Humanistische Union fordert Richtlinien für die Sterbehilfe
aus: vorgänge 36 (Heft 6/1978), S. 108
Im Anschluss an eine Fachtagung der Humanistischen Union in Bremen am 3. und 4. Juni 1978, an der neben medizinischen und juristischen Experten sowie Publizisten auch der Bremer Gesundheitssenator Herbert Bruckner, Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz, teilnahm, fordert die HU unter Hinweis auf den Europaratsbeschluss von 1976 über die Rechte der Kranken und Sterbenden die Bundesregierung auf, unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um nach dem Vorbild der Schweiz Richtlinien für ein menschenwürdiges Sterben auch in der Bundesrepublik zu ermöglichen.
Die HU appelliert an die Gesundheitsminister der Länder, angesichts der mangelhaften Aufklärung von Patienten und Ärzten, die Rechte des Patienten in einem Brief zu formulieren, der den Patienten, die sich bei Krankenhauseinweisung oft einer anonymen Maschinerie ausgeliefert fühlen, bei der Aufnahme ausgehändigt wird. Dadurch soll die Unsicherheit und Angst der Kranken vermindert werden.
Auch die Unsicherheit der Ärzte in der Erfüllung des Willens von Sterbenden muss abgebaut werden. Hierzu ist Straflosigkeit bei der Erfüllung eines sogenannten Sterbetestaments notwendig. Seit den Beschlüssen des Europarates 1976 haben Experten in der Fachliteratur vermehrt dazu Stellung genommen. Die Initiative der HU hat darüber hinaus eine breit angelegte öffentliche Diskussion in Gang gesetzt, die inzwischen von verschiedenen Medien aufgegriffen wurde. In die Reflexion über die Menschenwürde von Kranken und Sterbenden ist die Frage einer Änderung des § 216 StGB (Tötung auf Verlangen) einzuschließen. Die Menschlichkeit muss Vorrang vor wissenschaftlichen Interessen bei der Betreuung von Patienten im Krankenhaus haben. Da zum menschenwürdigen Leben auch das Recht auf einen menschenwürdigen Tod gehört, muss die Enthumanisierung durch gedankenlosen Einsatz medizinisch-technischer Geräte zurückgedrängt werden auf ein unvermeidbares schonungsvolles Ausmaß. Gesundheitspolitisch sollte die Information und Aufklärung von Pflegern, Schwestern, Ärzten und Sozialarbeitern wie auch der Patienten und ihrer Angehörigen über alle Rechte und Verpflichtungen Vorrang haben vor den Fortschritten medizinischer Erfolgsbestrebungen. Bei hoffnungslos auf den Tod kranken Patienten sind vorrangig die seelischen und körperlichen Beschwerden zu lindern statt alle der Lebensverlängerung dienenden Möglichkeiten auszuschöpfen. Dem Sterbenden soll im Sinne des Wortes Beistand geleistet werden. Dazu muss auch für Angehörige und/oder Freunde in angemessenem Rahmen die Möglichkeit geschaffen werden. Ähnlich dem § 185b der Reichsversicherungsordnung (RVO) muss ein finanzieller Ausgleich auch bei häuslicher Pflege Sterbender gefordert werden.
Die Humanistische Union wendet sich an
- Die Gesundheits-, Innen- und Justizministerien
- Ärztekammern und -verbände
- die Freien Wohlfahrtsverbände
- Die Organisationen von Schwestern, Pflegern und alle Mitarbeiter im Gesundheitswesen konfessionelle Einrichtungen
- Gesundheitsämter
- und Gewerkschaften
mit dem Appell, zur Verwirklichung dieser Erkenntnisse beizutragen und ersucht alle Verantwortlichen, die Europaratsbeschlüsse von 1976 durchzusetzen.