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Kein Weimarer Urteil? Zum Bückeburger Prozeß gegen sechs Neonazis

Vorgänge Nr. 42 (Heft 6/1979), S. 23

Am Schluß eines längeren Aufsatzes (Frankfurter Rundschau vom 9.6.1979) kommt Theo Rasehorn zu folgendem: „Die Richter heute haben sich der Demokratie angepaßt; sie leisten ihr keinen Widerstand mehr wie die Weimarer Richter. Allerdings mag die Anpassung mehr eine Nichtverneinung denn eine Bejahung der Demokratie sein.“

Das Verfahren gegen sechs Neonazis in Bückeburg, angeklagt wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung (mit rechtsradikaler Zielsetzung) und wegen verschiedener Gewaltakte nebst Raub, zeigt mit großer Deutlichkeit diese von Rasehorn gekennzeichnete Haltung. Das Urteil unterscheidet sich, mit einer wichtigen Ausnahme, von Weimarer Erfahrungen. Bei dem Verfahren selbst und bei der Ausnahme lagen Erinnerungen an Weimar nahe.

Die Beschuldigten wurden zu langen Freiheitsstrafen verurteilt. Dafür gibt es in der Justizgeschichte von 1919 an kein Vorbild. Während der Weimarer Zeit waren Freisprüche oder ganz kurze Haftstrafen an der Tagesordnung. Jedem jedoch muß auffallen, daß der Initiator der rechtsradikalen Organisationen am besten weggekommen ist. Das Gericht scheint nicht erkannt zu haben, daß Gründung von Gruppen mit dem im Prozeß sichtbar gewordenen „Gedankengut“ als Anstiftung und Vorbereitungshandlung zu werten ist. Allerdings ist auch der Strafausspruch gegen Michael Kühnen wesentlich härter als je ein vergleichbares Urteil der Weimarer Justiz. Das Verhalten des Vorsitzenden Richters und seine Verhandlungsführung stehen in einem merkwürdigen Kontrast zur Strenge des Urteils. Er ließ die Angeklagten reden, was sie wollten und wie sie wollten. Sie konnten ungehindert für ihre Vorstellungen Propaganda machen. Das Gericht ließ den pseudo-militaristischen Stil und Jargon in den Reden der Angeklagten kommentarlos durchgehen. Kühnen sagte unter anderem: „Mein Dienstbereich (!) beschränkte sich auf Hamburg, da habe ich Befehle geben können. – Ich war der unumschränkte Herr in Hamburg, mir konnte keiner. – Ich dulde in meiner Truppe nie, daß Befehle nicht befolgt werden. – Kameraden, die so was machen (Gewalt anwenden), bleiben Kameraden. Ich kenne ihre Beweggründe!“

Wer so spricht, beweist, daß es sich um eine terroristische Organisation handelt, beweist auch, daß er, Kühnen, selber Führer, das heißt Rädelsführer, ist. Wieso also wurde er nicht als solcher verurteilt? Eine besondere Rolle im Prozeß spielte der Zeuge Gerald Lauck, dem freies Geleit zugesagt worden war, weil er sonst verhaftet worden wäre. Dabei waren die Aussagen von ihm für den Ausgang des Prozesses unwesentlich, nicht jedoch für die qualitative Beurteilung dieses Anführers der NSDAP-Auslandsorganisation. Auf die Frage, wie er über Gewaltanwendung denke, antwortete er: „Ich bin gegen Gewalt – aus taktischen Gründen.“ Im Klartext: er ist gegen Gewalt, so lange die anderen stärker sind. Gewaltanwendung ist jedoch gut, wenn sie Erfolg verspricht. Kühnen hat das Auftreten Lauchs mit Hitlers Reden im Reichswehr-Prozeß verglichen, was zwar seine Realitätsferne aufzeigt, jedoch in einem Punkt stimmt: Hitler hatte dort nämlich nicht nur erklärt, er wolle nur legal an die Macht kommen, sondern auch, daß Köpfe rollen würden. Auch Hitler war gegen Gewalt – aus taktischen Gründen.

Während der Verhandlung sah es so aus, als ob das Gericht sich alles gefallen lassen würde. So konnten die Beschuldigten und auch die Sympathisanten im Publikum ungehindert den Nazi-Gruß erweisen und dem gekommenen Lauck eine Ovation bereiten. Man kann den Eindruck nicht los werden, daß das Gericht sich nicht getraut hat, mit diesen Angeklagten und ihrem Anhang anzubinden. Was wäre geschehen, wenn eine „Bande“ von anarchistischen Terroristen abzuurteilen gewesen wäre, und was, wenn das Publikum dabei den Rot-Front-Gruß benutzt hätte? Wäre auch dann ein Zeuge für schweres Geld (auf wessen Kosten?) aus den USA herangeholt worden, nur um sich produzieren zu können?

So kann man sagen, das Gericht hat sich mit diesem Urteilsspruch und dem Strafmaß der Demokratie angepaßt. Es frondierte nicht, wie in Weimar, gegen die Demokratie. Aber in der Verhandlungsführung wurde den Beschuldigten und ihren nazistischen Verteidigern bereits mehr Spielraum für Demonstrationen sowie Aktionen gelassen, als dem Ansehen der Demokratie und dem Respekt für sie zuträglich sein kann.

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