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Ein Gedenken für Fritz Bauer

Vorgänge 07/1968 S. 241

(vg) Dr. Fritz Bauer, Hessischer Generalstaatsanwalt seit 1956, Mitgründer der Humanistischen Union und deren Vorstandsmitglied von Anfang an, ist am 30. Juni 1968, zwei Wochen vor der Vollendung seines 65. Lebensjahres, gestorben. Für alle seine Freunde kam dieser Tod jäh und bestürzend. Diese Freunde hatten erwartet, Fritz Bauer werde, wenn er entlastet sein würde vom öffentlichen Amt, erst recht beispielhaft tätig werden für die Grundanliegen seines Lebens, die zugleich Grundanliegen unserer Demokratie sind. Was Fritz Bauer anderseits für die Humanistische Union bedeutet hat, wird wohl erst sichtbar werden, wenn in Zukunft bei den Beratungen ihres Vorstands seine Stellungnahme ausbleibt.

Die offizielle Trauerfeier des hessischen Staates für Fritz Bauer fand am 6. Juli 1968 in Frankfurt statt. Fritz Bauer aber hatte den Wunsch, in Stille beerdigt zu werden. Bei einer Gedenkfeier im privaten Freundeskreis hielt Dr. Richard Schmid, ehemals Stuttgarter Oberlandesgerichtspräsident und außerdem Beiratsmitglied der HU, eine Gedenkrede für Fritz Bauer, die wir hier seinen Freunden zu seinem Gedenken zur Kenntnis geben.

Im nächsten Heft werden wir den Text von Fritz Bauers letztem Vortrag, den er zehn Tage vor seinem Tod, am 21. Juni 1968 in einer HU-Veranstaltung in München über das Thema „Ungehorsam und Widerstand in Geschichte und Gegenwart“ hielt, veröffentlichen.

Freundschaftliche Beziehungen über etwa vierzig Jahre weg geben mir das Recht, in dieser Feier zu sprechen. Vielleicht gewinnt Ihr Bild vom Verstorbenen durch meine Erinnerungen ein Weniges an Deutlichkeit. Fritz Bauer ist mir zuerst als junger Assessor und Amtsrichter in Stuttgart begegnet, der das ihm obliegende alltägliche amtsrichterliche Geschäft besser und schneller als andere und mit der linken Hand erledigte. Seine große geistige Energie galt der Wissenschaft und damals vor allem der Politik. Mit seinem Freunde Kurt Schumacher versuchte er – unter anderem mit Hilfe des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold – die Stabilisierung und, als die nicht gelang, die Rettung der Weimarer Republik. Als auch die nicht gelang und er aus der KZ-Haft der Nazi entlassen worden war, emigrierte er nach Dänemark. Dort hatte ich, es war kurz nach dem Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs im Sommer 1936, einmal ein langes Gespräch mit ihm in einem Kopenhagener Park. Ich erinnere mich nicht, worüber wir sprachen, sondern nur noch an die politische Atmosphäre, die damals zum Verzweifeln war. Es war der Höhepunkt des Hitlerschen Ansehens auch außerhalb Deutschlands. Auch dort hörte man allenthalben die Frage: Was haben Sie denn gegen Hitler? Die Verbindung zu Fritz Bauer brach ab, bis man von ihm wieder aus Braunschweig hörte, wo er dann sein großartiges Plädoyer in Sachen Remer hielt, das in der deutschen Justiz und in der Frage des Widerstands Epoche machte. Von dieser Zeit an trafen wir uns wieder-holt in unserer Eigenschaft als Generalstaatsanwälte; auch manchmal außerdienstlich. Beide haben wir, und zwar er mit viel mehr Energie, Stoßkraft und wissenschaftlicher Gründlichkeit, die herkömmliche preußisch-deutsche Vorstellung eines Staatsanwalts zu verändern oder zu widerlegen versucht, wonach ein Staatsanwalt der Hüter einer strikten und autoritären Gesetzlichkeit sei, feindlich jeder Veränderung oder Entwicklung oder gar einer Individualisierung des Rechts und der Rechtsanwendung. Fritz Bauer hat seine amtliche Tätigkeit in einer bisher unerhörten Weise verbunden mit der bitter nötigen Kritik an Gesetzen und Rechtsprechung und die Erfahrung aus der amtlichen Tätigkeit dafür nutzbar gemacht. In seine Frankfurter Zeit fallen seine großen wichtigen Leistungen, durch die Frankfurt geradezu zu einem Zentrum der Initiativen in der deutschen Nachkriegsjustiz geworden ist. Er hat keine Mühe, keine Reibung, keinen Entschluß gescheut, die den von ihm er-kannten Notwendigkeiten dienten, und er hat dieserhalb viele Anfeindungen, viel Mißgunst und Anzweiflung auf sich genommen. In diese Zeit fällt auch seine reiche und intensive literarische und Vortragstätigkeit, die Publikation wichtiger Bücher sowohl als Verfasser wie als Herausgeber. Von dem In-halt dieser Schriften kann nicht kurz berichtet werden; sicherlich ist mir auch nur ein Teil zu Gesicht gekommen. Fritz Bauer ist immer mit der ihm eigenen Vehemenz zum nächsten Vorhaben weitergeeilt, ohne sich um die Wirkung seiner einzelnen Leistungen groß zu kümmern und seine Erfolge zu pflegen. In einer Zeit, in der viele Menschen sich keine Überzeugungen und Gesinnungen mehr erlaubten, um nicht als Ideologen zu gelten, war es wahrhaft tröstlich, einen Menschen zu wissen, der nicht nur eine Überzeugung hatte, sondern auch den Mut, sie offen, verantwortlich und gegen Widerstände zu vertreten. Seine Hauptmühe galt in den letzten Jahren der Erneuerung unseres Strafrechts und unseres Strafvollzugs, und ich möchte bei dieser Gelegenheit folgendes nicht verhehlen: Daß man ihn, den großen Sachkenner und Praktiker, den Kenner vor allem auch ausländischer Verhältnisse und Fortschritte, den leidenschaftlich interessierten Humanisten, der gleichzeitig ein vorzüglicher Jurist war, – daß man ihn nicht in die große Strafrechtskommission berufen hat, hat sicher Gründe gehabt, aber Gründe, die nicht zur Ehre der deutschen Nachkriegsjustiz gereichen und die der Qualität des Entwurfs nicht zugute gekommen sind. Daß man keine wirkliche Reform beabsichtigte, ergibt sich daraus, daß man den bedeutendsten Reformer nicht heranzog. Der Verstorbene wurde dann auch nicht müde, den Entwurf sachkundig zu kritisieren, den Gesetzgeber zur Modernität zu mahnen und von dem Rückfall in das anderswo längst abgetane Vergeltungs- und Schuldstrafrecht ab-zuhalten. Diese Vorhaben haben in den letzten Jahren überwiegend die Aktivität Fritz Bauers bestimmt. Im Amt hat seine Mühe außer der politischen Justiz und den Verbrechen des Dritten Reiches dem Strafvollzug gegolten, den er mit Recht für den wichtigeren Teil des Strafwesens gehalten hat, ganz im Gegensatz zur offiziellen Richtung. Aus unserem letzten längeren Gespräch im vergangenen Dezember erinnere ich mich unserer gemeinsamen pessimistischen Feststellung, wieviel menschliche Werte und Möglichkeiten, Begabungen, guter Wille bei dem Zustand unserer heutigen Strafrechtspflege und unseres Strafvollzugswesens Tag für Tag vor die Hunde gehen.

Und wenn schon von seinem Pessimismus die Rede ist: Bei ihm fand man eine recht seltene Kombination dieser Haltung. Eine häufig recht negative Bewertung seiner Umwelt, Zweifel an der Fähigkeit der Deutschen, die Fakten ihrer Vergangenheit und ihrer Gegenwart zur Kenntnis zu nehmen und rational zu verarbeiten. Nach psychologischen Gesetzen hätten solche Erkenntnisse zur Verzweiflung oder zur Resignation und Gleichgültigkeit führen müssen. Aber bei Fritz Bauer war es gerade umgekehrt. Die pessimistische Grundstimmung schien die Aktivität und sachliche Leidenschaft eher zu steigern, zu einer Intensität, die seine physischen Lebenskräfte schließlich aufgezehrt hat. Seine geistigen Kräfte hätten noch für lange Zeit gereicht. Sein Tod ist der schmerzlichste Verlust, der das deutsche Rechtsleben nach dem Kriege getroffen hat.

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