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Um die Menschen­würde der Straf­ge­fan­ge­nen. Fritz-­Bau­e­r-­Preis 1971

von vg

vorgänge Nr. 11-12/1971, S. 381

(vg) Seit dem Tode des Hessischen Generalstaatsanwalts Dr. Fritz Bauer, ihres Gründungsmitglieds, am 1. Juli 1968 verleiht die Humanistische Union für Initiativen zur Reform des Strafrechts und des Strafvollzugs und zur Verwirklichung der Grundrechte der Verfassung den „Fritz-Bauer-Preis”. Preisträger 1969 war Dr. Helga Einsele, die als Leiterin der hessischen Frauen-Strafanstalt Frankfurt-Preungesheim theoretisch und praktisch für „etwas Besseres als Strafvollzug”, gearbeitet hat; Preisträger 1970 war Bundespräsident Dr. Gustav Heinemann, der als Bundesjustizminister die Strafrechtsreform wirksam eingeleitet und die Kommission zur Strafvollzugsreform gegründet hat.

Für 1971 hat der Bundesvorstand der Humanistischen Union den Fritz-Bauer-Preis einstimmig Frau Birgitta Wolf zugesprochen. Die Verleihung fand am 10. Oktober 1971 im Stadtverordneten-Saal des Frankfurter Römers statt, den der Magistrat der Stadt zur Verfügung stellte. Birgitta Wolf (geboren 1913), eine Schwedin in der Bundesrepublik, ist hierzulande wahrscheinlich, nein, sicherlich der herausragende Mensch, der sich, unbeeindruckt von Schwierigkeiten und Anfeindungen, ausschließlich, das heißt: ohne private Nebeninteressen und ohne Rücksichtnahme auf öffentliche Räson, theoretisch (durch Veröffentlichungen) wie praktisch (durch vielfältige individuelle Hilfe) um die Strafgefangenen in diesem Staat kümmert. Sie hat vielen einzelnen geholfen und sie hat, durch Bücher und Artikel und durch diese ihre konkrete Hilfe, das Bewusstsein der Öffentlichkeit „aufbereitet” für die notwendige Reform des bundesrepublikanischen Strafvollzugsystems. An ihren Demarchen kommt heute keiner mehr vorbei; ihr ist es zu danken, wenn das Thema Strafvollzugsreform heute hierzulande ein Problem ist, das die Gesellschaft beschämt und antreibt.

Bei der Preisverleihung an Frau Wolf hielt Dr. Hans Heinz Heldmann, ständiger Autor der „Vorgänge”, die Laudatio. Der Hessische Justizminister Karl Hemfler erinnerte an die leitenden Motivationen Fritz Bauers für die Rechtsreform. Den wichtigsten Beitrag aber lieferte Birgitta Wolf selbst, die, unbeeinflusst von Preisverleihungs-Festesstimmung, in ihrer Dankesrede die Sache der Strafgefangenen und die Notwendigkeit einer besseren als geplanten Strafvollzugsreform zur allgemeinen machte. Eine Gesellschaft ist soviel wert, wie ihr ihre Strafgefangenen wert sind. Das ist Birgitta Wolfs These, für die sie, unbeeinflusst von Repression, aber auch von Ehrungen, lebt.

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