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Presse-un-frei­heit bei Nazire­cherche

Grundrechte-Report 2014, Seite 157

Der niedersächsische Verfassungsschutz geriet in die Schlagzeilen als heraus kam, dass Andrea Röpke, die mehrfach für ihre mutigen Recherchen über die rechtsextreme Szene ausgezeichnet wurde, beobachtet worden war. Neben ihr traf es auch Ronny Blaschke, der in der rechten Sportszene Informationen sammelt und als anerkannter Hooligan-Experte gilt. Beide wurden über Jahre vom Verfassungsschutz beobachtet.

Man könnte den Eindruck bekommen, die Hauptaufgabe des Verfassungsschutzes liege darin, Journalisten und Mitglieder von Recherchegruppen, die Informationen über Neonazis sammeln und veröffentlichen, zu überwachen, anstatt selber nationalistische, antisemitische und rassistische Bestrebungen, die die Verfassung gefährden, aufzudecken. Durch Stichproben der Datenbestände des niedersächsischen Verfassungsschutzes wurde festgestellt, dass insgesamt sieben Menschen mit journalistischem Hintergrund vom niedersächsischen Nachrichtendienst ausspioniert wurden.

Angeblich handelte es sich bei Ronny Blaschke um eine Verwechslung, die für ihn jedoch existenzgefährdende Auswirkungen hatte. Seine Informanten und andere unbeteiligte Dritte müssen fürchten, dass damit ebenfalls ihre Daten gesammelt wurden und Informationen nicht mehr anonym weitergegeben werden können. Dies schränkt die Freiheit der journalistischen Arbeit massiv ein und ist methodische Einschüchterung.

Andrea Röpke wurde aufmerksam, nachdem sie nicht mehr als Referentin in Niedersachsen gebucht wurde. Es wurde kolportiert, sie sei Linksextremistin und aus Sicherheitskreisen wurde vor ihr gewarnt.

Auf Nachforschung beim Verfassungsschutz erfuhr Röpke, dass ihre Daten unmittelbar nach Bekanntwerden der Überwachung gelöscht wurden. Damit hat der Verfassungsschutz Beweismaterial vernichtet, mit dem hätte nachgewiesen werden können, wer welche Daten unrechtmäßig gesammelt hat. Die Journalistin Röpke erstattete Strafanzeige wegen des Verdachts auf Urkundenunterdrückung bei der Staatsanwaltschaft.

Die Aufdeckungen in Niedersachsen lassen vermuten, dass auch in anderen Bundesländern diejenigen vom Verfassungsschutz ausgespäht werden, die in der rechtsextremen Szene recherchieren und Informationen über Neonazis aufdecken. Ein Zwischenfall in Schleswig-Holstein lässt solche Vermutungen zu.

Einschüch­te­rung per GPS

So überraschte die Antifa-Aktivistin Marita Krebs (Name geändert) in der Tiefgarage ihres Arbeitsplatzes zwei Männer, von denen der eine neben ihrem Auto kniete. Auf Nachfrage interessierten sich diese für den Kauf des Fahrzeugmodells. Erst später entdeckte Krebs einen GPS-Tracker, der hinter der Radkappe ihres Autoreifens befestigt war.

Bei mindestens einem weiteren Mitglied ihrer Gruppe „Antifa-Recherche“ Schleswig-Holstein wurden Spuren am Auto entdeckt, die auf eine Überwachung durch einen Peilsender schließen lassen.

Mithilfe eines solchen Peilsenders kann per GPS (Global Positioning System) ermittelt werden, wann welche Wegstrecken zurückgelegt und welche Zielorte angefahren wurden. Sogenannte Bewegungsprofile können erstellt werden. Zusätzlich ist es möglich, solche Geräte um eine Abhöreinrichtung zu erweitern, um Gespräche innerhalb des Fahrzeugs mitzuschneiden. In der Regel ist der Einsatz solcher Technik nicht das erste Mittel von Überwachung. Es ist davon auszugehen, dass vorher andere Maßnahmen wie Online- und Telefonüberwachungen erfolgt sind.

Auf einer speziellen Web-Seite, die Fotos geheimer Ermittler veröffentlicht, erkannte Krebs einen der Männer aus der Tiefgarage wieder. Die von ihr eingeschalteten Anwälte schickten ein Schreiben mit Bild an das Bundesamt für Verfassungsschutz und mehrere Sicherheitsbehörden in Schleswig-Holstein. Zudem beantragten sie Akteneinsicht.

Von der Lübecker Kripo, der Staatsschutzabteilung K5, sowie der Staatsanwaltschaft Lübeck kam keine Antwort. Dem Landeskriminalamt wurde ein Foto zugesandt, das den verdächtigen Ermittler in Uniform zeigt. Dennoch teilte das LKA den Anwälten mit, dass keine Dienststelle und keine Mitarbeiter der Landespolizei Schleswig-Holstein gegen die Mandantin Krebs ermittelt hätten. Daher könne der auf dem Foto abgebildete Polizist auch nicht die Person sein, die Krebs in der Tiefgarage erkannt haben will.

Bestätigen konnte das LKA hingegen, dass gegen Krebs kein Strafverfahren anhängig sei. Das Bundesamt für Verfassungsschutz teilte mit, dass ein Akteneinsichtsrecht nach §15 des Bundesverfassungsschutzgesetzes nicht vorgesehen sei.

Was nicht sein darf, ist gelöscht

Das angefragte Landesamt des Datenschutzbeauftragten (ULD), das mit einer Referatsleiterin und einem Sachbearbeiter die kontrollierende Behörde für 100 Verfassungsschützer in Schleswig-Holstein ist, konnte nur mitteilen, dass allgemeine Informationen zu Frau Krebs gelöscht seien. Fragen ob Maßnahmen wie das Anbringen eines Peilsenders vom LKA oder dem Verfassungsschutz eingeleitet wurden, kann und darf das ULD nicht beantworten.

Nicht nur die Unkontrollierbarkeit des Verfassungsschutzes wird wieder einmal deutlich, auch liegt der Verdacht nahe, dass, wie im Fall Marita Krebs, die Antifa-Szene durchleuchtet und einzelne Personen eingeschüchtert werden sollen. Journalisten wie Andrea Röpke oder Ronny Blaschke werden allein aufgrund ihres Interesses, in der rechtsextremen Szene zu recherchieren, unter den Verdacht gestellt, dem Linksextremismus anzugehören. Dabei dient die Kategorie Extremismus dem Verfassungsschutz als Einfallstor für die Rechtfertigung jeglicher Überwachung. „Extremismus“ ist dagegen laut Bundesverfassungsgericht kein rechtlicher Begriff (HU u.a. 2013).

Aus dem Verfas­sungs­schutz­be­richt Schles­wig-Hol­steins

 „Bei der Identifizierung potenzieller Angriffsziele kommt der sogenannten Recherchearbeit im gewaltbereiten Linksextremismus ein hoher Stellenwert zu: Linksextremisten sammeln detaillierte Informationen über rechtsextremistische Funktionäre, Trefflokale, Schulungseinrichtungen, „Naziläden“ sowie andere logistische Einrichtungen und veröffentlichen das Ergebnis meist im Internet und in Szenepublikationen.“

Dies erschwere „die polizeiliche Aufklärungsarbeit bei einschlägigen Straftaten“, heißt es im Verfassungsschutzbericht von 2012.

Statistiken zeigen, in welch hohem Maße rechtsextremistische und fremdenfeindliche Straftaten stattfinden, die aber vom Staatsschutz gerne bagatellisiert werden. In den Jahren 2009 und 2010 war Schleswig-Holstein unter den alten Bundesländern dasjenige mit den meisten rechtsextremen Gewalttaten. 4460 Verfahren mit rechtsextremen Hintergrund wurden seit 2005 eingestellt und nur 317 Angeklagte verurteilt (davon 52 zu Freiheitsstrafen, diese in 47 Fällen auf Bewährung).

Deutlich wird auch, dass Berichte mit Hinweisen auf die Aktivitäten von Nazis eher von Journalisten und Aktivistinnen stammen. Aufgrund dieser Informationen organisieren zivilgesellschaftliche Gruppen ihren Protest gegen Nazis. Das Frühwarnsystem, das u.a. der Verfassungsschutzbericht darstellen soll, ist entbehrlich und behindernd. Es kann, so ein Vorschlag der Linken, durch eine unabhängige Informations- und Dokumentationsstelle ersetzt werden.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Möglichkeiten einer Kontrolle und die Rechtsschutzmöglichkeiten gen null tendieren, denn „eine geheim arbeitende Behörde wie der ,Verfassungsschutz‘ kann weder parlamentarisch noch durch Gerichte oder Datenschutzbeauftragte kontrolliert werden“ (HU u.a. 2013).

Literatur

Humanistische Union, Internationale Liga für Menschenrechte und Bundesarbeitskreis Kritischer Juragruppen (Hrsg.), Brauchen wir den Verfassungsschutz? Nein! Memorandum, Berlin 2013

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