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Entwicklung und Tätigkeit der Humanis­ti­schen Studen­ten­-U­nion

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aus: Vorgänge 01/1966 S.19-20

Die am 12. Dezember 1964 als Bundesverband gegründete Humanistische Studenten-Union zählte nach einem Jahr Bestehen Ende Dezember 1965 bereits 25 Hochschulgruppen mit etwa 650 Mitgliedern und hat somit auch zahlenmäßig den Anschluß an politische Studentenverbände wie den Liberalen Studentenbund Deutschlands (LSD) und den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) gefunden, mit denen die HSU bisher in Fragen der Notstandsgesetzgebung freundschaftlich zusammenarbeitete. Hochschulgruppen der HSU bestanden Ende Dezember 1965 an den Universitäten Berlin, Bonn, Erlangen/Nürnberg, Frankfurt, Freiburg, Gießen, Göttingen, Hamburg, Heidelberg, Kiel, Köln, Mainz, Marburg, München, Münster, Saarbrükken, Tübingen und Würzburg, an den Pädagogischen Hochschulen in Karlsruhe, Kiel und Lüneburg, an den Technischen Hochschulen in Darmstadt, Karlsruhe und Stuttgart sowie an der Hochschule für pol. Wissenschaft München. Im Jahr 1966 ist mit einem Ansteigen der Gruppenzahl auf 35 bis 40 und der Mitgliederzahl um etwa 100 zu rechnen.

In Presseerklärungen hat die HSU u. a. frühzeitig zum Niedersachsenkonkordat (Mitte Februar 1965), zur Notstandsgesetzgebung, zur Person des Würzburger Oberbürgermeisters Dr. Zimmerer, zur studentischen Bildungswerbungsaktion 1. Juli und zur Berufung Richard Jaegers zum Justizminister Stellung genommen. Gezielte Aktionen wurden in Fragen der Notstandsgesetzgebung (Veranstaltungen, Demonstrationen, Kongreß in Bonn), des Niedersachsenkonkordats und der Aktion Saubere Leinwand (300 000 Flugblätter) durchgeführt. Die Hochschulgruppen führten insgesamt über hundert Veranstaltungen, teilweise in Zusammenarbeit mit der Humanistischen Union oder mit anderen Studentenverbänden, durch. Im nächsten Jahr werden Fragen der Gesellschafts-„Formierung“, der Notstandsgesetzgebung, der Okkupation staatlicher Aufgaben und Institutionen durch Weltanschauungsgruppen im Mittelpunkt der Arbeit der HSU stehen.

Zweite Bundesdelegiertenversammlung in Marburg

Die erste Bundesdelegiertenversammlung der HSU nach der Verbandsgründung im Dezember 1964 in Freiburg fand vom 10, bis 12. Dezember 1965 in Marburg statt.

Von den 24 Hochschulgruppen waren 22 durch ihre Delegierten vertreten. Namens der Stadt Marburg überbrachte Bürgermeister Thorsten Peters die Grüße der städtischen Körperschaften und der Bevölkerung; die Vorsitzenden des Liberalen Studentenbundes Deutschlands (LSD), des Sozialdemokratischen Hochschulbundes (SHB) und des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) überbrachten ebenso wie der Vertreter der Evangelischen Studentengemeinden Deutschlands (ESGiD) Grüße ihrer Vereinigungen. Nach den Grußworten und dem Rechenschaftsbericht des Vorsitzenden „Ein Jahr HSU” erarbeiteten die Delegierten in 15stündiger Diskussion eine neue Grundsatzerklärung (s. am Schluß des Berichts), die für den gesamten Verband verbindlich ist. Neben einigen notwendig gewordenen Satzungsergänzungen wurde eine Reihe wichtiger, den Verband und die Gruppen bindende Beschlüsse gefaßt. Die HSU forderte u. a. eine konsequente Trennung von Staat und Kirchen sowie eine Überprüfung aller Staatsverträge mit den Kirchen; sie sieht als unverzichtbaren Grundsatz das Recht jedes Staatsbürgers zum Widerstand an, wenn die Grund- und Menschenrechte in entscheidenden Punkten eingeschränkt werden, wie dies bereits in der Hessischen Verfassung formuliert ist; sie weist mit allem Nachdruck die bisher vorgelegten Notstandsgesetzentwürfe zurück und bemüht sich zusammen mit anderen interessierten Vereinigungen örtliche Komitees gegen die Notstandsgesetzgebung und ihre eventuelle Durchführung zu gründen; sie begrüßt die Bestrebungen der Gewerkschaften um eine erweiterte Mitbestimmung, da gerade die unkontrollierbaren Machtzusammenballungen im wirtschaftlichen Bereich eine steigende Gefahr für die innere Pluralität unserer Gesellschaft darstellen; sie wandte sich schließlich gegen die gesellschaftlichen Formierungspläne des Bundeskanzlers und der Regierungskoalition und sie wird gerade diesem Thema im Jahre 1966 ihre gesteigerte Aufmerksamkeit zuwenden. Die Vorstandswahlen bestätigten den bisherigen Bundesvorsitzenden Hermann-Josef Schmidt und den Stellvertretenden Vorsitzenden Dr. Klaus Brockhaus für ein weiteres Jahr in ihrem Amt. Neu in den Vorstand wurden ‚gewählt als Stellvertretende Vorsitzende Karl-Heinz Roth aus Köln, Klaus Curth und Rütger Schäfer aus Marburg, Stephan Leibfried aus Berlin und Heinz Hallmann aus Freiburg, Schatzmeister wurde Hermann Ritzau aus Saarbrücken. Die Versammlung beschloß die Bildung eines Haushaltsausschusses, eines bildungspolitischen Ausschusses, eines Ausschusses für Friedensfragen und für Information, Kommunikation und Filmkritik. Als Gast der Delegiertenversammlung sprach der Vorsitzende der Humanistischen Union, Dr. Gerhard Szczesny, am Freitagabend in einer öffentlichen Veranstaltung über das Thema „Ist das Grundgesetz zu demokratisch? Zur Diskussion um die Freiheit von Kunst und Wissenschaft und das hessische Schulgebetsurteil” (s. Hauptaufsatz dieses Heftes).

Die neue Grundsatzerklärung der HSU

Die Humanistische Studenten-Union e. V. (HSU) ist ein für eine offene Gesellschaft, für Freiheit und Menschenwürde engagierter unabhängiger politischer Studentenverband, der sich die Verwirklichung und Sicherung eines freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates in der Bundesrepublik Deutschland und den Schutz der Menschenrechte zum Ziel gesetzt hat. Sie will dem Einzelnen seine Stellung in der Gesellschaft bewußt machen und auf den Abbau derjenigen Abhängigkeiten hinwirken, die der Verwirklichung dieses Zieles entgegenstehen. Die HSU bedient sich zur Durchsetzung ihrer Ziele der Aufklärung und Information, der wissenschaftlichen Analyse und der gezielten politischen Aktion. Sie bemüht sich um politische Aufklärungs- und Bildungsarbeit im weitesten Sinne.

I.

Die HSU setzt sich deshalb entschieden dafür ein,

1. daß in unserer pluralistischen Gesellschaft Menschenwürde und Menschenrechte sowohl im einzelmenschlichen als auch im gesellschaftlichen Bereich geachtet und in steigendem Maße verwirklicht werden,

2. daß das Anrecht jedes Einzelnen auf individuelle Lebensgestaltung, insbesondere auf Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnis-, Meinungs-, Informations- und Koalitionsfreiheit nicht unter Berufung auf eine angeblich allgemeine sittliche Ordnung ein-geschränkt oder einer Mehrheitsentscheidung unterworfen wird, und daß jeder von diesen Rechten ohne Furcht vor Nachteilen uneingeschränkt Gebrauch machen kann,

3. daß jede künstlerische, religiöse, weltanschauliche und wissenschaftliche Betätigung und Äußerung keinen Einschränkungen und Hindernissen unterliegt,

4. daß durch kritische Analyse und sachliche Diskussion eine Auflockerung verfestigter Betrachtungsweisen und durch das Aufzeigen von Alternativen ein größerer Entscheidungsspielraum erreicht werden,

5. daß alle gesellschaftlichen Probleme rational erörtert und behandelt werden.

II.

Die HSU tritt solchen Bestrebungen und Gruppen entgegen, welche

1. die hier vertretenen Rechte und Freiheiten einzuschränken oder zu behindern suchen,

2. die Verwirklichung einer offenen Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland zu verhindern suchen,

3. ihre religiösen oder weltanschaulichen Vorstellungen in autoritärer Weise zu allgemeinverbindlichen Normen in der politischen und sozialen Wirklichkeit der BRD erhoben haben oder zu erheben suchen.

III.

Im Bereich der Hochschule tritt die HSU besonders ein

1. für die Autonomie der Hochschule, damit die Freiheit von Forschen, Lehren und Lernen gewahrt werden kann,

2. für die freie Entfaltung des Einzelnen im Bereich der Hochschule und seine demokratische Mitwirkung an der Arbeit der Hochschule,

3. für die Gleichheit der Chancen aller Studierenden, insbesondere für eine einheitliche, familienungebundene Ausbildungsförderung.

HSU begrüßt die Kirchensteuerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

Der Vorsitzende der Humanistischen Studenten-Union hat die Kirchensteuerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts am 15. Dezember 1965 wärmstens begrüßt.

Die HSU findet es ermutigend, daß gerade in den letzten Monaten höchste Deutsche Gerichte (Bundesverfassungsgericht, Bremischer und Hessischer Staatsgerichtshof) den Mut zu grundrechtskonformen, jedoch in einer breiten Öffentlichkeit höchst unpopulären Urteilen gefunden haben und daß in der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die „Pflicht des Staates zur religiösen und konfessionellen Neutralität” ausdrücklich betont wurde. Gerade dieser Grundsatz ist nach Ansicht der HSU in den vergangenen zwanzig Jahren von den beiden christlichen Großkirchen unter Verletzung der staatlichen Neutralität immer wieder zu ihren Gunsten durchbrochen worden.

Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts haben nach Ansicht der HSU dem Vertrauen in die strenge rechtsstaatliche Gesinnung unserer führenden Gerichte eine unerhörte Verstärkung gegeben.

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