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Anträge an die Delegier­ten­kon­fe­renz 1999. Teil II

Mitteilungen09/1999Seite 78-82

Mitteilung Nr. 167, S. 78-82

2. Thematische Anträge zur HU-Arbeit

Antrag Nr 14: Eine neue Bewegung braucht das Land
(Irene Sturm und Sophie Rieger, Regionalverband Nordbayern)
Die Humanistische Union führt mit anderen Organisationen aus der außerparlamentarischen Opposition eine Veranstaltung durch, in der die Problematik erörtert wird, daß die bisherigen Ansprechpartner im Parteienspektrum durch die Regierungsbildung weitestgehend ausfallen.
Begründung:
In der Opposition haben SPD und Bündnis90/DIE GRÜNEN einen großen Anteil der Anliegen der außerparlamentarischen Opposition thematisiert und in den Parlamenten vertreten. Ein Stück weit haben diese Parteien auch die Kräfte der außerparlamentarischen Opposition an sich gebunden. Wie sich herausstellt war die Verwurzelung aber nur oberflächlich. Trotzdem hat dies zu einer Schwächung der Bewegung geführt, wie sich gerade, aber nicht nur am Beispiel der
Friedensbewegung darstellen läßt.
Um jedoch den Bürgerrechten, Umweltanliegen, Sozialen
Belangen und auch der Friedenslage wieder mehr Gewicht zu geben, müssen neue Wege beschritten werden.

Antrag Nr. 15: Neue demokratische Beteiligungsformen im kommunalen Raum
(Paul Ciupke und Norbert Reichling, Ortsverband Essen/ Bildungswerk der Humanistichen Union Nordrhein-Westfalen)
Die Humanistische Union setzt sich verstärkt für neue Beteiligungsformen auf kommunaler Ebene ein – wie
z.B. Perspektivenwerkstätten, runde Tische, Konfliktmoderation und Mediation, Planungszellen und Bürgergutachten.
Dies kann in Form einer Fachtagung, eines bundesweiten Arbeitskreises, eines Memorandums und landespolitischer Vorstöße geschehen.
Begründung:
Aktive Mitwirkungen der Bürgerinnen und Bürger an der Politik ist in der Demokratie ein grundsätzlicher Wert. Bisher galten für die Aktivierung der Bürger die verfassungsmäßigen Institutionen – im wesentlichen das Parlament und das Wahlrecht – als der richtige Ort. Seit längeren setzt sich die Humanistische Union für Volksentscheide auf verschiedenen Ebenen ein – daneben sind aber weitere Formen bürgerschaftlicher Teilhabe erforderlich, um im Vorfeld politischer Entscheidungen den Sachverstand der Betroffenen, von Initiativen und Einzelnen einzubringen.
Für eine aktive Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an Planungs- und Entwicklungsprozessen, besonders im kommunalen und eingeschränkt im regionalen Raum, sind inzwischen einige neue Instrumente der Kompromißfindung und öffentlichen Argumentation entwickelt und erprobt worden, so zum Beispiel :
– die Perspektivenwerkstatt
– der runde Tisch
– die Konfliktmoderation
– die Mediation
– die Planungszelle
– das Bürgergutachten
– die Zukunftskonferenz und die Zukunftswerkstatt.
Der Einsatz solcher neuer Beteiligungsformen ist bisher freiwillig und von zufälli-gen Umständen und politischen Kräfteverhältnissen abhängig. Wir schlagen vor, die rechtliche Absicherung und förmliche Institutionalisierung solcher Beteiligungsformen und Verfahren voranzutreiben. Dazu gehört auch, solche Hilfsmittel wie das Akteneinsichtsrecht endlich zu verwirklichen und zu prüfen, ob die bisherigen Möglichkeiten von Verbandsklagen und Bürgerbegehren ausreichen.

Antrag Nr. 16: Europa
(Nils Leopold und Björn Scheer, LV Berlin)
Die Delegiertenkonferenz möge beschließen:
Der Bundesvorstand ist durch die Delegiertenkonferenz verpflichtet:
1) eine Konferenz mit dem Titel „EuropaGerecht“ vorzubereiten und durchzuführen. Zu der Konferenz werden nach Möglichkeit alle in Deutschland aktiven Bürgerrechtsorganisationen und interessierte Privatpersonen eingeladen.
Thematische Schwerpunkte sind:
a) die gemeinsame Findung der und die Diskussion über die Einflüsse der Europäischen Union auf die Themen der Bürgerrechtsarbeit und die Grundrechte in Deutschland.
b) die gemeinsame Diskussion über eine Europäische Verfassung.
Die Konferenz findet bis zum 30.06.2000 statt.
2) zu den Treffen der europäischen Bürgerrechtsorganisations-Dachorganisation Inter Citizens‘ Conference (ICC) mindestens eine/n Vertreter/in zu entsenden. Soweit die Reise- und Unterkunftskosten der Vertreterin / des Vertreters nicht durch das ICC übernommen werden, übernimmt diese Kosten bei Bedarf die Humanistische Union.
Begründung:
Die Humanistische Union ist reich an Erfahrung und – wichtiger noch – reich an klugen Köpfen. Damit ist sie auch reich an
Möglichkeiten, sich wirkungsvoll für die Grundrechte stark zu machen.
Für den Wirkungsgrad ist es dabei jedoch entscheidend, sich zur rechten Zeit – oder besser: rechtzeitig – einzumischen. So ist es wohl kaum wirkungsvoll, Bedenken gegen eine Gesetzesvorlage vorzubringen, die als Ergebnis am Ende jahrelanger zäher Verhandlungen zwischen Regierung, Ministerien und den Ländern im Bundesrat steht. Der rechte Zeitpunkt sich einzumischen ist um Jahre verpasst.
Und auch der rechte Ort sich einzumischen ist entscheidend. Wenn demnächst das Bundesdatenschutzgesetz vom Bundestag eilig geändert wird, dann geschieht dies unter dem zeitlichen Druck der Europäischen Datenschutzrichtlinie, zu deren Umsetzung die Bundesregierung verpflichtet ist. Für die Grund- und Bürgerrechte in Deutschland wesentliche Veränderungen werden schon lange auf europäischer Ebene vorgeprägt.
Was in Europa bereits alltäglich ist muß auch der Humanistischen Union alltäglich werden, wenn sie sich weiterhin weiterhin für die Grundrechte wirkungsvoll und umfassend stark machen will.
Der Humanistischen Union mangelt es an Bewußtsein für Europa. Damit steht sie auch nicht allein.
Deshalb ist es notwendig, gemeinsam mit anderen deutschen Bürgerrechtsorganisationen die bestehenden und zukünftigen Einflüsse der Europäischen Union auf die Themen der Bürgerrechtsarbeit und die Grundrechte in Deutschland rechtzeitig ausfindig zu machen. Eine Konferenz, zu der qualifizierte Referenten geladen werden, ist hierfür ein geeigneter Anfang.
Auf europäischer Ebene müssen die Wirkungsmöglichkeiten durch den Austausch und die eventuelle Zusammenarbeit mit Bürgerrechtsorganisationen anderer Länder ausgebaut werden. Die Treffen der europäischen Bürgerrechtsorganisations-Dachorganisation Inter Citizens‘ Conference (ICC) scheinen dazu bisher am besten geeignet zu sein.

Antrag Nr. 17: Wahlen und Abstimmungen im Internet
(Jennifer Clayton-Chen, OV München)
Die Bundesdelegiertenkonferenz möge beschließen, dass sich die Humanistische Union mit dem Thema „Wahlen und Abstimmungen im Internet“ befaßt.
Begründung:
Bei den Sozialwahlen der Techniker Krankenkasse (TK) wurde parallel zur Briefwahl ein „Wahlspiel im Internet“ durchgeführt. Laut Mitteilung der TK in ihrem Hausblatt „TK aktuell 3/99“ handelte es sich dabei um ein Forschungsprojekt, das vom
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie unterstützt wurde, und von der Techniker Krankenkasse gemeinsam mit der Forschungsgruppe Internetwahlen der Universität
Osnabrück durchgeführt wurde. Ferner wurde festgestellt, daß in einem in der Zeitschrift „PZ“ (Hrsg.: Bundeszentrale für
Politische Bildung) vom Juni 99 veröffentlichten Artikel bereits über sog. E-Demokratie nachgedacht wird.
Die Humanistische Union sollte es sich zur Aufgabe machen, festzustellen, was der Zweck und das Ergebnis des o.g.
Forschungsprojektes war und ob es von offizieller Seite Überlegungen in der Richtung gibt, eines Tages die Stimmabgabe per Internet in allgemeinen Wahlen und Abstimmungen zuzulassen. Insbesondere sollte geprüft werden, in welchem Verhältnis die eventuellen Vorteile der Einräumung einer Wahlmöglichkeit über Internet zu den möglichen Nachteilen und Risiken stehen wie: Zuverlässige Feststellung der Wahlberechtigung des Wählers bei gleichzeitiger Wahrung der Anonymität; technische Zuverlässigkeit des Systems, Schutz vor Mißbrauch und Manipulation innerhalb des Systems und von außen (Hacker).
Da das Internet in unserer Gesellschaft immer mehr an Bedeutung erlangt und es um das Grundrecht der Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen geht, halte ich das Thema für brisant und für ein wichtiges HU-Thema.
Als Delegierte aus München würde ich mich auf Wunsch gerne bereit erklären, die Korrespondenz mit den entsprechenden Stellen zu führen.

Antrag Nr. 18: Kultursteuer
(Christian Brücker, OV Essen)
Seit geraumer Zeit greifen in der deutschen Politik Bestrebungen um sich, den Kirchen neue Geldquellen zu erschließen. Hierzu zählen nicht nur die jüngsten Versuche im Hinblick auf das „Besondere Kirchgeld“ oder die Überlegungen des Ministerpräsidenten Beck über eine Veränderung der Bemessungsgrundlage der Kirchensteuer, sondern auch Überlegungen über die Einführung einer „Kultursteuer“, d.h. einer allgemeinen Steuer, die nach Bestimmung des Steuerzahlers einer Kirche, einer gemeinnützigen Einrichtung oder dem Staat zur Finanzierung von Sozialleistungen zufließen soll.
Obwohl die Idee der Kultursteuer hauptsächlich von kirchennahen Kreisen und stets unter dem Rubrum „Kirchenfinanzierung“ diskutiert wird, als Mittel, die Finanzierung der Kirchen sicherzustellen, hat auch der Bundesvorstand der Humanistischen Union die Kultursteuer befürwortet.
Ein Antrag, entgegen dieser Entwicklung eine ablehnende Haltung der Humanistische Union zur Kultursteuer festzuhalten, wurde von der Deligiertenkonferenz 1997 aus Zeitgründen nicht behandelt und statt dessen an den Bundesvorstand verwiesen. Dieser hat seither seine befürwortende Haltung bekräftigt.
Die Delegiertenkonferenz möge nunmehr beschließen:
Die Humanistische Union hat in der Vergangenheit stets das Prinzip einer strikten Trennung von Kirche und Staat vertreten. Insbesondere ist sie nicht nur für eine Abschaffung sämtlicher Kirchenprivilegien eingetreten, sondern hat auch jeglichen Gedanken einer „partnerschaftlichen Beziehung“ zwischen Staat und Kirchen verworfen.
Zu den grundsätzlichen Forderungen der Humanistischen Union gehörte dabei die Abschaffung der Kirchensteuer ebenso wie die Aufhebung des Subsidiaritätsprinzips im Sozialbereich, entsprechend dem satzungsmäßigen Ziel der Humanistischen Union, die Unabhängigkeit des Sozialbereichs wie „aller Bereiche, in denen gesamtgesellschaftliche und sachliche Aufgaben zu lösen sind, gegenüber Machtansprüchen konfessioneller und weltanschaulicher Gruppen“ zu fördern.
Die Humanistische Union lehnt daher nicht nur eine Ausweitung der staatlichen Kirchenfinanzierung durch das „Besondere Kirchgeld“ ab, sondern verwahrt sich darüber hinaus dagegen, daß Repräsentanten des Staates Fragen der Kirchenfinanzierung zum Staatsinteresse erklären, wie z.B. die Ministerpräsidenten Beck und Koch. Dabei hat allerdings die Humanistische Union zu keiner Zeit einen Ersatz der Kirchensteuer durch eine andere Form staatlicher Finanzierung, sondern stets einen eigenständigen Einzug der Kirchenmitgliedsbeiträge durch die Kirchen selbst gefordert.
Eine Kultursteuer steht diesem Grundforderungen der Humanistischen Union diametral entgegen, da durch sie nicht nur das bisher – trotz93 des staatlichen Einzugs – nach wie vor gültige Prinzip der Finanzierung der Kirchen durch ihre Mitglieder aufgehoben und durch ein System der Finanzierung der Kirchen durch unmittelbaren – und unkontrollierten – Zugriff auf allgemeine Steuermittel ersetzt würde.
Selbst wenn jedoch die Kultursteuer als Abgabe für soziale Zwecke zusätzlich zu Mitgliedsbeiträgen zur Finanzierung der kirchlichen Eigentätigkeit erhoben würde, würde durch diese teilweise Abtretung der staatlichen Finanzhoheit die bisherige unvollständige Trennung von Staat und Kirchen vollständig aufgehoben, würden die Kirchen statt als Körperschaften des öffentlichen Rechts als Staat im Staate konstituiert.
Die Humanistische Union lehnt daher daher die Einführung einer Kultursteuer, unter welchen Bedingungen und Modalitäten auch immer, grundsätzlich ab.
Begründung:
Die Diskussion um die Sozialsteuer entstammt dem Umfeld der Kirchen, die Forderung nach der Ersetzung der Kirchensteuer durch eine Kultursteuer wird regelmäßig mit dem sinkenden Kirchensteueraufkommen begründet. Somit liegt offen zutage, daß die Kultursteuer als Mittel angesehen wird, die Steuereinnahmen der Kirche auf eine breitere Basis zu stellen.
Die Finanzlage der Kirchen ist jedoch kein Anliegen der Humanistischen Union!
Neben dem offen ausgesprochenen Gedanken, daß den Kirchen durch die Kultursteuer neben den Beiträgen ihrer Mitglieder zusätzlich weitere Geldmittel von Kirchenfreien zufließen würden, ist als weiterer Aspekt zu berücksichtigen, daß mit der Kultursteuer die Kirchenmitgliedschaft faktisch kostenlos würde, somit ein Anreiz zum Kirchenaustritt entfiele. Insbesondere wäre damit zu rechnen, daß die große Zahl der nominellen Kirchenmitglieder, die der Religion praktisch gleichgültig gegenüber stehen, es möglicherweise der Mühe und eventuell Kosten nicht wert erachten, diese für sie folgenlose Mitgliedschaft durch einen Gang zum Standesamt oder Amtsgericht zu beenden. Somit trüge die Kultursteuer zur Stabilisierung des Mitgliederbestands der Kirchen bei, der die Grundlage für jene kirchliche Machtpolitik darstellt, die auf die Erhaltung der Kirchenprivilegien gerichtet ist.
Eine Stärkung der Grundlage kirchlicher Machtpolitik kann aber nicht Anliegen der Humanistischen Union sein!
Unabhängig von diesen Fragestellungen wird die Forderung der Kultursteuer mit der Wahrnehmung allgemeingesellschaftlicher Aufgaben durch die Kirchen begründet, typischerweise mit dem Hinweis, daß aus Mitteln der Kirchensteuer Sozialdienste finanziert würden, für die andernfalls der Staat selbst aufkommen müsse.
Selbst wenn dies zutreffend wäre, müßte ich die Humanistische Union fragen, ob der Erhalt der kirchlichen Infrastruktur im Sozialbereich im bisherigen Umfang überhaupt wünschenswert ist, oder ob nicht ganz im Gegenteil ein Ausbau der staatlichen Infrastrukturen gerade zu fordern ist. Es ist festzuhalten, daß gegenwärtig, als Folge des Subsidiaritätsprinzips, in der Tat kirchliche Einrichtungen in weiten Teilen des Sozialbereichs eine praktisch monopolartige Stellung haben, die dazu führt, daß Kirchenfreie, die sozialer Betreuung bedürfen – oft sogar gegen ihren Willen – gezwungen werden, sich in die Obhut der Kirchen zu begeben. Im Interesse dieser Menschen ist seitens der Humanistischen Union daher sogar zu fordern, daß kirchliche Einrichtungen durch Einrichtungen anderer Träger ersetzt werden. Es ist daran zu erinnern, daß die Humanistische Union das Subsidiaritätsprinzip mit gutem Grund seit jeher ablehnt. An die Stelle dieses Prinzips, daß der Staat nur dort einspringt, wo weder die Kirchen noch ein sonstiger, in der Regel ebenfalls weltanschaulich gebundener, Träger entsprechende Einrichtungen vorhalten, ist das Prinzip zu setzen, daß der Staat die Grundversorgung mit weltanschaulich neutralen staatlichen Einrichtungen vorzuhalten hat, und den Kirchen und sonstigen Träger dieses System durch eigene Einrichtungen ergänzen können.
Was nun die behauptete Entlastung des Staatshaushaltes durch die kirchlichen Sozialdienste angeht, so wird die Kultursteuer nicht zuletzt damit begründet, daß die Kirchensteuerzahler wesentliche Beiträge zur sozialen Sicherung leisteten, die der Gesamtheit zugute kämen, von denen also auch die Nichtkirchensteuerzahler profitierten, die sich so mit ihren nicht gezahlten Kirchensteuern auf Kosten der Kirchenmitglieder bereicherten. Diese Argumentation allerdings führt in jene Diskussion, in der die Nichtkirchensteuerzahler in schamloser Weise als „Trittbrettfahrer“ verunglimpft werden, die „gerne“ die von den Kirchenmitgliedern finanzierten kirchlichen Einrichtungen nutzten, sich also auf Kosten der Kirchensteuerzahler sozial versorgen ließen. Durch eine Unterstützung der Kultursteuer leistete daher die Humanistische Union der Diffamierung Kirchenfreier als „Trittbrettfahrer“ Vorschub.
Zwar ist es selbstverständlich richtig, daß soziale Einrichtungen, die der Öffentlichkeit zugute kommen, auch von allen Steuerzahlern zu bezahlen sind. Doch ist hierbei zum einen vor der Aufstellung von Forderungen zunächst einmal zu prüfen, inwieweit überhaupt Kirchensteuermittel zur Finanzierung öffentlicher Sozialleistungen herangezogen werden. Es ist dann nämlich festzustellen, daß die hier zugrundeliegende Behauptung, durch die aus Kirchensteuermitteln finanzierten Sozialleistungen werde der Staatshaushalt wesentlich entlastet, unwahr ist! Die hier immer wieder angeführten kirchlichen Einrichtungen werden weit überwiegend, z.B. Krankenhäuser und Altenheime zu 100 Prozent (!!) aus öffentlichen Mitteln bzw. Leistungsentgelten finanziert. Speziell im Kindergartenbereich tätigen die Kirchen zwar tatsächlich größere Aufwendungen aus Kirchensteuermitteln, allerdings wird die Höhe der Ausgaben für öffentliche soziale Leistungen sogar von den Kirchen selbst mit maximal 10% des Kirchensteueraufkommens beziffert, ein Betrag, den allein der Einkommenssteuerausfall durch die unbeschränkte Abzugsfähigkeit der Kirchensteuer mehr als ausgleicht. Die Entlastung des Staatshaushalts durch Verwendung von Kirchensteuermitteln für öffentliche soziale Leistungen ist somit geringer als die Belastung durch die Absetzung der Kirchensteuer, das zentrale Argument für die Kultursteuer basiert damit auf falschen Voraussetzungen.
Zum anderen, und dies ist der wesentliche Punkt, sollte es selbstverständlich sein, daß die Träger von Sozialeinrichtungen über die Verwendung öffentlicher Mittel Rechenschaft ablegen. Die Aufwendungen privater Träger sind also mit dem Staat als alleinigen Verwalter öffentlicher Mittel abzurechnen und die nachgewiesenen Kosten aus Steuermitteln zu erstatten, die zuvor der Staat selbst vereinnahmt hat. Insbesondere haben sich die dem Träger zufließenden öffentlichen Mittel an den von diesem erbrachten sozialen Leistungen zu orientieren, und nicht etwa umgekehrt. Ferner müssen grundsätzlich für alle möglichen Träger die gleichen Bedingungen gelten.
Diesen Bedingungen jedoch wird eine Kultursteuer in vielfacher Hinsicht nicht gerecht: Zum einen werden bei der Kultursteuer nicht entstandene Aufwendungen ersetzt, sondern den Trägern bestimmte Summen zur Verfügung gestellt, die den einen zu mehr und den anderen zu weniger Engagement befähigen. Damit bestimmt die Höhe der Einnahmen das soziale Engagement. Dies wiederum hat zur Folge, daß etwa bevorzugte Empfänger aufgrund ihrer größeren Ressourcen leichter positiv wahrgenommen werden, somit bessere Chancen zur Vermehrung ihrer Einkünfte haben, so daß durch die Kultursteuer eine Konzentration im Bereich sozialer Dienste gefördert und schwachen oder gar neu entstandenen Trägern der Zugang erschwert wird, insgesamt also statt Chancengleichheit eine deutliche Besserstellung der Etablierten erreicht wird.
Zum anderen erschwert die Kultursteuer gegenüber einem Kostenerstattungssystem die staatliche Kontrolle über die Verwendung der Mittel. Sowenig etwa die Kirchen derzeit dem Staat Rechenschaft ablegen über die Verwendung der Kirchensteuer, sowenig ist damit zu rechnen, daß sie künftig über ihre Finanzen Rechenschaft geben werden. Hinzu kommt, daß die Kultursteuer die – bislang in Form der Kirchensteuer erhobenen – Mitgliedsbeiträge der Kirchenmitglieder nicht ergänzen, sondern ersetzen soll. Damit würde die bislang trotz des staatlichen Einzugs auch bei den Kirchen wie bei jedem anderen Verband praktizierte Finanzierung aus Mitgliedsbeiträgen ersetzt durch ein System der vollständigen Finanzierung der Kirchen aus öffentlichen Mitteln, ohne Eigenleistung der Kirchenmitglieder. D.h. die gesamte kirchliche Aktivität, die unbestritten überwiegend nicht in allgemeinen Sozialdiensten, sondern in Religionsausübung besteht, würde aus öffentlichen Mitteln finanziert. So sagt etwa auch Christa Nickels, daß die Kultursteuer unter anderem zur Finanzierung des „liturgischen Engagements“ dienen soll.
Hierzu ist festzuhalten: Spezifisch religiöse seelsorgerliche oder liturgische Tätigkeit ist keine Aufgabe von allgemeinem Interesse, sondern kirchliches Sonderinteresse, und als solches ausschließlich eigennützig. Die Förderung derartiger kirchlicher Sonderinteressen ist weder Aufgabe des Staates noch Anliegen der Humanistischen Union.
Selbst wenn also soziale Leistungen der Kirchen und anderer Träger mittels einer Kultursteuer finanziert würden, so wären die Erträge der Kultursteuer ausschließlich für öffentliche soziale Zwecke zu verwenden, die übrigen kirchlichen Aktivitäten dagegen, insbesondere der gesamte eigentlich religiös-geistliche Bereich, wäre nach wie vor aus zusätzlich zur Kultursteuer zu zahlenden Mitgliedsbeiträgen zu finanzieren.
Im Übrigen darf nicht übersehen werden, daß nichts den Staat hindern könnte, durch Kürzungen im allgemeinen Sozialhaushalt die Mehreinnahmen durch die Kultursteuer zugunsten des allgemeinen Haushalts verwenden, so daß die Einführung einer Sozialsteuer keineswegs dem Sozialsystem zugute kommen muß. In diesem Falle würde die Kultursteuer nichts anderes als eine Strafabgabe für Kirchenfreie sein und nicht mehr als eine Konsolidierung der Kirchen bewirken. Dies jedoch verdient keine Unterstützung der Humanistischen Union:

Antrag Nr. 19: Unterstützung der Bostoner Erklärung
(Johannes Glötzner, i.A. des AK Sexualstrafrecht)
Die Humanistische Union unterstützt den „Aufruf zum Schutz unserer Kinder und unserer Freiheiten“, die sogenannte Bostoner Erklärung.
(Anm. d. Red. Der Text der „Bostoner Erklärung“ lautet in deutscher Übersetzung wie folgt:)
Ein Aufruf zum Schutz unserer Kinder und unserer Freiheiten
Boston MA, USA, im Juni 1998
Als Menschen, denen es um das Wohlergehen der Kinder und um eine gerechte Gesellschaft geht, erheben wir unsere Stimme. Wir wenden uns gegen die besorgniserregende Zielrichtung der derzeitigen Kampagnen zum Schutze der Kinder vor unklar definierten sexuellen Gefahren, durch welche viele Verhaltensweisen kriminalisiert und Menschen zu Sündenböcken abgestempelt werden. Diese Kampagnen verkennen häufig die Tatsachen der Sexualität von Kindern und Jugendlichen und verwechseln manchmal Zuwendung mit Gewalt. Sie lenken von weit schwerwiegenderen Formen der Gewalt gegen Kinder und junge Leute ab und untergraben wesentliche Freiheiten von Allen. Die gegenwärtige Hysterie läßt jeden, der eine nachdenkliche Diskussion vorschlägt, Gefahr laufen, als Kindesmißbraucher abgestempelt zu werden. Im Bestreben, Kinder sowohl wirklich zu schützen als auch ihr Selbstbewußtsein zu stärken und gleichzeitig eine freie Gesellschaft zu verteidigen, bestehen wir auf einer vernünftigeren Herangehensweise, die auch durch Mitgefühl geprägt ist.
Meistens hat Kindesmißhandlung nichts mit Sex zu tun. Es ist wichtig, sich gegen den wirklichen sexuellen Mißbrauch auszusprechen, der allzu häufig innerhalb der Familien und deren Umfeld ignoriert wurde und verborgen blieb. Nicht sexuelle Gewalt und nicht sexuell motivierte Kindesmorde sind aber ebenso schwerwiegend wie sexuell motivierte Gewalttaten. Armut, Unterernährung, ethnische Diskriminierung, mangelhafte Erziehung und ungenügende Gesundheitsfürsorge sind alles Formen des Mißbrauchs, die Millionen junger Menschen in unserem reichen Land bedrohen. Trotzdem gibt es keine nationale Verpflichtung, diesen weit verbreiteten und tödlichen Schädigungen von Kindern Einhalt zu gebieten. Statt dessen wird unsere gesamte Aufmerksamkeit von jedem Fall gefangengenommen, in dem Sex eine Rolle spielt.
Die derzeitigen Kampagnen gegen Kindesmißbrauch machen geringe oder gar keine Unterschiede zwischen verschiedenartigsten Verhaltensweisen und Umständen. Dabei wird Sex stets mit Gewalt gleichgesetzt und Siebzehnjährige gelten als Kinder. Die brutale Vergewaltigung eines sechsjährigen Mädchens durch ihren Vater; die freiwillige sexuelle Beziehung zwischen einem vierzehnjährigen Jungen und einer dreißigjährigen Frau; eine Affäre zwischen einem achtzehnjährigen Jungen und einem sechzehnjährigen Mädchen: Dies sind ganz klar verschiedene Fälle. Nichtsdestoweniger werden sie alle vor dem Gesetz und von den Medien als Vergewaltigungen hingestellt. Wir glauben nicht daran, daß liebevolle und einvernehmliche Sexualität das gleiche ist wie Vergewaltigung. Sie gleichzusetzen heißt Vergewaltigung zu verharmlosen. Außerdem scheinen in Sexfällen mit Kindern harte Beweise unnötig zu sein: die Beschuldigung reicht aus. Eigentümlich erscheint es auch, daß wir von immer älteren Jugendlichen als Kinder sprechen, wenn es darum geht, sie vor sexuellem Mißbrauch zu schützen, wogegen wir immer jüngere Kinder als Erwachsene betrachten, wenn sie eines Verbrechens bezichtigt wurden.
Es ist falsch, irgendeine Menschengruppe zu dämonisieren und ihr die Menschlichkeit und Besserungsfähigkeit abzusprechen. Die heutigen Gesetze stempeln jeden, der die Schutzaltergrenzen nicht beachtet, zu einem „Kinderschänder“, selbst wenn weder Gewalt noch Zwang eine Rolle spielen und selbst dann, wenn die jüngere Person nur einen Monat oder bloß einen Tag von der Schutzaltergrenze entfernt ist. Zusätzlich führen die weitverbreitete Angst vor und der Haß gegen Homosexualität zu klischeehaften und häufig falschen Brandmarkungen schwuler Menschen als Kindesmißbraucher. Dämonisierung ist zerstörerisch, selbst dann, wenn sie sich auf wirkliche Gewalttäter bezieht. Die, die sexuelle Gewaltverbrechen begehen, kommen nicht aus einem Vakuum. Sie kommen aus unserer Mitte und unseren Familien. Die weitverbreitete Botschaft ist aber, daß die Hauptgefahr für die Kinder der Fremde ist, der auf sie lauert, der Pädophile, den wir entlarven und ausgrenzen können. In Wirklichkeit finden die meisten sexuellen Kontakte zwischen Erwachsenen und Minderjährigen im Kreise der Familie und Freunde statt. Gefährliche Täter als völlig „anders“ als uns selbst zu betrachten, verhindert, daß wir die wahren Wurzeln solcher Verbrechen erkennen. Eine andauernde Stigmatisierung macht nicht nur eine Reintegration derer, die sich rehabilitiert haben, in die Gesellschaft unmöglich, sie signalisiert auch einen Zusammenbruch der bürgerlichen Werte.
„Schützt unsere Kinder“ war einer der Schlachtrufe, der die Zwangsmaßnahmen des Staates ausweiten und Inhaftierungen erleichtern sollte. Die letzten beiden Jahrzehnte haben viele neue Formen staatlicher Repression im Namen des Kinderschutzes erlebt: Es gibt umfassende neue Zensurgesetze; Register zur lebenslangen Verfolgung und öffentlichen Anprangerung von Menschen; öffentliche Absichtserklärungen, diejenigen einzusperren, welche zwar nicht eines Verbrechens überführt aber als „gefährlich“ eingeschätzt werden; lebenslange Bewährungsauflagen für Sexualstraftäter in einigen Staaten und obligatorisches Lebenslänglich ohne die Möglichkeit zur Entlassung bei Wiederholungstaten; Ermächtigung der Polizei in manchen Rechtsprechungen zur Gesinnungsschnüffelei, um jene, die inhaftiert oder auf Hafturlaub oder in „Hausarrest“ sind, mit obligatorischen Lügendetektortests und Aversionstherapien zu überwachen; gesetzliche Verpflichtung zur Berichterstattung, die Ärzte und Therapeuten zu Agenten des Staates machen; Einschränkungen der Versammlungsfreiheit; Extra-Territorialität, die es erlaubt, Bürger für Taten außerhalb ihres Staates oder Landes zu verfolgen, selbst wenn ihre Taten unter der anderen Rechtsordnung legal sind. Diese Angriffe auf die bürgerlichen Freiheiten konnten passieren, weil so Wenige das Risiko eingehen wollten, als „milde gegen Kinderschänder“ angesehen zu werden. Unserer Meinung nach sind bürgerliche Freiheiten unteilbar. Wir meinen, daß längere Haftstrafen, härtere Vollzugsbedingungen oder die Rufe nach der Todesstrafe lediglich die Gewalt verlängern und eskalieren lassen. Repressive Staatsmethoden können nicht fein säuberlich nur die „schlechten“ Menschen treffen. Sie bedrohen uns alle.
Der Einfluß und die Unberechenbarkeit der Gesetze und der Einstellungen, welche durch diese Kampagnen hervorgebracht wurden, haben eine zerstörerische Barriere zwischen Erwachsenen und Kindern aufgebaut. Gegenwärtig haben fürsorgliche Eltern allen Grund zur Befürchtung, daß jede ihrer Zärtlichkeiten als Mißbrauch gebrandmarkt wird. Dies Furcht bewirkt, daß Erwachsene – seien es Eltern, Lehrer oder Fremde – häufig das, was alle Kinder mit am meisten benötigen, oft zurückhalten, nämlich eine liebevolle und respektierende Zuwendung.
Die wahre Herausforderung bestünde darin, Programme für Kinder und Jugendliche zu fördern und auszubauen, die engagierte, liebende, rücksichtsvolle und ganzheitliche Menschen hervorbringen. Dazu gehören Kinderhorte, Schüler-Nachmittagsbetreuung, sexualitätsbejahende Sexualerziehung und bessere Ausbildung und Bezahlung für die, die mit Kindern arbeiten. Das Ziel all dieser Programme sollte es sein, junge Leute zu befähigen, ihre eigenen Entscheidungen über ihr Leben selbständig treffen zu können. Kinder und Jugendliche sollten sich selbst nicht als mögliche Opfer sehen, sondern als Teil einer Gemeinschaft, die sie unterstützt und nährt, sie ermutigt, für sich selbst zu sprechen und aus eigenem Antrieb verantwortlich zu handeln. Wir wollen, daß Kinder das Leben lieben und nicht, daß sie es fürchten. Wenn das wahr werden soll, muß es Erwachsene geben, die mutig genug sind, einen ehrlichen und konstruktiven Zugang zu Jugend und Sexualität zu finden und ein Ende der vorherrschenden Hysterie zu fordern. Nur dann werden wir dazu fähig sein, jene Freiheiten zu schützen, die wir zu unserer vollen Entfaltung alle benötigen.

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