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Profes­si­o­nale Vorurteile den Ethik­un­ter­richt betreffend

Mitteilungen03/2000Seite 18

Mitteilung Nr. 169, S. 18

Volker Ladenthin/ Reinhard Schilmöller (Hrsg.): Ethik als pädagogisches Projekt – Grundfragen schulischer Werterziehung. Leske + Budrich Verlag, Opladen 1999, 267 S., DM 44
Das Beste an dem Buch ist der Preis. Er hält davon ab, es zu kaufen, wovor ich durch diese Besprechung warnen will; es sei denn, jemand möchte sich darüber informieren, zu welchen Entgleisungen Leute, die sich Wissenschaftler nennen, fähig sind, wenn es um ein Thema geht, das ihnen nicht paßt. Da wird dann manipuliert, schein-„argumentiert“, überzeichnet, verkürzt, verallgemeinert. Einer der Autoren, Prof. Gottfried Leder, gibt solches sogar zu, wobei er sich selbst „mildernde Umstände“ ob des „heftigen Zornes“ zubilligt, ohne allerdings klarzumachen, was ihn denn so errege, warum er so wild um sich schlägt und gegen wen sich seine Verbalinjurien richten; er zitiert keinen einzigen Satz, nennt keinen einzigen Namen, „beruft“ sich lediglich auf ein einziges Werk, von dem er aber nur den Herausgeber nennt („Beck u.a.“) und das noch dazu im Literaturverzeichnis fehlt. So bleibt es für den Leser/die Leserin ein Rätsel, wer sich hinter diesen „extremsten Vertretern“ mit ihrer „abgrundtiefen Abneigung“ verbirgt und wer „alles an dieser Art von Pädagogik mitgewerkelt und welche oft fatalen Spuren sie bis heute hinterlassen hat“! Dafür schmeißt Leder – sich vermeindlich wissenschaftlich gebärdend – mit nicht erklärten Ausdrücken wie Kommemorierung, prejorativ, relecture um sich und seinen desto verständlicheren Lieblingsworten wie radikal und abwegig.
Schier noch gehässiger gebärden sich die Wiener Professorinnen Marian Heitger und Ines Maria Breinbauer, die ein Zerrbild des Ethikunterrichts entwerfen und darauf ihre Ablehnung gründen, gemäß der Empfehlung Macchiavellis, der Fürst solle sich „mit List Feinde schaffen, damit er durch ihre Überwindung seinen Ruhm vergrößere“!
Putzig mutet der Artikel von Herausgeber AOR Reinhard Schilmöller (Ethische Erziehung im Religionsunterricht und im Ethikunterricht: Gemeinsamkeit und Differenz) mit seiner idyllischen Religionsunterrichtsbeschreibung: „In den biblischen Geschichten begegnen die Kinder und Jugendlichen hochethischen Maximen, Werten und Normen. Wo sonst noch in unserer Gesellschaft außer im RU, so kann man sich fragen, werden sie mit Forderungen konfrontiert, nach Nächstenliebe und Feindesliebe, nach Güte, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit, und das auf eine so anschaulich-bildhafte Weise, wie in den Erzählungen und Gleichnissen der Bibel? Wo sonst, so läßt sich weiterfragen, begegnen sie – ganz abgesehen vom einzigartigen und kaum ersetzbaren Beispiel Jesu – so vielen Gestalten…“ Es steht zu befürchten, daß die Jugendlichen einem solchen Religionslehrer solche Geschichten um die Ohren hauen und ihn mit ganz anderen Bibelstellen konfrontieren. Doch es kommt noch schlimmer: Schilmöller stellt die Behauptung auf, daß der eigentliche Ethikunterricht (EU) der Religionsunterricht (RU) sei: „… weisen Ethik und EU mithin eine ‚Leerstelle‘ auf, für die sie auf Religion und RU verwiesen und angewiesen sind“. Und: „Der RU vermag insofern im Prinzip die ‚vollständigere‘ ethische Erziehung zu leisten…“ Man beachte Gänsefüßchen, mithin und insofern: Schilmöllers Dogma lautet: Nur im „Ausgriff auf einen transzendenten Sinngrund“ könnte man „letztlich“ wirklich ethisch handeln; und „solche sinnkonstituierenden Weltentwürfe“ könnten nicht die Ethiklehrer, sondern nur „Religionen liefern“. Abgesehen davon, daß es sich bei solchen Behauptungen um systemimmante Glaubenssätze handelt, sind sie auch gefährlich: Atheistische SchülerInnen (und solche soll es doch bisweilen auch geben!) erfahren somit, daß sie zu ethischen Handlungen im Grunde nicht fähig seien. Und religiös erzogene Jugendliche, die sich von der Religion abkehren, denen – auch das mag vorkommen – der Glaube abhanden kommt, könnten auf die Idee kommen, nun nicht mehr ethisch handeln zu müssen.
A propos Jugendliche und Unterricht: Das Vorwort behauptet, das Buch biete „eine Vielzahl von Anregungen für Theorie und Praxis (!) ethischer Erziehung in der Schule“. Nun Theorie: haufenweise; Praxis: weitgehend Fehlanzeige. Die meisten der AutorInnen schwelgen in höheren Regionen, völlig losgelöst von den Niederungen des Schulalltags; man gewinnt gar bisweilen den Eindruck, die SchulpraktikerInnen seien diesen ProfessorInnen suspekt; „Handlungsorientierung“ verkommt zum Schimpfwort, und SchülerInnen werden grundsätzlich nicht ernst genommen, wenn dauernd nur von zukünftigem Handeln, von Anbahnung sittlicher Grundhaltungen etc. die Rede ist.

Johannes Glötzner

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