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Ein Brief zur Sache

vorgängevorgänge 47-4811/1980Seite 152-153

Aus: Vorgänge Nr. 47/48 (Heft 4/1980), Seite 152-153

Ich halte es für sehr wichtig, daß die Humanistische Union auch das Problem der sexuellen Not in den Justizvollzugsanstalten in der Bundesrepublik aufnimmt – zu mildern ist sie meiner Ansicht nach nur durch eine Angleichung der Gesetze an das schwedische Modell mit der Möglichkeit, schnellerund öfters Regelurlaub zu bekommen, als es in der BRD der Fall ist.
Lebenslängliche erhalten in Schweden bei guter Führung und Prognose bereits nach zwei Jahren den ersten Regelurlaub – in der Bundesrepublik aber wird (und das finde ich empörend!) der §13 des Strafvollzugsgesetzes, das immerhin ein Bundesgesetz ist, durch Verwaltungsvorschriften der Länder in der Praxis untergraben.
Ich sehe das als einen Rechtsbruch an.
In einigen Bundesländern, wie in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Berlin, erfüllt man Sinn und Wort des Gesetzes: nach Verbüßung von zehn Jahren prüft man auf Antrag Prognose und Möglichkeiten für den Lebenslänglichen, in Urlaub zu gehen – in Baden-Württemberg dagegen und vor allem in Bayern hält man eisern an den Verwaltungsvorschriften fest, die besagen, daß der Gefangene erst 18 Monate vor der Entlassung in Urlaub gehen darf!
Das sagen Sie mal einem Lebenslänglichen und seiner Familie, die jahrelang auf das Strafvollzugsgesetz gehofft haben und nun bitter enttäuscht sind!
Ich bin in dieser Sache auch zum Bundesjustizministerium nach Bonn gefahren, damit man von höchster Ebene aus darauf achtet, daß das Strafvollzugsgesetz erfüllt wird.
Etwas Grundsätzliches und Entscheidendes ist nicht erfolgt -jetzt versuchen wir es auf dem Weg der Klage eines Lebenslänglichen, den wir bis zum Bundesverfassungsgericht vertreten wollen.
Bei diesem Weg könnte uns die Humanistische Union unterstützen, indem sie uns bei der Umfrage bei den Justizministern aller Bundesländer einschließlich Berlin behilflich ist, wie hoch die Anzahl einsitzender Lebenslänglicher ist und wie viele davon seit Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes am 1.1.1977 einen Urlaub genehmigt bekamen.
Wenn wir dieses Material hätten, könnten wir es dem Bundesjustizminister vorlegen – Staatssekretär Hans de With meinte bei unserem Gespräch, daß er solche Unterlagen bräuchte. In Schweden löst man das Problem in streng geschlossenen Anstalten, wie in Norrköping, durch einen Korridor mit Eingang zu Besuchsräumen, wo die Gefangenen drei Stunden lang Besuch empfangen können. Es sind nette kleine Wohnzimmer mit Couch, Waschgelegenheit und Möglichkeit zum Kaffeekochen. In einem nordschwedischen Gefängnis gibt es auch ein gesondertes Haus für Besucher – in den halboffenen Anstalten, wie z.B. Tillberga, kann der Gefangene jeden Sonntag Freund, Freundin oder Frau in seiner Wohnzelle empfangen und die Tür von innen abschließen…
Eine andere Möglichkeit sind die Studiendörfer, wo die Gefangenen mit ihren Familien für drei Wochen in kleinen Einfamilienhäusern wohnen. Die Kinder werden wie im Kindergarten aufgehoben – die Mütter studieren mit den Männern, um in der Bildung nicht zurückstehen zu müssen.
Außerdem gibt es, an einem See gelegen, ein Feriendorf, wo Gefangene, deren Prognose nicht gut ist, ihre Ferien mit der Familie verbringen können. Dazu liegen exakte Angaben vor.
So sehr ich die Art mißbillige, wie ein Mitglied der Humanistischen Union in Hamburg gegen den von vielen Gefangenen und ihren Frauen oder Freundinnen geschätzten Besuchsraum in Hamburg-Fuhlsbüttel vorging (was weidlich gegen Dr. Stark von der Boulevard-Presse ausgenützt wurde), so sehr sympathisiere ich mit seiner Absicht, über ein Aufzeigen der Mißstände bessere Kommunikationsmöglichkeiten für die Gefangenen zu schaffen. Aber er hätte es in Zusammenarbeit mit Stark und der Gefangenenvertretung tun sollen – und nicht gegen sie.
Das Grundgesetz sagt: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz des Staates.” Und es klammert dabei nicht die Tausende von Gefangenen aus. Kann eine Ehe intakt bleiben, wenn Mann und Frau sich nur zwölf Stunden im Jahr – und das unter Bewachung! – sehen dürfen?
Ich meine, die jetzige Regelung ist ein glatter Bruch des Gesetzes. Andere Gesetzesbrecher werden eingesperrt. Warum gilt in der Bundesrepublik das Grundgesetz am wenigsten?

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