Regionale Arbeitslosigkeit und Politik
Oder: Warum gibt es keine „Soziale Bewegung” gegen die Massenarbeitslosigkeit?
aus: vorgänge Nr. 102 (Heft 6/1989), S. 93-109
1. Paradoxien und das Hysteresis-Phänomen
Nach nun 15 Jahren ununterbrochener Massenarbeitslosigkeit hat sich dieses nach allgemeinem Konsens soziale Problem Nr. 1 auf eigentümliche Weise in unsere Gesellschaft eingefräst. Eigentümlich bzw. paradox vor allem in dem Sinne, daß die Dauerarbeitslosigkeit inzwischen in großem Stile Arbeitsplätze geschaffen hat, feste und zeitlich begrenzte.
Im Bereich der Arbeitsmarkt- und sonstigen öffentlichen Verwaltung, bei den Kirchen, in Weiterbildungs- und Umschulungsstätten, in zig ABM-Vereinen und bei Verbraucherverbänden gibt es teilweise erheblich mehr Personal, das sich mit der Arbeitslosigkeit befaßt. Die Abteilungen bei Finanzinstituten, die sich mit der Eintreibung und Verwaltung der Schulden von Arbeitslosen beschäftigen, sind ebenfalls aufgestockt worden. Aber auch Leiharbeitsfirmen und ähnliche Institutionen haben Konjunktur und zahlreiche Angestellte, von ihren gut verdienenden Firmeninhabern ganz zu schweigen. Es gibt wissenschaftliche Forschungsinstitute, die um das Problem Arbeitslosigkeit herum gebaut wurden bzw. entsprechende Abteilungen in vorhandenen Instituten, die im vergangenen Jahrzehnt personell erheblich aufgestockt wurden. Zählt man die indirekten Arbeitsplatzeffekte, die durch die Auswirkungen der Arbeitslosigkeit induziert wurden, etwa im Bereich der Sozialarbeit, der Polizei usw. hinzu, dürften inzwischen — konservativ geschätzt — an die 50000 Arbeitsplätze durch die Arbeitslosigkeit gesichert werden. Etwas überspitzt läßt sich formulieren: Mehrere Zehntausend BundesbürgerInnen leben von der Arbeitslosigkeit. Wenn es wieder einen hohen Beschäftigungsgrad gibt, wird dies zusätzliche Arbeitslose schaffen! An das Weiterbestehen von Arbeitslosigkeit haben sich in einem objektiven Sinne Arbeitsplatzinteressen angelagert. Die Widerspruchspalette in unserem Land hat sich um einen weiteren Aspekt vergrößert.
Sieht man sich die genannten Arbeitsplätze genauer an, so fällt auf, daß sich die meisten mit der Verwaltung der Arbeitslosigkeit befassen und nicht mit ihrer nachdrücklichen Beseitigung. Offenbar gibt es im ganzen Land überhaupt keine Institutionen, die sich gezielt und konkret um die Schaffung von Dauerarbeitsplätzen bzw. die Beseitigung der Dauerarbeitslosigkeit bemühen. Es werden keinerlei Kapazitäten vorgehalten für diesen relevantesten sozialen Problembereich, der inzwischen zum Normalzustand und zur existentiellen Normalbedrohung geworden ist. Für andere Eventualitäten und Risiken wie Krankheit und Krieg und Frieden werden dagegen prophylaktisch erhebliche Gesundungs- und Vermeidungspotentiale bereitgestellt, für Ersatzarbeitsplätze gibt es nur Fehlanzeigen. Dabei verfügen wir für viele Bereiche über gute Prognosetechniken. Die Bergbau-, Werften-, Stahl- und Baukrisen mit jeweils erheblichem Arbeitsplatzabbau waren jahrelang vorher absehbar, damit auch die betroffenen Regionen und Qualifikationsprofile der Belegschaften. Bei der Arbeitslosigkeit wie beim ökologischen Bereich handelt es sich offenbar um ein umgekehrtes „Drei-Affen-Problem” — sehen, hören und viel, viel drüber schwatzen, aber nichts tun. Erst wenn das soziale Krebsgeschwür der Arbeitslosigkeit mit seinen gesellschaftlichen und politischen Metastasen aufbricht, wenn sich das Ozonloch in millionenfachen Hautkrebs bei Mensch und Tier verwandelt hat, wird ernsthaft nach Lösungen gesucht. Dann ist es meist zu spät, nicht nur um die Folgen. Die Suche nach Lösungen wird ersetzt durch die Suche nach tatsächlichen bzw. plausiblen Scheinschuldigen. Dieser Mechanismus ist in der Bundesrepublik im Falle der Dauerarbeitslosigkeit bereits politisch eingetreten. Das läßt sich insbesondere für die regionalen politischen Entwicklungen nachweisen.
Die langandauernde Massenarbeitslosigkeit, die damit verbundene „Neue Armut”, die darauf fußende Angst der (noch) nicht Betroffenen um die Besitzstände haben sich also bereits erheblich politisch ausgewirkt. Trotzdem gibt es — und die Deutschen sind darin besonders geübt — einen kollektiven Verdrängungsprozeß. Insbesondere ist die Behandlung dieses Problembereichs im öffentlichen und politischen Leben ritualisiert. Erledigung durch Verbalritualisierung. Sie ist in diesem Sinne vergleichbar mit dem Problemkomplex des Welthungers. Alle reden über den Hunger in der Dritten Welt, alle Reden sind garniert mit den Hinweisen auf die täglich 40000 Kinder in diesen Ländern, die den Hungertod sterben. Die Handlungsebene aber wird bestimmt durch den Hunger verschärfende IWF-Auflagen gegenüber den verschuldeten armen Ländern wie die Handlungsebene bestimmt wird durch die Verschärfung der Lebensverhältnisse der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger durch familiäre Sippenhaft („Bedürftigkeitsprüfung“ und ihre gesetzliche Verschärfung, vgl. § 137 (1 a) ) bzw. die Arbeitslosigkeit durch die ständige Manipulation der Arbeitslosenstatistik. Man bekämpft nicht den Hunger und die Arbeitslosigkeit, sondern die Hungernden und die Arbeitslosen. Wie erwähnt, fällt auf, daß die meisten mit der Arbeitslosigkeit Befaßten sich bestenfalls mit ihrer Verwaltung, der Analyse ihrer Ursachen und Wirkungen auseinandersetzen, vielleicht auch noch mit Konzepten der Beseitigung der Arbeitslosigkeit, die wenigsten aber mit konkreten Projekten zur Beseitigung konkreter Arbeitslosigkeiten. Letzteres setzt vor allem eine konkrete Infrastruktur für die Suche nach Arbeitsplätzen, ihre Finanzierung und vor allen Dingen die konkrete Hinwendung — jenseits karitativer und sozialpolitischer „Behandlungen” — und Auseinandersetzung mit den Sorgen, Nöten und Arbeitsplatzwünschen der Arbeitslosen in bestimmten Regionen voraus. Es sind also zwei Ebenen zu unterscheiden:
die programmatische und konzeptionelle Seite einschließlich ihres theoretischen und empirischen Hintergrunds;
die konkrete Handlungs- und Umsetzungsebene, d.h. weg von verbalen Ritualen, Beteuerungen und Sonntagsreden hin zur konkreten Lösung der Frage, wer was wann mit wem und gegen wen und in welcher Höhe und Qualität und wie etwas durchsetzt.
Erst im letzteren Bereich, d.h. auf der konkreten Handlungsebene werden die ökonomischen und politischen Interessenpositionen deutlich und tanzen die Widersprüche auf (und allzuoft auch intrigenhaft unter) den Tischen. Deshalb ist es so schwierig, ausreichend personelle und sonstige Kapazitäten vor Ort für diesen allein wirksamen Bereich zu finden. Die besten Sonntagsredner werden zu den größten Hasenfüßen, insbesondere im politischen Bereich. Dies merken die Menschen, und gerade dies trägt zur erheblichen Erosion des Ansehens der PolitikerInnen und der Politik bei und fördert antidemokratische Tendenzen.
Erst auf der konkreten Handlungsebene wird deutlich, was mit dem Hysteresisphänomen gemeint ist. Dieses aus der Physik bekannte Phänomen, aber im gesellschaftlichen Bereich gültige Prinzip besagt, daß die Kraft, die für die Erreichung eines bestimmten Zustands notwendig ist, in aller Regel geringer ist als die Kraft, die notwendig ist, um den Zustand wieder rückgängig zu machen. Die verursachende Kraft eines Unfalls oder einer Krankheit, der Aufwand für das Losbrechen eines Konflikts ist weitaus geringer als die Beseitigung der Unfall- und Krankheitsfolgen bzw. die Beilegung eines Konflikts. Dies gilt ganz gewiß für den Arbeitsmarkt, insbesondere unter Berücksichtigung der zeitlichen Dimension. Die Herbeiführung von Arbeitslosigkeit, selbst unter Berücksichtigung von Abfindungen und Sozialplanregelungen, auch die Zahlung von Arbeitslosengeld und -hilfe ist einzel- wie gesamtwirtschaftlich mit weitaus weniger Aufwand verbunden als die Beseitigung der Arbeitslosigkeit, insbesondere einer langjährigen und zunehmenden Dauer-Massenarbeitslosigkeit. Die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit ist eben kein Nullsummenspiel.
Es mag zwar häufig politisch-taktisch sinnvoll sein, darauf hinzuweisen, daß die Beseitigung der Arbeitslosigkeit durch die Schaffung von Arbeitsplätzen nicht viel teurer sei als die 60 Mrd. an Unterstützungszahlungen und Steuer- und Sozialversicherungsausfällen, die heute für die Arbeitslosen aufgebracht werden müssen. Aufklärerisch sind solche Milchmädchenrechnungen nicht.
2. Milchmädchenrechnungen und Ohnmachtstheorien
Es kann davon ausgegangen werden, daß soziale und sonstige ungünstige Situationen, die nur allen schaden und niemandem nützen, schnell durch einen breiten gesellschaftlichen Konsens beseitigt würden. Dieser Zusammenhang ist geradezu ein Indikator dafür, ob eine bestimmte Entwicklung nur schadet oder ob sie auch bestimmten (relevanten) gesellschaftlichen Kräften nicht erheblichen Nutzen bringt. Die Dauer-Massenarbeitslosigkeit war der Schutzschild dafür, daß in den vergangenen Jahren eine nie dagewesene Umverteilung des Sozialprodukts von „unten nach oben”, nicht nur zwischen Arbeit und Kapital, stattgefunden hat.
Die von allen „aufgeklärten” Menschen als unsozial gebrandmarkte Steuerreform der konservativ-liberalen Regierung ist ziemlich lautlos über die Bühne gegangen, weil sie in der Tat auch vielen abhängig Beschäftigten netto mehr in die Kasse bringt als die vergangenen Tarifrunden. Dies geschieht allerdings eindeutig auf Kosten der Einkommens- und sozial Schwachen. Die Arbeitslosigkeit ist die Grundlage der Spaltung der Gesellschaft (1/3-2/3) und ihrer Rette-Sich-Wer-Kann-Mentalität.
Dieser Prozeß kann nur aufgehalten und erst recht umgekehrt werden durch eine — wir formulieren etwas ethisch prononciert — aktiv gelebte Solidarität. Es gibt unter den gegebenen ökonomischen und politischen Verhältnissen keinen anderen Weg. Dies ist im Kern die Behauptung von Lafontaine. Denkbar sind in der Tat andere Wege für eine notwendige Umverteilung von Arbeit und Einkommen, nur, offenbar will sie kaum jemand gehen, da viele, die nicht zum Eindrittel gehören, und das sind ja Zweidrittel, in der Tat „theilen” müßten. Das ist bisher in der BRD politisch unrealistisch.
Von daher haben die Milchmädchenrechnungen und Nullsummenspiele als Beseitigungskonzepte (nicht als reale Handlungskonzepte) der Arbeitslosigkeit Hochkonjunktur. Ihre Verwirklichung würde sehr schnell, gerade angesichts des Hysteresisgesetzes, das Gegenteil beweisen. So stehen ja die durch die Arbeitslosigkeit verursachten Steuerausfälle, die in solche Rechnungen eingehen, gar nicht real in cash zur Finanzierung zur Verfügung. Gleiches gilt für Teile der (rechnerischen) Ausfälle der Sozialversicherungsabgaben.
In diesem Zusammenhang sei auf ein außerordentlich wirksames, das soziale Gewissen der Zweidrittel beruhigendes politisches und ideologisches Instrument verwiesen, welches die Ritualisierung und Verdrängung stark fördert. Dies sind die Ohnmachtstheorien (Zinn), die insbesondere auch bei den Sozialdemokraten von jeher hoch im Kurs stehen, halten sie doch einen allzu heftigen Veränderungswillen im Zaume oder lassen ihn erst gar nicht (wieder) aufkommen.
Ohnmachtstheorien sind als gesicherte Erkenntnisse über die Realität ausgegebene Ursache-Wirkungs-Aussagen, die behaupten, daß unter den gegebenen Umständen „nichts gehe”, sondern nur durch die Anpassung an die gegebenen Verhältnisse und behaupteten Gesetzmäßigkeiten etwas zu erreichen ist. Ein Beispiel: Da die Bundesrepublik vom Export lebe, also vom Weltmarkt, muß sie sich in ihren Lohn- und Arbeitsbedingungen an den Weltmarktrahmen halten, weil sich sonst die Umstände weiter verschlechtern würden. Wenn auf dem Weltmarkt eine bestimmte „Mindestrendite” herrscht, muß die BRD-Ökonomie diese ebenfalls garantieren.
Arbeitszeitverkürzungen, Lohnzurückhaltung etc. seien daher geboten, Beschäftigungsprogramme zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit seien nicht erfolgreich, Zinssenkungen würden zur Kapitalflucht führen usw. Diese „Theorien” sind außerordentlich erfolgreich, geben sie doch eine ideale Legitimationsgrundlage fürs Nichtstun bzw. Stillhalten. Wenn man doch nichts machen kann, kann (und braucht) man eben nichts (zu) machen!
3. Wo bleibt die Arbeitslosenbewegung?
Was insbesondere in der politischen Landschaft der Bundesrepublik in den letzten Jahren auffällt, sind die verschiedenen sozialen Bewegungen. Sie fallen vor allen Dingen deshalb auf, weil sie als Korrektiv zu den von sich aus reformunfähigen politischen Parteien, die in den Parlamenten sitzen, relativ erfolgreich waren. Die ökologische Bewegung, die Friedensbewegung, die Frauenbewegung, die Anti-AKW-Bewegung haben bewirkt, daß alle Parteien Teile der jeweiligen Programmatik aufgenommen und, wie bescheiden auch immer, teilweise verwirklicht haben. Es hat merkbare Veränderungen gegeben.
Seit Mitte der siebziger Jahre gab es in der Bundesrepublik mehr als 16 Millionen direkt von der Arbeitslosigkeit betroffene BürgerInnen, zusammen mit den Angehörigen dürfte dies auch die Mehrzahl der Wahlbürger ergeben. Eine Partei, die die Stimmen all dieser Menschen erhalten würde, hätte zweifellos eine satte Mehrheit im Bonner Parlament. Umso erstaunlicher ist es, daß es eben keine tatkräftige parlamentarische bzw. außerparlamentarische Lobby und Bewegung gegen die Massenarbeitslosigkeit gibt. Ganz gewiß hat dies etwas damit zu tun, daß aktuell niemals die Mehrheit arbeitslos ist. Daneben federn die verbalen Rituale und Ohnmachtstheorien ideologisch einiges weg. Nur, warum bewegen sich die arbeitslosen Frauen und Männer nicht sozial?
Wer in der Republik ökonomisch, sozial und politisch etwas erreichen will, muß konfliktfähig sein. Konfliktfähig ist aber nur jemand oder eine Gruppe, die anderen (und nicht nur sich selbst) „Schaden” zufügen kann, „Kosten” aufbürden kann, die letztendlich höher sein müssen als die Kosten, die durch die Beibehaltung einer gegebenen Situation für die bisher nicht ökonomisch, sozial und / oder politisch Zahlungswilligen auftreten. Entscheidend für die Möglichkeit, solche Kosten zu verursachen, ist nicht die Menge einer Gruppe, sondern ihre ökonomische, soziale und politische Qualität, d.h. die Rolle, die sie im Rahmen der gesellschaftlichen Vernetzungen und Abhängigkeiten spielt, z.B. der wirtschaftlichen Arbeitsteilung. Arbeitslose spielen hier bisher kaum eine Rolle. Arbeitslose können die vorhandenen finanziellen Kosten der Arbeitslosigkeit, die die Gesellschaft bisher bereit ist, für die Arbeitslosigkeit zu zahlen, durch ökonomisches Handeln nicht vergrößern. Der Streik oder vergleichbare Aktionen sind ihnen verwehrt. Arbeitslose, aber auch Kinder wie auch Rentner, sind ökonomisch nicht oder kaum sanktionsfähig. Politisch aber wären sie es, und uns scheint, sie werden sich dieser Tatsache zunehmend bewußt, nur geht dies, wie immer in Deutschland, in die falsche politische Richtung.
Für Arbeitslose macht es keinen Sinn, die „politischen Kosten” individuell in die Höhe treiben zu wollen. Sie können es nur organisiert. Das aber wiederum setzt ihre Organisationsfähigkeit voraus. Dem stehen allerdings erhebliche Möglichkeiten im Wege. Die Analogie zur Schwierigkeit, Verbraucherinteressen dauerhaft zu organisieren, bietet sich an. Die meisten Arbeitslosen als einzelne Betroffene betrachten ihre Arbeitslosigkeit als vorübergehend; das ist sie sehr häufig auch. Darauf läßt sich kein politisch langfristig wirksames Milieu aufbauen. Allerdings gibt es inzwischen mehr als 700000 Langzeitarbeitslose, und dies wird sich politisch auswirken, hat sich schon ausgewirkt. Darüber hinaus fehlen für eine politische Organisationsfähigkeit von Arbeitslosen einfach die Mindestausstattungen, nämlich Geld usw.
Viele Arbeitslose glauben in der Tat auch wirklich, daß sie zum Teil selbst an der Arbeitslosigkeit schuld sind, oder die Ohnmachtstheorien wirken. Einige haben sich auch ideologisch und selbstsuggestiv darauf eingelassen, ihre Arbeitslosigkeit positiv zu bestimmen und aus der Not eine Tugend zu machen. Wer die inzwischen in der Bundesrepublik ausgebildete Arbeitslosenkultur beobachtet, stellt dies in zunehmendem Maße fest. Die Selbstideologisierung insbesondere bei Langzeitarbeitslosen ist im vollen Gange. Da es aus objektiven wie subjektiven Gründen für die Arbeitslosen schwer ist, Konfliktfähigkeit und Organisationsfähigkeit zu entwickeln, stellt sich für sie die Notwendigkeit, Verbündete zu suchen, die mit ihnen und für sie diese Fähigkeiten haben und sich auch für sie einsetzen würden. Als wichtigste Gruppierungen kommen dafür die Gewerkschaften in Frage.
Betrachtet man das Verhältnis der Gewerkschaften zu den Arbeitslosen (nicht zur Arbeitslosigkeit!), dann läßt sich feststellen, daß es hier erhebliche Defizite und auch Diskriminierungen gibt. So können Arbeitslose bisher nur in wenigen Einzelgewerkschaften Mitglied werden, mit allen Rechten und Pflichten. Arbeitslose sind darüber hinaus und notgedrungen vorwiegend Fordernde und sind damit unbequem. Unter den Bedingungen der langandauernden Massenarbeitslosigkeit sind sie Konkurrenten oder, unter den gegebenen Bedingungen, solche, die z.B. darauf drängen, daß keine Überstunden und Sonderschichten durch die Beschäftigten gefahren werden sollten, um Einstellungen zu bewirken. Das heißt konkret, die Beschäftigten müßten auf einen Teil eines möglichen Zusatzeinkommens verzichten. Aus der Tatsache, daß die Gewerkschaften die „natürlichen Feinde” der Arbeitslosigkeit sind kann nicht bruchlos gefolgert werden, daß sie damit automatisch die „natürlichen Freunde” der Arbeitslosen seien.
4. Ein Blick in die Region. Oder: Die Konflikte tanzen auf den Tischen
Eine genauere regionale Betrachtung läßt verständlich erscheinen, daß Arbeitslosigkeit sich weder direkt noch über sekundäre Organisationen — wie Kirche und Gewerkschaften — in soziale Bewegung umsetzen läßt. Das soll am Beispiel Südostniedersachsens verdeutlicht werden.
Allein die Betrachtung der Stadt Salzgitter führt auf ein banales, aber politisch höchst wirksames Faktum: Die Anzahl der Einpendler übertrifft — wenn auch nicht bedeutsam — die Zahl der ortsansässigen Arbeitskräfte. Der Raum zwischen Osterode — Hannover — Gifhorn ist insgesamt das Einzugsgebiet. Das ist eine der Negativbedingungen auf der Suche nach der bewegenden sozialen Kraft, denn die hohe Pendlerquote setzt auch bei den Arbeitenden die Organisations- und Konfliktfähigkeit herab. In Salzgitter-Lebenstedt selber betrug die Arbeitslosenquote im Juli 1988 15,7 Prozent, d.h. 7150 Menschen. Davon waren 7,6 Prozent Teilzeitbeschäftigte, 7,0 Prozent Ausländer, 5,8 Prozent Jugendliche unter 20 Jahren, 6,7 Prozent Schwerbeschädigte und 6,4 Prozent über 59 Jahre alt. Etwa ein Drittel sind — im Jargon – „schwer vermittelbar”. Sie sind kaum auf einen Nenner zu bringen, sind aber gleichwohl die gravierendste Belastung der Zukunft. Es sei nebenbei bemerkt, daß die angeblich gute Konjunktur im August 1989 die Quote in Salzgitter auf 11,7 Prozent sinken ließ; zugleich stieg trotz Rückganges im Bund die Quote insgesamt in der Region — nicht zuletzt wegen der Aussiedler, wie die Braunschweiger Zeitung entschuldigend vermerkt. — Die Betrachtung des gesamten Arbeitsamtsbezirks Braunschweig, der sich mit der Region deckt, ergibt folgendes Bild hinsichtlich der Entstehung: Im Juni 1988 suchten 26128 Menschen Arbeit. Sie stammten zu 18,3 Prozent aus Metallberufen, 10,8 Prozent Warenkaufleuten, 15,3 Prozent Dienstleistungskaufleuten, 5,3 Prozent Erziehungs- und Sozialberufen, 7,6 Prozent Transport sowie zu 8,5 Prozent Bau- und Baunebenberufen.
Damit werden typische Trends deutlich: Die Rationalisierungswelle hat die „Kaufleute” erreicht; die insgesamt schlechte Lage der Region führt zu Einbrüchen bei den Dienstleistungen. Hier und bei den Metallberufen sind auch die Steigerungsraten am größten.
Der damit verbundene soziale Wandel führt aber tendenziell nicht zur Langzeitarbeitslosigkeit. Es entstehen „Hamburger-Jobs”: dequalifizierte Tätigkeiten mit geminderten Rechten wie z.B. „Koch” bei McDonalds. Die Betroffenen empfinden das als Übergang, sind aber in Wirklichkeit in einem „Cooling-Down-Prozeß”, der sie in ihrem „Aspirationsniveau” „herunterlevelt”. Das hindert diese Menschen nicht daran, nach wie vor individuell ihr Glück zu schmieden, allerdings auch nach Schuldigen für ihr Un-Glück zu suchen.
Werfen wir einen Blick auf das Verwaltungshandeln. Zunächst fällt auf, in welchem Umfange die Tätigkeit zunimmt. Die Stelle Salzgitter sah sich 1976 mit einer Arbeitslosenquote von 6,6 Prozent, im Jahr 1988 mit 15,7 Prozent konfrontiert. Ein Bericht aus dem Jahre 1987 hebt die hoffnungslosen Fälle hervor: 50 Prozent seien zu alt, 14 Prozent Ausländer, 14 Prozent wollten Teilzeit, 14 Prozent seien schwerbehindert; alle diese seien „fortbildungsunwillig”; insgesamt 3 280 Menschen. Mängel, also Bedarf, werden an folgenden Stellen vermutet: Köche, Maurer, Dachdecker, Reiseverkehrskauffrauen, Tischler, Zimmermann. Also: Wer will, der kann! Eine Fülle von Möglichkeiten steht ansonsten offen: Computer für Frauen, eine Übungsfirma, eine „Übungswerkstatt” Holz / Metall. Die Betroffenen wollen aber nicht auf die Spielwiesen. Dabei hält ihnen die Arbeitsverwaltung vor: 50,9 Prozent sind ohne Berufsausbildung, bei Frauen sogar 54,4 Prozent. Hier wird vollends deutlich: Eine zentrale Aufgabe der Arbeitsverwaltung ist es, die Schuldzuweisung an die Arbeitslosen gegenüber der Öffentlichkeit und den Betroffenen zu bekräftigen und zugleich sozialstaatliche Scheintätigkeit statistisch abzusichern. So zeigt diese Region, wie die Republik mit der „Altlast” der Arbeitslosigkeit leben kann:
– Die Langzeitarbeitslosen sind nicht organisationsfähig und werden es voraussichtlich nie sein. Sie verschwinden im sozialen Wohnungsbau und Alkoholismus oder in ihrer spezifischen Subkultur.
– Die Abstiegsarbeitslosen sind noch nicht am Ende ihres Weges. Was aus ihnen wird, bleibt abzuwarten.
– Die politisch-kulturelle Verarbeitung ist scheinheilig. Dies wird aber nicht durchschaut, weil sich fast alle Bewußtseinsapparate der Republik in deren Lebenslüge vom Sozialstaat einig sind.
Ob diese Republik wirklich mit der Altlast leben kann, steht aber noch dahin. Es ist mit Langzeitwirkungen und umgeleiteten Konflikten zu rechnen.
5. Noch ein Blick in die Region: Die REP’s als „soziale Avantgarde”
In der Europawahl 1989 wurden die Republikaner und die DVU in Südostniedersachsen eine unübersehbare politische Kraft. Und das trotz einer rudimentären Organisation! Die Betrachtung nach Landkreisen ergibt, daß Republikaner und DVU zusammen zwischen 7 und 8 Prozent der Stimmen bekamen (Landkreise bzw. Städte Braunschweig, Wolfsburg, Salzgitter, Gifhorn, Goslar, Helmstedt, Osterode, Peine, Wolfenbüttel). In den Landkreisen Northeim und Göttingen bleiben sie schwächer; beide dienen auch nur zum Vergleich.
So ergibt sich: Überall dort, wo große Konzerne die Arbeitskräfte anzogen und traditionelle Bindungen aufgelöst haben, überall dort fallen auch Stimmen für Republikaner und DVU an, anderswo eben weniger. (1) Es handelt sich nicht um typische Arbeitermilieus, sondern um Landstriche mit uneinheitlichem Lebensstil, der sich in den sechziger Jahren herausbildete. Die Betrachtung in Salzgitter-Lebenstedt muß davon ausgehen, daß Republikaner und DVU zusammen ca. 8,7 Prozent erreichten; im gesamten Stadtgebiet sind es 7,98 Prozent. Das bedeutet, die ländlich geprägten Gebiete der Stadt Salzgitter sind etwas weniger anfällig. Das gilt übrigens auch für die statushohen Einzelhausgebiete in halbländlicher Umgebung. Die Betrachtung in der Stadt Lebenstedt erweist einige Bezirke als auffällig wegen des hohen Stimmanteils beider Parteien. Die lokale Arbeitsteilung zwischen DVU und Republikanern ist ausgeprägt, aber gerade darum muß man sie zusammen sehen: Die DVU ist die Partei der Jungen, die äußerst militant auftreten. Die REP’s sind Sache der Alten, die eher unauffällig bleiben. Es lassen sich unschwer drei Typen der Stimmabgabe für DVU und Republikaner in Salzgitter-Lebenstedt herausarbeiten:
Jüngstes Neubaugebiet mit i.g. über 20 Prozent für beide. Die Wohnungen können hier icht restlos belegt werden; um die Mieteinnahmen zu erhöhen, bekommen die Wohnbaugesellschaften in einer Art stillschweigender Kooperation mit den Sozialbehörden Sozialhilfeempfänger, denn das Wohngeld ist immer noch besser als keine Einnahme. Freilich gehört hierzu ein starker Wechsel, weil die Verwaltung nach einiger Zeit die Leistungen sperrt. Also eine Art „Zwischenlagerung”! Die Rechtswähler stammen aus den Berührungszonen, lokal und sozial, der Wohnbevölkerung, nicht aus den Reihen der Leistungsempfänger selber. Also eine Art Abwehrverhalten. Dieser Typus von Rechtswählern kann als gefestigt gelten; aus Berlin und Frankfurt ist er wohlbekannt. (2)
Der zweite Bezirk – an nahezu 20 Prozent – erfaßt eine „Altbevölkerung”, also abgesicherte Rentner. Über ihnen schwebt der Plan der Salzgitter-Wohnungsbau AG, ihre Wohnungen zu privatisieren; mit einer ungewissen Zukunft für die Mieter. Damit ist der Reproduktionsbereich entscheidend bedroht. Dieser Typus ist weniger gefestigt, deckt sich aber mit Erfahrungen in Neukölln. (3)
Der dritte Stimmbezirk enthält einen hohen Anteil alter Einzelsiedlungshäuser. Die Wohnbevölkerung hat nachweisbar einen hohen Vertriebenenanteil. Dieser Typus ist ungefestigt; der Nachweis gestaltet sich schwierig. Es scheint sich um eine politische Auseinandersetzung mit den Zeitläufen ohne bemerkenswerten Realitätsgehalt und mit hoher affektiv-symbolischer Aufladung zu handeln.
Es bleibt ein Nachtrag: In einigen kleineren Gemeinden des Stadtgebietes regt sich wieder jenes „alte” Potential, das schon in den fünfziger Jahren für aufsehenerregende Wahlen in Salzgitter sorgte. Wohl ein letztes Gefecht!
Die Einzelbetrachtung läßt sich zu einer Grundlinie zusammenschließen: Soziale Konflikte und überstarke Abschottung des politischen Systems vor den Menschen – fast wäre man versucht zu sagen: Menschen draußen im Lande – bleiben eben doch nicht folgenlos. Zugleich zeigt der Typus 1, daß das Arbeitslosenproblem sich politisch äußert: Allerdings spiegelbildlich, indem die Ruhe der partei- und gewerkschaftsbeamteten Eigenheimer von denjenigen nicht geteilt wird, die in ihren Mietwohnungen unmittelbare Zeugen des sozialen Flurschadens sind. Es kann auch nicht falsch sein, wenn man in diesem Zusammenhang auf die bereits erwähnten „Kaufleute” und Menschen in ähnlicher Soziallage verweist, die sich im vollen „Cooling-Down” befinden; für Polizisten und andere muß der Gedanke nur geringfügig abgewandelt werden: Wenn auch verquer, unsere Probleme treiben diese Menschen um. Die Widersprüche tanzen eben doch auf den Tischen. Wie gespenstisch ist gegenüber diesem Befund die ideologische Diskussion, daß die REP’s doch auch keine Antwort hätten; genau das ist das Eingeständnis der eigenen Analyseschwäche und Sattheit.
6. Der Populismus – die gesuchte soziale und bewegende Kraft?
Von den augenblicklich vorherrschenden Sprachregelungen der Politiker hinsichtlich des „Rechtsextremismus” sollte man sich lösen; schon gar vom Ruf nach dem Verfassungsschutz. Die Erscheinung ist selber auch gar nicht so neu. Schließlich war es die CDU, die zu Ende der siebziger Jahre die schlafenden Geister rief. Allerdings greift auch das zu kurz. Europaweit sind seit 1980 populistische Szenarien in der Politik am Vordringen. Dabei gibt es ein verwirrendes Bild: „Rechte” benutzen typisch „linke” Motive – mit großem Erfolg! Linke umgekehrt, mit geringerem Erfolg. (4) Dies hat zur Ausbildung neocäsaristischer Führungstile (5) geführt mit jeweils kuriosen Profilierungen: Reagan als „big communicator”, die barsche Eiserne Lady, der gute Mensch aus Bonn, der über den Wassern schwebende Geist Frankreichs. Die enorme Schubkraft vagabundierender Moralbedürfnisse und unbefriedigter Phantasien hat sich dann in Schleswig-Holstein gezeigt; haben die genannten Staatsmänner noch alles im Griff, dann waren sie hier sozusagen außer Rand und Band geraten und hatten sich politischem Marketing entzogen. Populismus ist eine Strategie symbolischer Integration, er greift aber nur bedingt, weil den Populismen reale soziale Verschiebungen gegenüberstehen, die nach Problemlösungen verlangen. Das mußten schon die Nationalsozialisten erfahren, die zwar Meister im Handhaben von Populismen waren, aber mit dieser Strategie zunehmend in Legitimierungsnot gerieten. (6)
Die bevorzugten Themen des Populismus sind: Angriffe auf den Wohlfahrtsstaat, dessen Leistungen als Verschwendung von nicht erarbeitetem Reichtum gelten; Ausländerfeindlichkeit, die dem Nachweis einer festen Hand gegenüber abweichenden Gruppen dient; Anklage der Gleichmacherei durch den Staat, die der Abwehr von Ohnmacht gegenüber der Verwaltung dient. Beim sozialen Substrat des Thatcerismus (7) haben wir dieselbe Mixtur wie in der weiteren Anhängerschaft der NSDAP (8) um 1930: abstiegsbedrohte Mittelschicht, gelernte und ungelernte Arbeiter in der ersten Generation, kleine Selbständige. Ein Rückgriff auf die politische Psychologie kann deutlich machen, welcher gesellschaftliche Wiederholungszwang hinter dieser Erscheinung steckt. Helmut Dubiel führt dazu aus: „Wenn ich vorschlage, dem Faktor politischer Subjektivität einen größeren Stellenwert einzuräumen, dann bin ich nicht von irrationalistischen Motiven geleitet. Vielmehr glaube ich, daß jene vom rationalistischen Schema ins Irrationale verdrängten subjektiven Potentiale — wie z.B. Statusängste oder kollektive Kränkungserfahrungen — nicht nur für eine politische Theorie des sozialen Wandels höchst relevant sind. Aus eigener Erfahrung wissen wir überdies, daß Sedimente von Erfahrungen dieses Typus ihrerseits eine kognitive, d.h. Wirklichkeitsaufschliessende Kraft haben. Mit dem Begriff der politischen Subjektivität bezeichne ich jene moralischen Potentiale, welche die Übernahme einer politischen Einstellung, die Bildung einer Meinung, nicht nur nach außen legitimieren sollen, sondern in den psychischen Tiefenschichten des Individuums auch tatsächlich steuern. Mit diesem Begriff beziehe ich mich auf jene schwer greifbaren, dem Alltagsbewußtsein eher latent präsenten Glückserwartungen, Gerechtigkeitsansprüche, Bedürfnisse nach sozialer Anerkennung und kultureller Identität. Die Existenzform dieser Bedürfnisdispositionen ist eine negative, d.h., sie werden durchweg in negativer Form artikuliert: als Empfindung verletzter Gerechtigkeit, als Kränkung sozialer Ehre, als Ahnung vorenthaltenen Glücks. Die Äußerung solcher Kränkungserfahrungen ist zumal bei Unterschichtangehörigen wenig elaboriert. Oft werden sie vorsprachlich ausagiert. Nie genügen sie den formalen Ansprüchen einer von Moralphilosophen durchrationalisierten universalistischen Ethik. Ihre Äußerung ist immer nur okkasionell, sie bleibt auf Anlässe einer konkreten Kränkungserfahrung bezogen. (9)
Diese Ausführungen machen deutlich, warum sich die Linke besonders schwer tut mit der Analyse des Populismus. Die oftmals hochgebildeten Wortführer der Linken gehen aus von einem zweckrationalen Politikmodell und argumentativer Steuerung des politischen Verhaltens. Obendrein verbindet sich dieses rationalistische Schema noch mit der Überzeugung, daß es konkrete und benennbare Interessen seien, die das politische Handeln leiteten. Allerdings haben Ethnologen und Anthropologen sich schon immer gegen dieses verflachte Handlungsmodell verwahrt; gerade die Politik ist mindestens ebenso stark die Welt des Traums und der Phantasie. (10)
Die Ausführungen zum Populismus sollen aufzeigen, daß sich seit 1980 zunehmend ein gesellschaftlicher Umbau vollzieht. Dieser Prozeß dürfte mittlerweile weitgehend unumkehrbar geworden sein. Jedoch läßt er sich nicht folgenlos „wegstecken” auf der Ebene symbolischer Traumwelten. Vielmehr scheint sich ein Protest gegen den Entwicklungsweg unserer Gesellschaft anzusammeln. Es macht die Schwäche unseres politischen Systems im engeren Sinne aus, daß dieser Protest als Störfaktor weg gedrängt wird oder aber zu Scheindarstellungen von Demokratie oder anderen politischen Inszenierungen benutzt wird. Insofern haben wir es nicht nur mit verdrängten und unerkannten Folgeerscheinungen gesellschaftlicher Probleme zu tun, sondern auch mit einer tiefen Unfähigkeit des politischen Systems, nicht-oligarchisierte Impulse noch aufzunehmen. Auch diese Analyse erinnert gespenstisch an das Ende der zwanziger Jahre.
Diese politische Ausgangslage entfaltet wiederum eine Eigendynamik. Dubiel führt dazu aus: „Zwar stehen deren herkömmliche Themen wie z.B. der Streit von Interessengruppen um ihren Anteil am Bruttosozialprodukt oder um die angemessene Vertretung außenpolitischer Belange noch immer im Zentrum der veröffentlichten Aufmerksamkeit. Aber in populistischen Momenten werden diese Streitpunkte zusehends überlagert von einem fundamentaleren Dissens. Der politische Streit konzentriert sich jetzt nämlich zunehmend auf Aktivitäten der Reintegration, der Wiedereingliederung vagabundierender politischer Subjektivitätspotentiale in neue Formen kultureller Legitimität. Das, was Antonio Gramsci den politischen Kampf um kulturelle Hegemonie genannt hatte, wandert jetzt aus den Spalten des Feuilletons in die Arenen der Tagespolitik. Der Streit um die Konstituierung einer neuen Legitimität wird zur geheimen Rationale des politischen Kampfes.“ (11)
Übersetzt in die Sprache der hier verfolgten Analyse: Soziale und ökonomische Schäden werden in diesem System weggedrängt, aber sie kehren wieder in verwandelter Form. Um es am Beispiel zu erläutern: Die echte oder vermeintliche Arbeitsplatzkonkurrenz zwischen Ausländern und Deutschen wäre leicht zu lösen gewesen; Ausländerfeindlichkeit hingegen nicht. Denn nunmehr sind Produktions- und Reproduktionsbereich gleichermaßen betroffen. Wie mußten wir eingangs feststellen: Die Schäden fräsen sich ein!
Wenn die Redeweise erlaubt ist: Unser politisches System hat ein dickes Fell. Das läßt sich am Beispiel Niedersachsens leicht nachvollziehen. Durch „Große Koalitionen” auf örtlicher Ebene werden die Politiker versuchen, das gewohnte politische Spiel zu stabilisieren. Dabei werden sie sich langsam vom Protest „abschmelzen” lassen müssen, d.h., sie werden auf einem schwindenden Berg von Prozenten sitzen. Die unbeherrschte und unverstandene Weltmarktorientierung und die damit einhergehende Destabilisierung werden der Region ein „Widerfährnis” nach dem anderen bringen. Mal wird es der Dollar sein, dann Japan, dann der Osten, dann die weltweite Verschuldung, das wachsende Umweltbewußtsein usf.; immer wird etwas „passieren” und die schönsten politischen Heilspläne ins Reich der guten Absichten verweisen. So werden sich Politiker und Opfer der Entwicklung gegenseitig aushungern. Das hat das Grundgesetz nicht gewollt. Im Gegenteil, zumindest einem Teil der Verfassungsväter schwebte eine kontinuierliche Fortentwicklung der Republik vor oder zumindest die Aufhebung des Wiederholungszwangs in der deutschen Geschichte. Daraus wurde der „parlamentarische Absolutismus” (12), in dessen Rahmen man nicht mehr sieht, wie sich die Probleme der Entwicklungsopfer politisch umsetzen sollten.
7. Ist ein Kraut dagegen gewachsen? — Die regionale Strukturpolitik
Programmatisch stellen REP’s und DVU natürlich keine Alternative dar. Die Betrachtung ihrer Programme ist aber so und so obsolet, weil ihre bloße Existenz und ihr Erfolg hinreichend die Defizite indizieren und zugleich darauf verweisen, daß nicht gelöste Probleme nicht einfacher, sondern schwieriger werden.
Daher trägt auch die herkömmliche Strukturpolitik nur noch wenig aus. Hier soll uns die Beschäftigungspolitik bei Frauen in Salzgitter als Beispiel dienen. Was macht man mit arbeitslosen Frauen? Man setzt sie, sofern „bildungswillig” (s.o.), vor den Computer. Hatte die Arbeitsverwaltung nicht auch Bedarf bei Reiseverkehrskauffrauen diagnostiziert? Außerdem: In Salzgitter fehlen nun einmal Dienstleistungen. Bei näherer Betrachtung stellen sich Zweifel ein: Ist es nicht eher so, daß die neuen Techniken die bisherigen Arbeitskräfte aus Büros und Privatverwaltungen verdrängen? So jedenfalls alle einschlägigen Untersuchungen! Der bei diesen Maßnahmen vorherrschende Qualifikationsansatz greift zu kurz. Er geht davon aus, daß die Arbeitskraft ihre Qualifikation erhöhen müsse und daß sie dann Arbeit finde. Die Ergebnisse sprechen für sich. Die „Höherqualifikation” ist ebenso ein Mythos wie der „Facharbeitermangel”; hinter diesen einfachen Formeln stecken Verdrängungsprozesse am Arbeitsmarkt, nicht aber eine Ausweitung der Arbeit. Regionale Strukturpolitik, wie sie im Moment gehandhabt wird, führt innerhalb der Regionen und zwischen den Regionen zu einem verschärften Nullsummenspiel und ist so gesehen ein Problemverschärfer.
Ein notwendiger, aber gerade im Hinblick auf diese Problematik nicht ganz ausreichender Zwischenschritt wäre die Einführung eines regionalen Arbeitsmarktbeauftragten, der eine entsprechende auf die Region bezogene Arbeitsmarktberichterstattung aufbaut. Zumindest könnte er innerhalb der Region die Verschärfung der unsinnigen Konkurrenz zwischen den Arbeitnehmern verhindern, aber auch die Ausgabe von Geldern für unsinnige Scheinweiterqualifizierungen, die nur den jeweiligen Trägern der Fortbildungs„maßnahme“ nutzen.
Was soll nun mit den Frauen geschehen? Im Sinne der regionalen Strukturpolitik ist diese Frage nicht richtig gestellt. Zunächst aber die herkömmlichen Zahlen, die sie sinnvoll erscheinen lassen: In Salzgitter kommt auf sechs Beschäftigte eine Frau. In den beiden Leitbranchen, Auto und Stahl, erreichen die Frauen noch nicht einmal 10 Prozent. In der Elektrotechnik kommt eine Frau auf vier Männer. Im wesentlichen sind dies Arbeitsplätze des Bosch-Konzerns; das Bedürfnis nach billiger und dequalifizierter Arbeit jagt die Firma Bosch über die ganze Erdkugel, so auch nach Salzgitter. Nunmehr wird das Blaupunkt-Werk aufgelöst zugunsten einer Produktion in Malaysia. Bei der Auflösung des Werkes hätte es statt des Sozialplanes einen Beschäftigungsplan geben müssen, der auch die Errichtung einer Beschäftigungsgesellschaft vorsieht. Denn neben dem Blaupunktwerk hat Bosch in Salzgitter noch ein Werk, das sich mit elektronischen Systemen beschäftigt. In dem Maße, wie in diesem Werk die Arbeit anspruchsvoller wird, werden wieder männliche Facharbeiter bevorzugt. Daher werden die entlassenen Arbeiterinnen bei Blaupunkt sehr wohl im großen und ganzen im Bosch-Werk ein Unterkommen finden, aber nur auf Zeit. Der Beschäftigungsplan hätte also die Verpflichtung des Konzerns zur Weiterqualifizierung zum Facharbeiter für Frauen vorsehen müssen, ebenso eine Einstellungsgarantie für die neuen Facharbeiterinnen. Das tatsächliche Ergebnis sah anders aus: Die Belegschaft bei Blaupunkt besetzte das Rathaus als das Aus für ihr Werk kam. Doch dann akzeptierten die Frauen einen „attraktiven” Sozialplan, zumal sie ja schließlich auch zum benachbarten Bosch-Werk gehen konnten. Frauen als soziale Bewegung sind mächtig, nicht aber in der Rolle Arbeiterin oder Bürgerin, sondern als „geschlechtliche Wesen”; daher kommen der Kampf um Arbeit und die Benachteiligung von Frauen nicht wirklich zusammen.
Die Ausgangsfrage lautet also nicht: Was soll mit den Frauen geschehen? Sondern: Was können die Frauen tun? Regionale Strukturpolitik heißt zunächst, daß soziale Kräfte in der Region zusammengebracht werden müssen mit konkreten Entwicklungsperspektiven vor Ort. Diese spezifischen Lösungen vor Ort müssen von Betroffenen zu ihrer Sache gemacht werden und von ihnen getragen werden. Seit dem Auftreten der berüchtigten „Macher” hat sich Politik geriert als säkularisierte Erlösung, die den Leuten die Probleme wegmacht. In keinerlei Hinsicht hat sich dieser Anspruch durchhalten lassen. Regionale Strukturpolitik muß abzielen auf Verträge mit den ökonomisch dominierenden Kräften, die diese im Hinblick auf die Zukunftsgestaltung binden. Solche Abkommen sind nur zu haben, wenn hinter ihnen eine entschlossene politische Kraft, nicht im Sinne eines veroligarchisierten Apparates, steht.
Für die bei uns gepflogene und vorherrschende Politik bedeutet dies, daß sie Möglichkeiten für die Aktivität solcher sozialen Kräfte eröffnen muß, damit es politische Kräfte werden. Die Politik soll also selber keine Probleme lösen, sondern politische Kräfte stärken. Allerdings heißt das auch, daß geeignete Institutionen vor Ort auszubilden sind. Das reicht von der Neukonzeption der Arbeits„verwaltung“ über das Bankwesen bis hin zu Planungsbehörden. (13) Daß es sie nicht gibt, belegt nachdrücklich die Unfähigkeit unserer Politik, diversifizierte gesellschaftliche Bedürfnisse aufzuarbeiten.
Auch für das Beispiel der in ihren Wohnungen bedrohten republikanischen Wähler bedarf es keiner großartigen Phantasie: Mit der Gründung einer Genossenschaft und weitgehender Selbstverwaltung sind die meisten ihrer Probleme zu lösen. (14) Freilich bedarf es hierzu des notwendigen Startkapitals und erheblicher organisatorischer Vorleistungen. Auch hier wird deutlich: Regionale Strukturpolitik bestärkt Kräfte vor Ort und macht sie handlungsfähig.
Nun wird man einwenden, das überfordere den „Bürger” von heute. Das soeben angeführte Beispiel der Blaupunkt-Frauen zeige es ja. In diesem Zusammenhang gewinnt das Konzept der Beschäftigungsgesellschaft nach Konzept der IGM noch einmal ganz neue Reize. Es handelt sich um regional „vergesellschaftete” Formen einer Strukturanpassungs- und Umstrukturierungspolitik. Beschäftigungsgesellschaften sollen auch in der Region vorhandene Vorstellungen zur Produktkonversion und zum Aufbau alternativer Produktionen auf den Weg bringen. Sie können Arbeitnehmern damit einen Weg eröffnen, ihre oftmals kreativen Vorstellungen in die Realität umzusetzen. Sie eröffnen die Möglichkeit, einen Lernprozeß zu initiieren, in dem die Menschen begreifen, daß Arbeit immer dann sinnvoll ist, wenn ein erkennbarer Gebrauchswert geschaffen wird. Diese grundlegende Erfahrung muß der potentiell unsteuerbaren Ausrichtung auf die Weltmarktproduktion gegenübergestellt werden. Das ermöglicht einen Lernprozeß und eine Rückbesinnung darauf, daß Wirtschaften der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung und der Ausweitung der Lebensqualität dient (A. Smith), nicht aber der Teilnahme an menschenverachtenden Nullsummenspielen am Weltmarkt. Das Ausgeliefertsein an den „stummen Zwang der Verhältnisse” soll ersetzt werden durch planvolle Zukunftsbewältigung. Regionale Strukturpolitik setzt also auch auf die befruchtende Kraft konkreter Utopien und geht davon aus, daß Menschen lernen können, ihr Schicksal wieder in die Hand zu nehmen.
Die bisher vorgetragenen Konzepte folgen also nicht der Logik: Wir tun etwas für die Langzeitarbeitslosen, und dann hört der Ärger auf. Nein! Der nächste Langzeitarbeitslose kommt bestimmt. Spezielle Programme für Langzeitarbeitslose sind gut und notwendig. Aber jeder Kenner weiß, daß die Hilfe für Langzeitarbeitslose mittlerweile eine Frage der Sozialarbeit ist, nicht aber der Vermittlung an einen Arbeitsplatz. Hier sei an unsere Eingangsthese erinnert: Probleme zu beseitigen ist ungleich schwieriger als die Vermeidung der ursprünglichen Ursache. Regionale Strukturpolitik kann daher zu diesem speziellen Problem direkt nichts beitragen. In politischer Hinsicht muß die Ankündigung eines Programms für Langzeitarbeitslose freilich kommentiert werden: Erst das Auftauchen von REP’s und DVU machte dieses Programm politisch möglich. Also doch eine bewegende Kraft!
Ein letzter Punkt bei der Betrachtung der regionalorientierten Alternative muß dem internationalen Rahmen gelten. Die Absage an die Weltmarktorientierung ist zwar begründbar, aber sie führt nicht zwingend zur Regionalorientierung. Ohne globale Betrachtung der Folgen droht auch sie, schädlich zu werden. Das sei erneut am Beispiel Salzgitters aufgezeigt: Die Blaupunkt-Frauen können sich als Opfer der Malaien betrachten. Die VW-Arbeiter müssen die Auslastung ihres Werkes gegen Spanier und Mexikaner verteidigen. Wegen dieser Bedrohung sind sie zu vielen Opfern bereit. Das Beispiel Blaupunkt zeigt aber die Grenze zwischen Fatalismus und Ohnmacht und gestaltender regionaler Initiative: Die Kosten der Autoradiofertigung in Malaysia liegen bei ca. zwei Drittel der deutschen. Wenn in Deutschland die Kosten der Arbeitslosigkeit infolge der Einstellung der Produktion auf die Differenz angerechnet würden, dann dürfte der Subventionsbeitrag zur Aufrechterhaltung der Produktion in Deutschland gering ausfallen. Er vermindert sich noch einmal dadurch, daß die in Deutschland gezahlten Löhne als Kaufkraft neue wirtschaftliche Aktivität wecken und damit in der Region selber das Defizit vermindern. Das hat alles im Sinne der eingangs angeführten Milchmädchenrechnungen ökonomisch noch keinen besonderen Sinn. Es bekommt aber dann Fug, wenn die Zahlung der Subventionen mit entsprechenden Auflagen zur Rekonversion des Betriebes verbunden werden. Regionale Strukturpolitik kostet also etwas; sie erspart aber sinnlose Kosten.
Das gewählte Beispiel scheint einen Haken zu haben: Was soll die Sicherung deutscher Arbeitsplätze zu Lasten malaysischer? Sehr viel: Die Arbeitsbedingungen in Malaysia sind so schlecht, daß sie keinen vernünftigen Weg in die Zukunft eröffnen. Wäre es anders, dann müßte man von der hier vorgeschlagenen Neukonzeption der Subventionspolitik Abstand nehmen.
8. Sire — geben Sie Politikfreiheit!
Regionale Strukturpolitik ist keine problembeseitigende ,‚Wunderwaffe“. Sie ist auch kein „Ausstieg” aus der Weltwirtschaft. Nehmen wir an, es gäbe eine solche Politik, dann blieben Weltmarktabhängigkeit, potentielle politische Unsteuerbarkeit und auch Arbeitslosigkeit durchaus erhalten. Schließlich würde eine ökologische Politik, die diesen Namen verdient, auch nicht Waldsterben und Altlasten wegzaubern.
„Regionale Strukturpolitik” heißt zuallererst Verweigerung der Teilnahme am weltweiten Monopoly, wobei soeben die zweite Phase dieses Spiels, also die nach Verteilung der Ausgangspositionen, gespielt wird. „Denn das bleibt der Rahmen der Entwicklung: die Entfaltung der kapitalistischen Weltwirtschaft — Gestalt eines räumlich und zeitlich ungleichmäßigen Prozesses — zum heutigen politischen Staatensystem. Die Entwicklung der Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit hat zu einem kompletten Weltsystem der Klassen, zu einem weltweiten Polarisierungseffekt hinsichtlich der Verteilungsstrukturen, zu globalen Klassenbildungsprozessen der Proletarisierung und Verbürgerlichung geführt.” (15) Stärkung der regionalen Potentiale bedeutet, daß die hier nur angedeuteten Rahmenbedingungen bedacht werden müssen; im Falle Salzgitters zum Beispiel eine Peripherielage im Rahmen der Industrieländer. Es heißt aber auch, daß die Komponenten des Nullsummenspiels — also der zweiten Monopolyphase — nicht verstärkt werden dürfen. Das ist ein kategorischer Imperativ dieser Politik. Sie verlangt die Entwicklung und Kultivierung eines anderen Politikbegriffs. Zum besseren Verständnis sollte man sich die schon lange festgestellte politische Untauglichkeit des Nationalstaates klarmachen: Für die ihm gestellten Aufgaben ist er zu groß und zu klein zugleich; die auf seiner Ebene erdachte Politik trägt nicht hinreichend der weitreichenderen Organisation der Ökonomie auf internationaler Ebene Rechnung. Daher registriert die je nationale Politik die Besonderheiten vor Ort als Störfaktor, weil zu zwergenhaft. Ihre eigenen Konzepte greifen auch nicht, weil zu zwergenhaft. Das bedeutet aber nicht die Verlagerung der Politik in angemessene und zugleich entrückte internationale Gremien. Die Beobachtung lehrt, daß „kleine Einheiten” die höhere politische Kultur haben und auch regierbarer sind, weil durch Abrede eine Vielzahl von Staatsfunktionen überflüssig werden. (16) Das hat O.K. Flechtheim eindrucksvoll am Beispiel Islands gezeigt.” (17) Folglich bedeutet „regionale Strukturpolitik” auch, daß ein völlig neuer Typus von Politik entwickelt werden muß. (18)
Wieder eines der „man müßte, man sollte“? Stolperstein auf dem neuen Weg sind unsere Parteien und ihr karrierebeflügeltes Personal. Leibholz (19) hatte dermaleinst durchaus fazinierend begründet, daß die moderne Volkspartei ein geeignetes Instrument sei, Ansprüche heutiger demokratischer Politik zu verwirklichen. Kirchheimer (20), der mit gutem Grund von der „Catch-all-party“ sprach, prognostizierte konzeptionelle Schwäche als zwingendes Merkmal. Recht hatte er! Die von Michels (21) als „ehern“ behauptete Oligarchisierung der Parteien liegt klar zutage; auch bei den Grünen. Weitergehen kann es so schon, aber nur unter wachsenden Schwierigkeiten. Da bleibt nur der Kniefall vor den Parteien, Gewerkschaften und Verbänden: Sire – geben Sie Politikfreiheit!
Vreweise
1 Diese Analyse wurde überprüft am Beispiel der Stadt Langenhagen, also einem Teil des Großraums Hannover. Hier ergibt sich dasselbe Bild: Traditionsinseln bleiben resistent; Siedlungsgebiete im Zusammenhang mit der industriellen Überformung ab 1950 sind hingegen Reservoire der REP’s und DVU.
2 Zu Berlin vgl. R. Nitsche (Hrsg.): Häuserkämpfe. Berlin (Transit) 1981. — Es handelt sich um ein in jeglicher Hinsicht informatives Buch.
3 Eine Studie der siebziger Jahre hat die heutigen Verhältnisse hellsichtig vorweggenommen. Zugleich kann diese Studie als vorbildlich gelten hinsichtlich der Herangehensweise und Darstellung. — H. Becker u. K.D. Keim: Gropiusstadt: Soziale Verhältnisse am Stadtrand. Stuttgart 1977.
4 Zu alledem vgl. H. Dubiel: Das Gespenst des Populismus. In: Ders. (Hrsg.): Populismus und Aufklärung. Frankfurt/Main 1986, S. 33ff.
5 Zu diesem Komplex, aber allgemein zu vielen der folgenden Thesen: O. K. Flechtheim: Ist die Zukunft noch zu retten? Hamburg 1987, hier S. 200ff.
6 J.Alber: Nationalsozialismus und Modernisierung. In: KZfSS XLI (1989), S. 346ff. — Die Ausführungen Albers sind nicht immer überzeugend. Aber in diesem Punkte scheint er recht zu haben: Die NS gerieten ab 1937 zunehmend in Not, wie ihre Versprechungen einzulösen seien. Daher starteten sie eine Fülle von Aktionen populistischer Art, die sie aber nicht aus ihrem Grundproblem heraus-brachten.
7 Dubiel, a.a.O.
8 Th. Geiger: Die soziale Schichtung des deutschen Volkes. Darmstadt (Nachdruck) 1972, bes. 109ff. — Th. Geiger ist ein heute fast vergessener Autor. Jeder politisch Interessierte tut gut, ihn zu rezipieren.
9 Dubiel,a.a.O., S. 44f.
10 Stellvertretend: L. Mumford: Mythos der Maschine. Frankfurt/Main (Fischer TB) 1978, S. 65ff. — Besonders aber auch: E. Cassirer: Der Mythos des Staates. Philosophische Grundlagen politischen Verhaltens. Frankfurt /Main 1985.
11 a.a.O., S. 48.
12 W.-D. Narr: Realpolitik und Wirklichkeitsverfehlung in der Bundesrepublik Deutschland. In: R. Roth (Hrsg.): Parlamentarisches Ritual und politische Alternativen. Frankfurt/Main 1980, S. 13ff.
13 Näher entwickelt bei J. Wolf: Position der GHI — Auszug aus einem Grundsatzpapier. In: Gustav-Heinemann-Initiative (Hrsg.): Zukunft Niedersachsens II. Aktive Regional- und Strukturpolitik im Zeichen der Wirtschafts- und Finanzkrise. 0.0., o.J. (1988), S. 9ff.
B.-G. Spies: Beschäftigungsauflagen, sektorale Investitionspolitik und Ausweitung industrieller Demokratie — Grundzüge arbeitnehmerorientierter Kommunalpolitik in Großbritannien. In: W. Fricke u.a. (Hrsg.): Mehr Arbeit in die Region. Bonn 1986, S. 158ff.
14 K. Novy u.a. (Hrsg.): Anders leben. Geschichte und Zukunft der Genossenschaftskultur. Berlin/Bonn 1985, bes. 143ff.
15 H.-J. Krysmanski: Entwicklung und Stand der klassentheoretischen Diskussion. In: KZfSS XLI (1989), S. 149ff., hier S. 162f.
16 Diese insbesondere zu Ende der sechziger Jahre an der FU Berlin beheimatete Diskussion wird merkwürdigerweise selbst von interessierten Mitgliedern der Bürgerrechtsbewegung nicht zur Kenntnis genommen. Vermutlich bildet wieder einmal der Gegensatz unter den bizarren akademischen Seilschaften das entscheidende Hindernis. — Es wäre notwendig, sich mit Autoren wie O.K. Flechtheim und E. Krippendorff auseinanderzusetzen.
17 O.K. Flechtheim: a.a.O., S. 215ff.
18 E. Krippendorff: Minderheit und Regionalismus — die politische Perspektive. In: D. Gerdes (Hg.): Aufstand der Provinz: Regionalismus in Westeuropa. Ffm 1980, S. 235ff., hier S. 243f.
19 G. Leibholz: Parteienstaat und repräsentative Demokratie. In: H. Rausch: Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung. = Wege der Forschung CLXXXIV. Darmstadt 1968, S. 235ff.
20 O. Kirchheimer: Zum Wandel des westeuropäischen Parteiensystems. In: G. Ziebura (Hrsg.). Beiträge
zur allgemeinen Parteienlehre. = Wege der Forschung CVI. Darmstadt 1969, S. 341ff.
21 R. Michels: Formale Demokratie und oligarchische Wirklichkeit. In: K. Lenk u.a. (Hrsg.): Theorie und Soziologie der politischen Parteien. Neuwied 1968, S. 242ff.