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Die Struktur der Krimi­na­lität in Deutschland

Mittetilungen Nr. 164, S. 102-103

Die Bundeskriminalstatistik des Bundeskriminalamtes für 1997 liegt jetzt vor. Die ängstliche Frage, ob die Kriminalität 1997 gegenüber 1996 gestiegen oder gesunken ist, ist verständlich, aber eher falsch, weil bei Zahlen, die gesellschaftliche Entwicklung widerspiegeln, erst Änderungen in längeren Zeitabschnitten aussagekräftig sind. Änderungen von einem Jahr auf das andere sind nur von geringer Aussagekraft und nicht selten auch vom Zufall geprägt. Trotzdem sei die Frage beantwortet. Die Häufigkeitszahl (Straftaten je 100.000 Einwohner) ist von 1996 auf 1997 von 8.125 auf 8.031 gesunken. Der langfristige Vergleich: …

Tabelle 1: Häufigkeitszahl in der BRD

1970
 
3.924
 
(Gebietsstand vor dem 3.X.1990)
1980
 
6.198
 
(Gebietsstand vor dem 3.X.1990)
1990
 
7.108
 
(Gebietsstand vor dem 3.X.1990)
1997
 
8.031
 
(Gesamtdeutschland)
1997
 
7.742
 
(Alte Bundesländer einschl. Gesamtberlin)
1997
 
9.418
 
(Neue Bundesländer)

Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik 1997 des Bundeskriminalamtes (BKA)

Der große Anstieg der Kriminalität, nämlich um mehr als die Hälfte, ist danach in den siebziger Jahren erfolgt. Aber auch später ist die Kriminalität stetig, wenn auch deutlich langsamer gestiegen. Die Kriminalitätsbelastung ist in den Neuen Bundesländer deutlich höher als in den Alten Bundesländern. Von großem Interesse muß auch die unterschiedliche Kriminalitätsbelastung in den einzelnen Bundesländern sein, nicht zuletzt, weil sie auch ein Bild von den unterschiedlichen Fähigkeiten der einzelnen Landesregierungen zur Bekämpfung der Kriminalität und ihrer Ursachen ergibt. Ich möchte die alten und die neuen Bundesländer getrennt darstellen, um den größeren Schwierigkeiten in den neuen Bundesländern gerecht zu werden:

Tabelle 2: Alte Bundesländer

Bundesland
 
Häufigkeitszahl 1997
 
Polizeidichte (1) 1995 (1 Beamter je … )
  
Baden-Würt.
 
5.770
 
418 Einwohner
Bayern
 
5.816
 
375 Einwohner
Saarland
 
6.243
 
354 Einwohner
Rhl. Pfalz
 
6.662
 
412 Einwohner (1996)
Niedersachsen
 
7.382
 
433 Einwohner
Nordrh. Westf.
 
7.538
 
434 Einwohner
Hessen
 
7.589
 
406 Einwohner
Schl. Holstein
 
9.011
 
413 Einwohner
  
Durchschnitt(2)
 
7.747
 
406 Einwohner

Quellen: Polizeiliche Kriminalstatistik 1997 des BKA sowie Innenministerium NRW (zu Polizeidichte)

(1) Zahlen für 1995, jedoch Rheinland-Pfalz 1996. Zahlen ohne Ausbildungsstellen.
(2) In die Durchschnittszahlen sind die höheren Zahlen der Stadtstaaten eingerechnet.

Tabelle 3: Neue Bundesländer

Bundesland
 
Häufigkeitszahl 1997
 
Polizeidichte (3) 1995 (1 Beamter auf … )
  
Thüringen
 
6.926
 
386 Einwohner
Sachsen
 
8.041
 
385 Einwohner
Sachsen-Anh.
 
10.802
 
333 Einwohner
Brandenburg
 
11.257
 
313 Einwohner
Meckl. Vorp.
 
11.617
 
310 Einwohner
  
Durchschnitt
 
9.418
 
345 Einwohner

Quellen: Polizeiliche Kriminalstatistik 1997 des BKA sowie Innenministerium NRW

(3) Zahlen für 1995, jedoch Rheinland-Pfalz 1996. Zahlen ohne Ausbildungsstellen.

Tabelle 4: Häufigkeitszahl in großen Städten

Stadt
 
Häufigkeitszahl 1997
 
Polizeidichte (sofern Angabe)
(nur Städte mit über
  
200.000 Einwohnern)
  
  
Wiesbaden
 
9.224
 
München
 
9.485
 
Stuttgart
 
10.348
 
Saarbrücken
 
10.497
 
Mainz
 
10.890
 
Erfurt
 
12.286
 
Düsseldorf
 
13.056
 
Bremen
 
14.386
 
217 Einwohner
Lübeck
 
14.599
 
Kiel
 
15.253
 
Hannover
 
15.401
 
Leipzig
 
15.426
 
Schwerin
 
15.661
 
Halle
 
15.936
 
Potsdam
 
16.588
 
Magdeburg
 
17.048
 
Berlin
 
17.134
 
180 Einwohner
Hamburg
 
17.420
 
211 Einwohner
Rostock
 
18.392
 
Frankfurt
 
19.394
 

Quellen: Polizeiliche Kriminalstatistik 1997 des BKA sowie Innenministerium NRW

Unter den Alten Bundesländern haben die Länder Baden-Württemberg (Landesregierung CDU/F.D.P.) und Bayern (Landesregierung CSU) wegen ihrer vergleichsweise geringen Kriminalitätsbelastung besondere Anerkennung verdient, während die hohe Kriminalitätsbelastung von Schleswig-Holstein (Landesregierung SPD/GRÜNE) auf Unverständnis stoßen muß. Ebenso ungünstig müssen gemessen an der Kriminalitätsbelastung unter den Neuen Bundesländern die Landesregierungen von Sachsen-Anhalt (Landesregierung 1997 SPD/GRÜNE, PDS gestützt), Brandenburg (Landesregierung SPD) und Mecklenburg-Vorpommern (Landesregierung CDU/SPD) beurteilt werden. Es gibt für sie keine Entlastung unter Hinweis auf die besonderen Schwierigkeiten der Neuen Bundesländern, wenn man sie mit Thüringen (Landesregierung CDU/SPD) und Sachsen (Landesregierung CDU) vergleicht. Unter den Neuen Bundesländern verdient Thüringen ein besonderes Lob, weil hier die Kriminalitätsbelastung sogar unter dem Durchschnittswert der Alten Bundesländer liegt. Der Vergleich der Kriminalitätsbelastung mit der Polizeidichte setzt in Erstaunen. Es gibt offensichtlich keinen Zusammenhang zwischen der Kriminalitätsbelastung und der Polizeidichte. Anders formuliert: Die Vermehrung der Zahl der Polizeibeamten vermindert nicht die Kriminalitätsbelastung. Beispielsweise hat Thüringen unter den Neuen Bundesländern die geringste Kriminalität und die geringste Polizeidichte!
Die besten Beispiele sind die Länder Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein. Beide Länder haben fast die gleiche Polizeidichte, Baden-Württemberg aber die geringste und Schleswig-Holstein die höchste Kriminalitätsbelastung unter den westdeutschen Bundesländern. Unter den ostdeutschen Bundesländern hat Thüringen die geringste Kriminalitätsbelastung und gleichzeitig die geringste Polizeidichte; Mecklenburg-Vorpommern weist gleichzeitig die höchste Kriminalität und die höchste Polizeidichte aus.
Sine ira ac studio betrachtet: Es gibt, man ahnt es auch so, unterschiedlich leistungsfähige Landesregierungen. Nach allen Umfrageergebnissen messen die Bürgerinnen und Bürger der CDU/CSU und der F.D.P. die Kompetenz bei der Bekämpfung der Kriminalität zu. Das ist offensichtlich richtig.

Die Struktur der Täter

Die Mehrfachtäter:
Auffällig hoch ist unter den ermittelten Tatverdächtigen der Anteil der „Mehrfachtäter“, d.h. derjenigen, die bereits wegen derselben oder anderer Straftaten in Erscheinung getreten sind. Ihr Anteil wird über alle Straftaten gerechnet mit 49,5 Prozent angegeben. Wahrscheinlich ist ihr Anteil noch höher, da Vortaten nur in einem engen zeitlichen Rahmen oder aus Datenschutzgründen überhaupt nicht erfaßt worden sind. Gerade in der Schwerkriminalität lag in den aufgeklärten Fällen der Anteil derjenigen Tatverdächtigen, die bereits als Straftäter in Erscheinung getreten waren, auffällig hoch.

Tabelle 5: Beispiele

Art des Verbrechens
 
Anteil der Mehrfachtäter
 
  
Schwerer Diebstahl
 
76,8 %
 
Beteiligungs- und Anlagebetrug
 
86,7 %
 
Vergewaltigung
 
58,2 %
 
Vergewaltigung durch Gruppen
 
7,3 %
 
Raub
 
78,0 %
 
Mord
 
63,9 %
 
Raubmord
 
83,3 %
 

Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik 1997 des BKA

Wenn es gelänge, auf die gefaßten Täter so einzuwirken, daß sie nicht erneut straffällig werden, würde die Kriminalität allgemein auf die Hälfte und die Schwerkriminalität sogar auf etwa ein Viertel sinken. Natürlich ist diese Vorstellung eine Illusion. Aber es wird doch deutlich, daß die Schwachstelle der Kriminalitätsbekämpfung nicht die Polizei, sondern daß es ‚die Justiz‘ ist. Unter dem Stichwort „Justiz“ verstehe ich hier die gründliche Erforschung der Täterpersönlichkeit durch die Gerichtshilfe, von der immer noch viel zu wenig Gebrauch gemacht wird, eine gründliche, notfalls lange, die Kriminalitätsursachen im einzelnen Täter analysierende Hauptverhandlung, die freilich den Richtern in der Statistik der Justizministerien Minuspunkte einbringt, eine Bewährungshilfe, die mehr ist als Krisenintervention, und einen dem einzelnen Verurteilten gerecht werdender Strafvollzug, wie er im Strafvollzugsgesetz zwar vorgeschrieben ist, aber nur unzureichend praktiziert wird.
Wer die Kriminalität wirksam bekämpfen will, braucht nicht in die Polizei, sondern muß in die Justiz, begriffen in dem angedeuteten umfassenden Sinne, investieren.

Die Ausländer:
Der Anteil der Ausländer unter den Tatverdächtigen ist seit 1993, dem Höhepunkt mit 33,6 Prozent, kontinuierlich auf 27,9 Prozent im Jahre 1997 gesunken. Dies dürfte auf die erschwerten Zugangsmöglichkeiten in die Bundesrepublik Deutschland zurückzuführen sein.
Von den Ausländern waren 20 Prozent türkische, 12,3 Prozent jugoslawische (ohne Bosnien- Herzogowina, Kroatien und Slowenien ) und 9,5 Prozent polnische Staatsangehörige. Der Ausländeranteil aus allen anderen Herkunftsländern lag jeweils unter 5 Prozent. Der Anteil aller Herkunftsländer ist seit Jahren in etwa konstant.
Von den Ausländern lebten 21,8 Prozent illegal in der Bundesrepublik Deutschland, 19 Prozent waren Asylbewerber und 7,9 Prozent Touristen oder Durchreisende. Zusammengerechnet sind dies fast die Hälfte aller tatverdächtigen Ausländer. Rechnet man sie aus der Ausländerkriminalität heraus, so verliert diese viel von ihrem Schrecken.

Jugendkriminalität:
Das Verhältnis von tatverdächtigen Erwachsenen zu jungen Tatverdächtigen ist seit langer Zeit konstant. Der Anteil der Erwachsenen betrug 1984: 70,3 Prozent, 1997: 70,8 Prozent. Dementsprechend liegt der Anteil der jungen Tatverdächtigen stetig bei knapp 30 Prozent. Auch innerhalb der Gruppe der jungen Tatverdächtigen haben sich zwischen den Altersgruppen keine wesentlichen Verschiebungen ergeben.

Tabelle 6: Anteil an allen Tatverdächtigen

1984
 
1997
 
(vor dem 3.10.1990)
 
(seit dem 3.10.1990)
  
Kinder
 
5,3 %
 
6,3 %
Jugendliche (14 bis 18 J. )
 
12,5 %
 
12,9 %
Heranwachsende (18 bis 21 J. )
 
11,9 %
 
10,0 %
Jungerwachsende (21 bis 25 J. )
 
13,0 %
 
11,1 %

Quellen: Polizeiliche Kriminalstatistik 1997 des BKA

Der Anteil der ausländischen Kinder (18,7 %) und Jugendlichen (21,2 %) an den Tatverdächtigen ihrer Altersgruppen liegt unter den Anteilen der Ausländer insgesamt an der Gesamtkriminalität und der Anteil der ausländischen Heranwachsenden (29,7 %) etwa auf gleicher Höhe. Bei den Jungerwachsenen ist der Ausländeranteil jedoch seit Jahren konstant erschreckend hoch; 1997 betrug er 42,2 Prozent.

Alkohol und Drogen:
7,1 Prozent aller aufgeklärten Straftaten und gar 24,3 Prozent aller Gewaltdelikte wurden unter dem Einfluß von Alkohol begangen. Beispiele für den Anteil alkoholisierter Tatverdächtiger: Sexualmord 23,3 %; Raubmord 27,1 %; gefährliche und schwere Körperverletzung 27,3 %; Vergewaltigung 30,4 % und Totschlag 36,6 %.
Bei den Konsumenten harter Drogen ist die Beschaffungskriminalität auffällig. Sie wurden in 26 Prozent der Fälle bei Raubüberfällen auf Geschäfte, in 25 Prozent beim Handtaschenraub, in 18 Prozent bei Tageswohnungseinbrüchen und in 20,7 Prozent beim Diebstahl aus Kraftfahrzeugen als Tatverdächtige festgestellt. Verkürzt: Alkohol führt zu Gewaltdelikten, Konsum harter Drogen zur Beschaffungskriminalität.

Die Opfer:
Erfreulicherweise ist jetzt wieder das Risiko, Opfer von Gewaltkriminalität zu werden, dargestellt. Entgegen der allgemeinen Meinung sind Männer deutlich gefährdeter als Frauen, die Vergewaltigung natürlich ausgenommen. 1997 wurden rechnerisch Opfer bezogen auf 100.000 Einwohner des jeweiligen Geschlechts
– beim vollendeten Mord oder Totschlag 2 Männer und 1,2 Frauen,
– beim vollendeten Raub 110,3 Männer und 45,8 Frauen,
– bei der gefährlichen und schweren Körperverletzung 216,2 Männer und 60,1 Frauen.
Das Opferrisiko der vollendeten Vergewaltigung betrug für Frauen 11,4. Der Schaden beim einfachen und schweren Diebstahl betrug etwa 5 Mrd. DM und der des Betruges etwa 6,5 Mrd. DM. Der Schaden beim einfachen Ladendiebstahl lag bei 50,8 Prozent der Fälle unter 25 DM.

Prof. Ulrich Vultejus

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