„Ein beispielloser Vertrauensbruch“
Deutsche Telekom erhält BigBrotherAward 2008 in der Kategorie „Arbeitswelt und Kommunikation“. Aus: MItteilungen Nr. 203, S. 21
Am 25. Oktober wurden in Bielefeld die diesjährigen BigBrotherAwards verliehen. Zum elften Mal zeichneten der Foebud und sechs weitere Datenschutzorganisationen staatliche Behörden und Firmen mit dem Negativpreis für Datenkraken aus. Für die Humanistische Union nahm in diesem Jahr erneut Fredrik Roggan an den Jurysitzungen zur Auswahl der „besten“ Preisträger teil. Er hielt bei der Preisverleihung die nachfolgend wiedergegebene Laudatio für die Auszeichnung in der Kategorie Arbeitswelt und Kommunikation.
Der BigBrotherAward 2008 in der Kategorie „Arbeitswelt und Kommunikation“ geht an die Deutsche Telekom AG für die illegale Nutzung von Telefonverbindungsdaten zur Bespitzelung von Telekom-Aufsichtsräten und Journalisten.
Die Deutsche Telekom AG hat sich vorsätzlich gleich über mehrere Gesetze hinweggesetzt und damit dem Vertrauen in das Telekommunikationsgeheimnis, die Pressefreiheit und den Datenschutz einen empfindlichen und möglicherweise bleibenden Schaden zugefügt.
Die Rechtsverletzungen lassen sich nüchtern aufzählen: Der Konzern hat sich intern an Daten vergriffen, deren Verwendung zu Ermittlungszwecken ansonsten nur mit richterlichem Beschluss möglich ist. Mehrere Hunderttausend Telefon- und Mobilfunkdatensätze von eigenen Aufsichtsräten und Journalisten wurden illegal ausgewertet, um herauszufinden, auf welchem Wege vertrauliche Informationen an Medien gelangt waren.
Unklar ist noch, wer den Auftrag hierzu gegeben hat; unklar ist auch noch, ob sich die Telekom zudem unberechtigt der Datensätze anderer Mobilfunkbetreiber bedient hat; inzwischen ist bereits von einem Verdacht die Rede, dass sogar die Email-Korrespondenz von Arbeitnehmervertretern mitgelesen wurde. All dies wird überprüft werden und Konsequenzen nach sich ziehen.
Doch auf einer übergeordneten Ebene sind die Details nachrangig. Denn es geht bei diesem Skandal um ganz Grundsätzliches: Hier hat ein Konzern, der per Gesetz verpflichtet ist das Telekommunikationsgeheimnis zu wahren, dieses aus purem Eigeninteresse gebrochen. Dies muss jedem Bürger vor dem Hintergrund der vom Bundestag beschlossenen Vorratsdatenspeicherung Anlass zu größter Sorge geben. Per Gesetz ist die Telekom seit Anfang 2008 verpflichtet, alle Verbindungsdaten für sechs Monate zu speichern und unter bestimmten Voraussetzungen an Sicherheitsbehörden herauszugeben. Nun müssen wir erkennen, dass ausgerechnet die Hüterin dieser vertraulichen Daten geltende Gesetze über Jahre und im großen Stil ignoriert und ausgehebelt hat. Ein beispielloser Vertrauensbruch.
Auch das Grundrecht der Pressefreiheit wurde von der Telekom verletzt: die Beobachtung von Journalisten, Maulwürfe in Redaktionen, das Abgleichen von Verbindungsdaten – nichts ließ der Konzern in den vergangenen Jahren aus. Welch ein Schaden für diesen Grundpfeiler unserer Demokratie, in der die kritische Berichterstattung grundrechtlich garantiert ist und maßgeblich auf dem Vertrauensverhältnis zwischen Informant und Journalist beruht.
Dass im Telekomspitzelskandal Verstöße gegen das Datenschutzgesetz vorliegen, braucht nicht weiter erläutert zu werden. In Anbetracht der Dreistigkeit der Vorgehensweise muss aber wohl die Frage erlaubt sein, ob wir in Sorge sein müssen, wenn eine Telekom-Tochter namens SAF Solutions selbst mit Daten handelt, unter anderem mit den Daten ihres Mutterkonzerns, die deren Kunden durch pauschales Akzeptieren des Kleingedruckten in ihren Telefonverträgen freigeben. Nun ist jüngst auch noch der zwei Jahre zurückliegende Verlust von 17 Millionen T-Mobile-Kundendatensätzen und kurz darauf von 30 Millionen Bankverbindungen bekannt geworden. Die Kette der Negativ-Nachrichten reißt nicht ab.
Welche Konsequenzen müssen wir aus solchen Nachrichten ziehen? Und welche Konsequenzen müssen wir für die betroffenen Unternehmen fordern? Über eines müssen wir uns klar sein: Datenschutzverletzungen sind keine Kavaliersdelikte. Sie zerstören Vertrauen und Vertraulichkeit, die Basis für einen angstfreien Austausch von Gedanken und damit die Basis einer demokratischen Gesellschaft. In einem Konzern wie der Telekom steht viel auf dem Spiel, denn das Vertrauen zwischen Unternehmen und Kunden, zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist die Basis jedes wirtschaftlichen Erfolges.
Das Thema Datenschutz und Datensicherheit braucht einen höheren Stellenwert im Unternehmen wie auch in unserer Gesellschaft. Die Gesetzgebung darf nicht länger weit hinter dem technologischen Fortschritt und den Möglichkeiten unserer digitalen Welt her hinken. Die Telekom müsste als Telekommunikations-Riese die erste sein, sich dafür einzusetzen.
Stattdessen hat sie durch ihr rücksichtsloses Hinweggehen über geltende Gesetze und die Rechte ihrer Mitarbeiter, Kunden und über sie berichtenden Journalisten beispielhaft vorgeführt, welch skrupellose Denkweise sich in vielen oberen Konzernetagen breit gemacht hat. Dafür gebührt ihr ohne Zweifel der diesjährige BigBrotherAward. Herzlichen Glückwunsch, Deutsche Telekom AG.
Fredrik Roggan ist stellvertretender
Bundesvorsitzender der Humanistischen Union