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Die Situation der Frauen in der Bundes­re­pu­blik

aus: Vorgänge Nr. 05/1966, S. 199-207

Im vorigen Herbst erschien im List-Verlag München ein Buch, das zunächst Neugier, dann Verblüffung und nicht selten Spottlust weckte. Leserinnen, die es begrüßt hätten, eine geistvolle Utopistin unter der stattlichen Reihe international anerkannter Schrift-stellerinnen dieses Jahrhunderts zu wissen, legten es nach der Lektüre verärgert beiseite. Zumindest können sie es nicht als ernstzunehmenden Beweis heranziehen, wenn sie sich gegen beliebte Klischees über die weibliche Intelligenz verwahren wollen. Unter anderen gegen dieses: Die Verstandeskräfte der Frauen würden nur durch Nächstliegendes in Bewegung gesetzt,… um kühne Gedankenbögen ins Mögliche zu schlagen, seien sie zu erd- und objektbezogen. … Der Titel des vielversprechenden Werkchens lautet Aufstieg der Frau – Abstieg des Mannes? Die Verfasserin ist die jüngste Tochter Thomas Manns Elisabeth Mann Borgese. Wenn ihr Inhaltsverzeichnis auch die Kassandrarufe jener neu beleben kann, die befürchten, die industrielle Massengesellschaft und die Fraueneman-zipation förderten zwangsläufig das Matriarchat der Inhalt des Buches selbst wird das Erschrecken vor solchen Zwangsläufigkeiten dämpfen. Und zwar durch die erstaunlich eingleisige Beweisführung der Autorin, die, gestützt auf Tatbestände aus der Biologie (vom Protozoon über Ringelwurm und Meerschnecke bis zum afrikanischen Springbock!) eine Affinität zwischen dem Kollektiven und dem Weiblichen aufzeigt, um aus dieser die „natürliche“ Entwicklung zur Frauenherrschaft in der Gesellschaft von Morgen abzuleiten. Wie sich Frau Borgese eine solche in ihrem „eigenen Utopia“

vorstellt, ist weniger originell als komisch.

Zweifellos drängt sich hier die Frage auf: Was hat ein offenbar nicht allzu geistreiches weibliches Utopia mit dem gesellschaftlichen Status der Frauen in der Bundesrepublik zu tun? Wetterleuchtet in jenem immerhin das bei uns heraufziehende Matriarchat? Kaum, aber der literarische „Aufstieg der Frau“ ist ein Symptom schlechthin. Nicht für zu

Erwartendes, sondern für die hier und jetzt gelebte Umbruchssituation der emanzipierten Frau.

Auf diese Umbruchs- oder Übergangssituation machen Soziologen, Psychologen, Ärzte und Wirtschaftswissenschafter seit zwei Jahrzehnten immer häufiger aufmerksam. Von welchem geographischen, fachlichen oder geistigen Standort aus sie sie auch analysieren, daß sie reich an inneren Konflikten“ ist, darüber sind sie sich einig. Alwa Myrdal und Viola Klein (Die Doppelrolle der Frau in Beruf und Familie, 1960) unterstreichen diese Feststellung mit folgenden Sätzen:

„…Die traditionellen Normen der Lebensführung existieren nicht mehr und sind noch nicht durch neue ersetzt worden. Die Frau kann heute nicht mehr sicher sein, was man von ihr erwartet. Es gibt nicht mehr eine anerkannte weibliche Rolle, nach der man leben kann, sondern eine Anzahl widersprechen-der Modelle, die schwer nebeneinander bestehen.“ Die hier angedeutete Unsicherheit weiblichen Bewußtseins schlägt sich – wie in anderen Konfliktsituationen auch – nicht selten in Emotionen nieder. Der katholische Autor Joachim Bodamer beklagt zum Beispiel die „chronisch gewordene weibliche Skepsis gegen den Mann“ in seiner ebenfalls 1960 erschienenen gesellschaftskritischen Studie Der Mann von heute. Auch Elisabeth Borgeses Utopia wurzelt in einer Emotion, richtiger: in einer Verwundung, die sie sich durch ein ihre Geschlechtszugehörigkeit abwertendes Kindheitserlebnis zuzog.

„…Mit dem Gehirn wuchs auch die Wunde.. .“, bekennt sie und diese schloß sich erst,

als sie ihr Buch über die zukünftige Frauenherrschaft – für das sie zwanzig Jahre lang Material bearbeitete – vollendet hatte. Etwas zu sensationell, werden selbst Verständnisvolle hier kopfschüttelnd einwenden. Aber nicht das Peinliche der Selbsttherapie ist für ein Thema über die Lage der Frauen in der Bundesrepublik von Belang, sondern das Peinigende oder doch quälend Beunruhigende, das jenes verursachte. Und dieses ist — um es nochmals zu betonen – eine psychische und intellektuelle Auswirkung jener Umbruchssituation, die von einer nicht zu unterschätzenden Zahl von Frauen in Amerika und Europa, aber auch in Asien und Afrika reflektierend, rebellierend oder passiv gelebt wird. Statistische Erhebungen und medizinische

Untersuchungen, die in den letzten Jahren in Ostblockstaaten, vor allem in Polen, veröffentlicht wurden, lassen darauf schließen, daß ihre gesellschaftspolitische wie ihre individuelle Problematik auch im kommunistischen Bereich nicht unbekannt blieb. Das ist insofern gewichtig, als in den kommunistisch regierten Staaten die weibliche Gleich-berechtigung weitaus entschlossener und gerechter verwirklicht wird (man denke nur an die großzügigen Mutterschutzbestimmungen Jugoslawiens oder an den hohen Prozentsatz weiblicher Hochschullehrer in der UdSSR: 20-30 %) als in westlichen oder westlich orientierten Staaten, einschließlich jener mit wohlhabenden Konsumgesellschaften.

Eins der nicht zu beschönigenden, wenn auch historisch erklärlichen Merkmale dieser Übergangssituation ist die Konfliktstoffe sammelnde Kluft zwischen den gesetzlich verbürgten Rechten der Frauen und deren Verwirklichung, genauer: zwischen der in den Verfassungen fixierten Gleichberechtigung (es gibt auf dem Erdball nur noch neun Staaten, die das Frauenwahlrecht nicht einführten) und ihrer dem gesellschaftlichen Strukturwandel angemessenen Praktizierung. Daß man es sich nicht länger leisten kann, sie mit betulichen Phrasen und überholten Vor-urteilen zuzudecken, belegen drei einflußnehmende internationale Kongresse aus dem vorigen Jahr: dem das „Inter-nationalen Bundes freier Gewerkschaften« in Amsterdam, der „Internationalen Arbeitskonferenz“ in Genf und der „Frauenrechtskommission der U1V“ in Teheran. Die Diskussionen und Beschlüsse dieser sich durch einen nüchternen Realitätssinn auszeichnenden Tagungen gingen von der Kalkulation aus, daß der Lebensstandard aller nur gehoben werden kann, wenn auch die Frauen erwerbs- und berufstätig sind.

Die Freien Gewerkschaften verfaßten zum erstenmal seit ihrem Bestehen eine „Charta über die Rechte der berufstätigen Frau“. Sie hat unter Punkt 6 folgenden Wortlaut: „Der Zugang zu den gehobenen Positionen muß auf allen Gebieten zu gleichen Bedingungen für Männer und Frauen offenstehen. Der Mutterschutz darf die Frau nicht in ihren Rechten auf Aufstieg benachteiligen.“ Diese Sätze beinhalten zwei weitere in der „Charta“ enthaltene Forderungen: die nach gleicher Schul- und Berufsausbildung von Jungen und Mädchen, die, wie wir aus den kritischen Stellungnahmen zum Bildungsnotstand in der Bundesrepublik wissen, selbst in „entwickelten“ Industriestaaten keineswegs eine Selbstverständlichkeit sind, und das Recht der Frau auf Arbeit auch in Krisenzeiten. Andere Punkte umrissen Empfehlungen zur „Teilzeitarbeit für Frauen“ und für deren „Wieder-

eingliederung in den Arbeitsprozeß“, wenn sie von ihren Familienpflichten nicht mehr voll beansprucht werden.

Hinter dem zuletzt genannten Punkt stehen die besonders von Alwa Myrdal und Viola Klein ausgearbeiteten Vorschläge, das Leben der Frauen den veränderten Verhältnissen der Familie und der erhöhten Lebenserwartung beider Geschlechter entsprechend, in drei Phasen zu planen: Ausbildung und Berufsarbeit vor der Ehe; Ehe und Familie; Wiederaufnahme einer außerhäuslichen Berufstätigkeit mit (ungefähr) dem 45. Lebensjahr. (Zu den hier gemeinten veränderten Verhältnissen gehört die heutige Kleinfamilie mit der technisierten Haushaltsführung und vorfabrizierten Nahrungsmitteln anstelle der vorindustriellen, autarken Großfamilie. Während 1850 noch die Hälfte der Frauen unter 45 Jahren starb, erreichen sie in der Mitte des 20. Jahrhunderts durchschnittlich das Lebens-alter von 72 Jahren.)

Die sich über drei Wochen erstreckenden Beratungen der Internationalen Arbeitskonferenz in Genf, an der 60 Regierungsvertreter, 27 Vertreter der Arbeitgeber und 40 Arbeitnehmer teilnahmen, kreisten im wesentlichen um die gleichen Ansprüche wie die der Freien Gewerkschaften. Aus den Tagungsprotokollen des Kongresses von Amsterdam wie aus dem von Genf wird zweierlei ersichtlich: Daß die mit der in allen Erdteilen zunehmenden bezahlten weiblichen Arbeit einhergehenden und Umdenken erzwing-enden gesellschaftspolitischen Aufgaben in den einzelnen Staaten zwar unterschiedliche Lösungen erfordern (in Ghana, Tunesien oder Bulgarien andere als in Schweden und in den USA usf.), daß aber das Rechtsbewußtsein, aus dem diese Lösungen gefunden werden müssen, von New York bis Tokio und Stockholm bis Lagos das-selbe zum Durchbruch drängende ist. Der evangelische Theologe Hermann Ringeling umriß es in seinem Buch Die Frau zwischen gestern und morgen (1962) unmißverständlich. Er schrieb: „Es steht uns nicht zu, die Frau auf eine Rolle festzulegen. Wer sich von einem Menschen ein Bild macht und ihn danach behandelt und einreihen will, hat ihn auf eine Momentaufnahme fixiert, die in Wahrheit nie von geschichtlicher Dauer ist. Er verwehrt ihm die Zukunft. Und er tut Unrecht …“

Wie außergewöhnlich eine solche Stellungnahme in der Bundesrepublik ist, wird in

folgendem deutlich werden. Daß die in ihr ausgesprochene Erkenntnis bei uns nur lückenhaft verbreitet ist, bezeugen zahlreiche Indizien. Beschämende, empörende und lächerliche. Wie bundesdeutsch-selbstgerecht man diesen Tatbestand verdrängen kann, obwohl die Vertrautheit mit der Materie das eigentlich verbieten müßte, vermag der Bericht der Leiterin des Frauenreferates im Innenministerium in Bonn, Dr. Dorothea Frandsens über die vier Wochen dauernde Tagung der Frauenrechtskommission der

UN in Teheran andeutungsweise zu illustrieren (erschienen in den „Informationen für die Frau“, Bonn, Jahrgang 14, Heft 10). Beredt sind in ihm die Akzentsetzungen und regierungstreuen Aussparungen. Auf dieser Konferenz konzentrierten sich die Beratungen und Beschlüsse auf die allgemeine Rechtslage der Emanzipierten oder sich Emanzipierenden. Als Punkt 1 standen die „Politischen Rechte der Frau“ auf dem Tagungsprogramm. Frau Frandsen teilt mit, daß die UdSSR zwar die stärkste Vertretergruppe nach Persien entsandt hatte, die Diskussionen dort jedoch vor allem durch die überraschend sachkundigen Beiträge der Delegierten aus Afrika und Asien belebt wurden. (Nach einem bestimmten Turnus nahmen 20 Mitgliederstaaten der UN an der Konferenz teil, unter ihnen Ghana, Guinea, Sierra Leone, China, Formosa, Nepal und die Phillipinen.). Als Verhandlungsleiterin zeichnete sich eine Rechtsanwältin von den Phillipinen aus. Der Bericht der deutschen Beobachterin (ebenso wie Japan kann auch die Bundesrepublik auf Tagungen einer Organisation der UN nur durch Beobachter präsent sein) läßt vermuten, daß Frau Frandsen drei in Teheran gewonnene Eindrücke besonders bewegten: Die glanzvolle Unterstützung, die den Delegierten vom Pfauenthron herab zuteil wurde (sich manifestierend in Gartenfesten und Soireen), das (wiederholt von ihr hervorgehobene) Wohlverhalten der Vertretergruppen aus dem Ostblock, die sich „stets loyal in den Gang der Verhandlungen einfügten“, und das Fehlen von „Schrittmachern auf dem Gebiete der Frauenemanzipation“ (aus Europa waren nur Österreich, England und Frankreich vertreten). Beim Zuletzterwähnten wird unüberhörbar, daß sie zu den abwesenden europäischen Ländern, die in der Frauenbewegung „über Erfahrungen“ verfügen, „die sich in einer Zeitspanne von mehr als hundert Jahren gebildet haben“, die Bundesrepublik zählt und daß sie die verhinderte Weitergabe von deren Erfahrungen um ihrer anregenden Vorbildlichkeit willen bedauert. Die Ministerialrätin aus Bonn, in deren Ressort die seit 1962 verschleppte Deutsche Frauen-Enquete fällt, scheint die Lage der Frauen in der Bundesrepublik günstig zu beurteilen. Gemessen an internationalen Maßstäben oder an unseren wirtschaftlichen und zivilisatorischen Erfolgspegeln ist sie aber weder zeitgemäß, geschweige denn beispielhaft.

Die ideenreiche und beeinflussende Phase der „Schrittmacher“ starb in Deutschland schon in den frühen zwanziger Jahren ab. Diese bis heute, jedenfalls in Westdeutschland nachwirkende historische Tatsache wurde nicht nur von einer Pionierin der deutschen Frauenbewegung, von Agnes von Zahn-Harnack 1928 (Die Frauenbewegung) nicht ohne Bitterkeit festgestellt, sondern auch von anderen „unbeteiligteren“ Autoren.

Beispielsweise von Werner Thönnessen in seiner 1959 veröffentlichten Broschüre

Die Frauenemanzipation in Politik und Literatur der Deutschen Sozialdemokratie

(1865-1933). Die Nachwirkungen des verlorenen Krieges, Inflation, Arbeitslosigkeit und die innerpolitische Selbstzerfleischung in der Weimarer Republik ließen die hoffnungs-vollen Ansätze zur Gleichberechtigung frühzeitig verdorren. Sie war :schon in den Jahren vor 1933 von Resignation und Apathie gezeichnet, obwohl die Politikerinnen, die seit 1920 im Reichstag saßen (in der Nationalversammlung von 1919 waren sie mit 9%, im 1. Reichstag 1920 mit 8%, 1924 mit 6%, zwischen 1933 und 1945 in den Parlamenten gar nicht mehr vertreten), einige der seit zwanzig .Jahren von den verschiedenen Sezessionen der Frauenbewegung ausgearbeiteten Vorschläge verwirklichen konnten. Ihnen sind u. a. die „Mutterschutzabkommen“ seit 1919, das „ Jugendwohlfahrtsgesetz“, das „ Jugendgerichtsgesetz“, die „Lex Behm“ und das „Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten“ (anstelle der alten Reglementsvorschriften) zu verdanken. Es gelang ihnen auch, gegen hartnäckigen Widerstand durchzusetzen, daß die seit 1908

endlich an deutschen Hochschulen studieren dürfenden Pädagoginnen, Medizinerinnen, Sozialwissenschafterinnen und Juristinnen zur Habilitation zugelassen wurden und

daß ab 1922 Frauen alle Rechtsberufe ausüben und Geschworene werden durften.

Trotz dieser Erfolge war ihr Einfluß, verglichen mit ihrem Einsatz und ihren berechtig-ten Hoffnungen, spärlich. Die Frauen stießen – schreibt Agnes von Zahn-Harnack –

in ihrer neuen Umwelt, das heißt in allen Institutionen, die man ihnen geöffnet hatte,

auf die gleichen Vorurteile wie vor dem ersten Weltkrieg. Das Resümee der sachlich berichten-den Frauenrechtlerin wird von einer deprimierenden Vielzahl von Beispielen bekräftigt.

 

 

Um die Widerstände, gegen die sich die eben mit neuen Rechten und Pflichten Ausg-estatteten durchsetzen mußten, wenigstens anzudeuten, sei der 1921 gefaßte Beschluß

des Richtertages von Leipzig, der die weibliche Zulassung zu allen Rechtsberufen vereiteln sollte, hier wiedergegeben. Er lautete: „1. Die Frau ist zum Berufsrichter ungeeignet; 2. als Laienrichter in Strafsachen (Schwurgerichte und Schöffengerichte) ist die Frau ungeeignet. Sie ist daher auch in Strafsachen gegen jugendliche Angeklagte im Alter von 14-18 Jahren ungeeignet. Die Mitwirkung der Frau in diesen Strafsachen ist allerdings erwünscht und ist durch Zuziehung der Frau als sachverständige Beraterin mit besonderen weitgehenden prozessualen Rechten sicherzustellen. 3. Dagegen bestehen keine Bedenken, die Frau außer-halb der Strafrechtspflege auf gewissen Gebieten (bei Arbeitsrecht, Militärhinterbliebenenversorgung) als Laienrichterin zuzuziehen, wo es

sich um Verhandlungsgegenstände handelt, die für das Gefühlsleben mehr indifferent sind.“

Möglicherweise wird der Leser hier einwenden: Zeugnisse für eine derart bornierte Ignoranz der geschlechtsneutralen Intelligenz des Menschen ließen sich vierzig oder

fünfzig Jahre nach jenem fatalen Richter-Urteil nun denn doch so leicht nicht – jedenfalls nicht aus Akademikermund – mehr finden. Der einen solchen Einwand befürwortende Optimismus über die Lebensdauer von Vorurteilen ist verfrüht. Ganz ähnliche Zeugnisse liegen seit 1960 sogar gesammelt vor und zwar in der dickleibigen Untersuchung Probleme der Deutschen Universitäten von Hans Anger (Mohr-Siebeck, Tübingen).

Sie lösten bei den Frauen manche Heiterkeit aus was einmal beweist, daß der „chronisch gewordenen“ weiblichen Skepsis gegen den Mann einige Prisen Humor beigemischt sind, und zum anderen, daß das Selbstbewußtsein der Frauen seit der Jahrhundertwende doch Fortschritte gemacht hat. Die unerschrockenen Kämpferinnen für die Emanzipation wurden – gezwungenermaßen – noch zornig.

Hans Anger interviewte Hochschullehrer an zwei deutschen Universitäten über ihre

Beurteilung der Studentin und Dozentin. Anhand der Prüfungsergebnisse stellte sich heraus, daß „die bei jeder psychologischen Testprüfung eindeutig nachweisbare Streu-ung der individuellen Begabungsdifferenzen in jedem Falle erheblich größer ist als die nach wie vor umstrittenen durchschnittlichen Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Mit Sicherheit läßt sich daher sagen, daß das Geschlecht kein geeignetes Auswahlkriterium darstellt“, und daß „sich heute schon mit Bestimmtheit sagen“ ließe, „daß die traditionelle Annahme einer gleichsam naturbedingten geistigen Inferiorität

der Frauen. . . jeder empirischen gesicherten Grundlage entbehrt“.

Dieses sachlich begründete Resultat der Interviews steht´in einem befremdenden Widerspruch zu den Urteilen – richtiger: Meinungen – der befragten Professoren und Dozenten. Über die Motive ausgeforscht, aufgrund deren Mädchen und Männer studieren, wurden Antworten dieser Qualität erteilt: „Wenn sie (die Studentin) nicht hübsch genug ist, um mit Sicherheit Heiratsaussichten zu haben, geht sie auf die Universität. Das zeigt sich daran, daß wir nur sehr wenige hübsche Studentinnen haben.“ Oder: „Weibliche Hochschullehrer sind immer häßlich, wenn sie hübsch wären, wären sie geheiratet worden.“ – Nach den Leistungen und Fähigkeiten der Studentin um Auskunft gebeten, bekam Hans Anger zu hören: „Die Studentin ist meist besonders

fleißig, sie leistet darum in bloßen Gedächtnisdingen mehr als der Student, aber wenn es auf das Wesentliche ankommt, kann sie nicht mehr mit.“ Die Begabung für das Wesen-tliche vermißt hier ein Theologe.

Einige Juristen gaben zu, daß die Frauen bei ihnen „an der Spitze“ ständen, doch das gehe auf eine „hier vorherrschende Elite“ zurück. Ein Naturwissenschafter faßt indes seine Erfahrungen dahin zusammen: „Bei den Mädchen ist es viel seltener zu beobach-ten, daß sie deduktiv formalen Gedankengängen gewachsen sind“, und die Philologen beklagen deren mangelhaften Sinn für Geschichte. Die Mediziner endlich fanden die Durchschnittsleistungen der Frauen „infolge ihres Fleißes“ höher als die der Männer, konnten sich jedoch bis auf eine Ausnahme nicht darauf besinnen, jemals Spitzen-leistungen in ihrem Fach erlebt zu haben. – Die Einstellung eines Lehrkörpers zum Frauenstudium ergab folgende Prozentzahlen: 4 %: positiv – 15 %: bedingt positiv – 40 %: bedingt negativ – 24 %: grundsätzlich ablehnend – 17 %: unklar. – Anger schreibt zu dem Ergebnis seiner Interviews u. a. „Auffällig ist nun, daß Professoren, die nach eigener Aussage über keinerlei Erfahrungen mit Studentinnen und Dozentinnen verfügen, niemals eine positive oder bedingt positive Stellungnahme zum Frauenstudium oder zum Problem des weiblichen Hochschullehrers abgaben, und das Gleiche gilt für jene, die bei der Beantwortung unserer Fragen nur im Singular über die Frau oder das Wesen des Weibes sprachen… Besonders zahlreich fanden sich positive Einstellungen unter jenen Befragten, die sich ausdrücklich auf eigene Erfahrungen mit Studentinnen (…) oder Dozentinnen (…) beriefen.“

Die Bundestagsdrucksache IV/3023 von 1965 verzeichnet eine Kleine Anfrage der

Abgeordneten Frau Dr. Diemer-Nikolaus, Frau Funke u. a. über die Zahl der Frauen

und ihre Funktionen an den wissenschaftlichen Hochschulen der Bundesrepublik. Aus der Antwort des vorigen Bundesministers für wissenschaftliche Forschung erfuhr man (Bundesdrucksache IV/3093), daß es nach der amtlichen Statistik: 1960 im Gesamt-lehrkörper mit 6407 Personen 147 Frauen gab (d. h. unter den ordentlichen, außer-ordentlichen, planmäßigen Professoren und Dozenten). Von diesen 147 hatten 18 einen Lehrstuhl (0,76 %). 129 waren habilitierte Nichtordinarien (3,5 %). Nach nichtamtlich-

en Statistiken (des Dt. Akademikerinnenbundes) ist die Zahl der weiblichen Lehrstuhl-inhaber allerdings von Ende 1960 bis 1964 auf 32 und die Zahl der Frauen im Gesamt-lehrkörper auf 184 gestiegen. Trotz dieses erfreulichen Zuwachses liegen die Zahlen alarmierend unter jenen anderer westlicher Länder und den USA (z. B. Italiens, Österreichs, Englands), von dem schon genannten ungleich günstigeren Proporz in

den Ostblockstaaten ganz zu schweigen. Wenn man auch berücksichtigen muß, daß

die Akademikerinnen in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts öfter heiraten als die

der zwanziger und dreißiger Jahre und die älteren unter ihnen die eingeschlagene wissenschaftliche Laufbahn nicht weiterverfolgen konnten, weil sie nach 1945 als Witwen zurückblieben, die für den Unterhalt ihrer Kinder sorgen mußten, so wird

damit noch nicht hinreichend erklärt, warum es in anderen westlichen und östlichen Ländern mehr Hochschullehrerinnen gibt als bei uns.

Nach den Ergebnissen der Interviews von Hans Anger sind die ausschlaggebenden

Gründe für diesen Tatbestand nur von jenen zu übersehen, die sie übersehen wollen.

Um diese Feststellung zu erhärten, seien noch drei von Anger festgehaltene Begrün-dungen für die Seltenheit deutscher Lehrstuhlinhaberinnen zitiert. Ein Ordinarius hielt folgende für ausreichend: „Die akademische Tätigkeit ist eine vorwiegend abstrakte und liegt deshalb der Frau nicht so; auch die intellektuellen Beziehungsverknüpfungen liegen ihr nicht. Die Notwendigkeit der Autorität mag der Frau auch Schwierigkeiten bereiten.

Der Mann kann bis ins hohe Alter hinein eine intellektuelle Steigerung erfahren. Aber die Frau neigt bei wachsendem Alter zur Ruhe und Seßhaftigkeit… Aber auch physisch ist der Beruf zu anstrengend, deshalb haben wir kein Angebot von seiten der Frauen“ (!!!). Ein anderer Ordinarius lehnte die Hochschullehrerin mit der unwirschen Bemer-

kung ab: „Die kluge Frau exponiert sich nicht …“ Und ein dritter: „Die Frau basiert zu sehr auf dem Gefühlsleben. Dies ist auf der Universität aber völlig ausgemerzt. Deshalb gibt es dort keinen Platz für Frauen. ..“ – Bei dieser Argumentation kann man sich der Anmerkung kaum enthalten: In den Audienzzimmern deutscher Universitätsprofessoren scheint das Gefühlsleben nicht ausgemerzt zu sein. Zwischen ihren mit Fachliteratur, Sonder-drucken aus aller Welt und nicht selten mit hochempfindlichen Apparaturen

versehenen vier Wänden geistert ein, „von der Erfahrung fast unabhängiges und z. T. sogar durch konträre Erfahrungen nicht korrigiertes Bild“ (Anger) von der Frau und deren negativer Beziehung zur Wissenschaft, ja zum Geistigen schlechthin, das man aus der Epoche der „Puppenheime“ konservierte.

Als Helene Lange 1887 die berühmt gewordenen „Berliner Lehrkurse“ einrichtete, um junge Mädchen zum Abitur und Studium im Ausland (Frauen wie Ricarda Huch, Elisabeth Lüders u. a. promovierten in Zürich) vorzubereiten, gaben einige Oberlehrer, die

der weiblichen Jugend entrüstet den Besuch ihrer Schulen verweigerten, auf einer Pädagogentagung in Weimar ihrem Wohlwollen gegen-über der zu erweiternden Frauenbildung in markigen Sätzen wie diesen Ausdruck: „Es gilt, dem Weibe eine der Geistesbildung des Mannes in der Allgemeinheit der Art und der Interessen ebenbürtige Bildung zu ermöglichen, damit der deutsche Mann nicht durch die geistige Kurzsich-tigkeit und Engstirnigkeit seiner Frau am häuslichen Herde gelangweilt und in seiner Hingabe an höhere Interessen gelähmt werde … – Viel weiter scheint eine schwer zu schätzende, aber gewiß nicht zu unterschätzende Anzahl deutscher Professoren drei-viertel Jahrhundert später noch immer nicht gehen zu wollen. Zwar wird man nach zwei, die bildungsbürgerlichen Wertmodelle untergrabenden Weltkriegen auf die technische und wissenschaftliche Assistentin kaum verzichten wollen, läßt wohl auch die Lekto-

rin in den männlichen Hochschulreservaten passieren, aber in den oberen Rängen der bundesdeutschen Universitätshierarchien (die Gastprofessoren von Übersee wie jene aus den Entwicklungsländern museal anmuten) werden Frauen nach den zweifellos repräsentativen „Urteilen“, die Hans Anger aufzeichnete, nur ungern oder nur als

geniale Ausnahmefälle geduldet.

Man muß sich nach der Kenntnis jener Dozentenaussagen allerdings fragen, ob

überragende weibliche Begabung an deutschen Hochschulen überhaupt gedeihen kann und wenn, ob man sie wahrnehmen und ermutigen würde. Man braucht nicht gerade mißtrauisch veranlagt zu sein, um zu befürchten, daß die Voreingenommenheit, die die Interviews zu Tage förderten, sich auch in Seminaren und Gutachter- und Berufungs-konferenzen beredt niederschlägt. Oder sind vorzüglich die bundesdeutschen Frauen

mit seelenvoller Beschränktheit geschlagen? Andernorts ist das weibliche Hirn „deduktiv formalen Gedankengängen gewachsen.“ 1964 wurde die Oxforder Professorin Dorothy Crowfort Hodkins (3 Kinder, 3 Enkel!) vierte Nobelpreisträgerin in den Naturwissenschaften (Chemie). Ein Jahr vorher erhielt die Amerikanerin Maria Goeppert-Mayer die gleiche Auszeichnung für Physik. 1965 wurde Professor Dr. Ing. Liselotte Herforth (Lehrstuhlinhaberin für Isotope) Rektorin der Technischen Hochschule in Dresden und Professor Rachel Shadons Vizepräsidentin der TH in Haifa (Lehrstuhlinhaberin für Baustoffe). Die Direktorin des Strahlenbiologischen Institutes der Universität Zürich, Professor Hedi Fritz-Niggli wurde kürzlich zum Mitglied der berühmten „Leopoldina“ gewählt. Für das Amtsjahr 1966/67 wurde Professor Dr. Margot Becke (Ordinarius für anorga-

nische und analytische Chemie) Rektor der Universität Heidelberg.

Ralf Dahrendorf schrieb 1964 im Merkur: „Untersuchungen des Sozialprestiges weisen

in Deutschland regelmäßig den Universitätsprofessor als Spitzenreiter aus. Auch in

Konkurrenz mit dem Generaldirektor, dem Minister, dem General, dem Bischof und

dem Prinzen wird in der Meinung befragter Menschen (Emnid) dem Professor der Vorzug gegeben. . .“ – Ob die Höchstgeachteten, die sich in den Anger-Interviews so peinlich über ihre Studentinnen und Kolleginnen vernehmen ließen, dies wußten?

Ob sie sich über die Auswirkungen ihrer Plaudereien über ein in Washington und Moskau, in Peking und am Sambesi unter gegenwartsbewußteren Perspektiven diskutiertes Thema klar waren? Gehören ihre einem überlebten christlichabend-ländischen und neudeutsch-braunen Reservoir entnommenen Diskriminierungen

nicht zu den landesüblichen „unbegrenzten Zumutbarkeiten“, die Ulrich Sonnemann brandmarkte?

Im Wintersemester 1963/64 studierten 28 % Frauen an deutschen wissenschaftlichen Hochschulen. Nach der Volks-und Berufszählung von 1961 ergab sich bei der „Perso-nengruppe mit abgeschlossener Hochschulbildung“ z. B. ein solches Zahlenverhältnis: von 100 Männern waren 89, von 100 Frauen 70 berufstätig. Wo der Beruf vorwiegend selbständig ausgeübt wurde (Medizin), waren 95 % der Männer und 77 % der Frauen tätig. Diese Zahlenangaben, auf deren Aufschlüsselungen hier verzichtet werden muß, lassen zumindest erkennen, daß die Ausscheidungsquote der Akademikerinnen (durch Ehe- und Familienpflichten) keineswegs so hoch ist, daß man Frauen von einer langen Ausbildungszeit abraten muß, weil sie ihren Beruf später nicht ausüben werden (die Angaben sind einem Artikel der Juninummer von Wirtschaft und Statistik, Jahrgang

1965 entnommen).

In der Bundesdrucksache IV/2779 von 1965 ist eine Kleine Anfrage – wiederum von FDP-Abgeordneten – nachzulesen, die um Zahlenangaben über die Beschäftigung von Frauen im Bundesdienst bat. Die Auskunft wurde, wie folgt, erteilt: Bis Mitte 1965 arbeiteten 4°/o Frauen als Sachbearbeiterinnen in den Bundesministerien. Es gab weder Ministerialdirektorinnen, noch Ministerialdirigentinnen, jedoch 9 (!) Ministerialrätinnen und 29 nichtbeamtete Referentinnen im Verantwortungsbereich einer Ministerialrätin.

In den Länder- und Kommunalverwaltungen liegen die Verhältnisse nicht besser. –

Schon zwischen 1920 und 1933 beklagten sich die mit kritischem Verstand und im Ausland erworbenem Sachwissen versehenen Vorkämpferinnen der „Gleichberech-tigung“ bitter, daß ihnen der Zugang zu den gehobenen Positionen selbst

in den Schulbehörden, in den Staats- und Kommunalverwaltungen, sogar in den Sozialämtern, für die sie Expertinnen ausgebildet hatten, versperrt blieben. In den Parteien erging es ihnen nicht anders. Die Sozialdemokratinnen empörten sich „über

die Scherzhaftigkeit der Genossen“, wenn sie sachlich begründete Vorschläge auf den Partei-tagen unterbreiteten. Sie ließen sich schließlich resigniert zur „Arbeiterwohlfahrt“ und zum Kassieren von Parteibeiträgen abschieben (Thönnessen a. a. O.). Nach dem Ermächtigungsgesetz von 1925 wurden die verheirateten Beamtinnen mit sechswöchentlicher Kündigung abgebaut. Und in den Jahren der zunehmenden Arbeitslosigkeit entließ man ledige und verwitwete Arbeiterinnen, Angestellte und Beamtinnen fristlos, wenn sie nicht mehr als 3 (!) Kinder zu unterhalten hatten.

Die 1965 verfaßte „Charta“ der „Freien Gewerkschaften“ enthält nicht von ungefähr die Forderung „Der Anspruch der Frau auf Arbeit muß auch in Krisenzeiten aufrecht er-

halten bleiben“. – Nach den deutschen Erfahrungen von 1920 bis 1945 ist die Befürch-tung nicht grundlos, daß man die „Gleichberechtigung“ zu einem weiblichen Arbeits-kräftereservoir umwerten könnte, dessen man sich nach Bedarf bedient und das man

ohne viel Federlesens bei veränderter Wirtschaftslage wieder ausschaltet.

Der Paragraph 1356 des Gleichberechtigungsgesetzes von 1957 ist ohnehin etwas kautschukartig. Im Sinne der Forderung der „Freien Gewerkschaften“ erscheint er nicht unbedingt zuverlässig, denn er lautet: „Die Frau ist zur Erwerbstätigkeit berechtigt, soweit dies mit ihren Pflichten in der Ehe und Familie vereinbar ist.“ Das am 1. 4. 1966 in der DDR in Kraft getretene Familiengesetzbuch, gegen das in unserer Presse in z. T. unverständlicher Weise polemisiert wird (es enthält immerhin die Gleichstellung des unehelichen Kindes mit dem ehelichen und kennt bei der Ehescheidung keinen Schuldigen mehr), verpflichtet auch den männlichen Ehepartner zur Hausarbeit, wenn der weibliche berufstätig ist. Aus einer 1961 veröffentlichten empirisch-soziologischen Erhebung Dr. Elisabeth Pfeils von der Hochschule Hamburg (Berufstätigkeit von

Müttern) geht hervor, daß eine solche Solidarität zwischen den Ehepartnern in der Bundesrepublik, wenn überhaupt vorhanden, bei Arbeitern und Akademikern üblicher ist

als bei mittleren und unteren Angestellten.

Wie man aus den Tagungsprogrammen der eingangs benannten drei internationalen

Konferenzen von 1965 entnehmen konnte, wird die „Gleichberechtigung“ der Frau in

der noch immer vorzüglich auf den Mann ausgerichteten Arbeitswelt in jüngster Zeit kritischer untersucht, als das noch vor ein paar Jahren der Fall war, um die nicht mehr totzuschweigenden Widersprüche zwischen ihrer Rechtsgültigkeit und ihrer Verwirk-lichung zu lösen.

Dieser Aufgabe sollen vor allem die „Frauenreports“ dienen, die nach dem noch von

Präsident Kennedy in Auftrag gegebenen und 1963 veröffentlichten amerikanischen („Report of the Presidents Commission of the Status of Women“, übersetzt ins Deutsche, Italienische, Schwedische, Japanische) und den schwedisch-norwegischen Untersu-chungen „Leben und Arbeit der Frau“ (ebenfalls 1963) auch von der Bundesrepublik, Dänemark und Japan vor-bereitet werden. Anhand detaillierter Recherchen namhafter Wissenschafter (Soziologen, Mediziner, Psychologen, Juristen, Nationalökonomen und Sozialversicherungsexperten) will man mit ihnen Klarheit über die tatsächliche Situation der erwerbstätigen Frau gewinnen. Das meint im besonderen: über ihre Ausbildungs-

und Aufstiegsmöglichkeiten, ihre Arbeitsbedingungen und ihre neben der außer-häuslichen Tätigkeit zu erfüllenden Familienpflichten. Untersuchungen über die Entwicklung ihrer Kinder sind ihnen beigeordnet. Aus den jeweiligen Ergebnissen

sollen dann Reformvorschläge, die man den Parlamenten und Regierungen vorlegt, entwickelt werden. Es geht in ihnen also vorzüglich darum, die der gegenwärtigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Funktion der Frau angemessenen sozialen und rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, unter denen die weibliche Gleichberechtigung eigentlich erst gewährleistet werden kann. Sowohl die amerikanische wie die schwedische Regierung zogen aus ihren Frauenreports bereits praktische Konsequenzen. Das gleiche gilt für jene Englands, Polens und der Schweiz, denen seit Jahren aus Detailuntersuchungen gewonnene Empfehlungen zur Verbesserung des Status der weiblichen Berufstätigen zugehen. –

Alle hier angedeuteten Recherchen wurzeln in der Erkenntnis: daß das weibliche Recht auf Arbeit in Zeiten der wirtschaftlichen Hochkonjunktur nur sehr unvollkommen durch den Prozentsatz der im Erwerbs- oder Berufsleben stehenden Frauen bekräftigt wird. Glaubwürdig verwirklicht kann es nur erscheinen, wenn man den berufstätigen Frauen aus partnerschaftlicher Einsicht differenzierte Arbeitsbedingungen zugesteht, die ihre „Doppelrolle“ berücksichtigen: als Ehefrau und Mutter und als Berufstätige.

In allen europäischen Staaten diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs und vor allem in Amerika ist die Zahl der verheirateten Frauen seit dem Ausgang des Zweiten Weltkrieges erheblich gestiegen. In der Bundesrepublik in zwölf Nachkriegsjahren um 20 Prozent. Die Frühehe,einschließlich der Studentenehen, sind wie die erhöhte Lebenserwartung internationale Phänomene in industriellen Leistungsgesellschaften. In der Bundesrepublik geben jungverheiratete Frauen, soweit sie einer außerhäuslichen Arbeit nachgehen, diese meistens erst nach der Ankunft des zweiten Kindes auf. Mangelnde Aufklärung beläßt

sie offenbar in dem Irrtum, daß das schulpflichtige Kind die Mutter dringender benötige als das dreijährige oder das Baby. In den USA hält man die Erwerbstätigkeit von Müttern mit Kindern unter sechs Jahren geradezu für unmoralisch, wenn sie nicht von ungün-stigen wirtschaftlichen Verhältnissen erzwungen wird. Dem ist allerdings hinzuzufügen, daß in den angelsächsischen Ländern die Tagesschulen vorherrschen. Da also in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts durch Frühehe und erhöhte Lebenserwartung in zunehmendem Maße verheiratete Frauen erwerbs- und berufstätig sind, gehören zu den differenzierten Arbeitsbedingungen: die Ausgestaltung der Teilzeitbeschäftigung – auch für Beamtinnen (auch des höheren Dienstes) – die Einrichtung von Kinderkrippen und Tagesschulen und von Weiterbildungskursen für die jahrelang aus ihrem Beruf Ausscheidenden (nicht nur an den Fachschulen, sondern auch an den Universitäten).

Wie schwer sich die zuletzt genannten Forderungen heute erfüllen lassen, ist den Fordernden nicht unbekannt. Der notorische Fachkräftemangel könnte sie geradezu illusorisch erscheinen lassen und verführt nicht selten zu dem näherliegenden Lösungsvorschlag, die Mütter sollten grundsätzlich auf die Berufsarbeit verzichten und zu den berühmt berüchtigten drei K’s zurückkehren: Kinder, Küche, Kirche… Außerdem werden sich hier sich auf ihre Erfahrungen berufende Skeptiker zu Wort melden und einwenden, daß die Frauen die ihnen in den vergangenen vier, fünf Jahren häufiger angebotenen Aufstiegschancen – sei es in der Wirtschaft, im Schuldienst oder in der Verwaltung – enttäuschend selten nutzten. Sie zögen ebenso wie die Arbeiterinnen Beschäftigungen vor, die sie mit möglichst wenig Verantwortung beladen.

Ganz ähnliche Einwände lassen Politiker hören; obwohl man die wenigen Frauen, die sich politisch engagieren, bei den Wahlen bis auf ein paar Ausnahmen hoffnungslos schlecht auf den Kandidatenlisten placiert und im Vergleich zu den wortreich angebotenen Männern einigermaßen zurückhaltend für sie wirbt. Daß unbequeme Politikerinnen, die schonungslose Fragen stellen, noch unbeliebter sind als ihre männlichen Kombattanten, zeigte der nicht zu verschleiernde „Fall Hamm-Brücher“ bei den letzten bayrischen Landtagswahlen. Er ging wie die verhinderte Rückkehr Hedda Heusers in den Bundestag (1965) auf das Konto der an mutigen und gescheiten Frauen nicht armen FDP.

Daß Frauen sich ungern dazu entschließen, ihre ganze Kraft beanspruchende Verantwortungen im Beruf wie in der Politik zu übernehmen, ist unbestreitbar.

Man vergißt männerlicherseits nur leicht, den Gründen für einen solchen Verzicht nachzuspüren. Nur zu oft machen diese ihn notwendig. Sieht man einmal von den Vorurteilen ab, denen sich eine Vorgesetzte von Männern fast stets ausgesetzt weiß und vor deren entnervender Konkretisierung bei der Zusammenarbeit sie zurückschreckt –

der trifftigste Anlaß für ihre beruflichen Selbstbescheidungen ist die schon ein paar Sprossen tiefer durchlebte Überforderung ihrer Leistungsfähigkeiten. Um ihre „Doppelrolle“ durchzuhalten, ohne Schaden zu nehmen, wird sie ihnen in den west-lichen Ländern voran in der Bundesrepublik – trotz Arbeitszeitverkürzungen (die

jedoch eher ihren Ehepartnern als ihnen freie Stunden bescheren) nur provisorisch, improvisiert oder überhaupt nicht erleichtert. „Frauenreports“ werden den Parlamenten auch vorgelegt, weil sie einer weiteren Zunahme der Frühinvalidität weiblicher Berufstätiger mit Familienpflichten vorbeugen wollen. Von bundesdeutschen Restaurationsenthusiasten wird diese Frühinvalidität mit Vorliebe zum beweiskräftigen Vorwand mißbraucht, um die Frauen an den häuslichen Herd zurückzulocken. Daß

dieser inzwischen vollautomatisiert kochen kann und sich die von Illustrierten und Werbezeitschriften zu ewig jungen, immer strahlenden Heimchen-am Herd-Manipulierten, wenn ihre Kinder nur halbwegs erwachsen sind, vom Morgen bis

zum Abend allein an ihm finden und empfinden, wird nicht in Betracht gezogen.

Doch welcher Ehemann, der sie dort aufgehoben wissen möchte, kommt noch zum Mittag-essen nach Hause?

Nach einer Angabe Ludwig Prellers (Zeit 1965, Nr. 52 unter der Überschrift „Der Patriarch regiert nicht mehr“) ist in Westdeutschland jede zweite jung verheiratete Frau unter 25 Jahren erwerbstätig. In Großstädten wie Hamburg und Frankfurt ist jede vierte Arbeiterfrau, jede siebente Angestellten- und jede achte Beamtenfrau der mittleren Jahrgänge erwerbstätig und Mutter von Kindern. Im Sonderdruck „Zur Erwerbstätigkeit von Müttern“, den der „Verein für öffentliche und private Für-sorge“, Frankfurt a. M.,

im November 1964 herausgab, ist zu lesen: „Die Erwerbstätigkeit der Mütter hat um so stärker zugenommen, je größer die Kinderzahl im Haushalt ist. Das gilt besonders für

die Mütter in abhängiger Stellung. Seit 1957 ist die Zahl der erwerbstätigen Mütter (…)

mit 1 Kind unter 14 Jahren um 24 % gestiegen, bei zwei Kindern um 44 %, bei drei und mehr Kindern um 98 %. Unter den 1962 außer Haus arbeitenden 1 600 000 Müttern befanden sich 55 % Arbeiterinnen, 22 % Beamte und Angestellte und 23 % Selbständige und mithelfende Familienangehörige (nicht eingerechnet der Beschäftigten in der Land- und Forstwirtschaft). Einem Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes ist folgendes Einkommen von erwerbstätigen Müttern von Kindern unter 14 Jahren aus dem Jahre 1962 zu entnehmen: 36 % verdienten 150-299 DM; 39 %: 300-599 DM; 3,4 %: 600-799 DM und 1,5 % 800 DM und darüber. Zweifellos sind die Einkommen von berufstätigen Müttern 1966 höher als die sich in den hier wiedergegebenen Zahlen niederschlagenden und obwohl die in ihnen mitenthaltenen Teilzeitbeschäftigungen infolge des Arbeitskräftemangels gestiegen sind. Gewiß aber nicht, weil die Frauen im Zuge der fortschreitenden Gleichberechtigung in höher dotierte Positionen aufrückten. – Es erscheint an dieser Stelle vielleicht nicht überflüssig, den eben genannten Zahlenangaben die Versicherung hinzuzufügen, daß sich die jugendlichen Kriminellen auffallend selten aus den bemitleideten „Schlüsselkindern“ rekrutieren. Die meisten Kinder erwerbstätiger Mütter werden von Verwandten (insbesondere bei den Arbeiterinnen) zufriedenstellend betreut. Aus der „empirisch-soziologischen Erhebung an 900 berufstätigen Müttern aus vollständigen Familien“, die Elisabeth Pfeil vorlegte, geht hervor, daß eine psychische Schädigung der Kinder durch die Erwerbstätigkeit ihrer Mütter nicht nachgewiesen werden kann. Dieses Ergebnis wird von englischen Untersuchungen unterstützt. Es kommt in erster Linie auf die Intelligenz und Vitalität der Mütter an, ob sie sich durch ihre berufliche Beanspruchung ihren Kindern entfremden oder ob sie die Beziehung zu ihnen gerade durch diese zu intensivieren vermögen. Nach E. Pfeils Ermittlungen schätzen schulpflichtige Kinder gar nicht selten die allgemeinen Fragen aufgeschlossene geistige Weiträumigkeit ihrer berufstätigen Mütter. Die Zu-kurz-Kommenden, Über-forderten und Übermüdeten sind in den meisten Fällen diese und nicht ihre Kinder. Elisabeth Pfeil schreibt in ihren Schlußbemerkungen, es sei „keineswegs ausgemacht,

daß wir geradewegs auf eine Gesellschaft zugehen, in der Mütterarbeit allgemein wird. Vielmehr scheint alles auf Differenzierungen zu drängen. Hier ja, dort nicht – in dieser Lebensphase, aber nicht in jener – für solche Frauen ja, für andere nein. Die kommende Gesellschaft wird eher eine mehrschichtige sein. Die Schicht der berufsorientierten Frauen wird zwar zunehmen, nicht aber das ganze Feld besetzen“.

Wie wenig gradlinig der Weg der Frau im 20. Jahrhundert verlief und vor allem verläuft, bestätigt das kürzlich bei Rowohlt herausgekommene Buch der Amerikanerin

Betty Friedan, Der Weiblichkeitswahn oder die Mystifizierung der Frau (Originalaus-gabe 1963 unter dem Titel „The Feminine Mystique“, New York). Es ist, was der Umschlag verspricht, ein „vehementer Protest gegen das Wunschbild von der Frau“, das die Amerikanerinnen nach dem Zweiten Weltkrieg, verdummt durch Popularpsycho-logie und absatzsteigernde Reklame, zu verkörpern trachten und verkörpern. Ein aufsehenerrgender Protest gegen die weibliche „Fehlentscheidung“ zum auf Männerfang pirschenden, familienbesessenen Frauchen mit einem Hühnerhirn. Man wünscht diesem Buch auch in Deutschland eine sich der amerikanischen angleichende Auflagehöhe und Einwirkung. Es beweist nicht zuletzt, daß eine Frau mehr Mut aufbringt, wenn sie Nächstliegendes kritisch und selbstkritisch anpeilt, statt Utopia zu suchen.

Was aber taten die deutschen Parlamente und Bundesregierungen seit 1949, um den auf Differenzierungen angelegten Lebensweg ihrer Bürgerinnen heute und in Zukunft zu ermöglichen, von denen 37,3 Prozent berufstätig sind? Im April 1962 beantragte die SPD-Fraktion im Bundestag eine Deutsche „Frauen-Enquete“. Dieser Antrag wurde ein Jahr später mit einem Änderungsvorschlag der CDU an den Ausschuß für Familien- und Jugendfragen überwiesen. Nach einem weiteren Jahr wurde er von diesem in 8 Sitzungen behandelt. Und im Dezember 1964 laut Drucksache IV/837, Umdruck 247-betr. ,Enquete über die Situation der Frau in Beruf, Familie und Gesellschaft vom Plenum der Bundesregierung in Auftrag gegeben (was beinhaltet, daß diese Mittel für Expertenkommissionen, Wissenschaftsberichte und Statistische Erhebungen bereitstellen soll). Zu den Expertenkommissionen gehören neben anderen die Professoren Rene König und Neuendörfer, die Oberregierungsrätin Grallert und deren männlicher Kollege Herberger vom Statistischen Bundesamt, Frau Junker-Seliger vom Hauptvorstand des DGB und Dr. Elisabeth Pfeil. — Nach dem einzigen Satz, der in der viertägigen Bundestagsdebatte zur Regierungserklärung des Kanzlers Ehrhard im November vorigen Jahres zur Situation der Frauen in der Bundesrepublik fiel, soll ihre Enquete im fünften Jahr nach ihrer Beantragung vorliegen. Der amtierende Arbeits- und Sozialminister prophezeite ihr Erscheinen im Frühjahr 1966 einigermaßen beiläufig. Kein Abgeordneter, keine Abgeordnete fühlten sich durch sein „en passant“ zu einer Zwischenfrage oder zu der Anmerkung herausge-fordert: die von Kennedy veranlaßte amerikanische Enquete habe nur zwei Jahre zu ihrer Fertigstellung gebraucht. Unsere Volksvertretung scheint sich der sozialpolitischen Bedeutung dieses seit Jahren ausstehenden Dokumentes einer gesellschaftkritischen Grundlagenforschung nicht bewußt zu sein. Auch nicht die SPD-Fraktion, die die unbewegte Einseitigkeit der Wählerinnen nicht zu Unrecht, aber auch nicht nur zu Recht für ihre behinderte Durchschlagskraft verantwortlich macht. Daß Frauen in der Bundes-republik in großer Zahl „konservativ“ wählen, hat viele und komplexe Gründe.

Die seit fast einem halben Jahrhundert gleichberechtigten Frauen machten auf ihrem Wege zur Emanzipation nicht nur Schritte, sondern auch Rückschritte. Die Schuld,

die sie zu letzteren „ermunterte“, ist nahezu geschlechtsneutral. Denn den äußeren

Vorurteilsbarrieren, die u. a. ein kindlich gebliebenes männliches Selbstbewußtsein verteidigen, finden in weiblicher Denkfaulheit ihre Entsprechungen. Aber Rückschritte zählen in einer „sich wandeln-den Welt“ doppelt. Für beide Geschlechter.

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