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Berlin: Metropole der Frauen­ar­mut?

vorgängevorgänge 11808/1992Seite 25-35

aus: vorgänge Nr. 118 (Heft 4/1992), S. 25-35

Seit der Wiedervereinigung beider Stadthälften ist Berlin einem rasanten Prozeß des Umbaus unterworfen. Nach dem Willen der CDU/SPD-Regierung soll die Stadt zu einer international ausgerichteten Wirtschaftsmetropole und zum Regierungssitz aus- und umgebaut werden. Die Chancen dafür stehen gut: Die Entscheidung für Berlin als Regierungssitz ist gefallen, und im Innenstadtbereich zeigen u.a. die Großprojekte von Daimler-Benz, Sony und Hertie überdeutlich, daß die Stadtregion national wie international an Standortattraktivität gewonnen hat. Kurzum: Berlin hat einen enormen Bedeutungszuwachs in der bundesdeutschen Städtehierarchie erhalten. Auf Grund der polyzentralen Struktur des deutschen Städtesystems wird sich Berlin anders als die national zentralisierten europäischen Metropolen wie London oder Paris entwickeln. Mit ihnen jedoch teilt Berlin die Perspektiven ausgeprägter ökonomischer, sozialer, kultureller wie räumlicher Brüche — Polarisierungen, die sich auch und vor allem für Frauen als nachteilig erweisen werden. Ohne massive Gegensteuerung seitens der Politik steht zu befürchten, daß der Umbau Berlins zur internationalen Wirtschaftsmetropole zu einer vertieften Spaltung des städtischen Arbeitsmarktes und des inneren sozial-räumlichen Gefüges der Stadt führen wird – und zwar in einer Weise, die die Marginalisierungstendenzen für viele Frauen verstärkt.

Stadtentwicklung und
ökonomische Restrukturierung

Die tiefgreifenden Veränderungen seit Mitte der siebziger Jahre in Ordnung und Struktur des sozialen, wirtschaftlichen und politischen Lebens prägen sich sowohl auf globaler, wie auf regionaler und lokaler Ebene aus. So ist seit den achtziger Jahren in allen großen Städten — insbesondere in den Metropolen der westeuropäischen Länder und der USA — eine Entwicklung in Richtung auf eine ausgeprägte Polarisierung der Erwerbs- und Sozialstrukturen und eine verstärkte Ausdifferenzierung lokaler Arbeits- und Lebensverhältnisse zu verzeichnen, die sich auch in neuen Formen sozialräumlicher Ungleichheit widerspiegelt.
Der in den siebziger Jahren einsetzende ökonomische Umbau mit wachsender Internationalisierung von Großunternehmen, neuen Technologien, zunehmender Flexibilisierung von Produktion und Arbeitsmarkt und der Deregulierung herkömmlicher politisch-institutioneller Steuerungsmechanismen führte zu einer „Rehierarchisierung” des Städtesystems. Ehemals bedeutende Zentren industrieller Produktion in den hochindustrialisierten Ländern stagnieren oder geraten in eine Baisse, während sich andere Städte und Regionen zu neuen Wachstumszentren entwickeln (Krätke 1991a).
Im Rahmen der neuen internationalen Arbeitsteilung produzieren transnationale Unternehmen an weltweit verstreuten Standorten für den Export, während bedeutende überregionale Kommando- und Kontrollfunktionen der kapitalistischen Weltwirtschaft in bestimmten Großstädten – den sogenannten global Cities oder Metropolen — selektiv konzentriert werden. Diese werden zu „geographischen Knotenpunkten” einer transnational organisierten Ökonomie, zum Standort wirtschaftlicher, finanzieller und politischer Entscheidungszentren mit einer Vielzahl dazugehöriger unternehmens- und konsumorientierter Dienstleistungsbetriebe (Sassen 1991).
Mit dem gesellschaftlichen Strukturwandel in Osteuropa werden die Städte und Regionen dieser Länder in den weltweiten Trend zur Neuverteilung von Wachstumspotentialen miteinbezogen. Ökonomische, soziokulturelle und politische Umbauprozesse wälzen die Bedingungen für die Nutzung des städtischen Raums gründlich um und nähern ihn rapide den Verhältnissen in den westlichen Agglomerationszentren an. In gleichem Maße nehmen die hiermit verbundenen ökonomischen, sozialen, kulturellen und räumlichen Spaltungen zu. Die ökonomische Restrukturierung im Osten Deutschlands hat auch auf regionaler Ebene Gewinner und Verlierer hervorgebracht. Während etlichen Zentren im Westen (z.B. Hamburg und Frankfurt a.M.) neue Wachstumsimpulse verliehen wurden, wurden viele Städte im Osten Deutschlands zu Krisenregionen herabgedrückt. Eine Sonderstellung nimmt Berlin ein: Hier prallen auf engstem Raum Wachstums- und Degradationsprozesse aufeinander. Berlin wurde zu einem Brennpunkt der mit der Wiedervereinigung verbundenen Restrukturierungsprozesse.

Arbeitsmarktspaltungen

Der Großraum Berlin — mit 4,3 Mio Einwohnern nach Paris, London und Madrid die viertgrößte Metropole Europas — kann von seiner wirtschaftlichen Struktur her zur Zeit noch nicht als metropolitanes Dienstleistungszentrum gelten. Die Stadtregion stellt sich eher als ein Industriezentrum dar, in dem bislang Betriebsstätten mit geringer Fertigungstiefe dominieren. Der öffentliche Sektor wurde im Vergleich zu anderen westdeutschen Großstädten stark ausgebaut, während privatwirtschaftliche Dienstleistungen eine weit geringere Rolle spielen. Das Fehlen von Hauptquartieren überregional tätiger Unternehmen (Ausnahme: der Chemiekonzern Schering und der Büroartikelhersteller Herlitz) sowie die vergleichsweise geringe Verbreitung produktionsorientierter Dienstleistungen wird als die strukturelle Schwäche des Wirtschaftsraums angesehen. Umso größer sind deshalb auch die Belastungen, die mit dem schockartigen Umbau der Stadt einhergehen und die mit einem enormen Verlust an Arbeitsplätzen im verarbeitenden Gewerbe, aber auch im öffentlichen Dienstleistungssektor verbunden sind. Trotz der starken Expansion, die der Dienstleistungssektor — insbesondere der Bereich produktionsorientierter Dienste — im Westteil der Stadt seit 1990 erfahren hat (1991 betrug der Beschäftigtenzuwachs 12 Prozent), wird die Vernichtung von Arbeitsplätzen dadurch auf absehbare Zeit nicht ausgeglichen. In ganz Berlin waren im Mai 1992 rund 200000 Personen arbeitslos gemeldet; die Arbeitslosenquote betrug 12 Prozent. Im Osten vollzieht sich ein dramatischer Prozeß der Deindustrialisierung, der den in Westberlin schon lange vorherrschenden Trend des Abbaus industrieller Arbeitsplätze überformt.
In Berlin ist die Mehrheit der Frauen im Alter von 18 bis 65 Jahren erwerbstätig: in Westberlin 60, in Ostberlin 80 Prozent. Vor allem in den sechziger und siebziger Jahren fand in beiden Teilen der Stadt — hauptsächlich über die Ausweitung des Dienstleistungssektors — eine verstärkte Integration von Frauen in das Erwerbssystem statt: In Westberlin sind fast 80, in Ostberlin ca. 70 Prozent der erwerbstätigen Frauen in sogenannten frauentypischen Dienstleistungsberufen mit vergleichsweise geringer Bezahlung beschäftigt.
Die asymmetrische Verteilung der Geschlechter auf unterschiedlich bewertete berufliche Positionen ist eine der Ursachen für fortbestehende geschlechtsspezifische Einkommensunterschiede, die in beiden Teilen der Stadt bei 25 Prozent liegen. Ostberliner Frauen tragen jedoch weit häufiger und stärker (über 40 Prozent) zum Haushaltseinkommen bei.
Seit den sechziger Jahren findet in Westberlin durch Betriebsstilllegungen, Betriebsverlagerungen in sogenannte Billiglohnländer und Einsatz neuer, arbeitssparender Technologien ein drastischer Arbeitsplatzabbau statt, von dem bisher relativ mehr Frauen als Männer betroffen sind. Durch den Abbau der Berlin-Förderung und die Expansion des Dienstleistungssektors werden auch in Zukunft viele un- und angelernte Arbeiterinnen ihre Anstellung verlieren. Während die Arbeitsplatzverluste für Industriearbeiterinnen in der ersten Hälfte der achtziger Jahre nicht mehr vollständig durch eine Beschäftigungsausweitung im Dienstleistungssektor kompensiert werden konnten, entstanden in der zweiten Hälfte in diesem Sektor wieder vermehrt Arbeitsplätze für Frauen, in der Mehrzahl jedoch sogenannte ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse.
In allen hochindustrialisierten Ländern wird seit einigen Jahren die Flexibilisierung von Produktion und Arbeitsmarkt angestrebt. Sie erfolgt durch die Einführung von flexiblen Arbeitszeiten und Teilzeitarbeit, von befristeten Arbeitsverträgen, von Leiharbeit und von neuen Beschäftigungsverhältnissen ohne die bisher übliche soziale Absicherung, unterstützt durch gesetzgeberische Maßnahmen wie z.B. das Arbeitsförderungsgesetz, das befristete Arbeitsverhältnisse ermöglicht. Flexibilisierung und Deregulierung von Beschäftigungsverhältnissen wurden im Dienstleistungssektor am stärksten durchgesetzt, die Grenzen der Erwerbschancen von Frauen werden wieder deutlicher.
Von dieser Erosion des Normalarbeitsverhältnisses sind Frauen weit mehr als Männer betroffen. Ähnlich wie in Westdeutschland wurden auch in Westberlin in vielen Bereichen des Dienstleistungssektors Vollzeitarbeitsplätze zugunsten von Teilzeitarbeitsplätzen und befristeten Beschäftigungsverhältnissen abgebaut. Ende der achtziger Jahre war fast ein Drittel der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Frauen in West- und ein Fünftel in Ostberlin teilzeitbeschäftigt. Zu über 90 Prozent ist Teilzeitarbeit Frauenarbeit, die den Betroffenen in der Regel jedoch keine ökonomisch selbständige Existenz verschafft. So betrug der monatliche Nettoverdienst von Teilzeitbeschäftigten in Westdeutschland 1987 durchschnittlich nur 847 DM (Kurz-Scherf 1989). Während die Erwerbstätigkeit von Frauen mit Kindern im Ostteil der Stadt bis zur Währungsunion selbstverständlich war, waren Ende der achtziger Jahre in Westberlin 50 Prozent aller Mütter mit Kindern unter 6 Jahren und 60 Prozent aller Mütter mit Kindern unter 18 Jahren erwerbstätig. 80 Prozent der vollzeitbeschäftigten Frauen in Westberlin (50 Prozent in Ostberlin) hatten jedoch keine Kinder zu versorgen. Unter den Bedingungen eines eklatanten Mangels an Kinderbetreuungsmöglichkeiten werden (bei weitgehender „Verhaltensstarre” von Männern, was die gleichgewichtige Aufteilung der Hausarbeit und der Kinderbetreuung angeht) viele Mütter auf die Erwerbstätigkeit in flexiblen und ungeschützten Formen beschränkt. So betrug Ende der achtziger Jahre der Versorgungsgrad der Kinder der entsprechenden Altersgruppe mit Krippenplätzen in Westberlin 19 Prozent, in Ostberlin 60 Prozent. Bei Hortplätzen betrug der Versorgungsgrad in Westberlin 25 Prozent, in Ostberlin 90 Prozent. Mit Kindergartenplätzen waren zwei Drittel der 3- bis 6jährigen in Westberlin und alle Kinder dieser Altersgruppe in Ostberlin versorgt.
Frauen stellen mit 70 Prozent den Hauptanteil jener Beschäftigten, deren monatliches Einkommen unter der Sozialversicherungsgrenze von 480 DM liegt. In Westdeutschland hat sich die Anzahl dieser sogenannten geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse innerhalb dreier Jahre verdreifacht (von 2,3 Mio 1987 auf auf 6,3 Mio 1990). Vor allem im Einzelhandel, im Reinigungs- und Gaststättengewerbe, in der Altenbetreuung und in Privathaushalten sind viele Frauen ohne Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Rentenzahlungen beschäftigt. Sozialwissenschaftlerinnen sprechen in diesem Zusammenhang von einer Tendenz zur „Hausfrauisierung” der Arbeit, die tendenziell auch Männer erfaßt.
Eine andere Form der „Hausfrauisierung” findet im Ostteil der Stadt statt: Im Zuge der Wirtschafts- und Währungsunion wurde ein Großteil der industriellen Arbeitsplätze vernichtet. Auch in staatlichen Einrichtungen und gesellschaftlichen Organisationen haben viele Beschäftigte ihren Arbeitsplatz verloren oder wer-den ihn noch verlieren. In den östlichen Stadtbezirken und in Brandenburg ging in nur zwei Jahren jeder zweite Arbeitsplatz verloren. In Ostberliner Industriebetrieben wurden gar zwei Drittel der Arbeitsplätze abgebaut. Die forcierte Ansiedlung von hochrangigen Dienstleistungskomplexen und Unternehmenszentralen wird die Entwertung der „älteren” industriellen Basis der Stadt noch beschleunigen. Schätzungen gehen dahin, daß im Vergleich zu 1989 schon Ende 1993 nur noch jeder fünfte bis siebente Arbeitsplatz in der Industrie im Ostteil der Stadt übrig sein wird. Ohne arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wären hier gegenwärtig statt 100000 mehr als doppelt so viele Menschen arbeitslos. Die Ostberliner Arbeitslosenquote von 15 Prozent im April 1992 würde noch höher ausfallen, wären nicht ca. 150000 überwiegend junge Leute während der letzten zwei Jahre in den Westen abgewandert.
Die bisherige Entwicklung in Berlin und in den Regionen der ehemaligen DDR zeigt deutlich, daß Frauen überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Im Januar 1992 stellten sie in den neuen Bundesländern über 60 Prozent, in Ostberlin 54 Prozent der registrierten Erwerbslosen. Neben der überproportionalen Arbeitslosigkeit mußten Frauen in Ostdeutschland eine starke Entwertung ihrer bisherigen Qualifikation hinnehmen. Nach der Währungsunion wurden sie in weit höherem Maße als Männer aus qualifizierten Tätigkeitsbereichen verdrängt. Während der Anteil von Frauen und Männern in niedrig qualifizierten beruflichen Positionen nach der Währungsunion fast konstant blieb, hatte sich bis April 1991 der von Frauen in Leitungspositionen um über 80 Prozent, der der Männer um 60 Prozent reduziert. Im gleichen Zeitraum war die Anzahl von Frauen in hochqualifizierten Angestelltenpositionen um ein Drittel (bei Männern um ein Fünftel) und bei Facharbeiterinnen um ein Viertel (bei Männern um ein Zehntel) gesunken. Bei der Neueinstellung werden Frauen diskriminiert. So lag 1991 der Anteil von Frauen bei der Vermittlung in neue Stellen in Ostberlin bei nur einem Drittel. Schätzungen, wonach die vormals hohe Frauenerwerbsquote von über 90 Prozent im Osten Deutschlands sinken und sich der im Westen von derzeit 50 bis 60 Prozent annähern dürfte, können als realistisch gelten.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der ökonomische Strukturwandel in beiden Teilen der Stadt auf mehr Frauen als Männer negative Auswirkungen hat. Durch die Wiedervereinigung wird der Verdrängungswettbewerb enorm verschärft. Die Besetzung von bisher über 140000 Arbeitsplätzen in Westberlin mit Pendlern aus dem Ostteil der Stadt und dem Umland indiziert, daß die Chancen der weit über 100000 Arbeitslosen im Westteil der Stadt auf einen neuen Arbeitsplatz gesunken sind. Inzwischen machen Männer den Frauen auch in Dienstleistungsbereichen, die früher als weibliche Domäne galten (wie Sparkasse, Post, Verkehrswesen), Konkurrenz. Vor allem bei „frauentypischen” Arbeitsplätzen im Büro- und Verkaufsbereich ist zu vermuten, daß auch unter Frauen die Konkurrenz um diese Arbeitsplätze zunimmt. Insbesondere weniger Qualifizierte, Ältere, Frauen mit kleinen Kindern und Immigrantinnen dürften dem verschärften Konkurrenzkampf zum Opfer fallen. Anhaltende Massenarbeitslosigkeit, Lohndiskriminierung und die Ausweitung ungeschützter Beschäftigungsverhältnisse verstärken die Marginalisierungstendenzen. Frauen werden zunehmend ausgegrenzt und manche Frauen stärker als andere.
Der Gewaltcharakter der kapitalistischen und patriarchalen Modernisierung zeigt sich im „Aussortieren des Erwerbspotentials” nach Alter, Geschlecht und Leistungsfähigkeit besonders deutlich. Die geschlechtshierarchische Aufspaltung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit in gut bezahlte, schlecht bezahlte und unbezahlte Arbeit verursacht die Armut von Frauen — und sie gefährdet längerfristig auch das „Normalarbeitsverhältnis” der Männer.
Wie die Entwicklung anderer Metropolen zeigt, wird der Ausbau Berlins zu einer international ausgerichteten Wirtschaftsmetropole und zum Regierungssitz die für Frauen nachteilige Spaltung des städtischen Arbeitsmarktes weiter vorantreiben. Auf der einen Seite entstehen hochrangige und hochbezahlte Arbeitsplätze in den Bereichen Unternehmensführung, Organisation und Marketing, Finanzen und Versicherungen, Immobilienhandel, Medien, Rechts-und Unternehmensberatung, EDV-Dienste, Weiterbildung, Forschung und Entwicklung; auf der anderen Seite wachsen zugleich die „niederen” Dienstleistungsjobs, entstehen massenhaft gering entlohnte, wenig qualifizierte und meist ungeschützte Arbeitsplätze im Bereich von Bürohilfstätigkeiten, Reinigungs- und Botendiensten, in der Gastronomie, in Hotels und urbanen Freizeiteinrichtungen. Illegale Leih- und Schwarzarbeit werden enorm zunehmen, der DGB rechnet bereits heute mit über 100000 solcher Arbeitsverhältnisse. Im Zuge der weiteren Deindustrialisierung werden sich die Arbeitsplätze für dauerhaft beschäftigte ArbeiterInnen reduzieren. Eine doppelte Spaltung des städtischen Arbeitsmarktes entsteht: einmal zwischen Beschäftigten und Arbeitslosen, zum anderen zwischen „hochrangigen” und „niederen” Arbeitsplätzen.
Unter den Bedingungen einer geschlechtshierarchischen Gliederung des Beschäftigungssystems bleiben leitende Positionen und hoch qualifizierte Tätigkeitsbereiche überwiegend Männern vorbehalten, während für wenig qualifizierte, schlecht entlohnte Hilfs- und Versorgungstätigkeiten im Dienstleistungsbereich (genau wie im industriellen Sektor) Frauen — darunter viele Arbeitsmigrantinnen — das flexible Hauptreservoir darstellen.
Entlang geschlechtsbezogener Trennungslinien entsteht eine polarisierte Beschäftigtenstruktur, die die Flexibilisierung und Deregulierung des Arbeitsmarktes weiter voranschreiten läßt.
Mit dem Wachstum produktions- und unternehmensorientierter Dienstleistungen sowie der Ansiedlung von Regierungsbehörden (derzeitiger Frauenanteil 27, im höheren Dienst 14 Prozent) und Verbänden in der Stadt werden sich für Frauen qualifiziertere Tätigkeitsfelder ausweiten, ihr Anteil an Führungspositionen in der Wirtschaft — in Westdeutschland derzeit nur vier Prozent — wird steigen. Auf dem Hintergrund eines prognostizierten Mangels an Führungskräften werden vor allem von kleineren Firmen hochqualifizierte Frauen zunehmend als Begabungsreserve für Positionen im mittleren Management entdeckt und als anerkannte Marktteilnehmerinnen aufgewertet. Der Aufstieg ins mittlere Management oder gar in einige Spitzenpositionen der Wirtschaft wird jedoch jenen vorbehalten bleiben, die von ihrer Erwerbsbiographie, ihrem Alter und ihren familiären (Nicht-)Bindungen her in der Lage sind, sich 10 bis 12 Stunden am Tag den beruflichen Aufgaben zu widmen.
Das Beispiel anderer Metropolen zeigt indes, daß der Zugewinn an höher qualifizierten, gut bezahlten und sicheren Arbeitsplätzen mit Aufstiegsmöglichkeiten für Frauen durch die Zunahme unsicherer, gering qualifizierter und schlecht entlohnter „Frauenarbeitsplätze” mehr als ausgeglichen wird.
Die stärkere Teilhabe von Frauen an höheren Positionen und die wachsende Beschäftigung von Frauen in prekären Arbeitsverhältnissen wird eine zunehmende Differenzierung und Polarisierung in ihren Lebensverhältnissen zur Folge haben.

Wohnungsnöte

Der Wohnungsmarkt und das sozialräumliche Gefüge Berlins ist mit der Vereinigung unter gewaltigen Veränderungsdruck geraten, der noch ansteigen wird, da der Region für die kommen-den zwanzig Jahre ein Zuwachs von rund 1 Million Einwohnern prognostiziert wird. Einerseits wird mit dem Zuzug gutverdienender Haushalte aus dem Westteil Deutschlands gerechnet. Andererseits wird eine weit größere Armutswanderung aus den östlichen Regionen erwartet. Der bereits in den achtziger Jahren beobachtete Trend einer immer ungleicheren Einkommensverteilung wird sich fortsetzen. Die Mieten wer-den explodieren und die Armut dadurch rapide zunehmen. Die Wohnungsnot wird immer mehr auch Mittelschichten betreffen und selbst Normalverdiener aus der Stadt vertreiben. Schon 1991 waren — bei durchschnittlich 17 DM Kaltmiete je qm Wohnfläche bei Neuvermietungen — preiswerte Mietwohnungen Mangelware, neu abgeschlossene Mieten lagen durchschnittlich um 40 Prozent über den Werten des damals gültigen Mietspiegels. In ganz Berlin rechnet man derzeit mit weit über 100000 Wohnungssuchenden; der Senat spricht gar von 150000 fehlenden Wohnungen in der Stadtregion. Bereits 1990 gab es nach Angaben des Diakonischen Werks zwischen 16.000 und 20.000 Obdachlose.

Frauen-Haushalte sind vom dieser Situation stärker betroffen, da sie auf Grund ihrer im Vergleich zu Männern schlechteren Einkommenssituation bei der Wohnungssuche benachteiligt sind: Lohndiskriminierung, Teilzeitarbeit und andere Formen ungeschützter Beschäftigungsverhältnisse führen oftmals zu einem Einkommen, das ein materiell abgesichertes, eigenständiges Leben kaum ermöglicht. Bei nicht erwerbstätigen Frauen kommt die mangelhafte Absicherung durch soziale Sicherungssysteme hinzu, die auf die Merkmale männlicher Erwerbsarbeit — wie Kontinuität und ausreichend hohe Entlohnung — zugeschnitten sind. Die
staatlicherseits geförderte „Absicherung” der Frauen durch die Institution der Ehe ist hinfällig geworden: In Großstädten wie Berlin wird inzwischen jede zweite Ehe geschieden. Beide Faktoren — die Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und die mangelhafte soziale Absicherung — tragen zur „Feminisierung der Armut” bei.
Es gibt zahlreiche Belege dafür, daß die Armut unter Frauen steigt. Seit den achtziger Jahren nimmt in westdeutschen Großstädten die Anzahl der Sozialhilfeempfängerinnen kontinuierlich zu; in den neuen Bundesländern gar sprunghaft: In Ostberlin hat sie sich innerhalb eines Jahres verdoppelt. Besonders heikel ist die Lebenssituation alleinerziehender und älterer Frauen. Armut im Alter ist vor allem ein Frauenschicksal. Im Durchschnitt erreichen Frauen nur knapp 40 Prozent der „männlichen” Versichertenrente. In Berlin macht der Anteil alleinlebender Frauen über 65 Jahre fast 15 Prozent aller Haushalte aus. Auch die Situation alleinerziehender Frauen ist in den meisten Fällen äußerst prekär. Einer neueren Studie zufolge müssen in Westdeutschland über 75 Prozent der Alleinerziehenden mit einem Einkommen unterhalb der Sozialhilfegrenze auskommen. Für Berlin gab das Diakonische Werk an, daß zwei Drittel der alleinerziehenden Frauen am Rande der Armutsgrenze leben. Unter den Haushalten mit Kindern betrug der Anteil Alleinerziehender in Berlin fast 30 Prozent, davon 90 Prozent Frauen.
Ein überdurchschnittlicher Anteil benachteiligter Frauen lebt bisher in Sozialwohnungen oder in preisgünstigen Altbauwohnungen. Verglichen mit dem Beginn der achtziger Jahre, wird jedoch im Westen Deutschlands und in Westberlin der Sozialwohnungsbestand durch auslaufende Preis- und Belegungsbindungen bis Mitte der neunziger Jahre auf die Hälfte geschrumpft sein. Auch der Bestand an preiswerten Altbauwohnungen ist zunehmend durch das Ansteigen des Mietniveaus, die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen oder mietsteigernde Modernisierungsmaßnahmen gefährdet. Wie andere Metropolen zeigen, besteht vor allem in zentral gelegenen, gut ausgestatteten Altbauwohnvierteln für diese Gruppe von Frauen die Gefahr, von der wachsenden Zahl gut bezahlter Fach- und Führungskräfte, zu denen auch immer mehr Frauen gehören, verdrängt zu werden.
Auch in Berlin könnten in den nächsten ein bis zwei Jahrzehnten verarmte und sozial diskriminierte Bevölkerungsgruppen an den Stadtrand abgedrängt werden. In den Trabantenstädten des sozialen Wohnungsbaus war schon während der achtziger Jahre eine überdurchschnittliche Zunahme von ImmigrantInnen, von Arbeitslosen und SozialhilfeempfängerInnen, wie von allein-erziehenden Frauen zu verzeichnen. Wohnungspolitische Weichenstellungen und die nachlassende Akzeptanz dieser Wohn- und Siedlungsformen hatten die Großsiedlungen am Stadtrand immer mehr zu einem Auffangbecken von Wohnungsnotfällen und damit von ökonomisch und sozial diskriminierten Bevölkerungsgruppen werden lassen.
Vor allem die weit über dem Durchschnitt liegende Zunahme alleinerziehender Frauen und die wachsende Konzentration älterer Frauen läßt den Schluß zu, daß sich die „Feminisierung der Armut” und die damit verbundene Ausgrenzung der betroffenen Frauen auf stadträumlicher Ebene in den Großsiedlungen des sozialen Wohnungsbaus am Stadtrand zeigt. Gegenwärtig wohnt jeder zweite Ost- bzw. jeder zehnte Westberliner in solchen Großsiedlungen. Während die in den sechziger und siebziger Jahren gebauten Siedlungen im Westen einem staatlich subventionierten „ Nachbesserungs” – Programm unterzogen wurden, stellt sich die Lage in Ostberlin ziemlich desolat dar: bauliche Mängel, Mängel in der Infrastrukturausstattung und in der architektonischen Gestaltung können nur zu hohen Kosten und keinesfalls kurzfristig beseitigt werden. Trotzdem wird bei Umfragen von den meisten BewohnerInnen eine hohe Zufriedenheit mit der eigenen Wohnung geäußert. Den Ostberliner Großsiedlungen blieb bislang trotz aller baulichen und städtebaulichen Mißstände ein sozialer Abstieg erspart. Noch verhindert der dramatische Wohnraummangel in Berlin den Wegzug höherer Einkommensschichten. Mit den drastischen Mieterhöhungen im Oktober des letzten Jahres um zum Teil mehr als das Vierfache der früheren Miete im Ostteil der Stadt wurden auch vermehrt Erwartungen an Leistungsverbesserungen in den Wohnsiedlungen geweckt. Unterbleiben diese und läßt die Lage auf dem Wohnungsmarkt es zu, werden junge und mobile Haushalte mit höherem Einkommen als erste aus den Großsiedlungen wegziehen. Erhöht sich dadurch der Anteil materiell und sozial diskriminierter Bevölkerungsgruppen und wird die Arbeitslosigkeit vieler BewohnerInnen der Großsiedlungen zur Dauererscheinung, sind Verfallstendenzen zu erwarten.
Vor allem im Nordosten Berlins ist der Bau neuer Großsiedlungen mit bis zu 100000 Einwohnern vorgesehen. An der Spandauer Oberhavel wird derzeit eine „Wasserstadt” mit 18000 neuen Wohnungen geplant. Diese Neubauten werden einen Suburbanisierungs- Schub auslösen, der durch die Entwicklung neuer Eigenheimsiedlungen am Stadtrand noch verstärkt wird. Vor allem bei Westberliner Kleinfamilien-Haushalten mit überdurchschnittlichem Einkommen besteht — bei einer Wohneigentumsquote von derzeit nur 10 Prozent — großer Nachholbedarf. Die Zersiedelung des Umlands und anwachsende Pendlerströme werden eine Folge sein.

Innerstädtische Wohnviertel:
Auf- und Entwertung der Lebensräume

Neben der Spaltung des Arbeitsmarktes wird sich in der Metropole Berlin die sozialräumliche Spaltung der Wohnquartiere in bisher nicht gekanntem Ausmaß vertiefen und vervielfachen. Eine entscheidende Triebkraft zur Ausdifferenzierung des sozialräumlichen Gefüges wird die Zuwanderung gut bezahlter Beschäftigtengruppen sein, die zum großen Teil das Wohnen in der Innenstadt bevorzugen. Diese Gruppierung wird einen in seinen Ausmaßen bisher nicht gekannten Gentrifizierungs – Schub in Berlin auslösen. Gentrifizierung bedeutet Aufwertung innenstadtnaher Wohnquartiere bei gleichzeitiger Verdrängung geringerer Einkommensgruppen. Die Aufwertung innerstädtischer Altbauviertel wird überwiegend von der Nachfrage jüngerer, qualifiziert erwerbstätiger Ein- oder Zwei-Personen-Haushalte mit höherem Einkommen getragen. Die neuen BewohnerInnen gehören überdurchschnittlich häufig den qualifizierten und gut bezahlten Beschäftigtengruppen an, die sich im Zuge des wirtschaftlichen Strukturwandels in den expandierenden großstädtischen Kontroll-, Finanz- und Dienstleistungszentren konzentriert haben.
Zur zahlungskräftigen Nachfrage, die sich auf zentral gelegene Altbauwohnviertel gehobener Qualität richtet, zählt auch jene Gruppe von Frauen, die sich eine Teilhabe an höher qualifizierten und entlohnten Erwerbsbereichen erkämpft haben.
Als Singles oder mit einem Partner zusammenlebend, führen sie ein ausgesprochen berufsbezogenes und wenig familienzentriertes Leben. Hohes Einkommen, Kinderlosigkeit und stark individualisierte Lebensführung mit knappen Zeitbudgets sind weitere Charakteristika der Lebensweise dieser sozialen Gruppe. Teile der Hausarbeit werden durch eine ganze Palette spezialisierter Waren und kommerzieller oder persönlicher Dienstleistungen ersetzt. Daß haushalts- und konsumorientierte Dienstleistungen überwiegend von Frauen in meist ungeschützten Beschäftigungsverhältnissen erbracht werden, unterstreicht die Tendenzen der sozialen Polarisierung. Gentrifizierung erscheint in diesem Zusammenhang als eine Entwicklung, die die Veränderungen in der Lebenslage von Frauen widerspiegelt — im Sinne der qualifizierten Erwerbstätigkeit, der Verbreitung nicht – kleinfamiliarer Lebensformen und einer weniger ausgeprägten internen Rollendifferenzierung in nicht-traditionellen Beziehungsformen (Borst 1990).
Auch die Veränderung der Konsummuster ist für die Hinwendung zur Innenstadt als Wohnort bedeutsam. Die „neuen Mittelschichten“ bevorzugen nicht – massenproduzierte, sich den Anschein des Individuellen gebende Waren und exklusive Dienstleistungen.
Diese „neue Mittelklasse” bildet eine Konsumentenschicht, die mit ihrer Nachfrage nach Luxuskonsumgütern, privaten Dienstleistungen und „Erlebniseinkäufen” den Aufwertungsprozeß bestimmter innerstädtischer Viertel noch beschleunigt: Bestehende Geschäfte oder Kneipen werden von Investoren aufgekauft und den neuen Nachfragestrukturen gemäß „umgewandelt”. In den Großstädten bilden sich „neue Räume der Konsumtion” (Smith 1987), die im Rahmen des allgemeinen gesellschaftlichen Strukturwandels eine aktive Rolle bei der Ausdifferenzierung und Hierarchisierung von Konsummustern spielen.
Gentrifizierungsprozesse verlaufen über die Hochmodernisierung oder Umwandlung von Altbaumiet- in Eigentumswohnungen. Sie beinhalten auch die Umwandlung bestehender Geschäfte und Kneipen in jene kulturelle, kulinarische und konsumorientierte Infrastruktur, die den Bedürfnissen der „neuen Mittelschichten” entspricht. Aufwertungsprozesse verlaufen meist kleinräumig selektiv, erfassen vorrangig solche innerstädtischen Quartiere, die sich durch eine gute Wohnlage, gute Ausstattung mit privaten und öffentlichen Dienstleistungen und gute Wohnumfeldqualitäten auszeichnen. In Berlin werden sich zu Charlottenburg, Wilmersdorf so-wie Teilen von Schöneberg und Tiergarten zusätzliche Inseln der Gentrifizierung vor allem in jenen Quartieren herauskristallisieren, die durch die Vereinigung beider Stadthälften wieder zu citynahen Altbau-Wohnquartieren geworden sind, so die Bezirke Kreuzberg und Prenzlauer Berg oder auch Teile von Pankow.
Neben diesen „Inseln des Luxus” werden in der Innenstadt „Inseln der Armut” bestehen bleiben oder sich neu bilden. Nicht alle der herabgewirtschafteten Altbauwohnungen in Berlin werden in den nächsten Jahren instandgesetzt oder modernisiert werden. Im innerstädtischen Bereich Ostberlins steht die Reprivatisierung von 70 bis 80 Prozent des Altbauwohnungsbestands durch Rückübertragung an. Rund 70000 Wohnungen weisen erhebliche Modernisierungs- und Instandhaltungsmängel auf. In ganz Berlin wird der Bestand an erneuerungsbedürftigen Wohnungen auf 170000 Wohneinheiten geschätzt. Für die privaten Hausbesitzer zahlen sich Instandsetzungs – und Modernisierungsmaßnahmen vor allem in den innenstadtnahen Altbauwohngebieten aus, in denen eine zahlungskräftige Nachfrage zu erwarten ist. Weniger attraktive Altbauwohnviertel könnten Verfallsschwerpunkte bleiben oder sich zu solchen ausbilden; erst recht, wenn ein hoher Anteil der BewohnerInnen dieser Wohnquartiere von Arbeitslosigkeit und Armut erfaßt wird. Die Anzahl von Frauen, die sich in den „Inseln der Armut” wiederfinden werden, wird die in den „Inseln des Luxus” wohl weit übertreffen.

Das Stadtzentrum: Tummelplatz für
Großinvestoren und Immobiliengesellschaften

Für die innerstädtische Entwicklung Berlins wird nicht nur das Nebeneinander von Gentrifizierungs – und Verfallsprozessen typisch sein. Zur Metropolisierung gehört zudem die Expansion zentraler Unternehmensfunktionen und entsprechender Dienstleistungen — und damit von Bürokomplexen. Der „Tertiärisierungs” – Schub richtet sich auf die beiden City-Bereiche und andere attraktive Standorte in der Nähe des „inneren Rings” (alter S-Bahn-Ring und Stadtautobahn). Zu den treibenden Kräften zählt das „Immobilienkapital” in Gestalt international agierender Immobilienunternehmen oder auch in Form einer „Unterabteilung” einer Anlagesphäre bedeutender Großunternehmen.
Der Umbau Berlins zur Dienstleistungsmetropole kommt auf dem Immobilienmarkt besonders deutlich zum Ausdruck. Die Nachfrage nach Büroflächen expandiert, die Preise ebenso: Seit 1989 haben ich die Grundstückspreise fast vervierfacht; innerhalb eines Jahres stiegen die Gewerbemieten um das Doppelte. Für die kommenden zwanzig Jahre wird ein Bedarf an 10 bis 12 Millionen qm Bürofläche erwartet. Die übergroße Nachfrage nach Gewerbeflächen verstärkt den Druck zur Umwandlung von Wohnungen in Büroflächen. Zur Zeit sind 70 Großprojekte in Planung. Wo ausgedehnte Bürokomplexe entstehen, wird jedoch die bisher für Berlin typische und vor allem für Frauen vorteilhafte Verknüpfung von Wohnungen und Arbeitsplätzen beseitigt. In dieselbe Richtung wirken die alltäglich stattfindenden drastischen Erhöhungen von Gewerbemieten im gesamten Innenstadtraum. Die „Berliner Mischung” — das Nebeneinander von Wohnungen, unterschiedlichsten Gewerbe- und Dienstleistungsbetrieben, wie von sozialen und künstlerischen Initiativen — ist bedroht.

Stadt­po­litik im Zeichen der Metro­po­li­sie­rung

Der Umbau zur Metropole wird stadtpolitisch von einer neuen Wachstums-Koalition getragen. Die CDU/ SPD-Regierung versucht in Partnerschaft mit bedeutenden Unternehmen, Privatinvestoren und Immobiliengesellschaften eine konsequente Wirtschafts- und Wachstumsförderung zu betreiben. Mit der Einheit und den neuen Perspektiven der west- und osteuropäischen Wirtschaftsverflechtung sind die Standortzentren in Deutschland in einen verstärkten Konkurrenzkampf getreten. Er richtet sich vor allem auf die Ansiedlung von Produktionspotentialen, auf die Anziehung kaufkräftiger Konsumentenschichten und auf die Niederlassung bzw. Expansion unternehmerischer Direktionszentralen und hochrangiger Regierungs- und Verwaltungsinstitutionen. Zu dieser Strategie gehörte in Berlin vor allem der Kampf um die reale Hauptstadtfunktion, um den Regierungssitz. Die Entscheidung für Berlin hat die Konkurrenzposition der Stadt in entscheidender Weise gestärkt. Besonders öffentlichkeitswirksam wirft sich Berlin in den Konkurrenzkampf mit anderen Metropolen durch seine Bewerbung als Olympia-Stadt. Mehr als ein sportliches Großereignis sind Olympiaden heutzutage Imageproduzenten.
Die verschärfte Konkurrenz um „mobiles” Kapital und „gehobene” Konsumentenschichten führt tendenziell zu einer Entdemokratisierung der kommunalen Politik. Wie das Beispiel Potsdamer Platz zeigt, besteht auf gesamtstädtischer Ebene die Gefahr, Ansprüche von Großinvestoren und des Immobilienkapitals ohne Rücksicht auf öffentlichen Diskussionsbedarf und sorgfältige planerische Vorbereitung durchzusetzen. Es mehren sich die Stimmen, die in einer Wirtschaftsmetropole Berlin für die Ansätze einer Stadtplanung, die auf kleinteilige Entwicklung, öffentliche Diskussion und frühzeitige Beteiligung von Betroffenen am Planungsverfahren setzt, kein Platz mehr sehen. Den Äußerungen des Daimler-Benz-Chefs Edzard Reuter, Berlin könne sich keine zeitaufwendigen Planungsdiskussionen leisten, stimmten viele Politiker und Planer zu.
Zur Stärkung der Metropolenfunktion der Stadt scheint nichts zu teuer. Auf dem Hintergrund nur begrenzter kommunaler Haushaltsmittel soll jedoch „überflüssiger” Luxus im Sozial-, Bildungs- und Kulturbereich eingespart werden. Die Elternbeiträge für Kindertagesstätten werden drastisch erhöht, der öffentliche Nahverkehr verteuert. Ganz im Gegensatz zu diesen Bemühungen werden finanzkräftige Großunternehmen hoch subventioniert. So verzichtete das Land Berlin auf Einnahmen von schätzungsweise 400 Millionen DM bei der Vergabe von fast 100000 qm Grund und Boden im Zentrum Berlins an Sony und Daimler-Benz. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, wird das historische Zentrum Berlins einer kleinen Gruppe von Großinvestoren überlassen, die hier eine monofunktionale Kauf- und Bürostadt errichten wollen. Ohne viel städtebauliche oder soziale Rücksichten wird von Neuinvestoren und Alteigentümern im Verein mit Makler – und Anwaltsbüros um blockgroße Grundstücke mit der Treuhandanstalt und dem Koordinierungsausschuß des Senats gepokert. Der Investorenstadt benachbart soll ein Regierungsviertel anwachsen, das — so steht zu befürchten — als politisches Machtzentrum von der Reststadt durch Umgehungsstraßen abgeschirmt, durch massive Polizeipräsenz abgesichert wird. In den bevorzugten innerstädtischen Stadtvierteln wird die Aufwertung geeigneter Wohnquartiere für neue Fachkräfte von der Politik wohl in Kauf genommen. Allenfalls ist zu erwarten, daß Verdrängungsprozesse durch den Bau neuer Stadtrandsiedlungen kompensatorisch gesteuert werden. Bezeichnend ist, daß in Berlin kaum noch jemand vom Bau preiswerter Mietwohnungen im innerstädtischen Bereich spricht. Stattdessen werden Überlegungen angestellt, Parlamentarier sowie Fach-und Führungskräfte mit angemessenem Wohnraum zu versorgen. Auch die Sicherung eines preiswerten Altbauwohnungsbestandes und der Verhinderung von Gentrifizierungsprozessen sind bei Politikern und vielen Planern aus der Mode gekommen, wohnungspolitische Steuerungsmechanismen, die diesen Zielen dienen könnten, sind weitgehend der forcierten Liberalisierung des Wohnungsmarktes zum Opfer gefallen.

Zum Umbau Berlins zur Dienstleistungsmetropole gehört auch der Ausbau leistungsfähiger Verkehrsinfrastrukturen (z.B. eines neuen Groß-Flughafens im Süden Berlins, dreispuriger Ausbau des Berliner Rings), die mittels des sogenannten Beschleunigungsgesetzes in Zukunft rasch realisiert werden können. In der sich bereits heute abzeichnenden Gestalt wird die international ausgerichtete Wirtschaftsmetropole Berlin einer großen Anzahl von Frauen nicht die Entfaltungsmöglichkeiten bieten können, die die Visionen von Planern und Politikern suggerieren. Noch mehr ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse, noch mehr Autoverkehr und Luftverpestung, noch mehr Wohnraummangel und explodierende Mieten, noch mehr unbezahlte Arbeit im öffentlichen und im privaten Bereich und eine fortschreitende Entmischung von Wohnungen und Arbeitsplätzen werden zusammen mit einer wachsenden Rücksichtslosigkeit und Intoleranz noch mehr Frauen als bisher an den Rand der geplanten Glitzermetropole drängen. Zu fordern ist eine sozial orientierte Stadtpolitik, die die Raumansprüche des internationalen Kapitals und der ebenfalls international orientierten städtischen Eliten nicht auf Kosten breiter Schichten der Stadtbevölkerung bedient. Dazu sind seit vielen Jahren in Berlin und andernorts Konzepte, Instrumentarien und praktische Ansätze in den verschiedenen Bereichen der Stadtpolitik erarbeitet und teilweise erprobt worden. Sie müßten „nur” systematisch angewendet, erweitert und dauerhaft verankert werden.

Literatur

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Herlyn, U. /v Saldern, A. /Tessin, W. 1987 (Hg.): Neubausiedlungen der 20er und 60er Jahre. Ein historisch-soziologischer Vergleich. Frankfurt a. M / New York
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Winkler, G. 1990 (Hg.): Frauenreport 90. Berlin

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