Bayerische Grenzen der Versammlungsfreiheit
Bericht über eine Veranstaltung der HU Marburg am 2. Juni 2008
„Je mehr Not, desto mehr Notstand!“ Auf diese griffige Formel brachte Hedwig Krimmer den Zusammenhang zwischen Sozialabbau und der Einschränkung von Bürgerrechten. Auf Einladung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) und der Humanistischen Union (HU) sprach die Münchener ver.di-Gewerkschaftssekretärin am Montag (2. Juni) im Marburger DGB-Büro.
Das zentrale Thema ihres Vortrags bildete der Entwurf zu einem neuen Bayerischen Versammlungsgesetz. Es soll am 15. Juli bzw. 17. Juli 2008 im bayerischen Landtag in zweiter und dritter Lesung verabschiedet werden. Dagegen wenden sich rund 100 Organisationen und Initiativen mit einer landesweiten Demonstration am Samstag (21. Juni) in München.
Ihre Kritik am Gesetzentwurf fasste Krimmer in der Befürchtung zusammen, dass bei einem Inkrafttreten des Gesetzes in der vorliegenden Fassung gewerkschaftliche Arbeit in Form von Streiks und Demonstrationen praktisch nicht mehr möglich wäre. Die Gewerkschafterin betrachtet das Gesetz als eine Art „Testballon“. Damit wolle die Münchener Landesregierung mögliche Einschränkungen der Versammlungsfreiheit – auch im Vorgriff auf vergleichbare Regelungen anderer Bundesländer – durchsetzen und dabei deren Umsetzbarkeit ausprobieren. Als Beleg führte sie eine Äußerung des bayerischen Innenministers Joachim Hermann an, der erklärt hatte, das Gesetz wolle die Grenzen der Versammlungsfreiheit „ausloten“.
Nach dem Entwurf muss jede Versammlung mindestens 72 Stunden vor ihrer öffentlichen Ankündigung bereits angemeldet werden. Als Versammlung gelte demnach jede Zusammenkunft von zwei oder mehr Personen, die der politischen Willensbildung oder Meinungsäußerung diene. Damit werde auch jede Diskussion mit dem Nachbarn auf der Straße zu einer „Versammlung“ im Sinne des Gesetzes.
Mit – teilweise empfindlichen – Geldbußen ahndet das neue Gesetz Verstöße. Zwar sei auch in Bayern die verfassungswidrige Anmeldegebühr für Demonstrationen mittlerweile durch höchstrichterliche Urteile vom Tisch, doch kehre sie so durch die Hintertür wieder zurück. Demonstrationsleiter und Ordner müssten bei der Anmeldung von Kundgebungen oder Protestzügen namentlich gemeldet werden. Die Polizei könne dann auch Leute ablehnen, die sie für unzuverlässig oder ungeeignet halte. Darin sah Krimmer die Gefahr, dass man entweder gar keine Ordner mehr finden werde oder aber nur noch biedere brave Vorzeig-Statisten melden könne.
Ein sogenanntes „Militanz-Verbot“ untersagt Demonstrationen, die den Eindruck von Aggressivität erwecken könnten. In der Gesetzesbegründung würden hier Spruchbänder und Fahnen oder Embleme genannt, die eine derartige Wirkung hervorrufen könnten. Nach Krimmers Überzeugung ist aber jede Demonstration naturgemäß „militant“ im Sinne dieser Begründung, wenn sie überhaupt etwas erreichen will.
Selbst Veranstaltungen innerhalb geschlossener Räume fallen nach ihrer Erklärung unter das neue Gesetz. Auch hier müssten demnach vorher Anmeldungen erfolgen. Zudem könne die Polizei „angemessene“ Möglichkeiten ihrer Unterbringung verlangen. Schließlich erlaube das Gesetz eine Abwägung zwischen der Durchführung von Demonstrationen und den „berechtigten Interessen“ anderer Bürgerinnen und Bürger. Die Gewerkschafterin vermutete, dass Aktionen auf dem Münchener Marienplatz künftig kaum mehr möglich werden könnten.
Nach alledem habe sich in Bayern heftiger Protest artikuliert. Die Demonstration in München sei vermutlich die letzte Chance, den Gesetzentwurf vielleicht noch aufzuhalten. Deswegen rief die Referentin auch die Anwesenden dazu auf, sich an der Aktion in München zu beteiligen.
In einer kleinen Zeit-Reise drehte sie noch einmal die Uhren zurück, um dem Publikum den schleichenden Abbau von Bürgerrechten vor Augen zu führen. Während im Juni 2008 mit dem BKA-Gesetz in Berlin eine weitreichende Ausdehnung der Kompetenzen des Bundeskriminalamts (BKA) auf Kosten der Freiheitsrechte und des Datenschutzes vorbereitet werde, seien genau ein Jahr zuvor beim G8-Gipfel in Heiligendamm erstmals die Marine und die Luftwaffe gegen Demonstrierende eingesetzt worden. Im Juni 2006 seien während der Fußball-Weltmeisterschaft – ganz nebenbei – mit der Föderalismus-Reform die Weichen für Regelungen wie das bayerische Versammlungsgesetz gestellt worden. Eineinhalb Jahre vorher wiederum sei Hartz IV in Kraft getreten. Schließlich erinnerte Krimmer an die Notstandsgesetze und den Protest dagegen. Im Juni 1968 war in Berlin der Student Benno Ohnesorg bei einer Demonstration von einem Polizisten erschossen worden.
Mit einem flammenden Appel für mehr Engagement zugunsten der Freiheits- und B´¼rgerrechte beendete Krimmer ihren Vortrag. Die Ankündigung von drei Studierenden, sich von Marburg aus auf den Weg zu der Münchener Demonstration zu machen, war ein greifbares Ergebnis ihrer entschieden vorgetragenen Rede.