Publikationen / vorgänge / vorgänge 9-1964

Die Bremer Klausel - Artikel 141 des Grund­ge­setzes

vorgängevorgänge 9-196409/1970Seite 327- 329

Stellungnahme au Dürigs Schrift über die Rechtsstellung der katholischen Privatschulen im Lande Bremen. Aus: vorgänge Heft 9/1964, S. 327- 329

Art. 7 III Grundgesetz bestimmt, daß der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach ist (Satz 1), der unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechts in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt wird (Satz 2). Im Hinblick auf die Religionsfreiheit sind jedoch weder Lehrer noch Schüler verpflichtet, Religionsunterricht zu erteilen oder an ihm teilzunehmen. Nach Art. 141 Grundgesetz gilt Art. 7 III Satz 1 nicht in Ländern, in denen am 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand. Diese Ausnahmebestimmung wird als Bremer Klausel bezeichnet, weil sie im Auftrag des Bremischen Senats beantragt wurde, um Art. 32 der bremischen Verfassung unangetastet zu lassen. Sie ist aber auch für andere Länder verbindlich, so für das Land Berlin, dessen Schulgesetz vom 26. 6.1948 eine andere Regelung enthält. Art. 32I Verfassung Bremen lautet: „Die allgemein bildenden öffentlichen Schulen sind Gemeinschaftsschulen mit bekenntnismäßig nicht gebundenem Unterricht in Biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage”. Genauso wie nach Art. 7 III GG besteht weder für Lehrer noch für Schüler eine Verpflichtung hinsichtlich dieses Unterrichts. Art. 32 III Brem. Verf. weist zudem ausdrücklich darauf hin, daß die Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften das Recht haben, außerhalb der Schulzeit in ihrem Bekenntnis oder in ihrer Weltanschauung diejenigen Kinder zu unterweisen, deren Erziehungsberechtigte dies wünschen.

Seit Jahren wird von katholischer Seite diese Verfassungsbestimmung bekämpft. Ein im Auftrag der Diözesen Hildesheim und Osnabrück erstattetes Gutachten des Tübinger Professors Günter Düng, das inzwischen in erweiterter Form veröffentlicht wurde, wurde dazu ersehen, eine Änderung des gegenwärtigen Zustandes zu bewirken, in dem eine Benachteiligung der katholischen Konfession im öffentlichen Schulwesen erblickt wird. Dürig zitiert zunächst die bisher vertretenen sechs Auslegungen und entscheidet sich für die Auslegung Spittas, daß es sich bei dem in Art. 32 I Bremer Verfassung vorgesehenen Unterricht um „Gesinnungsunterricht” auf „allgemein protestantischer Grundlage” handle, der als Religionsunterricht zu bewerten sei. Während die Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche Deutschlands eindeutig zum Ausdruck bringt, daß die Bremer Regelung „mit dem Art. 7 III GG übereinstimmt”, weil es sich um echten Religionsunterricht handle, geht Dürig über diese Feststellung hinaus und bemerkt, daß die evangelische Mehrheitsbevölkerung auf der Verfassungsebene „im Ergebnis die öffentliche allgemein-evangelische Bekenntnisschule” erhalten habe. Er bezeichnet diesen Befund —„was Bremen schulrechtlich mit dem katholischen Bevölkerungsteil — unter angeblicher Deckung durch Art. 141 GG — treibt“ — als „für den deutschen Verfassungsjuristen an sich kaum glaublich”. Es erscheine schon „soziologisch als Atavismus”, schulrechtlich so zu tun, als lebe man zu Zeiten des Bürgermeisters Smidt (Vertreter der Unionspolitik bezüglich der protestantischen Bekenntnisse). Man habe in Gestalt des Art. 141 GG seitens der Länder eine Norm ertrotzt, die „den Bund im völkerrechtlichen Außenverhältnis vertragsbrüchig madlt“. Es sei daher keine bloße „Stilfrage” föderativen Verhaltens mehr, wenn nach geklärter Konkordatsverpflichtung des Bundes Bremen weiter ausnutze, was der Bund dilatorisch für Übergangszeiten schulisch-konkordatärer Ungewißheiten hingenommen habe, um nicht den Kreationsvorgang der Verfassung mit seinerzeit ungeklärten Rechtsfragen zu belasten. Bremen dürfe sich daher nicht wundern, wenn „einmal der Bund den Art. 141 GG, der zu seiner Verfügung steht, ersatzlos streicht, um seinerseits vertragstreu zu sein”. Er meint, das wäre auch längst geschehen, wenn es nicht „nur” um Religionsunterricht, sondern um „Schrott”, „Frischeier” oder „Starfighter” ginge.

Keineswegs sei aber, meint Dürig weiter, durch die „Resignationsnorm” des Art. 141 GG, „die dem Bund durchaus peinlich” sei, abweichendes Landesrecht im Sinne einer positiven Billigung sanktioniert. Die einseitige konfessionelle Sonderbehandlung verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz. Da Bremen nur eine Staatsschule des allgemein-protestantischen Bekenntnisses zur Verfügung stelle, werde der katholische Bevölkerungsteil „aus Gründen des Bekenntnisses zum Ausweichen-Müssen auf Privatschulen” gezwungen und dadurch finanziell benachteiligt. So sieht er nur die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten; entweder über eine Verfassungsänderung die Einführung katholischer Bekenntnisschulen als Staatsschulen, oder die Volldotierung der katholischen Privatschulen zum Ausgleich für die einseitige Bevorzugung des evangelischen Bekentnisses im öffentlichen Schulwesen.

Von Bedeutung für die Auffassung von Dürig sind noch seine Ausgangsposition, Art. 141 GG bilde eine echte Ausnahme im grundrechtlichen Wert- und Anspruchssystem der Gesamtverfassung ; seine Äußerung, durch eine Verfassungsänderung (Einführung des katholischen Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach) entstünde das, was man sonst in Deutschland unter „christlicher Gemeinschaftsschule” verstehe; endlich seine Klage darüber, daß in der Bremischen Staatsschule die katholischen Kinder nkeinen bewußt katholischen Satz zu hören bekommen“.

Die Dürigsche Stellungnahme zu der Bremer Klausel leidet darunter, daß er die Bedeutung des Art. 7 III GG verkennt. Unser Staat ist ein weltanschaulich neutraler Staat (Bundesverfassungsgerichtsentscheidung E 12, 4). Die als unverletzlich garantierte Religionsfreiheit sichert auf dem Gebiet von Religion und Weltanschauung dem Bürger für seine freie Betägigung einen staatsfreien Raum. Daraus ergibt sich, daß dem Staat dieses Gebiet verschlossen ist. Infolgedessen bestimmt Art. 137 I Weimarer Reichsverfassung ― über Art. 140 GG Bestandteil des GG ― , daß keine Staatskirche besteht, worunter das Verbot einer jeden institutionellen Verbindung zwischen Staat und den Religionsgesellschaften zu verstehen ist.

Das Grundgesetz läßt von diesen elementaren Verfassungsgrundsätzen lediglich zwei Ausnahmen zu: neben dem Kirchensteuerprivileg, das übrigens nicht mehr ein Vorrecht der großen Kirchen ist, den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach in den öffentlichen Schulen. Es ist daher völlig verfehlt, den Art. 141 als eine „echte Ausnahme” vom Grundrechtsteil zu bezeichnen, dessen materieller Wertgehalt gegenüber früher ungleich rechtlich aufgewertet sei und der gerade durch Streben nach Stringenz und Lüdtenlosigkeit gekennzeichnet sei. Die Bemerkungen Dürigs über die Qualität der Grundrechte treffen zu. Nur rechtfertigen sie in keiner Weise das Urteil über Art. 141 GG, vielmehr die Feststellung von Lande, daß der Religionsunterricht zu einer der beiden Ein– bruchstellen werde, an denen die Religionsgesellschaften versuchen müssen, die ihnen verlorengegangene Schule mittelbar in Abhängigkeit zu halten. Lande hat dies zu der gleichlautenden Bestimmung in der Weimarer Reichsverfassung festgestellt. Umsomehr gilt es aber für die aufgewerteten Grund-rechte des Grundgesetzes, vor allem für die unverletzlidie Religionsfreiheit.

Bei Art. 7 III GG handelt es sich demnach um eine AusnahmevorschrifE, die in unserem kirchenpolitischen System einen Fremdkörper darstellt. Dies ergibt sich schon daraus, daß jede Religionsgesellschaft es als ihre ureigenste Angelegenheit betrachten muß, in ihrer Glaubenslehre völlig autonom zu unterrichten. Gerade die katholische Kirche hat darauf stets den allergrößten Wert gelegt, wie CIC can. 467 beweist :»Der Pfarrer muß die größte Sorgfalt auf die katholische Unterweisung der Jugend verwenden“. Die einzig mögliche Folgerung für Art. 141 GG ist daher, daß er eine Ausnahme von einer Ausnahme darstellt, und zwar von einer Ausnahme, die systemwidrig und nur historisch erklärbar ist.

Die weitere Behauptung von Dürig, die Staatsschule in Bremen sei eine evangelische Bekentnisschule, triffl auch nicht zu. Da es sich bei dem „bekenntnismäßig nicht gebundenen Unterricht in Biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage” nicht um eine Religionskunde auf wissenschaftlicher Grundlage, sondern um eine Glaubensunterweisung handelt, erfüllen die öffentlichen Schulen in Bremen den Art. 7 III S.1 GG, wonach Religionsunterricht öffentliches Lehrfach ist. Dadurch daß dieser Unterricht dogmenfrei ist und entsprechend der Bremer Tradition allgemein-protestantischen Charakter trägt, wird doch die Schule nicht zur Bekenntnisschule. Sie bleibt eine echte Gemeinschaftsschule, wie dies auch in Art. 32 I Bremer Verfassung klar und eindeutig bestimmt ist. Sie wird nicht einmal zur christlichen Gemeinschaftsschule, weil keine einzige Bestimmung in der Landesverfassung, insbesondere in den der Erziehung und dem Unterricht gewidmeten Artikeln darauf hindeutet, daß ― abgesehen von dem Religionsunterricht ― der neutrale Charakter der Schule verletzt wird. Art. 33 statuiert sogar ausdrücklich den Grundsatz der religiösen Toleranz, der voraussetzt, daß der gesamte Unterricht nicht dem Geiste eines Bekenntnisses entspricht. Das Wehklagen, daß kein bewußt katholischer Satz in der Schule zu hören ist, ist grundlos, weil auch kein bewußt protestantischer Satz in der Schule zu hören ist. Und der Religionsunterricht ist sowieso wahlfrei. Die einzige Benachteiligung der katholischen Schüler besteht sonach darin, daß sie bezüglich ihrer Glaubensunterweisung auf ihren Pfarrer angewiesen sind und es diesem ermöglichen, uneingeschränkt einer seiner vornehmsten Pflichten, nämlich die Jugend in katholischer Glaubenslehre zu unterweisen, nachzukommen. Überflüssigerweise wird in Art. 32III Bremer Verfassung sogar darauf verwiesen, eine Bestimmung, die von Dürig mit keinem Wort erwähnt wird, weil sie offenbar in sein Konzept nicht paßt.

Die so gravierend klingende Behauptung Dürigs, der schulrechtliche Befund in Bremen sei an sich kaum glaublich, ist unerklärlich. Weicht doch die Rechts- und Sachlage von Art. 7 III GG nur insoweit ab, als eine religiöse Minderheit den Religionsunterricht nicht auf der Staatsschule erhält, sondern von ihrem Seelsorger. Soweit es sich um den Religionsunterricht handelt, herrscht der gleiche zustand wie in tausenden Bekenntnisschulen, die auch von Andersgläubigen besucht werden, für diese aber keinen „staatlichen” Religionsunterricht vorsehen, weil es sich häufig um einklassige Dorfschulen handelt, deren einziger Lehrer dem Bekenntnis der Mehrheit angehört. Zu beanstanden ist aber, daß die Religionsfreiheit der andersgläubigen Minderheit verletzt wird, weil bestimmungsgemäß an diesen Schulen nicht nur der Religionsunter-

richt, sondern „der gesamte Unterricht dem Geiste dieses Bekenntnisses entsprechen” muß. Diese ist nicht nur die Auffassung der Bundesregierung, zitiert im Konkordatsurteil des Bundesverfassungsgerichts, sondern ausdrücklich in Art. 12 II Verfassung Nordrhein-Westfalen, 29 II Verfassung Rheinland-Pfalz und Art. 27 I Verfassung Saarland vorgeschrieben und ergibt sich audl aus Art. 135II Verfassung Bayern. Dürig hätte also ausreichende Gelegenheit gehabt, für den Verfassungsjuristen kaum glaubliche zustände im Schulwesen zahlreicher Länder feststellen zu können, nur nicht in Bremen, weil es dort keine öffentlichen Bekenntnisschulen gibt. Da er sich aber ausdrücklich als Katholik bekennt (S. 43), bleibt ihm schlechterdings nichts anderes übrig, als die im Reichskonkordat garantierte Bekenntnisschule als integer zu betrachten und trotz der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, daß die Länder an die Schulbestimmungen dieses Konkordats nicht gebunden seien, die Schulbestimmungen der Bremer Verfassung anzuprangern, obwohl sie bundesverfassungsrechtlich gedeckt sind.

Seine einseitige Blickrichtung hat ihn nicht nur verleitet, von falschen Prämissen auszugehen, sondern auch im Ton von wissenschaftlichen Gepflogenheiten abzuweichen. Die Regelung des Religionsunterrichts in Berlin knüpft nicht an „NS-Recht” an, sondern entspricht dem Grundsatz der Religionsfreiheit und der weitgehend verwirklichten Trennung von Staat und Kirche. Wenn es in § 13 des Schulgesetzes von Berlin heißt, daß der Religionsunterricht Sache der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sei und von Personen erteilt werde, die von diesen beauftragt werden, so ist damit zugleich das Recht der Religionsgesellschaften voll respektiert, ihre eigenen Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten. Art. 141 GG als eine dem Bund durchaus peinliche Resignationsnorm zu bezeichnen, ist gegenüber einer Verfassungsbestimmung deplaciert. Abgesehen davon, daß sich das Bundesverfassungsgericht eingehend mit Art. 141 GG in dem Konkordatsurteil befaßt hat, ohne etwas an ihm auszusetzen, handelt es sich bei den in einer Verfassung getroffenen Entscheidungen um politische Entscheidungen, die zu achten sind. Und wenn Dürig im Hinblick auf die Bremer Regelung von „Atavismus” spricht, so ist dazu festzustellen, daß das Konfessionsschulsystem einen Atavismus dar-stellt und „eine der ärgerlichsten Erscheinungen des öffentlichen Lebens in unserer Bundesrepublik” bildet, wie Hirschauer zutreffend festgestellt hat (Vorgänge 1964, S. 248). Es ist vornehmlich für den allgemein bekannten Rückstand unseres Schulwesens verantwortlich. Die Forderung Dürigs, auch in Bremen „katholische Bekenntnisschulen als Staatsschulen” einzuführen, charakterisiert daher deutlich seine Einstellung.

Erwin Fischer

Dürig, Günter: Die Rechtsstellung der katholischen Privat-schule im Lande Bremen. 59 S. 4,50 DM, Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen 1964 (Heft 2841285 der Sammlung: Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart).

nach oben