Publikationen / vorgänge / vorgänge 7/1968

Normen­kon­troll­klage gegen Einschrän­kung des Rechts­schut­zes?

vorgängevorgänge 7/196807/1970Seite 261
von vg

Aus: vorgänge Heft 7/ 1968, S. 261

(vg) Die gravierendste Grundrechtseinschränkung, die durch die Notstandsverfassung geschaffen wurde, ist die an Art. 19 Abs. 4 GG vorgenommene partielle Aufhebung des den Bürgern gewährten lückenlosen Rechtchutzes gegenüber allen Akten der öffentlichen Gewalt. Die durch die Notstandsverfassung ermöglichten Eingriffe in das Post- und Fernmeldegeheimnis wurden bekanntlich der Anfechtung vor Gericht und richterlichen Nachprüfungen entzogen. Ein lückenloser Rechtsschutz ist Wesensbestandteil einer freiheitlichen Demokratie, und dies wird konkret in Frage gestellt, sobald er durchlöchert wird. Die Grundrechtsgarantie besteht nicht in der Gewährung von möglichst viel Rechtsschutz, sondern gerade in seiner Lückenlosigkeit, daß es keinen einzigen Akt der öffentlichen Gewalt gibt, der nicht gerichtlich angefochten und geprüft werden kann.Die vorgenommene Verfassungsänderung bedeutet also nicht eine bloße „Einschränkung“, sondern im Kern bereits eine Aufgabe des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit. Selbst aber wenn dies nur ein „Auslegungsproblem“ sein sollte, ist eine Klärung dieser Frage vor dem Bundesverfassungsgericht dringend geboten.

Die Landeskonferenz Hessen der hessischen Ortsverbände der Humanistische Union hat darum an die hessische Landesregierung den dringenden Appell gerichtet, beim Bundesverfassungsgericht eine Normenkontrollklage zur Überprüfung der Frage einzureichen, ob die Regelung, daß rechtliches Gehör und der Rechtsweg für den Fall der geheimdienstlichen Brief- und Telefonkontrolle ausgeschlossen sein sollte, nicht ein Verfassungsbruch durch Verfassungsänderungen ist.

Das Land Hessen hatte den mit der Notstandsverfassung verknüpften Grundrechtseinschränkungen im Bundesrat den energischsten Widerstand geleistet, so daß gegenüber der hessischen Regierung die größte Chance besteht, sie zu einer Verfassungsklage zu veranlassen.

nach oben