Gefahren der Notstandsgesetzgebung
Aus: vorgänge Heft 01/ 1963,S.1-3
I.
Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand verfügt, hat einmal der Staatstheoretiker des Dritten Reiches, Carl Schmitt-Dorotic, erklärt. Gerade die deutschen Erfahrungen im ersten Weltkrieg und zur Zeit der Weimarer Republik zeigen, daß Schmitt-Dorotic nicht so unrecht gehabt hat. Daß das Grundgesetz von 1949 keinen Ausnahmezustand kennt, ist vielleicht auch ein Zeichen dafür, daß man nach dem Debakel des Dritten Reiches von einem veralteten Souveränitätsdenken loskommen wollte. In einer rechtsstaatlich-demokratischen Verfassung soll ja die Macht so verteilt und kontrolliert sein, daß keine Person und keine Institution absolut und total über sie verfügen kann. Wie der Krieg gehört auch die Souveränität einer Welt der Vergangenheit der Militär- und Obrigkeitsstaaten an und hat in der Epoche der Vereinheitlichung der Welt nichts zu suchen: Die Machtkonzentration im modernen totalitären Staat und im totalen Krieg ist ein Atavismus, für den wir bereits alle einen viel zu hohen Preis gezahlt haben.
Betrachten wir unter diesem Gesichtspunkt das von der Bundesregierung beschlossene Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes, am 9. November vom Bundesrat als Drucksache 345/62 veröffentlicht (s. unter Materialien, S. 30), das das Grundgesetz durch eine Notstandsverfassung ergänzen will, so müssen wir feststellen, daß trotz allen Verklausulierungen und Vorbehalten dieser Entwurf nur allzu sehr an den Artikel 48 unseligsten Angedenkens der Weimarer Verfassung sowie an jenes Reich erinnert, in dem man, um Wilhelm II. zu zitieren, von deutscher Macht und deutschem Wesen in einem Atemzuge sprach. Um diese Behauptung zu begründen, müssen wir aber zunächst einmal kurz die wichtigsten Bestimmungen des Entwurfs aus der Juristensprache in ein allgemein verständliches Deutsch übersetzen.
II.
Der Entwurf unterscheidet zwischen dem Zustand äußerer Gefahr (Fall 1), dem der inneren Gefahr (Fall 2) und dem Katastrophenzustand (Fall 3). Wir müssen uns hier vor allem mit Fall 1 und 2 auseinandersetzen. Voraussetzung für ein Vorliegen des ersten Falles sind ein Angriff auf das Bundesgebiet mit Waffengewalt, aber auch schon die Drohung eines solchen Angriffs. Im Zeitalter des Kalten Krieges und der periodisch wiederkehrenden Krisen der Weltpolitik läßt sich sehr leicht behaupten, daß bei einer Zuspitzung der internationalen Lage wie etwa jetzt während des Kuba-Konfliktes ein Angriff auf das Bundesgebiet droht. Nicht wenige glauben ja sogar ganz ehrlich, daß schon die Existenz eines machtvollen kommunistischen Blocks, insbesondere aber auch der DDR, eine ständige Bedrohung der Existenz des Abendlandes und vor allem der Bundesrepublik darstellt.
Voraussetzung für Fall 2 ist die ernstliche und unmittelbare Bedrohung des Bestandes oder der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Bundes oder eines Landes durch Einwirkung von außen, durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt, durch Nötigung eines Verfassungsorgans, durch Mißbrauch oder Anmaßung von Hoheitsbefugnissen. Hierzu nur folgendes: Der Begriff der Einwirkung von außen ist außerordentlich vage. Jede politische oder propagandistische Tätigkeit der SED oder anderer Gruppen der DDR kann bereits als solche Einwirkung angesehen werden. In dem Zustand eines latenten Bürgerkrieges, in dem wir uns in Deutschland nach der herrschenden Meinung befinden, dürfte unter Umständen schon die subversive Tätigkeit gewisser Stellen in der DDR, wenn sie auch nur in etwa auf die Bundesrepublik ausstrahlt, ausreichen. Sicherlich wird das Einschleusen der angeblich großen Zahl von kommunistischen Agenten in die Bundesrepublik gegebenenfalls als Einwirkung von außen betrachtet werden. Ferner ist auch für den Fall 2 bereits die Drohung mit Gewalt ausreichend. Schließlich wird mit dem äußerst problematischen Begriff der Nötigung eines Verfassungsorgans gearbeitet. Nach § 240 des Strafgesetzbuches ist die Beeinflussung eines anderen schon dann rechtswidrige Nötigung, wenn die Androhung des Übels als verwerflich anzusehen ist. Ähnlich wie bei dem § 99 über Staatsgeheimnisse liegt auch hier eine allen rechtsstaatlichen Prinzipien hohnsprechende Kautschukbestimmung vor. Was nämlich als verwerflich anzusehen ist, wird von den Gerichten entschieden. Selbstverständlich lassen sich diese von den gängigen Vorstellungen leiten, wobei es ihnen kaum je möglich sein dürfte, subjektive Vorurteile ganz auszuklammern. Schon im heutigen Klima der Bundesrepublik werden sich Richter und Staatsanwälte finden, die etwa Demonstrationen oder Streiks für Lohnerhöhungen oder Abrüstung, für Entfernung von Nazirichtern aus dem Amt oder gegen die Notstandsgesetzgebung als verwerfliche und daher rechtswidrige Nötigung des Bundestages betrachten, wogegen die vertraulichen Besprechungen von Wirtschaftsführern mit Abgeordneten oder Parteiführern über die Inaussichtstellung von Wahlgeldern oder die Streichung solcher Unterstützungen sicherlich als moralisch einwandfrei angesehen werden.
Entscheidend ist natürlich immer, wer bestimmt, wann und in welchem Umfang die Voraussetzungen für den Notstand vorliegen. Wie wir noch sehen werden, trifft die Entscheidung hierüber der Bundestag (mit einfacher Mehrheit!), möglicherweise aber auch ein besonderer Ausschuß oder die Bundesregierung oder gar der Bundeskanzler. Das Bundesverfassungsgericht kann den Tatbestand überprüfen, aber immer nur hinterher.
Der neue Artikel 115 a sagt ausdrücklich, daß im Fall 1 über das Vorliegen des Notstandes grundsätzlich der Bundestag entscheidet. Wissen muß man aber, daß, wenn
vom Bundestag die Rede ist, eine einfache Mehrheit der anwesenden Mitglieder gemeint ist. Eine Fraktion mag über eine noch so knappe Mehrheit im Bundestag verfügen (die CDU/CSU 1957 bis 1961!): In einer Fraktionssitzung könnte doch die knappe Mehrheit dieser Fraktion einen Beschluß fassen, dem sich die. Minderheit aus Fraktionsdisziplin beugen würde. So könnte praktisch etwa ein Viertel der Mitglieder des Bundestages der Mehrheit den Notstand aufzwingen. Selbst heute könnte eine knappe Mehrheit der 242 Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion sagen wir also 125 einen Beschluß fassen, für den dann im Plenum alle 242 Fraktionsangehörigen stimmen würden. Würden sich diesem Beschluß noch einige wenige Abgeordnete einer anderen Partei, etwa der FDP, anschließen, so würde der Beschluß als Beschluß des Bundestages durchgehen. Möglicherweise kann aber auch ein aus 20 Mitgliedern des Bundestages und 10 Mitgliedern des Bundesrats gebildeter Ausschuß den Notstand erklären. Wie sich dieser Ausschuß zusammensetzen und wie er abstimmen wird, auch darüber soll wieder eine einfache Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat beschließen. Schließlich können aber auch bei Gefahr im Verzuge der Bundespräsident und der Bundeskanzler auf eigene Faust den Notstand verkünden. Muß nicht der Versuch, eine so ungeheuer weitgehende Maßnahme wie die Erklärung des Notstandes in die Hände kleiner Gruppen einseitig festgelegter Politiker zu legen, jeden, dem an der rechtsstaatlichen Ordnung gelegen ist, mit Furcht und Schrecken erfüllen?
Im Gegensatz zum Fall 1 wird beim Fall 2 nicht ausdrücklich gesagt, wer den Notstand erklärt. Im Endergebnis sind aber genau wie im Fall 1 wieder die einfache Mehrheit im Bundestag, die also auch eine Minderheit sein kann, der Dreißiger-Ausschuß oder die Bundesregierung zuständig. Darüber hinaus kann aber sogar unter Umständen für ein bestimmtes Land die Landesregierung oder die einfache Mehrheit des betreffenden Landtages (also auch wieder über den Weg der Fraktionsdisziplin eine Minderheit!) über die Notstandsrechte im Fall 2 verfügen. In Hessen wäre das z. B. heute die sozialdemokratische Landesregierung oder die Mehrheit der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag (26 Abgeordnete, da die Fraktion 51 Sitze hat und der Landtag aus 96 Abgeordneten besteht), in Rheinland-Pfalz die Mehrheit der CDU-Fraktion und möglicherweise eines Tages in Bayern eine Mehrheit der CSU oder die dortige Regierung, vielleicht unter einem Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß. Wer muß da nicht fürchten; daß der Notstand zu höchst fragwürdigen Manipulationen mißbraucht wird?
Diese Furcht ist um so begründeter, als beim Vorliegen des Notstandes die betreffenden Organe äußerst weitreichende Vollmachten haben. Im Falle des sogenannten äußeren Notstandes kann der Bundestag (also wieder letzten Endes eine Minderheit) Notgesetze erlassen, ohne noch wie wir sehen werden an das Grundgesetz gebunden zu sein. Auch der Dreißiger-Ausschuß kann mit oder ohne Ermächtigung durch den Bundestag solche Notgesetze erlassen. Dieselbe Machtbefugnis hat die Bundesregierung nur heißen dann die Notgesetze Notverordnungen. Schließlich können sogar einzelne Behörden, nach Übertragung durch die Bundesregierung, solche Notverordnungen erlassen. Man traut aber nicht seinen Augen, wenn man liest, daß dieses Recht auch nach Übertragung durch den Bundeskanzler sogar einem Kabinettsausschuß zusteht, dessen Zusammensetzung allein der Bundeskanzler bestimmt! Letzten Endes könnte also Adenauer selber etwa zusammen mit Strauß und Höcherl einen solchen Kabinettsausschuß mit allen Vollmachten bilden! Falls die Bundesorgane nicht tätig werden können, so können äußerstenfalls sogar die Ministerpräsidenten der Länder, Regierungspräsidenten, Landräte, Bürgermeister usw. in Aktion treten.
Alle diese Stellen können mittels der Notgesetze oder -verordnungen die wesentlichsten Grundrechte aufheben: die Meinungsfreiheit einschließlich der Pressefreiheit, die Vereinigungsfreiheit und die Freizügigkeit. Alle Bewohner, der Bundesrepublik (einschließlich der Ausländer und Frauen) können auf unbestimmte Zeit festgenommen und festgehalten werden (die Beschränkung auf eine Woche ist als Sollensvorschrift nicht bindend). Sie können auch zu Zwangsarbeit herangezogen werden, ebenso wie Enteignungen ohne Entschädigung erfolgen können. Alles das kann auf dem Wege der sogenannten Notgesetze oder Notverordnungen geschehen.
Darüber hinaus erlangt der Bund totale Gesetzgebungsbefugnis sowie die Verfügung über die Verwaltung und das Finanzwesen auch der Länder. Die Bundesregierung kann das Militär einsetzen und die Landesbehörden auch mittels sogenannter Beauftragter (Kommissare!) in jeder Beziehung anweisen. Das heißt natürlich, daß damit der gesamte föderative Aufbau der Bundesrepublik beseitigt und diese in einen zentralistischen Einheitsstaat verwandelt wird.
Im Fall 2 kann unsere Obrigkeit so frei schalten wie im Fall 1. Der Bund kann auch jetzt die gesamte Gesetzgebung an sich ziehen, das Militär voll einsetzen, sich der Kommissare bedienen, die Meinungsfreiheit einschließlich der Pressefreiheit, die Versammlungsfreiheit und die Freizügigkeit aufheben. Falls der innere Notstand durch Einwirkung von außen verursacht worden ist, können die Behörden sogar ebenso wie beim äußeren Notstand überdies die Vereinsfreiheit aufheben, eine entschädigungslose Enteignung vornehmen, Zwangsarbeit anordnen und jedermann unbeschränkt inhaftieren. Die Vereinsfreiheit und die persönliche Freiheit bleiben zwar gewahrt, und entschädigungslose Enteignung und Zwangsarbeit dürfen nicht angeordnet werden. Es ist nur ein schwacher Trost, daß im Fall 2 alle Notgesetze und Notverordnungen nur für drei Monate gelten.
III.
Welche politischen Auswirkungen mögen diese Bestimmungen nun haben? In eigenartiger Verkennung der späteren Entwicklung haben schon die Väter des Grundgesetzes die Bonner Republik zu einer reinen Repräsentativ-Demokratie machen wollen. Das Recht des Volkes, an der Regierungsgewalt mitzuwirken oder sie zu kontrollieren, wurde auf die Beteiligung an den Wahlen und die Tätigkeit der Parteien beschränkt; die Wahlen sind inzwischen weitgehend zu Akklamationen und Plebisziten geworden, die die Akte der Regierung im nachhinein bestätigen. Mit der Ausschaltung der kleineren Parteien mittels der 5 °/o-Klausel beherrschen einige wenige Monopolparteien das politische Leben; diese Parteien sind im Begriff, zu Quasi-Staatsparteien
zu werden. Nach dem Abbau der offiziellen Opposition 1959/60 haben wir bereits heute Anzeichen einer volksgemeinschaftlichen Einheitsfront, ähnlich wie nach dem 4. August 1914. Das Regierungssystem der Bundesrepublik hat man deswegen mit Recht als Kanzlerdemokratie oder auch Semi-Demokratie charakterisiert. Immerhin hatte 1949 das Grundgesetz wenigstens die Bundesgewalt durch die Eigenständigkeit der Länder zu beschränken sowie die Grundrechte des Bürgers zu sichern versucht. Der erste entscheidende Einbruch in die Freiheitssphäre des Individuums erfolgte 1956 mit der Wiederaufrüstung. Die Notstandsgesetzgebung würde nun die Länder weiter entmachten und die Freiheitssphäre des Bürgers dauernd bedrohen.
Vergessen wir nicht, daß es bei Gesetzen immer entscheidend darauf ankommt, wer sie auslegt und anwendet. In der Bundesrepublik haben wir es mit einer Bürokratie zu tun, die sich in weiten Teilen noch keineswegs von obrigkeitsstaatlichem Denken und Verhalten freigemacht hat. Die einflußreichsten Politiker und Staatsmänner sind bei uns ausgesprochen autoritäre Typen. Der Geist Bismarcks geht immer noch um. Die tägliche Praxis beweist das ebenso wie die Spiegel“-Affäre. Wir wären töricht wenn wir unterstellen wollten, daß unsere Machthaber die ihnen eingeräumten Befugnisse nicht gegebenenfalls bis zum äußersten ausnutzen würden. Wie schon einer der Väter der amerikanischen Verfassung, der geniale Hamilton, betont hat, impliziert schon die Tatsache der Regierung und Herrschaft ein tiefes Mißtrauen gegenüber dem Menschen. In einem Lande mit den historischen Traditionen Deutschlands und angesichts der heutigen weltpolitischen Lage muß dieses Mißtrauen heute und hier besonders weit reichen. Man mißverstehe uns nicht: Wir wollen keinem verantwortlichen Staatsmann unterstellen, daß er bewußt die Verfassung und das Recht brechen will auch nicht nach der Spiegel-Affäre. Wir glauben aber davon ausgehen zu müssen, daß die vorliegende Notstandsgesetzgebung unseren Herrschern das gute Gewissen dafür liefern würde, nun die Staatsautorität, so wie sie sie verstehen, noch viel rücksichtsloser als bisher durchzusetzen. Wir wissen alle, daß das wohl nicht so sehr gegen Bestrebungen von rechts, als vielmehr viel eher gegen jede unliebsame Regung von links geschehen dürfte. Insofern kommt die geplante Notstandsgesetzgebung letzten Endes trotz allen Verklausulierungen in eine unheimliche Nähe zum Artikel 48. Das Ergebnis könnte eine radikale, wenn nicht totale und fatale Machtverschiebung in der Bundesrepublik zu Ungunsten der liberalen und demokratischen und zu Gunsten der autoritären und autokratischen Kräfte darstellen.
Es ist auch kein Trost, daß die Notstandsmaßnahmen wieder rückgängig gemacht werden können. Ein einmal angerichteter Schaden kann in der Politik nur selten ohne weiteres aus der Welt geschafft werden. Man wende nicht ein, daß ja hinterher das Bundesverfassungsgericht alle Maßnahmen überprüfen und möglicherweise für null und nichtig erklären kann. Jedes Gericht ist sinnlos überfordert, wenn man auf seine Schultern die ganze Last des Widerstandes gegen die Allmacht der Staatsexekutive legt. Schließlich sind auch die Männer in Karlsruhe nur Menschen. Angesichts der bisherigen Rechtsprechung und der Jugend des Bundesverfassungsgerichts wird niemand von ihnen erwarten, daß sie in entscheidenden Fragen die Maßnahmen des Bundestages oder der Bundesregierung einfach negieren sollten. Sie werden wahrscheinlich zumindest in ihrer Mehrheit dazu neigen, einen goldenen Mittelweg zu gehen. Sie mögen versuchen, vielleicht die schlimmsten Auswüchse zu beseitigen, aber immerhin andererseits auch wieder manche noch so zweifelhafte Maßnahme doch zu sanktionieren. Nach dem fait accompli hat schließlich derjenige die Beweislast, der das Geschehene rückgängig machen will, und werden sich da die Richter des Bundesverfassungsgerichts in ihrer Mehrheit der alten deutschen Tradition in dubio pro auctoritate ganz entziehen können?
Nach dem Gesagten steht es um unsere Demokratie recht schlecht, wenn nicht die Notstandsgesetzgebung von der Opposition zu Fall gebracht wird. Wir brauchen heute in der Bundesrepublik alles andere als eine solche Ergänzung zum Grundgesetz. Sollte man aber unbedingt auf einer Notstandsgesetzgebung bestehen, so müßte man zumindest durchsetzen, daß alle Beschlüsse mit einer qualifizierten Mehrheit des Bundestages und des Bundesrates gefaßt werden. Bei diesen Abstimmungen müßte auch noch unbedingt erreicht werden, daß in diesem Fall keinerlei Fraktionsdisziplin Anwendung findet. Zugleich müßte das Bundesverfassungsgericht von vornherein eingeschaltet werden. Jede Notmaßnahme müßte ihm vor ihrem Inkrafttreten zur gutachtlichen Stellungnahme vorgelegt werden; sie könnte nur dann zur Anwendung gelangen, wenn sich das Bundesverfassungsgericht mit einer qualifizierten Mehrheit für die Rechtmäßigkeit der Maßnahme ausgesprochen hätte. Das würde die Neigung übereifriger Machthaber, zum Notstand zu greifen, dämpfen.
Es gehört zum Dilemma der Demokratie, daß sie sich stets und immer auf demokratischem Wege selbst aufheben kann. Die Mehrheit verfügt ja nicht nur über ihre eigenen Rechte, sondern auch über die der Minderheit und jedes einzelnen. Es ist heute die Aufgabe jedes einzelnen sowie der Minderheit, dafür zu sorgen, daß die angebliche Mehrheit nicht die Voraussetzungen dafür schaffen kann, daß die Demokratie eines Tages auf demokratischem Wege in eine Autokratie umschlägt.