Themen / Demokratisierung

Änderung des Versamm­lungs­rechts gegen rechts­ex­tre­mis­ti­sche Demon­s­tra­ti­onen

11. Februar 2005

Mitteilungen Nr. 188, S.14-15

Am 26.6.2004 waren wir in Bochum Zeugen eines schändlichen Tabubruchs: mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts (1 BvQ 19/04 v. 23.6.2006) hatten Neonazis unter Führung des NPD-Landesvorstandes NRW Gelegenheit, in einem widerlichen öffentlichen Hetzzug gegen den Neubau einer Synagoge zu demonstrieren. Die früheren Synagogen in Bochum und Wattenscheid waren in der Pogromnacht am 9./10. November 1938 niedergebrannt worden. Ein Recht, das es erlaubt, den Opfern und ihren Nachkommen öffentlich ins Gesicht zu schlagen bei ihrem Versuch, ihrer wieder wachsenden Gemeinde ein neues Zentrum zu geben, ist nicht nur historisch blind, sondern rechtsethisch abgrundtief bodenlos. Umso nachdrücklicher ist das Vorhaben zu unterstützen, ins Versammlungsrecht Dämme gegen die einzubauen, die beinahe schon regelmäßig nationalsozialistische Gewaltherrschaft verherrlichen oder verharmlosen oder ihre Opfer – wie in Bochum – verhöhnen.

Die bisher in den Medien bekannt gewordenen Vorschläge und die bisherige öffentliche Diskussion veranlassen mich zu folgenden grundsätzlichen Anmerkungen:

1. Der verfassungsrechtliche Spielraum ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts größer als vielfach angenommen wird.

2. Die Abwehr neonazistischer Propaganda muss weiter gehen als im geltenden Recht etwa im Strafrecht mit den Tatbeständen der Volksverhetzung oder der Holocaust-Leugnung.

3. Das rechtspolitische Schwergewicht einer Änderung des Versammlungsrechts muss der Schutz der Würde und des Achtungsanspruchs der Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft sein. Der Schutz des Ansehens unseres Landes 60 Jahre nach dem Holocaust, der in manchen politischen Begründungen im Vordergrund zu stehen scheint, ergibt sich dann von selbst.

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich nicht auf den einfachen Nenner bringen, neonazistische Propaganda sei abgesehen von Straftaten wegen des Grundrechts der Meinungsfreiheit gegen Eingriffe des Gesetzgebers weitgehend geschützt. Vielmehr toleriert es – u.a. auch die schändliche Demonstration in Bochum – in mittlerweile zahlreichen Einzelfällen Neonazidemonstrationen deshalb, weil es eine tragfähige gesetzliche Grundlage für ein Versammlungsverbot vermisst. Den Schutz der öffentlichen Ordnung im Sinne des § 15 Versammlungsgesetz akzeptiert es als Verbotsgrundlage nur zu Abwehr von Gefahren, die aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung folgen, wegen seiner wertungsoffenen Unbestimmtheit aber nicht, soweit es um den Meinungsinhalt einer Versammlung geht. Inhaltsbezogene Versammlungsverbote sind über den in § 15 Versammlungsgesetz ebenfalls normierten Schutz der öffentlichen Sicherheit gegenwärtig im Wesentlichen nur bei Verstößen gegen das Strafrecht möglich. Aber selbstverständlich erkennt das Bundesverfassungsgericht auf Grund des Schrankenvorbehalts des Artikel 5 II Grundgesetz die Kompetenz des Gesetzgebers an, zum Schutz anderer mit der Meinungsfreiheit konkurrierender Rechtsgüter tätig zu werden und dabei auch den Inhalt freier Meinungsäußerung zu beschränken. Das Recht der persönlichen Ehre ist als meinungsbeschränkendes Schutzgut in Artikel 5 II GG ausdrücklich genannt. Schranken der Meinungsfreiheit können sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch aus kollidierenden Grundrechten und damit aus der Verfassung selbst ergeben. Soweit verfassungsunmittelbare Schranken von Grundrechten anzuerkennen sind, ermöglichen sie zwar Freiheitsbeschränkungen; ihre Konkretisierung unterliegt dem Vorbehalt des Gesetzes. Sie bedürfen daher einer gesetzlichen Grundlage. Es ist Sache des Gesetzgebers, die widerstreitenden Interessen gegeneinander abzuwägen und verhältnismäßig zum Ausgleich zu bringen. Mit Blick auf die Verherrlichung oder Verharmlosung nationalsozialistischer Gewaltherrschaft oder die Verhöhnung ihrer Opfer gibt das unabänderliche Menschenwürdeprinzip des Grundgesetzes, das die Abkehr vom Nationalsozialismus gleichsam zusammenfasst, der beabsichtigten Einschränkung der Meinungsfreiheit gegen rechtsextremistische Hetze herausragende verfassungsrechtliche Legitimation. So hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit der Strafbarkeit der Holocaust-Leugnung vor allem mit dem Schutz der Menschenwürde und der Ehre der Opfer begründet (1 BvR 824/90 v. 9.6.1992): Das mit normalen Maßstäben nicht zu erfassende Schicksal der Juden wirke sich derart aus, dass auch den jetzt lebenden Juden ein besonderer Achtungsanspruch von Seiten ihrer Mitbürger zustehe, der Teil ihrer Würde sei. Das Vernichtungsschicksal bis hin zum Holocaust habe die Identität der jüdischen Bevölkerung nachhaltig geprägt. Der aus dem maßlosen Leid und Unrecht erwachsende Achtungsanspruch sei Teil ihrer Würde geworden und als Teil ihrer Würde Teil ihrer persönlichen Ehre.

Meinungseinschränkende Gesetzgebung mit gleicher Zielsetzung ist nicht nur im Strafrecht möglich, sondern kann sich auf das Versammlungsrecht beschränken.

Vor dem Hintergrund der zitierten Rechtsprechung erscheint es nahezu ausgeschlossen, dass das Bundesverfassungsgericht Beschränkungen des Versammlungsrechts, die der Gesetzgeber aus evidenten Gründen der Menschenwürde, der Abkehr vom Nationalsozialismus und der Ehre seiner Opfer normiert, als Verletzung der Meinungsfreiheit ablehnen würde.

Mit der Zielsetzung, vor allem die Würde der Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft gegen neonazistische Hetze zu schützen, erscheint mir an den bisherigen aus der Presse bekannten Überlegungen zweierlei verbesserungsbedürftig. Das Ziel, die Billigung, Leugnung oder Verharmlosung menschenunwürdiger Behandlung der Opfer zu verhindern, hat keineswegs nur Bedeutung für das Verbot von Versammlungen am Holocaustmahnmal in Berlin oder an anderen nationalen Symbolen. Es ist meines Erachtens nicht zu Ende gedacht, Opferschutz gleichsam nur specialiter dort vorzusehen, wo seine Verletzung wegen der Nähe nationaler Symbole in der Weltöffentlichkeit besonders auffiele, nicht aber in gleichem Umfang generaliter für alle Versammlungen gleichermaßen. Opferschutz darf nicht nur als Nebeneffekt des Schutzes nationalen Ansehens gedacht werden! Zum anderen müssen, wenn die beabsichtigten Schutzziele erreicht werden sollen, tatbestandliche Voraussetzungen entfallen, die dem entgegen stehen. Schon eine Versammlung, die geeignet ist, die menschenunwürdige Behandlung der Opfer zu billigen, sollte zum Schutz ihrer Menschenwürde und Ehre verboten werden können, ohne dass sie darüber hinaus auch noch dazu bestimmt sein müsste.

Letzteres würde rechtlich auf direkten Vorsatz abstellen und Hetzern mit fadenscheinigen Vorwänden ermöglichen, einem Verbot zu entgehen.

Ich schlage vor, in § 15 Versammlungsgesetz Folgendes einzufügen:

„Eine Versammlung kann verboten werden, wenn nach erkennbaren Umständen

1.) zu erwarten ist, dass in der Versammlung nationalsozialistische Gewalt- oder Willkürherrschaft verherrlicht oder verharmlost wird, oder

2.) die Versammlung geeignet ist, die menschenunwürdige Behandlung der Opfer nationalsozialistischer Gewalt- oder Willkürherrschaft zu billigen, zu leugnen oder zu verharmlosen oder die Ehre oder den besonderen Achtungsanspruch der Opfer oder ihrer Nachfahren zu verletzen, insbesondere wenn sie an einem Ort stattfindet, der den Opfern einer organisierten menschenunwürdigen Behandlung gewidmet ist.“

Der Präsident des Nordrhein-Westfälischen Verfassungsgerichtshofs und Oberverwaltungsgerichts Münster hat unlängst in einem Leserbrief an die Neue Juristische Wochenschrift die Herausforderung, vor der Gesetzgeber und Rechtsprechung stehen, so auf den Punkt gebracht: „Die Freiheit des Andersdenkenden ist ein hohes Gut. Diese Freiheit muss in der wehrhaften Demokratie des Grundgesetzes aber dort ihre Grenze finden, wo der Versuch unternommen wird, das menschenverachtende Gedankengut des Dritten Reiches wieder zu beleben. Handelt es sich bei der Demonstrationsfreiheit um die „Luftröhre der Demokratie“, dann gehen … Neonazis der Demokratie an die Gurgel. Eine wehrhafte Demokratie muss dem entgegentreten und dafür sorgen, dass ihr – und den in ihr lebenden Menschen – nicht irgendwann von geschichtsblinden Barbaren die Luft zum Atmen genommen wird.“

Darum geht es!

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