Rechtsprechung nach dem, "was auf der Hand liegt". Zum "Radikalen-Urteil" des Bundesverfassungsgerichts
(Auszüge aus einer Analyse des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 25. Juli 1975). Aus: vorgänge Nr. 17 (Heft 5/1975), S. 4-9
Das Verfassungsqericht ist der inhaltlichen Auseinandersetzung ausqewichen:
„… Es ist nicht abzustreiten, daß die aus dem Obrigkeitsstaat stammende und auf einen Monarchen ausgerichtete Treuepflicht (des Beamten) in einem Konkurrenzverhältnis steht zu den demokratischen Grundsätzen der Gleichbehandlung, die in Art. 3 Abs. 3 und Art. 33 Abs. 2 GG ihren Niederschlag gefunden haben. Von einem Verfassungsgericht sollte man gerade weil die genannten Artikel des Grundgesetzes in der öffentlichen Diskussion eine zentrale Rolle spielen erwarten können, daß eine wirkliche Abwägung solcher konkurrierender Verfassungsprinzipien vorgenommen wird. Die Entscheidung des Gerichtes ist jedoch für jeden, der gewillt ist, den Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes einen gewissen Rang zuzubilligen, deshalb ein Schlag ins Gesicht, weil eine solche Gegenüberstellung und Abwägung verschiedener Verfassungsprinzipien überhaupt nicht vorgenommen wird …
Die mangelhafte „Auslegung“ des Art. 3 Abs. 3 GG:
Beispielhaft für die Art und Weise, in der der Senat eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Gegenposition vermeidet, ist der Teil, in dem auf Art. 3 Abs. 3 GG eingegangen wird. Der Senat beginnt mit der bloßen Feststellung, diese Bestimmung „relativiert jedoch nicht die im Beamtenverhältnis wurzelnde Treuepflicht des Beamten und die aus ihr zu ziehenden Folgen“. Begründet wird dies mit 3 Absätzen. Begonnen wird mit einem Satz, der auch einem Juristen einige Schwierigkeiten bereitet: „Zunächst geht es nicht an, das Verbot in Art. 3 Abs 3 GG nicht nur auf das bloße ‚Haben‘ einer politischen Überzeugung, sondern auch auf das Äußern und Betätigen dieser politischen Anschauung zu beziehen.“ Ist es zufällig, daß das Gericht sich so ausdrückt? Scheut es sich, das klar aus-zusprechen, was es meint, daß Art. 3 Abs. 3 GG lediglich das bloße „Haben“ einer politischen Auffassung, nicht aber das Äußern dieser Überzeugung schützt; mit anderen Worten heißt das: geschützt soll nach Auffassung des Gerichtes lediglich der nicht geäußerte Gedanke sein, also eine „innere Emigration“, die selbst im NS-Deutschland geduldet werden mußte.
Positionen des Grundgesetzes werden preisgegeben:
Die am 25. Juli 1975 veröffentlichte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ist nicht nur im Inhalt, sondern auch in der äußeren Form Ausdruck eines neuen Freund-Feind-Denkens. Statt wie im Grundgesetz festgelegt die Zuständigkeit für Illegalitätserklärungen nur besonderen Gremien zuzuerkennen, hat das Bundesverfassungsgericht mit der Berufsverbotsentscheidung den Damm unterhöhlt, der verhindern soll, daß in unserem Lande erneut jedermann den Andersdenkenden in eine Illegalitätsecke drängen kann.