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Kindermord in der Ostmark

Mitteilungen06/2001Seite 54

Mitteilung Nr. 174, S. 54

„Spiegelgrund“ – das klingt harmlos, fast idyllisch. Wer ahnt, was sich hinter diesem Namen verbirgt?

„Kinderfachabteilung“ – hört sich nüchterner an, sachlich, korrekt … „Fürsorgeanstalt“ – der zweite Teil des Wortes kann einem schon mulmige Gefühle bereiten und negative Assoziationen („Zögling“), läßt aber auch noch nichts allzu Schlimmes befürchten. „T4“- dahinter kann sich nun vieles verbergen: Eine Automarke? Ein chemisches Element? Eine Wunderwaffe? Ein Medikament? ein Aktenzeichen? …

Ein Aktenzeichen wofür? Für eine Aktion? Für eine Kinderaktion!   Wer denkt da Böses?

„T4-Kinderaktion“ – Solche verharmlosenden, verschleiernden, schönrednerischen Wortschöpfungen gehören zur teuflischen Tötungsmaschinerie des Nationalsozialismus (am Treffendsten hat diese Sprache Victor Klemperer analysiert in seinem Buch „LTI – (Lingua Tertii Imperii – Sprache des Dritten Reiches).1

Der Führer selbst ermächtigte seine Helfershelfer zur Ermordung von Kindern, von einigen tausend Kindern.

Karl Cervik hätte unter ihnen sein können. Er war in der Fürsorge-anstalt Am Spiegelgrund eingewiesen worden und später in die Zweiganstalt in Ybbs an der Donau. Dort wusste man nichts von einer Fürsorgeanstalt bis zu seiner Anfrage.

Er kam lebend davon.

Es ließ ihn aber nicht ruhen. Sein Schicksal nicht – und natürlich nicht -, aber noch weniger das Schicksal der anderen, die mit ihm dort waren und vor allem die dort ihr Leben lassen mussten. Einiges von seinen Erlebnissen in diesen psychiatrischen Anstalten ist in dem vorliegenden Buch eingeflossen.

Karl Cervik legt hier seine Recherche vor, eine Recherche, die ihm nicht leicht gemacht wurde, im Gegenteil: Weiterhin wird vertuscht, gelogen, beschönigt. Um so wichtiger sind solche Dokumentationen von Zeitzeugen und Betroffenen. – Aufarbeitung und Aufklärung sind noch lange nicht am Ende.

Johannes Glötzner

1 Klemperer, Victor: LTI – Notizbuch eines Philologen, Reclam Leipzig, 15. August 1996.

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