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Und nochmals: Streikrecht für Beamte

Grundrechte-Report 2014, Seite 100

„Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden“ (Artikel 9 Absatz 3 GG) umfasst nach allgemeiner Auffassung auch das Streikrecht – und genauso sieht es der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der aus dem in Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) gewährleisteten Recht aller Menschen, „sich frei mit anderen zusammenzuschließen, einschließlich des Rechts, zum Schutze ihrer Interessen Gewerkschaften zu bilden“ auch die Gewährleistung des Streikrechts ableitet.
Den deutschen Beamten jedoch wird in langer Tradition dieses Recht verwehrt, denn in Artikel 33 Absatz 5 des Grundgesetzes heißt es: „Das Recht des Öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.“

Es erben sich Gesetz und Rechte
wie eine ewge Krankheit fort.
Sie schleppen von Geschlecht sich zu Geschlechte
und rücken sacht von Ort zu Ort.
Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage:
Weh Dir, dass Du ein Enkel bist.
Vom Rechte, das mit uns geboren ist,
von dem ist, leider! nie die Frage.
 (Goethe, Faust I)

In seinem Urteil vom 7. März 2012 (Az. 3 d A 317/11.0) spürt das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen den historischen Wurzeln dieser hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums nach. Diese hergebrachten Grundsätze sieht es bereits verankert im preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 und in der Bayerischen Verfassung vom 26. Mai 1818. Offensichtlich erstmals schriftlich festgehalten ist das Verbot des Beamtenstreiks in den Akten der Reichskanzlei über die Kabinettssitzung der Reichsregierung vom 11. April 1919, wo Reichsminister Gothein ausführt, dass „seines Erachtens die Koalitionsfreiheit nicht notwendig das Streikrecht in sich schließe. Die Beamten seien lebenslänglich angestellt und könnten daher kein Streikrecht haben, ebenso wenig wie ihnen gegenüber ein Aussperrungsrecht bestehe.“ Reichsminister Schiffer stimmte zu. In dieser Tradition hat sodann der Reichspräsident anlässlich eines drohenden Eisenbahnerstreiks mit einer auf Artikel 48 Absatz 2 Weimarer Reichsverfassung gestützten Notverordnung vom 1. Februar 1922 in § 1 verfügt: „Den Beamten der Reichsbahn ist ebenso wie allen übrigen Beamten nach dem geltenden Beamtenrechte die Einstellung oder Verweigerung der ihnen obliegenden Arbeit verboten.“ Auch wenn diese Verordnung schon wenige Tage später wieder aufgehoben wurde, war das Streikverbot für Beamte seither doch ehernes Gesetz (ebenso – wenn auch erst seit einigen Jahrzehnten – wie das angebliche Streikverbot im kirchlichen Arbeitsrecht).

Erste Auflö­sungs­er­schei­nungen des Streik­ver­bots

2010 und 2011 endlich begann das Streikverbot im kirchlichen Dienst und für Beamte endlich zu wanken. Im Grundrechte-Report 2012 berichtete Till Müller-Heidelberg im Artikel „Streik in der Kirche?“ über die Zweifel mehrerer Landesarbeitsgerichte am uneingeschränkten Streikverbot im kirchlichen Arbeitsrecht (inzwischen bestätigt vom Bundesarbeitsgericht) und Heiner Fechner „Das Streikrecht der Beamten ist Menschenrecht … und Grundrecht“ konnte über die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte in Düsseldorf, Osnabrück und Kassel berichten, die die Streikbeteiligung von beamteten Lehrern gebilligt hatten. Möglich wurde dies, weil der EGMR in zwei türkischen Fällen das absolute Streikverbot für Beamte für unvereinbar erklärt hatte mit dem grundsätzlichen Streikrecht nach der EMRK, und das Bundesverfassungsgericht hat in inzwischen ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die Auslegung der Menschenrechte in der EMRK durch den EGMR auch von deutschen Gerichten bei der Auslegung deutscher Grundrechte zu berücksichtigen ist.

Echter­nacher Spring­pro­zes­sion

Das konnte sich die festgefügte Bastion der hergebrachten Grundsätze des Beamtenrechts natürlich nicht bieten lassen. Die vorgeordneten Oberverwaltungsgerichte Lüneburg (Az. 20 BD 7/11 vom 12. Juni 2012) und Nordrhein-Westfalen (Az. 3 d A 317/11.0 vom 7. März 2012) erklärten einmütig, dass es so ja nicht geht. Die EMRK, die durch Ratifizierung des Bundestages zu innerdeutschem Recht geworden ist, genießt wie das Ratifizierungsgesetz nur den Rang eines einfachen Gesetzes. Also könne sie auch nicht gegen die verfassungsrechtlich in Artikel 33 Absatz 5 GG geschützten hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums, die nun einmal den Streik von Beamten verbieten, ins Feld geführt werden, gleichgültig was der EGMR in Straßburg dazu meine. Und während die Verwaltungsgerichte sich durchaus dessen bewusst waren, dass sie über eine hoch streitige juristische Frage zu entscheiden hatten, und deshalb ausdrücklich die Berufung zugelassen hatten, gab es bei den Obergerichten keinerlei Zweifel an ihrer besseren Rechtserkenntnis. Was kümmerte sie die Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und EGMR – Fragen von grundsätzlicher Bedeutung vermochten sie nicht zu erkennen und ließen die Revision ausdrücklich nicht zu.

Streikrecht nun doch auch für Beamte?

Die obersten für das Beamtenrecht zuständigen Richter haben sich da nun offener gezeigt. Eine streikende Lehrerin aus Nordrhein-Westfalen hatte nämlich Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesverwaltungsgericht eingelegt, und der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts sieht durchaus Klärungsbedarf. Durch die Beteiligung der Lehrerin waren 11 Unterrichtsstunden ausgefallen, die sie allerdings durch 17 Stunden Vertretungsunterricht ohne Mehrarbeitsvergütung ausgeglichen hatte. Das nützte nichts. Nach dem OVG hatte sie gegen ihre beamtenrechtlichen Pflichten verstoßen „ sich mit voller Hingabe dem Beruf zu widmen, ihre körperliche und geistige Leistungsfähigkeit voll einzubringen und ihre Dienstaufgaben engagiert zu erfüllen.“ Auch Ihre Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten sowie ihre Gehorsamspflicht hatte sie verletzt und deshalb wurde die Disziplinarbuße von Euro 1.500 bestätigt.

Mit Beschluß vom 2. Januar 2013 (Az. 2 B 46/12) hat nun das Bundesverwaltungsgericht die Revision zugelassen, „weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. In dem Revisionsverfahren kann geklärt werden, ob der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Streikrecht für Angehörige des Öffentlichen Dienstes Bedeutung für die Geltung des verfassungsrechtlichen Streikverbots für Beamte oder für die disziplinarrechtliche Sanktionierung von Verstößen gegen das Streikverbot zukommt.“

Nach unter Juristen weit verbreiteter Auffassung werden Nichtzulassungsbeschwerden bei den obersten deutschen Bundesgerichten nicht nach strikter Maßgabe der Verfahrensgesetze entschieden, sondern die Revision wird zugelassen, wenn die obersten Bundesgerichte entscheiden wollen, und sie wird nicht zugelassen, wenn die obersten Bundesgerichte dies nicht wollen. Ob man hieraus auf den Ausgang der nun zugelassenen Revision spekulieren darf?

Die intellektuelle Redlichkeit gebietet es allerdings, darauf hinzuweisen, dass es auch vertretbare juristische Argumente dafür gibt, das Streikverbot für deutsche Beamte mit der Rechtsprechung des EGMR für vereinbar zu halten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der (im Gegensatz zum Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in Luxemburg) nur die beiden Amtssprachen Englisch und Französisch kennt, spricht in seinen beiden Urteilen zu den türkischen Streikverboten von fonctionnaires, was gemeinhin mit Beamten übersetzt wird. Und er hat ausgesprochen, dass nicht jeder Streik von fonctionnaires verboten werden darf, sondern allenfalls für bestimmte Berufsgruppen von fonctionnaires. Der fonctionnaire ist aber nicht zwingend der Beamte, sondern in genauer juristischer Sprache umfasst er den gesamten Öffentlichen Dienst, also auch die Angestellten. Und für Angestellte im Öffentlichen Dienst ist auch in Deutschland das Streikrecht gewährleistet. Ein striktes Streikverbot für den gesamten Öffentlichen Dienst haben wir also auch in Deutschland nicht – möglicherweise vereinbar mit der Rechtsprechung des EGMR.

Fortent­wick­lung des Beamten­rechts

Die Oberverwaltungsgerichte haben sich nur auf die „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums“ berufen. Nach Artikel 33 Absatz 5 GG gelten diese aber nicht etwa unmittelbar, sondern das Recht des Öffentlichen Dienstes ist lediglich „unter ihrer Berücksichtigung“ zu regeln, und außerdem ist es „fortzuentwickeln“. Bedenkt man, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Rechtsprechung des EGMR bei der Auslegung des Grundgesetzes soweit wie möglich zu beachten ist, dann wäre dieses ohne Schwierigkeiten möglich, wenn man daran denkt, dass nach unserer Verfassung das Beamtenrecht eben „fortzuentwickeln“ ist – man muß nur völkerrechtsfreundlich entscheiden wollen. Warten wir ab, ob beim Bundesverwaltungsgericht das Zitat von Galileo Galilei gilt: „Und sie bewegt sich doch!“.

Die Gewerkschaften lassen sich von den Entscheidungen der beiden Oberverwaltungsgerichte nicht beeindrucken und führen, gestützt auf den EGMR, weiter Beamtenstreiks durch. So ist etwa in Rheinland-Pfalz die Beamtenbesoldung unabhängig von der Tarifentwicklung im übrigen öffentlichen Dienst gesetzlich festgeschrieben, dass die Beamtengehälter jährlich um 1 Prozent steigen. Dies halten die Gewerkschaften für ein Besoldungsdiktat. Im Frühjahr 2013 haben sie daher auch ihre beamteten Mitglieder zum Streik aufgerufen, mit großem Erfolg. Die Landesregierung läßt sich dies natürlich nicht bieten, sondern hat bereits im Vorhinein schriftlich über die jeweiligen Vorgesetzten die Beamten dringend davor gewarnt, am Streik teilzunehmen. Und soweit diese dies dennoch getan haben, hat die Landesregierung unverzüglich Disziplinarverfahren eingeleitet, allein im Bereich der GEW ca. 350.

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