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Die Landes­me­di­e­n­an­stalten für Privaten Rundfunk

Mitteilungen12/2000Seite 94-95

Mitteilung Nr. 172, S. 94-95

Bereits 1961 entschied das Bundesverfassungsgericht, daß unter bestimmten Bedingungen auch privaten Veranstaltern die Ausstrahlung von Radio- und Fernsehprogrammen gestattet werden könne. Diese Entscheidung wurde im 3. Fernsehurteil des BVerfG 1981 präzisiert und inhaltlich ausgefüllt. Bis Ende 1983 blieb der Rundfunk jedoch fest in öffentlich-rechtlicher Hand. Der private Rundfunk startete erst im Januar 1984 mit RTL und SAT1. Als Aufsichtsorgane wurden, in Anlehnung an die Rundfunkräte in den einzelnen Bundesländern, Landesmedienanstalten gegründet. Landesrundfunkgesetze (LRG) regeln in Verbindung mit dem Rundfunkstaatsvertrag (RStV) die Zulassung und Beaufsichtigung der privaten Rundfunkveranstalter.
Mittlerweile ist der private Rundfunk dem öffentlich-rechtlichen in der Publikumsgunst hart auf den Fersen. Nach der neuesten Medienanalyse führt RTL mit 14,6% Marktanteil. Die ARD bringt es auf 13,3%, das ZDF auf 12,7% und die Dritten liegen bei 12,4%. Ihnen folgen SAT 1 mit 10,8% und ProSieben mit 8,2%. Spitzenreiter der werberelevanten Zielgruppe der 14 bis 49jährigen sind ProSieben (14 bis 29jährige) und RTL (30 bis 49jährige) Erst dann kommen die öffentlich-rechtlichen Sender zum Zuge.
Die Einschaltquoten im Fernsehen sind hoch. Auch wenn die Deutschen 1999 täglich 3 Minuten weniger vor dem Bildschirm verbrachten als im Jahr davor – die tägliche Sehdauer betrug immer noch 185 Minuten. Selbst für die 3 bis 5jährigen Kinder wurden durchschnittlich 76 Minuten ermittelt. Auch der Hörfunk erfreut sich wachsender Beliebtheit. Die BundesbürgerInnen hörten in diesem Jahr täglich 222 Minuten Radio, das sind 36 Minuten mehr als im Jahr 1999.
Angesichts dieser Entwicklung rücken die Landesmedienanstalten zunehmend ins öffentliche Interesse. Die Kritik konzentriert sich dabei auf eine angeblich zu laxe Programmaufsicht. Jede mißliebige Sendung der Privaten wird ihnen angelastet. Papiertiger seien sie, zahnlos und ohne Biß, aufgeblähte Verwaltungsapparate, die nichts bewirken – so das Vorurteil.
Wie steht es nun wirklich mit den Landesmedienanstalten? Ich vertrete seit 1 1/2 Jahren die HU in der Niedersächsischen Landesmedienanstalt (NLM) und bin immer noch beeindruckt von der Sorgfalt, Gründlichkeit und Weitsichtigkeit, mit der hier gearbeitet wird. Es ist schade, daß es trotz vielfältiger Versuche nicht zu gelingen scheint, der Öffentlichkeit das breite Aktionsspektrum der NLM zu vermitteln.
Die NLM ist eine selbständige Anstalt des öffentlichen Rechts. Sie hat zwei Organe: den Direktor und die Versammlung. Die Versammlung besteht aus 43 Mitgliedern, die von den im Landtag vertretenen Parteien, den Gewerkschaften und den im Gesetz festgelegten gesellschaftlich relevanten Gruppierungen entsandt werden. Dabei gilt nach § 55 Abs. 4 LRG, daß Organisationen, die mehrere Mitglieder entsenden, mindestens zur Hälfte Frauen benennen müssen. Gruppierungen, die nur mit einem Mitglied vertreten sind, „haben für mindestens jede 2. Amtszeit eine Frau zu entsenden“. Gegen diese Bestimmung klagt der Deutsche Beamtenbund vor dem Verwaltungs-gericht. Er sieht sich nicht in der Lage, eine Frau zu nominieren. Da die F.D.P. nicht mehr im Landtag vertreten ist, besteht die Versammlung derzeit aus nur 41 Personen, 24 Frauen und 17 Männern. Sie wählt aus ihrer Mitte die/den Vorsitzende/n und die Mitglieder der 5 Fachausschüsse. Diese Ausschüsse erarbeiten im engen Kontakt mit der Verwaltung die Vorlagen für die Versammlung.
Die Aufgaben der Landesmedienanstalten sind vielfältig. Im Vordergrund steht die Vergabe von Lizenzen zur Veranstaltung von privatem Hörfunk und Fernsehen. Dabei ist neben der Wirtschaftlich-keit vor allem der Aspekt der Meinungsvielfalt zu beachten, eine Aufgabe, die angesichts der wachsenden Medienverflechtung von den Landesmedienanstalten allein nicht mehr zu erfüllen ist. Im RStV von 1997 ist entsprechend den Forderungen des BVerfG, das 1986 der Aufsicht eine vorbeugende, unternehmens- und marktstrukturell ansetzende Konzentrationskontrolle übertrug, eine neue Institution geschaffen worden: Die KEK (Kommission zur Ermittlung der Konzentration). Gemeinsam mit der KDLM (Konferenz der Direktoren der Landesmedienanstalten) ist sie „zuständig für die abschließende Beurteilung von Fragestellungen der Sicherung von Meinungsviel-falt“ ( § 36 Abs. 2 RStV). Die KEK ermittelt mit Unterstützung der Landesmedienanstalten die Zuschaueranteile und die Medienver-flechtung der Anbieter. Sie muß informiert werden, wenn eine Lizenz oder eine Lizenzänderung beantragt wird. Kein Veranstalter darf mit seinen Programmen einen Marktanteil von 30% überschreiten. Die Landesmedienanstalten können über Neuanträge erst dann entscheiden, wenn die KEK eine Unbedenklichkeitserklärung abgegeben hat. Ich habe in der kurzen Zeit meiner Mitarbeit über mehrere Lizenzvergaben mitentschieden und kann bestätigen, daß die Meinungsvielfalt bei der NLM in guten Händen ist.
Bei der Vergabe von Lizenzen hat die NLM bewiesen, daß sie sowohl zukunftsorientiert als auch bürgernah operiert. Zu den geförderten Projekten der Medienzukunft gehören etwa die Modellversuche mit DAB (Digital Audio Broadcast = digitaler Hörfunk) und DVB-T (Digital Video Broadcast Terrestrical = digitales terrestrisches Fernsehen). Bürgernähe zeigt sich in dem fünfjährigen Betriebsversuch zur Einrichtung von nichtkommerziellem lokalem Hörfunk (NKL) und Offenen Kanälen (OK – Hörfunk und Fernsehen), die beide die Bevölkerung in ihre Arbeit einbeziehen. Nach der von der NLM in Auftrag gegebenen Emnid-Untersuchung haben die 14 arbeitenden Modellprojekte nach jetzt dreijähriger Laufzeit einen hohen Bekanntheitsgrad in der Bevölkerung erreicht. Sie sind in ihrem Empfangsbereich bei 80% der EinwohnerInnen bekannt. Ihre Programmangebote werden überwiegend selektiv und als Ergänzung zu den etablierten Radio- und Fernsehprogrammen genutzt. Das Konzept der Bürgernähe ist geläufig und wird „sehr positiv eingeschätzt“. Die befürchtete negative Auswirkung auf die lokale Presse ist ausgeblieben.
Die bekannteste und am häufigsten mißverstandene Aufgabe der Landesmedienanstalten ist die Beobachtung und rechtsaufsichtliche Kontrolle der Programme der von ihnen lizenzierten Rundfunkveran-stalter. In Niedersachsen prüft die NLM die von ihr zugelassenen Sender auf die Einhaltung der Lizenzgrundlagen und der gesetzlichen Bestimmungen des LRG beziehungsweise des RStV. Sie kontrolliert stichprobenartig und konzentriert sich dabei besonders auf neue Programmangebote und problematisch erscheinende Sendungen. Neben dieser Überprüfung von Amts wegen, wird allen Beschwerden nachgegangen, die Bürgerinnen und Bürger an die NLM herantragen. Sie werden nach Bearbeitung in den jeweiligen Fachausschüssen in der Versammlung diskutiert und entschieden.
Programmaufsicht bedeutet nun aber nicht, daß die Landesmedien-anstalten ihnen problematisch erscheinende Sendungen bereits im Vorfeld verbieten können. In Art. 5 GG heißt es zur Meinungsfreiheit ausdrücklich: „Eine Zensur findet nicht statt.“ Die Landesmedien-anstalten dürfen also nur die Wiederholung einer als unzulässig erkannten Sendung untersagen oder, und das gilt vor allem für den Jugendschutz, ihre erneute Ausstrahlung zeitverschoben anordnen. Und genau hier sehe ich die Ursache für die Bezeichnung „Papiertiger“. Große Teile der Bevölkerung sind empört darüber, daß die Landesmedienanstalten bestimmte Sendungen zulassen. Sie erwarten eine Vorkontrolle und frühzeitiges Eingreifen im Sinne einer „Aktion sauberer Bildschirm“. Damit ignorieren sie das Zensurverbot und übersehen, daß die Landesmedienanstalten nicht zuständig sind für guten Geschmack. Immer wieder wird auf deren angebliche Handlungsunfähigkeit bei Sendeverstößen hingewiesen. Dabei hat sich im Laufe der Jahre herausgestellt, daß den Landesmedienan-stalten durch Beanstandungsverfahren, Bußgeldentscheidungen, Sendezeitverschiebungen oder gar Zulassungsentzug ausreichend Sanktionsmöglichkeiten an die Hand gegeben sind. Ohnehin wird ein großer Teil der Beschwerden im Dialog mit dem Veranstalter geregelt.
Ein weiterer für mich wichtiger Arbeitsbereich liegt in dem Bemühen, die Medienkompetenz der Bevölkerung zu erhöhen, um gegebenen-falls über die Einschaltquoten die Sender zu Programmänderungen zu veranlassen. Denn die Einschaltquoten bestimmen die Preise für die Werbung und damit den überwiegenden Teil des Etats der Privaten (ein 30-Sekunden-Werbespot im Rahmen der Big-Brother-Sendungen kostet etwa 24.120,- DM). Die NLM arbeitet in diesem Feld auf 3 Ebenen: sie investiert in Medienpädagogik, lädt ein zu Mediengesprächen und organisiert Medienkongresse. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei in dem Bemühen, die Auswirkungen von Medien auf Kinder zu untersuchen, um Eltern und ErzieherInnen brauchbare Instrumente zur Vermittlung von Medienkompetenz an die Hand geben zu können.
Die NLM untersucht ebenso wie die anderen Medienanstalten regelmäßig im Rahmen von Forschungsaufträgen die Entwicklung des privaten Rundfunks. Die vorliegenden Dokumentationen fließen in die Arbeit der Gremien ein. Sie werden diskutiert und bieten immer wieder Anlaß zu neuen Überlegungen und Konzepten. Regelmäßige Gespräche mit den Rundfunkveranstaltern und die jährliche Verleihung des niedersächsischen Hörfunkpreises stellen die Teilhabe am aktuellen Rundfunkgeschehen sicher.
Von Stagnation kann nicht die Rede sein. Die NLM arbeitet nicht abgehoben. Sie ist wachsam und kritisch, sie öffnet sich der Bevölkerung und ist bemüht ein breites Meinungsspektrum zu garantieren. Wenn es auf dieser Ebene weiterhin gelingt, den Rundfunk offener zu gestalten, Minderheiten nicht nur gelegentlich einzubeziehen und gesellschaftskritische Stimmen zu Wort kommen zu lassen, dann leisten die Landesmedienanstalten einen nicht unerheblichen Beitrag zur Demokratisierung unserer Gesellschaft.

                                                                                           Ute Kühling

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