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Bericht der Demon­s­tra­ti­ons­be­ob­ach­tung durch die Humanis­ti­sche Union Lübeck am 26.3.2011

06. April 2011

Die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union (HU) hat die am 26. März 2011 in Lübeck stattgefundene rechtsradikale Demonstration, die dazu durchgeführten Gegendemonstrationen und den absichernden Polizeieinsatz mit insgesamt 18 DemonstrationsbeobachterInnen (darunter Rechtsanwälte und Mitglieder des Bundes- und Landtages) begleitet.

Die DemonstrationsbeobachterInnen trugen Leuchtwesten mit der Aufschrift „Demonstrationsbeobachtung“ und ein deutlich sichtbares Ausweisschild mit Namen und Organisation.

Wie bereits in den Vorjahren wurden DemonstrationsbeobachterInnen der HU wiederholt an polizeilichen Absperrungen zurückgewiesen. Auch Abgeordnete des Bundes- und Landtages wurden in Ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Dennoch gelang es den Beobachtungsteams, die Entwicklungen des Tages an den zentralen Punkten der Demonstration und der Blockaden mit zu verfolgen. Damit ermöglichte die Demonstrationsbeobachtung der HU eine von Polizei und DemonstrantInnen gleichermaßen unabhängige Einschätzung der Tagesereignisse. Zusätzlich konnten die BeobachterInnen der HU in einzelnen konflikthaften Situationen vermittelnd intervenieren.
Erfreulicherweise gestalteten sich die Demonstrationen/ Gegendemonstrationen überwiegend friedlich. Ausschreitungen einzelner GegendemonstrantInnen begegnete die Polizei mit Zurückhaltung. Auch MitdemonstrantInnen versuchten zur Befriedung der Situationen beizutragen. In der Artlenburgerstr. wurden Steinwürfe von Gegendemonstranten in Richtung der rechtsradikalen Demonstration über ein Haus hinweg beobachtet. Weiterhin sahen Demonstrationsbeobachter in der Beethovenstraße einen Polizeibeamten, der durch Pfeffersprayeinsatz verletzt worden war. Er schilderte den Übergriff eines Gegendemonstranten. In derselben Situation schilderte ein anderer Gegendemonstrant den Knüppeleinsatz eines Polizisten gegen ihn. Beobachtet werden konnten zwar die Verletzung, nicht jedoch die Auseinandersetzung an sich.

Insgesamt wurden jedoch von Seiten der GegendemonstrantInnen gegenüber dem Vorjahr weniger Übergriffe auf eingesetzte PolizeibeamtInnen beobachtet.

Bereits in den frühen Morgenstunden wurde die Route der rechtsradikalen Demonstration zur Verhinderung angekündigter Blockaden von Gegendemonstranten weiträumig abgesperrt. Die ersten Demonstrationsbeobachtungsteams der HU konnten bereits um 5.30 Uhr verfolgen, wie gegen potentielle Gegendemonstranten Platzverweise ausgesprochen wurden.

Mit einem Aufgebot zwischen 2400 PolizeibeamtInnen (Polizeiangaben) und 3200 PolizeibeamtInnen (Quelle: NDR) und unter Zuhilfenahme mehrerer Wasserwerfer (nach Polizeiangaben 6 Stck.) sowie Räumpanzern (genaue Anzahl unbekannt) steigerte sich der personelle und materielle Einsatz gegenüber dem Vorjahr nochmals erheblich. Dem gegenüber standen nach offiziellen Angaben 240 demonstrierenden Rechtsradikalen, 1200 GegendemonstrantInnen auf dem Bahnhofsvorplatz sowie maximal 600 GegendemonstrantInnen im Stadtviertel. Hierbei stellt sich die Frage, ob angesichts des eingesetzten Polizeiaufgebotes das Gebot der Verhältnismäßigkeit gewahrt blieb und die offenkundig einschüchternde Präsentation von Stärke nicht zu einer Beeinträchtigung des Demonstrationsrechtes beigetragen hat.

Bis zu den Mittagsstunden präsentierten sich die Polizeikräfte aus Sicht der BeobachterInnen in der Öffentlichkeit bis in die Mittagsstunden weitgehend deeskalierend. Zu den deeskalierenden Maßnahmen gehörte auch der Einsatz von Konflikt- und Dialogteams aus verschiedenen Bundesländern. Der Einsatz dieser BeamtInnen erleichterte wie bereits im Vorjahr deutlich die Kommunikation mit den eingesetzten Polizeikräften und half spürbar bei der Deeskalation. Allerdings wurde beobachtet, dass die Konfliktteams bei sich abzeichnender Eskalation zurückgezogen wurden, obwohl auch hier eine Deeskalation möglich schien. Andererseits war auffällig, dass zumindest bei einigen Einheiten die Akzeptanz der eigenen Konflikt- und Dialogteams noch nicht sehr ausgeprägt erschien. Der Ausbau dieser Vermittlungstätigkeit ist aus Sicht der HU jedoch definitiv wünschenswert.

Gegenüber den Vorjahren war allerdings eine deutlich stärkere Polizeipräsenz mit schwerem Gerät (Wasserwerfer und Räumpanzer) festzustellen. Die Polizeikette an den Blockadepunkten war unbehelmt. Dies trug auch zur Entspannung der Lage bei.
Demgegenüber waren eingesetzte sogenannte Beweissicherungs- und Festnahme-Einheiten (BFE- Einheiten), die sich am Rand und im Hintergrund befanden, durch das Tragen der Helme und der Masken nicht mehr individuell erkennbar. Ihre Erscheinung wirkte durch die Anonymität und Demonstration der Stärke unnötig provozierend.
Gegenüber den rechtsradikalen Demonstranten wurde von Seiten der Polizei die Einhaltung der Auflagen beachtet. Der Versammlungsleiter der Demonstration wurde nach Überschreitung der Redezeit polizeilich unterbrochen.

Bereits ab 4.30 Uhr ließ die Einsatzleitung den Stadtteil St.Lorenz-Nord und Süd absperren und schränkte AnwohnerInnen und PassantInnen erheblich in ihrer Bewegungsfreiheit ein. AnwohnerInnen mussten bei der Verrichtung ihrer alltäglichen Besorgungen ihren Personalausweis vorzeigen und wurden dann von einzelnen PolizeibeamtInnen begleitet.

Das Absperren wichtiger Zugangswege (ab 7.00 Uhr) zur Innenstadt trug für FußgängerInnen, FahrradfahrerInnen, Busse und den ÖPNV zu erheblichen Behinderungen bei. Bahnreisende mussten am Haupteingang des Bahnhofes Absperrungen passieren und ihr Reiseziel angeben.

Die Räumung der ersten Sitzblockade in der Ziegelstr. um 8.23 Uhr erfolgte größten Teils einwandfrei, wenngleich vereinzelte Übergriffe beobachtet wurden. Obwohl kein Verzug bestand, drückten einige BeamtInnen die behandschuhte Hand in das Gesicht von BlockierInnen und pressten deren Kopf nach hinten (Foto Andre). Des Weiteren wurden Nase und Mund so lange zugedrückt bis die Sitzblockierer aufgrund der Atemnot losließen. Dies geschah zu einem sehr frühen Zeitpunkt – der „Trauermarsch“ der Nazis hatte noch nicht einmal begonnen.

Während die Polizeikräfte auf vereinzelte Provokationen von GegendemonstrantInnen vornehmlich besonnen reagierten, registrierten die BeobachterInnen Übergriffe einzelner BeamtInnen.

In der Fackenburger Allee kam es um 8.37 zu Auseinandersetzungen zwischen Gegendemonstranten und Polizeikräften, nachdem ein Polizeifahrzeug zwei Gegendemonstranten angefahren hatte. Dort wurde auch eine Festnahme unter massiver Gewaltanwendung durch 6-8 Polizeibeamte beobachtet (16. BP-Einheit), während Umstehende mit Pfefferspray bedroht wurden. Kritisch zu bewerten ist weiterhin, dass bei vereinzelten kleineren Sitzblockaden Wasserwerfer mit hoher Geschwindigkeit auf die meist jugendlichen Blockierer zufuhren und erst wenige Meter vor diesen zum Stillstand kamen.

Der HU wurde weiterhin berichtet, dass gegen 11.05 an der Ecke Fackenburger Allee/An der Lohmühle Gegendemonstranten von Polizeikräften aus dem Bundesland Sachsen mit mindestens einer Reizgasgranate beschossen wurden. Davon wurde ein Reporter des „Freien Sender Kombinates“ zwischenzeitig ohnmächtig. Dieser wurde anschließend von einer anderen Polizeieinheit medizinisch versorgt. Der erstmalige Einsatz von Reizgasgranaten stellt neben seinem unkontrollierten Einsatz eine deutliche, gefährliche Verschärfung des Polizeieinsatzes dar.

Als besonders gravierend sind Auseinandersetzungen rund um die Bodelschwingh-Kirche zu bewerten. Dabei ist zu bemerken, dass es an dieser Stelle zu keiner Zeit eine Blockade auf der für den NPD Aufmarsch genehmigten Strecke gab. Neben einer mit massiver Gewalt ausgeführten Festnahme, bei der der Kopf des Festgenommenen mehrmals auf den Boden geschlagen wurde, wurden Demonstranten zunächst eingekesselt und dann in die Kirche gedrückt. Bei der Einkesselung wurden Polizeihunde ohne Maulkorb in der zweiten Reihe eingesetzt. Dies wurde von den DemonstrationsbeobachterInnen als gefährliche und eskalierende Abschreckungsmaßnahme bewertet. In diesem Zusammenhang setzte die Polizei erneut Pfefferspray gegen Demonstranten ein. Der Pastor der Gemeinde wurde bei dem Versuch, die Polizei vom Kircheneingang fern zu halten, ebenfalls durch Pfefferspray verletzt. Die eingesetzten Beamten sprühten auch Pfefferspray durch die geöffnete Kirchentür in das Innere der Kirche. Bei diesem Einsatz, der ohne vorherige Ankündigung stattfand, wurde das Hausrecht der Kirche missachtet. Erschwerend kommt bei der Einschätzung dieses sicher unverhältnismäßigen Einsatzes hinzu, dass dieser fortging, obwohl längst die Demonstrationsrute des rechtsradikalen „Trauerzuges“ geändert war. Ein Schutz des ursprünglichen Streckenverlaufs war somit unnötig.

Die Einsatzhandlungen einzelner PolizeibeamtInnen können jedoch aufgrund der fehlenden individuellen Kennzeichnung der Polizeikräfte den Verursachern nicht sicher zugeordnet werden. Lediglich die Schleswig-Holsteinische Polizei trug überhaupt eine Kennzeichnung auf dem Rücken (dort ist sie bei einer Konfrontation allerdings nicht ersichtlich), über die eine Einheit von 5-6 PolizistInnen identifiziert werden könnten. Die Polizeibeamten aus den anderen Bundesländern waren maximal ihrem Bundesland zuzuordnen. Das führte unter anderem zu einer Situation in der Beethovenstraße, in der einzelne Polizeibeamte einräumten, die Beteiligung bzw. Nicht-Beteiligung ihrer eigenen KollegInnen innerhalb einer Auseinandersetzung nicht klar benennen zu können.

Eine Kennzeichnung der Einsatzkräfte würde somit verhindern, dass einzelne den besonnenen Polizeieinsatz insgesamt diskreditieren.

Hinsichtlich des von uns beobachteten Einsatz der Hundestaffel wurden erneut an der Bodelschwingh-Kirche und in der Ziegelstraße mehrere Hunde aus Abschreckungsgründen in der zweiten Reihe ohne Maulkorb präsentiert. Wie in den Berichten 2009 und 2010 dargestellt, ist das von den Hunden ohne Maulkorb ausgehende Gefahrenpotential erheblich und führte schon mehrfach zu Verletzungen von Polizisten, Passanten und Demonstranten. Wenn von einem Hundeeinsatz nicht abgesehen werden kann, sollte zumindest eine Maulkorbpflicht bestehen.

Zu der vergleichsweise geringen Anzahl der Ingewahrsamgenommenen trug wie bereits im Vorjahr auch die begrüßenswerte Entscheidung der BeamtInnen bei, auf Ingewahrsamnahmen bei der Räumung der Sitzblockade zu verzichten und stattdessen Platzverweise auszusprechen.

Das vierte Jahr in Folge mussten sich, nach Berichten der Rechtsanwalte, die Ingewahrsamgenommenen Gegendemonstranten wieder entkleiden und auf dem Parkdeck des Behordenhochhaus auf ihre Freilassung warten. Dieses Verfahren stellt unverandert eine Lubecker Besonderheit dar. Die Gewahrsamsverordnug Schleswig-Holsteins sieht zwar die Durchsuchung und Sicherstellung von Gegenstanden vor, dieser Vorschrift ist aber durch Abtasten und Taschendurchsuchungen in der Regel genuge getan. Die angewandte Rechtssprechung sieht nur bei begrundetem Verdacht eine so umfassende Leibesvisitation vor. Aus Sicht der HU ist dementsprechend die gangige Praxis der Lubecker Polizei hinsichtlich des Umgangs mit In Gewahrsam Genommenen als unverhaltnismasig zu bezeichnen.

Nach den Erfahrungen der Demonstrationsbeobachtung in Verbindung mit den Erfahrungen aus den letzten Jahren ergeben sich für uns folgende Forderungen und Empfehlungen:

  • Kennzeichnung der eingesetzten Polizeikrafte zwecks Identifizierung von Rechtsverstößen
  • Kein Einsatz von Hunden ohne Maulkorb
  • kein unnotiger Einsatz von schwerem Gerät als Eskalationsmittel
  • Einsatz eines unabhängigen Beobachterteams unter Gewahrleistung weitgehender Bewegungsfreiheit
  • Schaffung eines unabhängigen Polizeibeauftragten
  • Einbindung von Konflikt- und Dialogteams in das routinemäßige Einsatzkonzept der Polizei mit umfassender Wirkungskompetenz nach innen und außen
  • Gewährleistung der Verhältnismäßigkeit im Umgang mit Ingewahrsamgenommenen, insbesondere Unterlassung der entwürdigenden, routinemäßigen Leibesvisitationen bei vollständiger Entkleidung
  • Freier Zugang fur Anwälte und BeobachterInnen zu den Ingewahrsamgenommenen
  • Training zum gewaltfreien Auflösen von Sitzblockaden

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