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Die (un)heimliche Staats­ge­walt

30. August 2020
Memorandum zur Reform des Verfas­sungs­schutzes

IV. Amtshilfe

Die Praktiken der Nachrichtendienste in den letzten Jahren haben auch das Problem des Amtshilferechts in den Brennpunkt des Interesses gerückt. Erinnert sei nur an die technische Amtshilfe des Bundesnachrichtendienstes, der dem Bundesamt für Verfassungsschutz behilflich war, in die Wohnung des Atommanagers Dr. Klaus Traube einzudringen, oder daran, daß aufgrund der geheimen „Sonderanweisung über die Erfassung bestimmter Erkenntnisse bei der grenzpolizeilichen Kontrolle“ (So-GK) der Bundesgrenzschutz für das Bundesamt für Verfassungsschutz und den Bundesnachrichtendienst tätig wurde. Auch über eine Zusammenarbeit mit ausländischen Geheimdiensten wie dem iranischen SAVAK und dem amerikanischen CIA wird immer wieder berichtet (1). Der Bundesinnenminister sah sich veranlaßt, sechs wissenschaftliche Gutachten zur aufgeworfenen Problematik einzuholen (2). Als Rechtfertigung für nahezu jede Ausuferung von Amtshilfe wird auf Art. 35 Grundgesetz (GG) verwiesen, wonach sich alle Behörden des Bundes und der Länder gegenseitig Rechts- und Amtshilfe leisten, auf den fast wortgleichen § 3 Abs 4 BVerfSchG sowie die entsprechenden Landesvorschriften, auf die Amtshilfevorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes sowie auf die „Einheit der Staatsgewalt“. Alle diese Hinweise erweisen sich als falsch.

Zunächst – da am einfachsten – kann festgehalten werden, daß § 3 Abs 4 BVerfSchG nichts Spezielles hergibt: Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages hat bereits dargelegt, daß diese Vorschrift 1972 lediglich in das Gesetz aufgenommen wurde, um klarzustellen, daß Art. 35 GG auch für das Bundesamt für Verfassungsschutz gilt, wie für jede andere Behörde (3). Die anderen aufgeführten Argumente können ebenfalls nicht den unbegrenzten Rückgriff auf die Rechtsfigur der Amtshilfe rechtfertigen, wenn eine Behörde die Unterstützung der anderen anfordert. Unser Staat regelt – und beschränkt – nicht ohne Grund für jede Behörde unterschiedlich ihre Aufgaben und Befugnisse. Könnte eine Behörde, die meint, mit den ihr gesetzlich verliehenen Befugnissen ihre Aufgabe nicht erfüllen zu können, auf dem Wege der Amtshilfe die Befugnisse anderer Behörden einsetzen, so würde die vom Parlament vorgesehene Aufteilung von Aufgaben und Befugnissen „ausgehebelt“. Insbesondere die abstrakteste, die reine Staatsgewalt, die auf keine konkrete Aufgabe bezogen und durch sie beschränkt ist, die Polizeibefugnis (warum nicht auch die Bundeswehr?), könnte jede beliebige Behörde sich im Wege der Amtshilfe unterstellen. „Die Polizei würde, ohne Rücksicht auf die Grenzen ihres Amtes, nämlich der Gefahrenabwehr im spezifischen Sinne, als eine Art Blankomachtreserve des Staates einsetzbar, die zur Exekution beliebiger Verwaltungszwecke zur Verfügung stünde“ (4). Das Kennzeichen des Rechtsstaates, die Trennung und Beschränkung von Aufgaben und Befugnissen, wäre aufgelöst.

Auch die Berufung auf die „Einheit der Staatsgewalt“ kann Amtshilfe nicht rechtfertigen. Im demokratischen Rechtsstaat besteht bei Aufgaben und Befugnissen eben von Verfassungs wegen gerade keine Einheit der Staatsgewalt! Der Föderalismus, die Gewaltenteilung, die Kompetenz- und Zuständigkeitsverteilung, der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit haben zurfolge, daß im Interesse der Machtbegrenzung zugunsten des Bürgers die einzelnen Organe des Staates eben nicht als Einheit gesehen werden. Sonst könnte der Standesbeamte Steuern einziehen, der Polizist eine Ehe schließen oder scheiden oder der Finanzbeamte eine Demonstration verbieten. Die allgemeine Pflicht zur Amtshilfe reicht somit nicht aus, „um beliebige Aufgaben mit beliebigen Befugnissen zusammenzukoppeln. Es bedarf zusätzlicher spezieller, auf den jeweiligen Aufgabenbereich zugeschnittener Rechtssätze, die Auskunft darüber geben, wann und bis zu welcher Grenze ein Hoheitsträger A die Befugnisse des Hoheitsträgers B für sich ,mobilisieren‘ darf“ (4). Es muß also nach dem „bereichsspezifischen Amtshilferecht“ gefragt werden. Dabei ist – sollen nicht Organisationsgefüge und Kompetenzregelungen ad absurdum geführt und die Grundrechte gefährdet werden – davon auszugehen, daß durch die Amtshilfe die Befugnisse des Staates gegenüber dem Bürger insgesamt nicht über das durch die Gesetze zugelassene Maß hinaus erweitert und daß einer Behörde gesetzlich ausdrücklich vorenthaltene Befugnisse ihr nicht über den Weg der Amtshilfe wieder zugänglich gemacht werden dürfen. Im bereichsspezifischen Amtshilferecht der Nachrichtendienste ist damit folgendes festzuhalten:

1) Dem Verfassungsschutz sind kraft Gesetz ausdrücklich polizeiliche Befugnisse vorenhalten (6). Damit steht fest, daß auch über den Kunstgriff der Amtshilfe der Verfassungsschutz sich die Befugnisse der Polizei einschließlich des Bundesgrenzschutzes nicht zunutze machen darf – eine Erkenntnis, die inzwischen in der Rechtslehre (7) (und wohl auch im Bundesinnenministerium) unumstritten ist und an die sich die Praxis anpassen muß (8). Dem Verfassungsschutz sind somit auch durch Amtshilfe unter anderem versagt: Personenfeststellung, Durchsuchung, Beschlagnahme, Vorführung, Vernehmung, Festnahme sowie polizeiliche Zwangsrechte wie Ersatzvornahme, unmittelbarer Zwang und Schußwaffengebrauch (9).

2) In Erinnerung an die Gestapo haben das BVerfSchG in § 3 Abs 3 und das Hamburgische Gesetz in § 2 Abs 1 die organisatorische Verbindung von Verfassungsschutz und Polizeidienststellen verboten. Jeder systematische Informationsverbund zwischen dem Verfassungsschutz und Polizeibehörden wäre ein Verstoß gegen dieses gesetzmäßig vorgeschriebene Konzept (10). Auf Veranlassung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz wurde daher mittlerweile der gegenseitige Zugriff auf die vorhandenen Daten zwischen Bundesamt für Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt unterbrochen.

3) Mit der gleichen Begründung muß die Zulässigkeit von generellen Amtshilfeersuchen verneint werden (11). Auch bei Amtshilfemaßnahmen müssen Geeignetheit, Zweckmäßigkeit, Verhältnismäßigkeit überprüft werden; dies ist jedoch bei einem generellen Amtshilfeersuchen nicht möglich. Außerdem werden bei einem generellen Amtshilfeersuchen die normalen Aufgabenfelder verschoben, da dann eben die normalerweise zuständige Behörde eine andere Behörde generell für sich arbeiten läßt; es liegt somit eine Änderung der gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung vor. Eine generelle Zusammenarbeit zwischen dem Verfassungsschutz und anderen Behörden ist daher nicht ohne eine spezielle gesetzliche Grundlage zulässig (12). Eine geheime So-GK ist unzulässig.

4) Im besonders problematischen Bereich der Amtshilfe zwischen Verfassungsschutz und Polizeibehörden (Bundesgrenzschutz, Bundeskriminalamt, Landeskriminalämter, Landespolizeien) ergeben sich weitere Beschränkungen. Da den Polizeibehörden die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel verboten ist, darf der Verfassungsschutz ihnen insoweit keine Amtshilfe leisten und auch Informationen, die er auf diese Weise erlangt hat, nicht weitergeben; lediglich im Rahmen des § 7 Abs 3 G 10 dürfen Erkenntnisse über bevorstehende schwere Straftaten nach § 138 StGB weitergegeben werden (13). Umgekehrt dürfen auch Informationen, die die Polizei unter Inanspruchnahme polizeilicher Eingriffsbefugnisse erlangt hat, dem Verfassungsschutz nicht mitgeteilt werden, da sonst das Verbot polizeilicher Befugnisse für diesen und der organisatorischen Verbindung umgangen würde (14). Lediglich sogenannte Zufallsfunde können dem Verfassungsschutz mitgeteilt werden, soweit sie nicht anläßlich von polizeilichen oder strafprozessualen Maßnahmen ( § 108 StPO) gemacht wurden (16).

5) Eine Besonderheit gilt für die Amtshilfe zwischen Bundesnachrichtendienst/Militärischem Abschirmdienst und Verfassungsschutz (sowie Polizeibehörden). Die Sammlung von personenbezogenen Informationen durch Bundesnachrichtendienst und Militärischem Abschirmdienst bedeutet unbestritten einen „Eingriff“, der gesetzlicher Grundlage bedarf. Da es eine solche nicht gibt (beide Organisationen beruhen lediglich auf einem Organisationserlaß), sind die Erkenntnisse rechtswidrig erlangt – solche Erkenntnisse dürfen aber anerkanntermaßen nicht auf dem Wege der Amtshilfe weitergegeben werden (zulässig ist lediglich die Verwertung von Zufallsinformationen nach § 7 Abs 3 G 10). Dasselbe gilt auch umgekehrt: Verfassungsschutzbehörden dürfen (ebenso wie auch die Polizei) keine personenbezogenen Informationen an den Bundesnachrichtendienst und den Militärischen Abschirmdienst geben (16).

6) Schließlich besteht Anlaß zu dem Hinweis, daß die deutschen Amtshilfevorschriften nur für deutsche Behörden gelten, daß also eine „Amtshilfe“ für ausländische Nachrichtendienste nicht zulässig ist. Diese Dienste werden – soweit überhaupt zulässig – in der Bundesrepublik lediglich „privat“ tätig, so daß deutsche Nachrichtendienste mit ihnen nur insoweit zusammenarbeiten dürfen wie generell mit Privatleuten (17).

Der Bundestagsabgeordnete Alfred Emmerlich hat zu recht darauf hingewiesen, daß es sich bei der Amtshilfe im Zusammenhang mit Nachrichtendiensten nicht nur um ein juristisches, sondern in erster Linie um ein politisches Problem handelt, und daß die Nachrichtendienste vom Gesetzgeber bewußt in Aufgaben und Befugnissen beschränkt worden sind. Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es, verfassungswidrige Bestrebungen zu beobachten; andere Behörden haben diese Aufgabe nicht. Diese Aufgabenverteilung darf nicht durch Amtshilfevorschriften umgangen werden. „Amtshilfe bedeutet Erweiterung des Handlungsspielraums für die ersuchende Behörde durch Inanspruchnahme der personellen und sachlichen Mittel anderer Behörden … Eine derartige Ausdehnung der tatsächlichen und rechtlichen Handlungsmöglichkeiten des Verfassungsschutzes und von Behörden mithilfe des Verfassungsschutzes kann nicht geduldet werden“ (18). Dem ist nichts hinzuzufügen.

(1) Frankfurter Rundschau v. 17. 1. und 1. 2. 1977, 20. 9. 1979

(2) umfassender Überblick bei E. Denninger, Einführung in Probleme des Amtshilferechts, insbesondere im Sicherheitsbereich, in Juristische Arbeitsblätter. 1980, 280 ff. E. Denninger war einer der sechs Gutachter für das Bundesinnenministerium; das Gutachten wird demnächst veröffentlicht.

(3) Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages v. 4. 8. 1978, Sachgebiet 201 (F 12), Reg. Nr. 145/78, abgedruckt in Juristische Schulung 1979, 239.

(4) E. Denninger (Anm. 2) S. 282.

(5) E. Denninger (Anm. 2) S. 281; Gutachten des Bundestages Anm. 3) S. 6 f; A. Emmerlich, Verfassungsschutz und Amtshilfe, Dokumentation in der Frankfurter Rundschau v. 18. 7. 1980, S. 14,

(6) vgl. das vorhergehende Kapitel über die Befugnisse.

(7) E. Denninger (Anm. 2) S. 283; Gutachten des Bundestages (Anm. 3) S. 6-8 m.w.N.; R. Riegel, Die Tätigkeit der Nachrichtendienste und ihre Zusammenarbeit mit der Polizei, in Neue Juristische Wochenschrift 1979, 952, 954. Die allgemeine Frage, ob im Wege der Amtshilfe überhaupt Maßnahmen mit Eingriffscharakter verlangt werden können (vgl. Riegel, S. 954 m.w.N.), kann daher für den Verfassungsschutz offenbleiben.

(8) G. von Loewenich, Leiter der Abteilung Innere Sicherheit im Bundesinnenministerium in einem Gutachten, abgedruckt in der Dokumentation der Frankfurter Rundschau v. 17.4. 1979, Ziff. 1.3.1. So auch neuestens § 4 Abs. 3 des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Lande Bremen.

(9) Gutachten des Bundestages (Anm. 3) S. 8.

(10) G. v. Loewenich (Anm. 8) Ziff. 1.3.1.

(11) G. v. Loewenich (Anm. 8) Ziff. 1.1 und 1.3.2; Gutachten des Bundestages (Anm. 3) S. 4 f m.w.N.; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, 4. Auflage S. 125; Dreher, Die Amtshilfe S. 33

(12) Dies gilt z.B. für die Richtlinien für die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden, des Bundesnachrichtendienstes, des Militärischen Abschirmdienstes, der Polizei und der Strafverfolgungsbehörden in Staatsschutzangelegenheiten v. 23. 7. 1973, abgedruckt in der Frankfurter Rundschau v. 7. 11. 1979 S. 5, sowie Nr. 205 und 206 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren.

(13) R. Riegel (Anm. 7) S. 955. An eine analoge Anwendung des § 138 StGB bei anderweitig erlangter Kenntnis wird man denken dürfen; so auch neuestens § 6 Abs. 2 Ziff. 1 des Bremer Verfassungsschutzgesetzes.

(14) R. Riegel (Anm. 7) S. 954.

(15) Für personenbezogene Daten ergeben sich zusätzliche Einschränkungen aus dem Datenschutz; vgl. Kapitel VII Datenschutz.

(16) R. Riegel (Anm. 7) S. 956 f m.w.N.

(17) Hinsichtlich der Sicherheit der in der Bundesrepublik stationierten NATO-Streitkräfte und der Entsendestaaten sind Art. 3 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut v. 3. 8. 1959 sowie G10 zu beachten.

(18) A. Emmerlich (Anm. 5)

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