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Aktion „Saubere Leinwand" und Zensur­for­de­rungen

vorgängevorgänge 5-196501/1970Seite 215 - 216

Aus: vorgänge Heft 5/1965, S. 215 – 216

(vg) Nachdem im vergangenen Jahr 2300 Schweinfurter Bürger aus Anlaß der Filme „Das Schweigen“ und „491″ mit der Aktion „Saubere Leinwand“ begonnen haben, sind ähnliche Aktionen mit tatkräftiger Unterstützung der Kirchen, kommunaler Behörden und von Politikern der CDU/CSU und der SPD in zahlreichen anderen Städten angelaufen. In der Frage der Mittel, wie diese Aktionen einer lautstarken Minderheit den Effekt einer „sauberen Leinwand“ erzielen wollen, besteht unter ihnen keine Einigkeit. Die Forderungen gehen von Boykottdrohungen gegen Kinobesitzer, Pressionen gegen die FSK, Unterschriftensammlungen an den Bundespräsidenten und an Politiker, gesetzliche Einschränkungen zu schaffen, bis zu klaren Forderungen nach Einführung einer Zensur oder der Forderung verschiedener dieser Grüppchen, es solle die Aufführung aller der Filme verboten werden, die von der Katholischen Filmkommission mit 4 („Abzulehnen“) eingestuft wurden (dazu gehören so bedeutende Filme wie „Außer Atem“, „Scheidung auf italienisch“, „Die Bienenkönigin“, „Mutter Johanna von den Engeln“ u. a.).

Im baden-württembergischen Landtag führte die Welle der Proteste gegen die sogenannte „Sexualisierung der Öffentlichkeit“ zu einer Großen Anfrage des CDU -Abgeordneten Otto Dullenkopf an die Regierung mit der Aufforderung, der „Bedrohung von Anstand und Sitte“ entgegenzuwirken und darauf hinzuwirken, daß die ihr unterstellten Ordnungsorgane „die häufig beobachtete Zurückhaltung gegenüber eindeutig obszönen und unsittlichen Tatbeständen aufgeben“. Er war der Ansicht, die Staatsanwaltschaften und Gerichte hätten sich offensichtlich mit der Entwicklung abgefunden und seien unsicher geworden in der Beurteilung des Anstandsgefühls „der normal, billig und gerecht Denkenden in unserem Volk“. Er bedauerte, daß die Abwehrbemühungen der Kirchen und anderer „gesellschaftlicher Kräfte“ nicht unterstützt würden. Dullenkopf fand Zustimmung bei seiner Partei und auch bei der SPD, die sich bereiterklärte, jeden „vernünftigen Vorschlag“ zu unterstützen. Der FDP-Abgeordnete widersprach ihm mit der Bemerkung, der Weg zum Polizeistaat werde eingeschlagen, wenn man die Grenzen zu eng ziehe. Das Begehren Dullenkopfs sei jeder Unterstützung würdig, sei aber an den falschen Adressaten gerichtet. Richtig sei es, an den einzelnen und die Gesellschaft zu appellieren, nicht aber vom Staat oder Gesetzgeber eine Entscheidung zu verlangen. Der Innenminister des Landes sicherte zu, daß die Landesregierung fest entschlossen sei, ihren Beitrag zum Schutz von Anstand und Sitte zu leisten, und teilte mit, daß die Innenministerkonferenz einen Arbeitskreis damit beauftragt habe, festzustellen, welche gesetzlichen Maßnahmen über die geltenden Regelungen hinaus ergriffen werden könnten. In seinem Ministerium werde eine Sachverständigenkommission gebildet, die sich mit den anstehenden Fragen befasse, dieser Kommission sollten auch Vertreter der Kirchen angehören. Der Landtag verabschiedete schließlich bei nur einer Stimmenthaltung einen CDU-Antrag, der bewirken soll, daß die Grundsätze der Filmselbstkontrolle so geändert werden, daß den Ländern ein allgemeines Appellationsrecht gegen die Freigabe von Filmen eingeräumt wird. (Diese Forderung, die die Einführung einer versteckten Staatszensur bedeutet, war auch schon von der Katholischen Aktion Bayerns erhoben worden.)

Auf der Generalversammlung des Katholischen Deutschen Frauenbundes wandte sich die Frau des Bundespräsidenten, Wilhelmine Lübke, gegen die Aufführung „sittlich zersetzender Filme“ in der Bundesrepublik. Die verschiedenen Aktionen „Saubere Leinwand“ hätten inzwischen die Politiker und Behörden zu „entsprechenden Initiativen“ veranlaßt. „Es wäre ein gutes Zeichen, wenn sich der seit langem aufgestaute Zorn über die Herabsetzung menschlicher Würde Bahn zu brechen vermöchte in einem klaren, entschlossenen und allgemeinen Bekenntnis zur Durchsetzung der inneren Ordnung, in der destruktive Kräfte keine Chance mehr haben“, meinte Frau Lübke.

Den weitesten Vorstoß machte inzwischen der frühere Justizminister von Rheinland-Pfalz und CDU-MdB Prof. Adolf Süsterhenn auf einer CDU-Versammlung in Bad Kreuznach. Die Protestaktion „Saubere Leinwand“ müsse unwirksam bleiben, wenn nicht der Gesetzgeber eingreife. Er wolle darum gemeinsam mit anderen CDU-Abgeordneten im Bundestag noch vor den Wahlen einen Antrag auf Änderung des Grundgesetzes einbringen. Danach soll die in Artikel 5, Absatz 3 GG garantierte Freiheit der Kunst „durch die ausdrückliche Bindung an das Sittengesetz“ begrenzt werden. Bei der gegenwärtigen Verfassungslage zeige sich in der Rechtsprechung die Tendenz, „die gröbsten Unsittlichkeiten“ unbeanstandet zu lassen, „wenn sie sich nur irgendwie als sogenannte Kunst präsentieren“. Um die Abgeordneten unter Druck zu setzen, will Süsterhenn für die Abstimmung über seinen Antrag namentliche Abstimmung verlangen, damit „die deutsche Öffentlichkeit genau weiß, welche Abgeordneten ernsthaft bereit sind, sich für die Sauberkeit im deutschen Kulturleben einzusetzen“.

Gegen eine drohende Bevormundung erwachsener Filmbesucher durch die in mehreren Städten der Bundesrepublik gestartete Aktion „Saubere Leinwand“ wandte sich die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) in Wiesbaden. In einer Plakataktion will die Filmwirtschaft die Angriffe der Aktion „Saubere Leinwand“ sachlich, aber entschieden zurückweisen. Die Plakate sollen im Saarland und in den Städten angeschlagen werden, in denen die Aktion „Saubere Leinwand“ Unterschriften sammelt. Unter dem Titel „Bevormundung droht!“ weisen die Plakate auf das garantierte Recht der freien Meinungsäußerung und das Zensurverbot des Grundgesetzes hin. Die Filmwirtschaft habe sich freiwillig ein Kontrollorgan geschaffen, das keine Filme zur öffentlichen Vorführung zuläßt, die das religiöse Empfinden verletzen, entsittlichend oder verrohend wirken oder gegen die Strafgesetze verstoßen. Diese FSK, der Delegierte des Bundes, der Länder, der Kirchen, der Landesjugendbehörden, des Bundesjugendrings und der Filmwirtschaft angehörten, werde seit fünfzehn Jahren im In- und Ausland als vorbildlich anerkannt. Der Jugendschutz im Kino werde in der Bundesrepublik besonders streng gehandhabt. Kein anderes Land der Welt kenne so viele Altersschutzgrenzen wie die Bundesrepublik. Der erwachsene Bundesbürger aber brauche keine Bevormundung.

Vernünftige Argumente wurden erfreulicherweise schließlich auf der Arbeitstagung des Arbeitskreises Aktion Jugendschutz der Arbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege in Bayern, die auf Burg Rothenfels/Main stattfand, vorgebracht. Vor der Tagung sprach der evangelische Pfarrer Dr. Heinz Hunger über die Rolle der Geschlechtlichkeit in der heutigen Gesellschaft. Er wandte sich gegen kirchliche und weltliche Institutionen und Autoritäten, die die Sexualität rundweg als dubios abwerteten. Es sei unverständlich, daß z. B. eine Stadtverwaltung bei der Aktion „Saubere Leinwand“ gegen „Schamlosigkeit und Sexualität“ protestiert habe. Gegen natürliche Tatsachen ließe sich schlecht protestieren, meinte Hunger. Auch fand er, daß Masturbation oder voreheliche Beziehungen nicht unbedingt als schlecht zu werten seien. Der Sozialpädagoge Hans Böttcher, ebenfalls aus Münster, schlug vor, an der Pädagogischen Hochschule die Lehrer mit den Fragen der Sexualpädagogik zu befassen. Auch Eltern und Geistliche sollten über dieses Thema in Seminaren oder Lehrgängen unterrichtet werden. In Diskussionsbeiträgen wurde darauf hingewiesen, daß in Schulklassen, in denen Jungen und Mädchen gemeinsam unterrichtet würden, frühzeitige sexuelle Neugier kaum vorhanden sei, die Trennung der Geschlechter in der Schule aber verschärfe die Spannungen zwischen Jungen und Mädchen. Professor Erich Wasena von der Pädagogischen Hochschule München wandte sich in seinem Vortrag über das heutige Filmangebot gegen die Attacken, die ausschließlich das Ziel hätten, den Film zu kritisieren. Auch sollten sich die Proteste nicht lediglich gegen Sex-Filme, sondern auch gegen die brutalen Gangster- und Wildwestfilme richten. Zu den Absichten des Abgeordneten Süsterhenn meinte er, es sei wenig überzeugend, im Wahljahr den „Verlust an Sitte“ durch die Beschränkung von Grundrechten ausgleichen zu wollen. Den Initiatoren der Aktion „Saubere Leinwand“ gab er schließlich zu bedenken, daß umstrittene Filme für Jugendliche unter 18 Jahren ja grundsätzlich verboten seien. Die Jugend könne also garnicht ernsthaft gefährdet werden, wenn der Vollzug der Jugendschutzbestimmungen straff gehandhabt werde.

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