Publikationen / vorgänge / vorgänge 7/1968

Die Praktiken des Verfas­sungs­schutzes

aus: Vorgänge Heft 7/1968, S. 242

Die demokratische Freiheit, meine Damen und Herren, das erleben wir zur Zeit alle Tage, hat ihre Probleme. Es sind aber nicht bloß die, für das Demonstrationsrecht die Grenzen zu finden, ohne dem Protest von vornherein die Kraft zu nehmen. Es gibt verwickeltere Schwierigkeiten, und sie gehen an den Kern der staatsbürgerlichen Freiheit. Die folgende Meldung ist, so kurz sie war, alarmierend: „Bonn, 3. Mai. Die NPD hat in Zukunft vollen Zugang zu den Informationen des baden-württembergischen Landesamtes für Verfassungsschutz. Diese bemerkenswerte Tatsache ergibt sich aus der für den Baden-Württembergischen Landtag gültigen Regelung, wonach dessen Ständigem Ausschuß regelmäßig Berichte des Verfassungsschutzes vorgetragen werden. Die NPD kann künftig infolge der von ihr bei der letzten Landtagswahl erreichten Fraktionsstärke auch einen Vertreter in diesen Ständigen Ausschuß entsenden.“

So also verhält sich das in Zukunft: Die Publikationsorgane der Rechtsradikalen, deren Geneigtheit seit Nazizeiten weidlich bekannt ist, den politischen Gegner mit allen Mitteln herabzusetzen, ihn, wie es der Jargon der Verleumder ausdrückt, „fertig zu machen“, sie können sich bei solchem Tun fortan auf amtliches Material stützen, – man weiß ja, wie sich zitieren läßt; und man weiß, wie durchlässig der Geheimhaltungsschutz ist.

Die Informationen, die der Verfassungsschutz sammelt und speichert, eignen sich für die nun in Aussicht stehende Praxis besonders. Die Frankfurter Rundschau hat in ihrer Wochenendausgabe vom 4. Mai, die jene Meldung brachte, unmittelbar dahinter ausführlich darüber berichtet, wie im Bundesamt für Verfassungsschutz der Leiter des Referats „Kommunistische Tarn- und Hilfsorganisationen“ seine Überwachungstätigkeit auffaßt. Er hat sie in einem Vortrag und anschließend in einer Unterredung mit der Frankfurter Rundschau erläutert. Allein in der Evangelischen Kirche der Bundesrepublik sei „eine Gesamtzahl von 1000 Pfarrern“ verdächtig, „auf der kommunistischen Linie zu liegen“, so bezeichnete er es, und zwar weil sie die Ansicht verträten, „daß es politisch notwendig sei, mit den Kommunisten zu reden“ … Mit den Kommunisten zu reden“, gewiß, so steht es da. „Mit der Zahl 1000 seien die Unterzeichner von Aufrufen gegen Notstandsgesetzgebung und Atomwaffen gemeint.“ Sie haben sich nicht verhört, meine Damen und Herren, ich zitiere. Als „weitgehend“ „kommunistische Tarn- und Hilfsorganisationen“ nannte der Referatsleiter auch die Ostermarsch-Bewegung, die Internationale der Kriegsdienstgegner, die Deutsche Friedensgesellschaft, die Deutsche Friedens-Union, die Christliche Friedenskonferenz und viele Gruppen des SDS.

Oberkirchenrat Wilkens, der Geschäftsführer der „Kammer für Öffentliche Verantwortung“ der Evangelischen Kirche in Deutschland, sagte dazu, die genannte Zahl von 1000 Pfarrern sei „im Vergleich zu der Zahl der Pastoren, die aktiv in der Christlichen Friedenskonferenz mitarbeiten, noch viel zu gering“, es sei aber „eine Ungeheuerlichkeit“, die Christliche Friedenskonferenz als eine kommunistische Tarnorganisation zu bezeichnen. Er fügte hinzu: „Nachdem ich über mich selbst einmal einen Verfassungsschutzbericht gelesen habe, weiß ich, was ich davon zu halten habe. Da stimmte eigentlich nur mein Name.“

Ein weiteres Beispiel, das die Möglichkeiten deutlich macht, die sich in Hinkunft den Rechtsradikalen über ihre parlamentarischen Fraktionen eröffnet, ihre Gegner mit Hilfe von amtlichem Material zu verleumden und zu verketzern, kann der mit dem Datum des 5. Mai erschienenen Nummer des „Stern“ entnommen werden. Gerichtlich als falsch erwiesene Anschuldigungen gegen einen Lehrer, der an einer politischen Demonstration beteiligt war, hat die Staatsschutzstelle der Hamburger Kriminalpolizei unberechtigt an den Innensenator weitergegeben, der sie seinerseits an das Bundesinnenministerium leitete, von wo eine Abschrift dem Bundesverfassungsschutz geschickt wurde, der dann den Regierungsbezirk verständigte, wo der betreffende Lehrer beschäftigt ist.

Wir leben, meine Damen und Herren, am Beginn einer ganz gefährlichen innenpolitischen Entwicklung der Bundesrepublik. Gegen die Linksradikalität von Studenten breitet sich unter dem Generalmotto „Ordnung und Sicherheit“ rapid die Abwehr aller energischen Reformforderungen aus. Davon profitiert auf die mannigfachste Weise die NPD, – nun zu allem Überfluß in voller Bequemlichkeit als parlamentarischer Staatskontrolleur. Wenn nächstes Jahr im Herbst diese Herren im Bundestag sitzen werden, haben sie Zugang auch noch zu den Unterlagen der Bonner Ministerien!

Ein Mittel, der Gefahr zu wehren, daß die Freiheitsatmosphäre unserer Republik ebenso billig wie scheinlegal vergiftet werden kann, scheint mir die schleunigste Einführung einer Informationsreform beim Verfassungsschutz zu sein; sie ist ohnehin notwendig. Es muß dafür gesorgt werden, daß in den gesammelten und aufbewahrten Unterlagen die Tatsachen von den Gerüchten und beide von den Beurteilungen strikt getrennt werden. Nur einwandfrei erwiesene Tatsachen sollen allenfalls Außenstehenden – auch Parlamentariern -, unter bestimmten Sicherungen, die eine spätere Feststellung von Verletzungen der Geheimhaltungspflicht ermöglichen, zugänglich sein. Und absolut verbindlich sollte es für die Verfassungsschutzämter werden, Staatsbürgern, die durch Denunziation oder durch Spitzel ehrenrührig beschuldigt werden, die gegen sie vorgebrachten Behauptungen bekanntzugeben, damit sie sich aufklärend dazu äußern können.

Erscheint Ihnen, meine Damen und Herren, die Möglichkeit nicht als ungeheuerlich, daß die Rechtsradikalen, die doch Objekt der Beobachtungen des Verfassungsschutzes sind oder sein sollten, über ihre parlamentarischen Fraktionen nun die wohlinformierten Kontrolleure und Auswerter dieser selben Einrichtung werden können? Gehört auch dies noch zur Realisierung der Parole „Sicherheit und Ordnung“?

nach oben