei kleinen Provokationen, wenn etwa an den aufgestellten Hamburger Gittern gerüttelt wurde, zu Pfefferspray und Schlagstock, aber insgesamt blieb der Eindruck, dass die Proteste an diesem Tag in der Stadt möglich geworden waren.
Am nächsten Tag änderte die Polizei ihre Strategie radikal und setzte das Grundrecht für alle Teilnehmenden an einer Großdemonstration außer Kraft. Über ihre Gründe kann man nur spekulieren. Eine halbe Stunde nach Aufbruch der Demonstration drangen martialisch ausgerüstete Polizeieinheiten kurz hinter der Spitze der Zuges und weitere Einheiten hinter dem „antikapitalistischen Block“ in die Demonstration ein und kesselten diesen. Minuten zuvor waren zwei Böller geflogen. Die Demonstration hätte kurz darauf den von ihr gewählten und von den Gerichten bestätigten Weg entlang der EZB erreicht. Die Polizei informierte, im Kessel seien Personen „vermummt“ und „passiv bewaffnet“, nach ihrer Erkenntnis seien 200 „Gewalttäter“ in dem Block. Alle Personen dieses Blocks sollten durchsucht und durch eine Personenkontrolle geschleust werden. Die Eingekesselten waren bereit, alle bemängelten Gegenstände sichtbar abzulegen, um den Demonstrationszug weiterführen zu können. Sie waren jedoch nicht bereit, sich einzeln durchsuchen zu lassen. Auch dies hätte im übrigen Stunden gedauert und die Demonstration letztlich verhindert. Der Kessel blieb über neun Stunden aufrecht erhalten, bis alle Personen abgeführt waren. Von 947 Personen wurden die Personalien festgestellt. Vom Urteil des Verwaltungsgerichts über den Hamburger Kessel von 1986 (12 VG 2442/86) bis hin zum Urteil des Landgerichts Lüneburg vom August 2013 zu einem Polizeikessel im November 2011 nach einer Castor-Blockade stellen Gerichte immer wieder fest, dass solche Kessel rechtswidrig sind (vgl. Grundrechte-Report 2007, S. 125 ff.). Das ändert nur leider gar nichts an der Strategie der Polizei.
Selbst gemachte Eingriffsbefugnisse
Versammlungsbehörden erlassen häufig Auflagen, mit denen das Verhalten der Demonstrationsteilnehmer genau reglementiert werden soll. Dies darf nur dann geschehen, wenn Grund für die Annahme besteht, dass Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung von einer Versammlung ausgehen. Sie schaffen zugleich Eingriffsbefugnisse für die Polizei, etwa weil Transparente zu lang oder Stangen zu dick oder lang sind. In Frankfurt wurde das Grundrecht auch aufgrund eines fragwürdigen Paragraphen im Versammlungsgesetz ausgehebelt. In § 17 (1) ist geregelt, dass „Schutzwaffen“ oder „Gegenstände, die als Schutzwaffen geeignet sind“, auf Versammlungen nicht mitgeführt werden dürfen. In Absatz 2 werden Aufmachungen, „die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet sind, die Feststellung der Identität zu verhindern“ verboten. So kommt es immer wieder vor, dass die Polizei während einer Versammlung bestimmte Aufmachungen bemängelt und Sonnenbrillen, Schals und Mützen als Vermummung deklariert. Andererseits dürfen Masken und theatralische Aufmachungen auch in Versammlungen genutzt werden. Diesmal meinte die Polizei, einige Teilnehmer seien vermummt und meinte damit auch diejenigen, die mit bunten Schirmen den europäischen Rettungsschirm symbolisierten. Einige Demonstrationsteilnehmer trugen Bücher aus Styropor, das mit Hartplastik verstärkt war. Auf diesen standen Buchtitel wie z. B. „Die einen haben Kapital, wir anderen lesen es“ oder „Öl – Upton Sinclair“, ein Buch, das im Manesse Verlag neu aufgelegt wurde und als „Schlüsselroman über die Tyrannei des Raubtierkapitalismus“ beworben wird. Diese Bücher hätten gegen einen Schlagstockeinsatz etwas Schutz geboten, absurd ist es jedoch, sie deshalb als Schutzwaffen zu bezeichnen. Aber auch Augenschutz, um dem Pfefferspray nicht ganz so hilflos ausgeliefert zu sein, wird in solchen Situationen als passive Bewaffnung ausgelegt. Tatsächlich wurden dann aus diesem fast 1000-köpfigen Block außer Sonnenbrillen und Tüchern 39 pyrotechnische Gegenstände und 65 „Schutzschilde“, ein paar mit Farbe gefüllte Flaschen, Glühbirnen und Weihnachtskugeln sichergestellt. (95. Sitzung des Innenausschusses) Dies muss nun sowohl die Verhinderung der gesamten Demonstration als auch Ermittlungen gegen 947 Personen rechtfertigen.
Potentiell tödliche Waffe: Pfefferspray
An beiden Tagen griff die Polizei schnell und wie selbstverständlich zum Pfefferspray, wenn sie ein Verhalten der Demonstrierenden unterbinden wollte. Am Samstag waren von dieser Waffe vor allem die Teilnehmer betroffen, die hinter dem „antikapitalistischen Block“ von der Demonstration abgetrennt wurden. In der polizeilichen Logik handelte es sich also um den friedlichen Teil, der vor den „Gewalttätern“ geschützt werden sollte. Viele Jugendliche, auch Familien mit Kindern waren von diesem Einsatz betroffen und litten unter dem Brennen in Augen und auf der Haut. Die Demo-Sanitäter berichteten von mindestens 320 Verletzten. Pfefferspray wurde vor Jahren als „milderes“ Mittel, das den Einsatz der Schusswaffe überflüssig machen sollte, eingeführt. Tatsächlich wird es inzwischen als „normale“ Abstandswaffe genutzt und steht jedem Polizeibeamten im Einsatz individuell zur Verfügung.
Eine erschreckende Beobachtung, die aber nicht systematisch überprüft werden konnte, sei noch hinzugefügt. Bei der Demonstrationsbeobachtung des Komitees für Grundrechte und Demokratie wurden am 1. Juni hinter dem Kessel nur wenige Platzverweise und zeitweilige Festnahmen beobachtet. Diese betrafen ausschließlich Menschen mit schwarzer Hautfarbe.