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Schlanker – starker Staat

Mitteilungen09/2000Seite 74-75

Mitteilung Nr. 171, S. 74-75

Endlich! Der Bremer Jurist Fredrik Roggan hat es geschafft (die Systemtheoretiker unter den Lesenden mögen mir verzeihen), eine Dissertation ohne Bezugnahme auf den sonst unter Juristen unentbehrlichen Luhmann zu schreiben. Statt einer theoretisch-abstrakten, großdenkerischen Leistung hat sich Roggan vielmehr in die Niederungen des rechtlich-polizeilichen Alltags begeben: Ausgehend von der zwar nicht neuen, aber aktualisierungsbe-dürftigen These vom schleichenden Abbau rechtsstaatlicher Gewährleistungen im Bereich der inneren Sicherheit, wird vor allem das Polizei- und Strafrecht einer kritischen Inventur unterzogen.
Aus einer konsequent durchgehaltenen, rein normativen Perspektive, analysiert Roggan die starke Aufrüstung des ansonsten gern als „schlank“ verkauften Staates der vergangenen Jahre: Ob großer Lauschangriff, Schleierfahndungen, vorbeugender Polizei-gewahrsam oder Observationen mit Hilfe von Videoüberwachung oder GPS-Systemen, alle diese neu etablierten Polizeibefugnisse begegnen aus bürgerrechtlicher Sicht erheblichen rechtlichen Bedenken bis hin zur Verfassungswidrigkeit, welche von Roggan in der Untersuchung dargelegt und erklärt werden.
In einem ersten Abschnitt stellt Roggan den seiner Untersuchung zugrundeliegenden, zentralen Orientierungsrahmen vor: die dem Rechtsstaat u.a. zugrundeliegenden Prinzipien des Trennungsge-botes für Polizei- und Geheimdienste, die (klassische) rechtliche Aufteilung und Trennung zwischen präventivpolizeilichen Maßnahmen und Strafverfolgungsmaßnahmen, das Ermittlungsverbot bei fehlendem Tatverdacht oder das Zweckbindungsprinzip des Datenschutzes. In den darauffolgenden Abschnitten prüft Roggan an den neugeschaffenen Polizeibefugnissen durch, wie derzeit, Schritt für Schritt, die Einebnung dieser zentralen rechtsstaatlichen Differenzierungen zu beobachten ist: Konnte beispielsweise früher eine Personenkontrolle nur unter eng definierten gesetzlichen Voraussetzungen erfolgen, so findet man heute in den Polizeige-setzen der Länder umfassende Ermächtigungsgrundlagen. Im Gegensatz zur „rechtsstaatlichen Unschuldsvermutung“ findet heute institutionalisiertes Mißtrauen seinen Niederschlag in der Etablierung polizeilicher Maßnahmen wie der Schleierfahndung: Damit wird es rechtlich möglich, jeden von uns jederzeit auf seine Identität hin zu überprüfen. Jede/r kann jederzeit aufgrund mehr als unbestimmter interner polizeilicher Handlungsanforderungen (sog. polizeilicher Lagebilder) von Fahndungskontrollen betroffen werden. Als ein faktisch wertloser Grundrechtsschutz erweisen sich dabei oftmals die vielgepriesenen Verfahrenssicherungen wie etwa der Richter- oder Amtsleitervorbehalte: Für die exponentiell ansteigende Zahl von Telefonüberwachungen in der Bundesrepublik Deutschland etwa wüßte wohl kein Anwalt zu berichten, sie seien den Behörden jemals auf Antrag hin verweigert worden. Roggan zeigt ferner anhand dieser Zusammenhänge auf, wie ein zunehmend dichter geknüpftes polizeiliches Überwachungs- und Sicherheitsnetz seine Widerspiege-lung nicht nur in umfangreichen Handlungsermächtigungen für die Polizei findet, sondern ebenso in flankierender Rechtsprechung, die durch weite Auslegungen bestehender Bestimmungen notwendige demokratische Gesetzgebungsverfahren, etwa für die strafpro-zessuale Verwendung von Daten aus neuartigen und überwachungsgeeigneten Technologien wie dem GPS-System, letzlich verhindert.
Der besondere Verdienst der durchgehend (auch für Nicht-Juristen!) gut leserlichen Untersuchung von Roggan liegt insbesondere im zusammenfassenden Überblick dieser jüngsten Entwicklungen im Bereich der inneren Sicherheit. Die Kompaktheit und der im Vergleich günstige Preis machen Roggans Untersuchung zusätzlich zu einer aus bürgerrechtlicher Sicht empfehlenswerten Neuerscheinung.

RA Nils Leopold

Fredrik Roggan: Auf legalem Weg in einen Polizeistaat (Diss.),
Pahl-Rugenstein-Verlag, Bonn 2000; 248 S., Preis: 38,- DM

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