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Verfas­sungs­schutz - reformieren oder abschaffen?

Grundrechte-Report 2014, Seite 148

Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit ist ein Totalversagen des Verfassungsschutzes offenkundig geworden. Nach seinem unverzeihlichen Blackout bei der Verfolgung der neonazistischen „NSU“-Terrorzelle (vgl. Heiner Busch im Grundrechte-Report 2013, S. 16 ff.) hat er nun auch seine zweite gesetzliche Aufgabe, nämlich die Spionageabwehr, gröblich missachtet: Statt gegen die Überwachung der Telekommunikation von Millionen Bürgerinnen und Bürger durch die NSA vor allem in Deutschland vorzugehen, haben sich die Geheimdienste der Bundesrepublik in willfähriger Kumpanei mit diesem „befreundeten“ Dienst der USA geübt. Schutz unserer Verfassung und der darin garantierten Freiheitsrechte durch die „Ämter für Verfassungsschutz“? – Komplette Fehlanzeige!

Polizei und Verfas­sungs­schutz

Gleichwohl meinen einige – und zwar nicht nur aus dem Lager der Regierungsparteien – die Forderung nach Abschaffung des Verfassungsschutzes sei verfehlt. So sieht z. B. Klaus Hahnzog im Grundrechte-Report 2013 bei der Abschaffung der Verfassungsschutzämter die „dringende Gefahr, dass der Polizei Aufgaben und Befugnisse im Vorfeld übertragen werden.“ (vgl. GRR 2013, S. 177 ff.). Dabei hat der Autor offenbar übersehen, dass der Polizei schon längst solche „Vorfeldbefugnisse“ und nahezu das ganze Arsenal der Methoden zur „verdeckten“ Überwachung und Ausforschung eingeräumt wurden. Dies zeigt nicht nur der Blick in die Polizeigesetze der Länder, sondern auch in das Gesetz über das Bundeskriminalamt, dem 2008 u. a. die Befugnis zur „Online-Durchsuchung“ zugebilligt wurde. Dies ist aus bürgerrechtlicher Sicht immer wieder auf berechtigte Kritik gestoßen (vgl. z. B. Fredrik Roggan im Grundrechte-Report 2009, S. 176 ff.) und selbst in der polizei- und strafprozessrechtlichen Fachliteratur wird diese „Vergeheimdienstlichung“ der Polizei in Deutschland mit Skepsis betrachtet.

Es mag Fälle geben, in denen auf den Einsatz verdeckter Ermittlungsmethoden durch die Polizei nicht verzichtet werden kann, so z. B. beim Aufspüren von Terroristen. Dies gehört allerdings seit jeher zum Aufgabenspektrum der Polizei, sei es im Rahmen der Gefahrenabwehr oder bei der Aufklärung von Straftaten. Terroristisches Handeln wie z. B. die systematische Ermordung von Immigranten aus rassistischen Beweggründen ist schließlich eine Form schwerster Kriminalität. Zur Gefahr für unsere Verfassungsordnung wächst diese sich erst dann aus, wenn sie geduldet und vertuscht wird oder die Ermittlungsmaßnahmen der Polizei gegen die Täter massiv behindert werden. Genau Letzteres ist aber durch das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz geschehen, wie das sog. „Schäfer-Gutachten“ dreier unabhängiger Juristen unzweideutig festgestellt hat.

Schon nach geltendem Recht ist die Polizei auch zur Abwehr konkreter Bestrebungen zur Abschaffung der demokratischen Verfassungsordnung zuständig, weil das Grundgesetz Bestandteil der „öffentlichen Sicherheit“ ist, deren Schutz der Polizei schon nach der in allen Polizeigesetzen enthaltenen Generalklausel obliegt. Um solche Bestrebungen zu erkennen, bedarf es keineswegs des Einsatzes von V-Leuten, die häufig die Gefahren erst schaffen, die sie aufklären sollen, und dabei noch vom Staat alimentiert werden.

Und was die Spionage anbetrifft: Beim „Ausspähen von Daten“, beim „Abfangen von Daten“ sowie bei „geheimdienstlicher Agententätigkeit“, wie sie die amerikanische NSA u. a. gegen die Bundesrepublik Deutschland betreibt, handelt es sich um Straftaten, für deren Aufklärung ebenfalls Polizei und Staatsanwaltschaften zuständig sind. Besonderer Verfassungsschutzämter bedarf es dafür nicht. Deren Abschaffung würde also keineswegs mit einer Ausweitung polizeilicher Aufgaben und Befugnisse einhergehen müssen.

Im Übrigen sei daran erinnert, dass Gefahren für eine demokratische Verfassung keineswegs nur „von unten“ ausgehen können, sondern gerade auch „von oben“, d. h. durch die Inhaber staatlicher oder gesellschaftlicher Macht. Nicht zufällig, sondern als Reaktion auf die Nazityrannei hat das Grundgesetz die Grundrechte an seinen Anfang gestellt und damit explizite Schranken für Eingriffe der Staatsgewalt in die Freiheit der Bürger und Bürgerinnen errichtet. „Schutz der Verfassung“ bedeutet demnach vor allem, über die Einhaltung dieser verfassungsmäßigen Freiheitsgewährleistungen durch die staatliche Exekutive zu wachen – dafür engagiert sich nicht zuletzt der Grundrechte-Report seit vielen Jahren. Wie aber soll ein Teil dieser weisungsabhängigen Exekutive selbst, nämlich die „Ämter“, diese Aufgabe wirksam erfüllen können? In den offiziellen „Verfassungsschutzberichten“ findet sich denn auch kein Sterbenswörtchen zu Grundrechtsverletzungen durch staatliche Stellen in Deutschland – ein weiterer Beleg für die Nutzlosigkeit der „Ämter“ für die mit ihrem Namen verbundene Aufgabe.

Fragwürdige „Reform“

Die nach dem Skandal um den „NSU“ vollmundig angekündigte Reform des Verfassungsschutzes hat im Ergebnis nicht dessen rechtsstaatliche Einhegung, sondern eine Stärkung bewirkt (vgl. Sönke Hilbrans im Grundrechte-Report 2013, S. 44 ff.). Die neue „Sicherheitsarchitektur“ beinhaltet u. a. eine Zentralisierung insbesondere bei der Datenverarbeitung und -auswertung. Am 15. November 2012 wurde durch den Bundesinnenminister das „Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum“ (GETZ) eröffnet, das eine „Informations- und Kommunikationsplattform“ für Polizeien und Verfassungsschutz darstellen soll. Der vollständige Name dieser Einrichtung lässt erkennen, was dabei alles in denselben sicherheitsbehördlichen Topf geworfen wird: „Gemeinsames Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum zur Bekämpfung des Rechtsextremismus/-terrorismus, des Linksextremismus/-terrorismus, des Ausländerextremismus/-terrorismus und der Spionage/Proliferation“. Das von dieser Stelle erfasste Spektrum reicht danach von Sprengstoffanschlägen durch „Islamisten“ über rassistisch motivierte Morde, Spionageaktivitäten bis zu Blockadeaktionen gegen neonazistische Aufmärsche und die politische Tätigkeit von Abgeordneten der Linken – ausgenommen ist lediglich die „normale“ Kriminalität. Die Verkoppelung der Begriffe „Extremismus“ und „Terrorismus“ suggeriert dabei, dass sich die ins Visier genommenen Aktivitäten zwar graduell, nicht aber in ihrem Wesen als „Bedrohung für die innere Sicherheit“ unterscheiden – politische Opposition wird absichtsvoll mit schweren Verbrechen über einen Kamm geschoren. Dass bei dieser Form des zwischenbehördlichen Datenaustausches das Trennungsgebot für Polizei und Verfassungsschutz zur bloßen Fassade verkommt, liegt auf der Hand.

Eine Reform, die den Schutz der Verfassung konsequent ernst nimmt, würde zu einem ganz anderen Resultat gelangen, nämlich die Abschaffung der Verfassungsschutzämter. Eine „Sicherheitslücke“ würde dadurch nicht entstehen, vielmehr würden unsere Freiheitsrechte ein Stück weit mehr vor ihrer Missachtung durch uferlose Ausforschung und Bespitzelung bewahrt werden.

Literatur

Gössner, Rolf, „Verfassungsschutz“ im Aufwind? In: Ramelow, Bodo (Hrsg.), Schreddern, Spitzeln, Staatsversagen, Hamburg 2013, S. 155 ff.

Humanistische Union (Hrsg.), Memorandum Brauchen wir den Verfassungsschutz? Nein!, Berlin 2013

Kutscha, Martin, Die Antinomie des Verfassungsschutzes, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 6/2013, S. 324 ff.

Petermann, Jens, Geheimdienste abschaffen, in: Ramelow a. a. O., S. 149 ff.

Schäfer, Gerhard/Wache, Volkhard/Meiborg, Gerhard, Gutachten zum Verhalten der Thüringer Behörden und Staatsanwaltschaften bei der Verfolgung des „Zwickauer Trios“, Erfurt 2012

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