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...ver­su­chen, die Stimmen der Kriegstoten zu hören

vorgängevorgänge 7109/1984Seite 112-114

aus: vorgänge Nr. 71 (Heft 5/1984), S. 112-114

Das kurze Leben des Leutnant zur See David Tinker, ein Kriegstagebuch in Briefen, Reinbek 1984 (rororo – aktuell 5442)

Es ist merkwürdiger, leicht schummeriger Stolz, mit dem Gemeinden gewöhnlich ihre Kriegstoten ehren, Kränze niederlegen, Lieder singen, Trommeln rühren; ein wehmütiger Stolz, nicht ganz ohne Trunkenheit, nicht immer von Alkohol (der kommt dann später in den Kneipen hinzu, wenn Veteranen anfangen zu bramarbasieren).

Schon das Wort „gefallen“ verbirgt eine Täuschung, es klingt, als wären sie alle mitten in Sturm und Kampf durch einen Kopfschuß getötet worden und auf der Stelle tot umgefallen. Sanitäter, Ärzte, Soldaten wissen es besser und doch erzählen sie wenig darüber, wie die meisten gestorben sind. Irgendwo – wo? – müssen die Schreie und Flüche, auch Gebete ja registriert sein; würde das Tonband einmal abgespielt – es würde den Lärm sämtlicher Rock-und Popfestivals übertönen, es wäre die einzige wahre Begleitmusik bei Gedenkfeiern; auch Wimmern wäre zu hören, Rufe nach Mädchen, Frau und Mutter. Da bliebe wenig, fast nichts, was Nationen für sich beanspruchen könnten, und anstatt sich den wehmütigen Klängen getragener Musiken hinzugeben, würde manche Trauergemeinschaft sich die Ohren zuhalten und schreiend davonlaufen.

Ich weiß nicht, ob der Leutnant zur See, David Tinker, der 25jährig im Falkland Krieg getötet wurde, auf einem Kriegerdenkmal verewigt ist. Wahrscheinlich ja und warum auch nicht. Es ist eine ehrenwerte Pflicht, der Toten zu gedenken, sie sollen nicht vergessen sein. Vielleicht sollten wir nur etwas aufmerksamer sein, uns nicht unserer Wehmut hingeben, eher versuchen, die Stimmen der Toten zu hören. David Tinker hat seine Stimme hinterlassen, Briefe, Gedichte, Notizen. Sein Vater, der Schriftsteller Hugh Tinker hat sie gesichtet und herausgegeben. Mancher Brief, manches Gedicht ist verloren gegangen. Die Hinterlassenschaft des David Tinker ergibt ein Jugendbuch von erstaunlicher Klarheit und Eindringlichkeit. Verteidigungsminister würden es vielleicht eher unter die jugendgefährdeten Schriften einreihen wollen, aber natürlich dürfen auch Heranwachsende und Erwachsene in dieses Lehrbuch über die totale Absurdität eines modernen und durchaus „konventionellen“ Krieges hineinschauen, das auch einen Einblick in die Folgen von Waffenexporten gibt.

David Tinker war ein intelligenter, frischer, sensibler junger Brite; ihn „nett“ zu nennen, wäre mir zu herablassend, vielleicht klingt das englische „very nice“ weniger herablassend. Sympathisch offen, kritisch, ein Lyriker, in seinen Gedichten beeinflußt von dem englischen Dichter Wilfred Owen, der wenige Tage vor Ende des Ersten Weltkrieges, 25jährig wie David Tinker, getötet wurde, in seinen Gedichten „die alte Lüge, daß es süß und ehrenvoll ist, fürs Vaterland zu sterben“, entlarvte.

David Tinkers Hinterlassenschaft ist nicht weniger bitter als die Wilfred Owens. Früh schon ist hinter der scheinbaren Munterkeit seiner Briefe die Skepsis spürbar, die sich zu seinem Tode hin zu Flüchen steigert. Er hatte gerade geheiratet, mit seiner jungen Frau Christine ein altes Cottage erworben, das die beiden eigenhändig nach ihrem Geschmack zu renovieren und umzumodeln begannen: so richtig ein sympathisches Paar, wie man ihnen zu hunderten in allen Ländern begegnet. Er plant, hofft, liebt, ist voller Zuversicht, kein Ansatz für „no future“ bei ihm zu finden, aber doch „Fast-Null-Bock“ für die Umstände, unter denen sein Beruf als Seeoffizier „stattfindet“.

Ziemlich deutlich schreibt der knapp zweiundzwanzigjährige über die „Fischkopf-Kommandeure“ (die für die seemännische Ausbildung Zuständigen): „Sie sind völlig unbrauchbar und hilflos“. Anläßlich der Führung einer Schulklasse über HMS „Hermes“: „Am Ende wurden sie noch vom Käptn mit der Frage gemartert, warum sie nicht zur Navy gingen. Und wir mußten zu allem Unglück mit den bekannten Jubelargumenten dartun, warum die Navy so toll ist. Man hat Verantwortung, man kommt herum, ist monatelang auf See, durchläuft eine harte Aufnahmeprüfung, die nur die besten bestehen – also: genau all das, was mich zusammenzucken läßt“.

Dazwischen zuversichtliche Vorschläge zum Ausbau des erworbenen Cottage: wie die Küche aussehen, wo Treppen eingebaut werden sollen, welches Material er vorschlägt, während sich die Skepsis gegenüber der Navy bis zum Nihilismus steigert. Das „Abenteuerliche“ der „großen Fahrt“ erweist sich als Täuschung, das Fluchen über die Sinnlosigkeit von Übungsfahrten und Übungsflügen (60.000 Pfund pro Woche für Treibstoff, 10.000 Pfund für die hunderte von Flügen) – endet mit dem Wunsch: „Man kann nur hoffen, daß wir in Zukunft unsere Schiffe auf Grund setzen und sie dann aufgeben und sie nicht (wie es jetzt ist) perfekt in Schuß halten (zu immensen Kosten), bis die schließlich den Geist aufgeben.“

Gibt die sinnlose Verschwendung Sinn, werden die „völlig unbrauchbaren und hirnlosen Fischköpfe“ brauchbar, als kurz vor Abschluß der „großen Fahrt“ der Marschbefehl in den pathetisch eingeläuteten Falklandkrieg kommt? David Tinker hatte diesen Eindruck nicht, seine Stimme widerlegt den peinlichen Pomp nachher, der gefeiert wurde als wäre so etwas wie ein „großer vaterländischer Krieg“ gewonnen werden. Ihm erscheint „die Situation absolut idiotisch. Da sind 28.000 Mann drauf und dran um ein ziemlich trostloses Stück Land mit 1800 Einwohner zu kämpfen“. Knapp vier Wochen nach Eintreffen des Marschbefehls schreibt er: „Ich hoffe, daß Maggie bald genug haben wird von ihrem Krieg und wir dann alle wieder nach Hause dürfen und Lehrer, Pfarrer und Atombombengegner werden dürfen“. Ich beschränke mich weiterhin auf Zitate:

„Maggie Thatcher sieht sich als Churchill, der einem Hitler trotzt“.

„Bei der Art und Weise, wie Maggie Thatcher reagiert hat, möchte man meinen, daß die Russen schon in Bonn stehen und wir nicht um eine felsige Insel kämpfen, die Mr. Nott ursprünglich ab Mitte August völlig ungeschützt hatte bleiben lassen wollen!“

„Wenn Mark Thatcher jetzt mit seinem Rennwagen in Südamerika fahren würde, könnte es gut sein, daß Mrs. Thatcher die ganze Flotte hinunterschickt, um auf ihn aufzupassen… “

„… Leben, die von Mrs. Thatcher und Mr. Nott höchst bereitwillig geopfert werden, um die politische Unfähigkeit und Schwachköpfigkeit der Regierung zu kaschieren… “

„Der sinnloseste Krieg, den Großbritanien je ausgefochten hat.“

„Großbritanien hat ihnen sogar alle unsere Karten von den Falklands verkauft, einen Monat vor der Invasion, daß schließlich keine mehr für unsere Truppen vorhanden waren, als wir sie brauchten. Außerdem waren wir gerade drauf und dran, ihnen die „Intrepid“ zu verhökern und ihre Piloten auf Lynx Hubschraubern auszubilden… „.

„Es war übrigens in Wahrheit einer von unseren Marines, der den Matrosen von der „Arrow“ erschoß, der am nächsten Tag von den Zeitungen zum „verwundeten Helden“ erklärt wurde… Er war der erste Gefallene des Krieges… „.

Die Falklands, „deren Einwohner wir ab Oktober die britische Staatsbürgerschaft entziehen wollten… „.

„Sie (Thatcher) hat sich zum kompletten Diktator gemausert, als sie den Krieg befahl, ohne das Parlament zu fragen, und sie reißt die jubelnden und geifernden Massen mit sich. Die Zeitungen sehen das ganze als eine Art Live-Landserheftchen«.

„… und er muß das Vereinigte Königreich bis jetzt schon so ungefähr eine Milliarde Pfund gekostet haben (28.5.82) (Die Schiffe stehen sich auf ungefähr 150 Millionen Pfund, die Flugzeuge auf 10 Millionen Pfund; die Menschen kommen billiger). Am Ende wird es so sein, als hätte man jedem Falkländer eine Million Pfund in die Hand gedrückt und das Geld dann verbrannt.“

Trinkers letzter Brief schließt mit den Worten: „Alles Liebe einstweilen; ich werde bald wieder schreiben“. Vier Tage später wurde die Leiche von David Tinker auf 51°50’51“ südlicher und 53°31’80“ westlicher Länge dem Ozean übergeben. Eine Rakete französischer Machart hatte ihn getötet.

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